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Über das Dandytum


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Über das Dandytum Was ist vornehm? Friedrich Nietzsche stellte in einer seiner Notizkladden der 1880er Jahre die Frage, „Was ist vornehm?“ (Bet. i. Org.) Er gab sich selbst umfassende Antwort: Kurze, fast stakkatoartige Sätze, die vom wahrhaften Menschen sprechen, als würde ein Maschinengewehr der tumben Masse die Beschaffenheit eines Vorbildcharakters in die Hirne hämmern wollen. Nietzsches erste Antworten lauten: „Die Sorgfalt im Äußerlichsten, insofern diese Sorgfalt abgrenzt, fernhält, vor Verwechslung schützt. Der frivole Anschein in Wort, Kleidung, Haltung, mit dem eine stoische Härte und Selbstbezwingung sich vor aller unbescheidenen Neugierde schützt.“ Diese Kombination aus stolzer Abgrenzung mit einem frivolen Anschein und mithin das, was von Nietzsche als vornehm definiert wird, klassifiziert einen ganz bestimmten Sozialcharakter: den Dandy. Da der Dandy gegenüber der Gesellschaft in der Opposition steht - und das heißt in wirklicher radikaler Opposition und nicht einer gespielten naiv-kindlichen wie bei den meisten Politikern – sieht er sich in frühen Lebensjahren gezwungen, eine tiefe und folgenreiche Entscheidung zu fällen. Wie das Leben gestalten, in welcher Rolle die Lebenszeit verbringen? Da der Dandy um sich herum nur Mittelmaß, Verlogenheit und Karrierestreben sieht, beschließt er, anders zu sein. Wahrhaft anders. Er nimmt die Gepflogenheiten der upper class, in der er verkehrt, auf und stichelt ihre dümmeren und arroganteren Mitglieder. Er hält ihnen einen Spiegel vor, indem er spontan und schlagfertig jegliche Anmaßung, jegliches Philistertum oder jedes Eingeständnis von Mediokrität unmittelbar pariert. Mit gediegener Kleidung hat das alles nur soviel zu tun, als dass die Macht der Mode in der Regency-Zeit, als der Ur-Dandy, der Begründer der später so genannten Dandy-Sekte, Beau Brummell, reüssierte, so groß war wie in kaum einer andern Epoche. Dies nutzte Georges Bryan Brummell geschickt. Er zog sich besser, will heißen, zurückhaltender und gediegener als seine Bekannten aus dem englischen Hochadel an. So wurde er Freund und ästhetisches Vorbild für den Prinzen von Wales, den späteren König Georg IV. Brummell hatte gar nicht vor, das Vorbild für irgendeinen Verhaltenskodex zu liefern, begründete aber mit seinem gesamten Gebaren den damals so genannten Typus des Bucks. Heute wird der Dandy gemeinhin verwechselt mit dem Snob. Dabei ist die Grundannahme, ein Dandy wolle um jeden Preis auffallen, vollkommen falsch. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Kaum bekannt ist heute, dass Beau Brummell die damalige englische Mode in revolutionärer Manier modernisiert hat. Dies tat er paradoxer Weise, indem er den Adel an seine alten, von ihm selbst vergessenen Tugenden erinnerte. Zurückhaltung, Nonchalance, die Palette der Gentleman-Kodexe. Dies zeigte sich in des Beaus Kostüm in der Zurückhaltung bei den Farben: Statt aller möglichen roten, violetten und anderer wilder Kombination entschied er sich für ein dunkles Blau oder das klassische Schwarz für den Rock. Auch mit anderen individuellen Entscheidungen bei seinem Kostüm wurde er schnell zum arbiter elegantiarum, also zu der maßgeblichen Instanz in den Dingen der Mode. So führte er die lange Hose für das Kostüm des Mannes am Tage ein. Sein Äußeres verschaffte ihm in den höchsten Kreisen Aufmerksamkeit; irgendwann wollten alle so sein wie er. Und diese Aufmerksamkeit nutzte er, unter anderen den ihm unterlegenen Prinzregenten mit bösem Hohn und Spott zu überziehen. Aber Brummell war keiner, der über andere schlecht sprach, er sagte seine Missachtung dem sozial über ihn Stehenden ins Gesicht, wenn dieser Unsinn von sich gab oder als der immer dicker wurde. So wie Brummell gegen die Selbstzerstörung der Aristokratie vorging, agierte Charles Baudelaire gegen die von ihm gebrandmarkte Demokratisierung aller Lebensbereiche, die zu nichts weiter führen würde als zu einer Nivellierung ins Bodenlose. So ist die Essenz des Dandytums die Nichteinmischung, das Sich-Heraushalten aus allen Angelegenheiten von Macht und Politik. Mit wem auch immer man sich eins macht, - man kann nur seine Unabhängigkeit verlieren. Der Dandy achtet auf nichts so sehr, wie auf die Erhaltung seines individuellen Freiraums. Brummell war nicht einschätzbar. So wird in der Moderne mit ihrer immer weiter zunehmenden Reglementierung und Überwachung des Einzelnen Dandytum immer schwieriger – zugleich auch immer notwendiger. Ernst Jünger, der größte deutsche Dandy, bemerkte 1983 rückblickend in einem Brief „Meine heutige Wertung ist nicht politischer, sondern stilistischer Natur. Insofern scheint mir, daß ich damals unter mein Niveau gegangen bin, aber nicht deshalb, weil ich mich als Nationalist, sondern weil ich mich überhaupt beteiligte.“ Wie für eine kommende Dandy-Sekte gemacht, edierte der Matthes & Seitz Berlin Verlag die kleine Schrift von Jules Amédée Barbey d’Aurevilly Über das Dandytum und über George Brummell, ursprünglich 1844 erschienen, nicht nur erstmalig vollständig in Deutsch, sondern auch in einer wunderbaren, geradezu kongenialen Übersetzung von Gernot Krämer. Ein informativer Anhang debattiert unter anderem Barbey d’Aurevilly als Dandy. Die Fadenheftung mit Lesebändchen und die schwarze Einbindung sind für Dandys stille Zeichen der Übereinstimmung.

Was ist vornehm?

weitere Rezensionen von Matthias Pierre Lubinsky


Friedrich Nietzsche stellte in einer seiner Notizkladden der 1880er Jahre die Frage, „Was ist vornehm?“ (Bet. i. Org.) Er gab sich selbst umfassende Antwort: Kurze, fast stakkatoartige Sätze, die vom wahrhaften Menschen sprechen, als würde ein Maschinengewehr der tumben Masse die Beschaffenheit eines Vorbildcharakters in die Hirne hämmern wollen. Nietzsches erste Antworten lauten: „Die Sorgfalt im Äußerlichsten, insofern diese Sorgfalt abgrenzt, fernhält, vor Verwechslung schützt. Der frivole Anschein in Wort, Kleidung, Haltung, mit dem eine stoische Härte und Selbstbezwingung sich vor aller unbescheidenen Neugierde schützt.“

Diese Kombination aus stolzer Abgrenzung mit einem frivolen Anschein und mithin das, was von Nietzsche als vornehm definiert wird, klassifiziert einen ganz bestimmten Sozialcharakter: den Dandy. Da der Dandy gegenüber der Gesellschaft in der Opposition steht - und das heißt in wirklicher radikaler Opposition und nicht einer gespielten naiv-kindlichen wie bei den meisten Politikern – sieht er sich in frühen Lebensjahren gezwungen, eine tiefe und folgenreiche Entscheidung zu fällen. Wie das Leben gestalten, in welcher Rolle die Lebenszeit verbringen? Da der Dandy um sich herum nur Mittelmaß, Verlogenheit und Karrierestreben sieht, beschließt er, anders zu sein. Wahrhaft anders. Er nimmt die Gepflogenheiten der upper class, in der er verkehrt, auf und stichelt ihre dümmeren und arroganteren Mitglieder. Er hält ihnen einen Spiegel vor, indem er spontan und schlagfertig jegliche Anmaßung, jegliches Philistertum oder jedes Eingeständnis von Mediokrität unmittelbar pariert.

Mit gediegener Kleidung hat das alles nur soviel zu tun, als dass die Macht der Mode in der Regency-Zeit, als der Ur-Dandy, der Begründer der später so genannten Dandy-Sekte, Beau Brummell, reüssierte, so groß war wie in kaum einer andern Epoche. Dies nutzte Georges Bryan Brummell geschickt. Er zog sich besser, will heißen, zurückhaltender und gediegener als seine Bekannten aus dem englischen Hochadel an. So wurde er Freund und ästhetisches Vorbild für den Prinzen von Wales, den späteren König Georg IV. Brummell hatte gar nicht vor, das Vorbild für irgendeinen Verhaltenskodex zu liefern, begründete aber mit seinem gesamten Gebaren den damals so genannten Typus des Bucks.

Heute wird der Dandy gemeinhin verwechselt mit dem Snob. Dabei ist die Grundannahme, ein Dandy wolle um jeden Preis auffallen, vollkommen falsch. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Kaum bekannt ist heute, dass Beau Brummell die damalige englische Mode in revolutionärer Manier modernisiert hat. Dies tat er paradoxer Weise, indem er den Adel an seine alten, von ihm selbst vergessenen Tugenden erinnerte. Zurückhaltung, Nonchalance, die Palette der Gentleman-Kodexe. Dies zeigte sich in des Beaus Kostüm in der Zurückhaltung bei den Farben: Statt aller möglichen roten, violetten und anderer wilder Kombination entschied er sich für ein dunkles Blau oder das klassische Schwarz für den Rock. Auch mit anderen individuellen Entscheidungen bei seinem Kostüm wurde er schnell zum arbiter elegantiarum, also zu der maßgeblichen Instanz in den Dingen der Mode. So führte er die lange Hose für das Kostüm des Mannes am Tage ein.

Sein Äußeres verschaffte ihm in den höchsten Kreisen Aufmerksamkeit; irgendwann wollten alle so sein wie er. Und diese Aufmerksamkeit nutzte er, unter anderen den ihm unterlegenen Prinzregenten mit bösem Hohn und Spott zu überziehen. Aber Brummell war keiner, der über andere schlecht sprach, er sagte seine Missachtung dem sozial über ihn Stehenden ins Gesicht, wenn dieser Unsinn von sich gab oder als der immer dicker wurde.

So wie Brummell gegen die Selbstzerstörung der Aristokratie vorging, agierte Charles Baudelaire gegen die von ihm gebrandmarkte Demokratisierung aller Lebensbereiche, die zu nichts weiter führen würde als zu einer Nivellierung ins Bodenlose. So ist die Essenz des Dandytums die Nichteinmischung, das Sich-Heraushalten aus allen Angelegenheiten von Macht und Politik. Mit wem auch immer man sich eins macht, - man kann nur seine Unabhängigkeit verlieren. Der Dandy achtet auf nichts so sehr, wie auf die Erhaltung seines individuellen Freiraums. Brummell war nicht einschätzbar. So wird in der Moderne mit ihrer immer weiter zunehmenden Reglementierung und Überwachung des Einzelnen Dandytum immer schwieriger – zugleich auch immer notwendiger. Ernst Jünger, der größte deutsche Dandy, bemerkte 1983 rückblickend in einem Brief „Meine heutige Wertung ist nicht politischer, sondern stilistischer Natur. Insofern scheint mir, daß ich damals unter mein Niveau gegangen bin, aber nicht deshalb, weil ich mich als Nationalist, sondern weil ich mich überhaupt beteiligte.“

Wie für eine kommende Dandy-Sekte gemacht, edierte der Matthes & Seitz Berlin Verlag die kleine Schrift von Jules Amédée Barbey d’Aurevilly Über das Dandytum und über George Brummell, ursprünglich 1844 erschienen, nicht nur erstmalig vollständig in Deutsch, sondern auch in einer wunderbaren, geradezu kongenialen Übersetzung von Gernot Krämer. Ein informativer Anhang debattiert unter anderem Barbey d’Aurevilly als Dandy. Die Fadenheftung mit Lesebändchen und die schwarze Einbindung sind für Dandys stille Zeichen der Übereinstimmung.

geschrieben am 26.02.2007 | 762 Wörter | 4504 Zeichen

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