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Briefwechsel Ernst Jünger und Stefan Andres (1937 – 1970)


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Briefwechsel Ernst Jünger und Stefan Andres (1937 – 1970) Eine Begegnung im Buch Am 1. August 1937 nimmt der 31jährige Stefan Andres mit einem Brief Verbindung zu Ernst Jünger auf. Er war mit seinem Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie gerade von Köln für ein Semester nach Jena gewechselt. In tief katholischem Milieu aufgewachsen, hatten seine Eltern für ihn eigentlich die Priesterlaufbahn vorgesehen. In Wahrheit war Andres längst produktiver Autor: drei Romane, mehrere Erzählungen und ein kleiner Gedichtband waren bereits erschienen. Jedoch besagt dieser biographische Eckpfeiler wenig über Andres wirkliche Lebenssituation zu dieser Zeit. Diese war von bitterer Armut und täglichem Überlebenskampf bestimmt. Zwei Töchter wollten ernährt werden; Anfang 1935 war er wohl aufgrund seiner politischen Gesinnung als freier Mitarbeiter vom Reichssender Köln entlassen worden. Außerdem fühlte sich Andres im nationalsozialistischen Deutschland unwohl und gefährdet. 1936 ging er mit seiner Familie nach München in der Hoffnung, hier Anschluss an die Künstlerszene zu finden, um aus seiner bedrückenden Isolation herauszukommen. Dies misslang gründlich. Andres selbst resümierte später: »Ich hatte nämlich den Makel einer halbjüdischen Frau an mir und überdies neigte ich dazu, wenn ich auf gefühlsbetonte und zugleich arrogante, also typisch deutsche Dummheit stieß, unmittelbar zu explodieren.« In dieser existentiellen Lebenskrise stößt er auf zwei Bücher: »Das abenteuerliche Herz – Aufzeichnungen bei Tag und Nacht« und »Blätter und Steine« von Ernst Jünger. Die Wirkung auf den massiv Bedrängten ist phänomenal. Andres selbst spricht in einem Schreiben an Jünger von einer »Begegnung im Buch«. Jüngers Bücher sind für Andres mehr als Trost. Tiefe Übereinstimmung, ein Gefühl des Nicht-Alleinseins mit seiner Wahrnehmung. Der vorsichtige und etwas untertänige erste Brief sollte der Beginn einer Freundschaft sein, die weit mehr war als eine reine Brieffreundschaft, - auch wenn teils jahrlange Unterbrechungen geschahen. Dennoch ist die Beziehung, in der auch die beiden Ehefrauen eingebunden waren, durch einen liebevollen gegenseitigen Respekt geprägt, der sich über die insgesamt 33 Jahre bis zu Andres Tod nicht erschöpfte. Man verfolgte aufmerksam die gegenseitigen Veröffentlichungen; Andres bat regelmäßig den 11 Jahre älteren Schriftsteller-Kollegen um ein Urteil über seine Autorschaft. Ein interessantes Detail ist, dass Jünger Andres einmal um einen Rat bittet: Wie hoch sind eigentlich die Tantiemen bei einer Gesamtausgabe? Eine Begegnung im Buch, - mit dieser schönen Formulierung hat Andres die Überschrift geliefert, die heute über der Veröffentlichung dieses Briefwechsels stehen könnte. Andres war zutiefst geprägt durch seine Herkunft aus dem idyllischen und katholischen Moseltal, in das die Moderne brutal einbrach: Da man ab 1910 im Drohntal das Wasser zur Erzeugung von Strom nutzte, nahm man den Müllern, wie Andres Vater, die Existenz. So musste die Familie, als er vier Jahre alt war, den angestammten Lebensmittelpunkt aufgeben. Die Familie zog vom Dorf in den Ort. Während eines Besuches des Ehepaars Jünger bei den Andres 1968 in Italien charakterisierte Jünger seinen Gastgeber: »Andres ist einer der Moselaner, die sich im Süden wohler fühlen als bei uns. Bei ihnen findet man auch ausgeprägte Physiognomien; ich denke an Stefan George und Carl Schmitt. Unser Landrat sagte mir einmal nach einem Besuch von Andres: Der hat keinen Kopf; er hat ein Haupt.’ Dem entspricht die mimische Kraft.« Eine Begegnung im Buch, - das verdeutlicht in anschaulicher Weise Jüngers Perzeption des Seins, des Hier-Seins und Lebens. Denn Jünger betonte stets, für ihn gebe es mehrere Welten. Neben der, die für viele Menschen die einzige ist, hatte er mindestens noch die der Lektüre und die der Annäherung an andere Seinszustände mittels Drogen. So ist der tiefe Farbton dieser Korrespondenz eine warme Behaglichkeit. Mit einem Wort: Freundschaft. Vieles muss gar nicht ausgesprochen werden; häufig genügen Stichworte oder Andeutungen. Wesentliches wird dann im persönlichen Gespräch erläutert. Jünger an Andres am 12. April 1947: »[…] Das fordert zu näherer Ergründung bei kontemplativer Trinkung heraus.« Dennoch ist der Gewinn an Erhellendem für Interessierte gewaltig. Der Leser ist ja grundsätzlich nur Zaungast. Er darf auf das Blicken, was ihm der Autor zuvor sorgfältig ausgebreitet, ausgewählt hat. Die Briefe, die Jünger an seine Freunde und Bekannten schrieb, sind nicht für eine Veröffentlichung geschrieben, sondern für den Empfänger und zum gegenseitigen Austausch. Daher gewähren sie einen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt, der die primären Werke noch besser verstehen lässt. So lernen wir mit jedem weiteren Briefwechsel auch in gewisser Hinsicht einen neuen Jünger kennen. Seit dem Tode Ernst Jüngers im Jahr 1998 ediert sein Verlag, Klett-Cotta, mit dieser Korrespondenz nun bereits den sechsten Briefwechsel. Wir sind gespannt auf alle weiteren.

Eine Begegnung im Buch

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Am 1. August 1937 nimmt der 31jährige Stefan Andres mit einem Brief Verbindung zu Ernst Jünger auf. Er war mit seinem Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie gerade von Köln für ein Semester nach Jena gewechselt. In tief katholischem Milieu aufgewachsen, hatten seine Eltern für ihn eigentlich die Priesterlaufbahn vorgesehen. In Wahrheit war Andres längst produktiver Autor: drei Romane, mehrere Erzählungen und ein kleiner Gedichtband waren bereits erschienen. Jedoch besagt dieser biographische Eckpfeiler wenig über Andres wirkliche Lebenssituation zu dieser Zeit. Diese war von bitterer Armut und täglichem Überlebenskampf bestimmt. Zwei Töchter wollten ernährt werden; Anfang 1935 war er wohl aufgrund seiner politischen Gesinnung als freier Mitarbeiter vom Reichssender Köln entlassen worden. Außerdem fühlte sich Andres im nationalsozialistischen Deutschland unwohl und gefährdet. 1936 ging er mit seiner Familie nach München in der Hoffnung, hier Anschluss an die Künstlerszene zu finden, um aus seiner bedrückenden Isolation herauszukommen. Dies misslang gründlich. Andres selbst resümierte später: »Ich hatte nämlich den Makel einer halbjüdischen Frau an mir und überdies neigte ich dazu, wenn ich auf gefühlsbetonte und zugleich arrogante, also typisch deutsche Dummheit stieß, unmittelbar zu explodieren.« In dieser existentiellen Lebenskrise stößt er auf zwei Bücher: »Das abenteuerliche Herz – Aufzeichnungen bei Tag und Nacht« und »Blätter und Steine« von Ernst Jünger. Die Wirkung auf den massiv Bedrängten ist phänomenal. Andres selbst spricht in einem Schreiben an Jünger von einer »Begegnung im Buch«. Jüngers Bücher sind für Andres mehr als Trost. Tiefe Übereinstimmung, ein Gefühl des Nicht-Alleinseins mit seiner Wahrnehmung.

Der vorsichtige und etwas untertänige erste Brief sollte der Beginn einer Freundschaft sein, die weit mehr war als eine reine Brieffreundschaft, - auch wenn teils jahrlange Unterbrechungen geschahen. Dennoch ist die Beziehung, in der auch die beiden Ehefrauen eingebunden waren, durch einen liebevollen gegenseitigen Respekt geprägt, der sich über die insgesamt 33 Jahre bis zu Andres Tod nicht erschöpfte. Man verfolgte aufmerksam die gegenseitigen Veröffentlichungen; Andres bat regelmäßig den 11 Jahre älteren Schriftsteller-Kollegen um ein Urteil über seine Autorschaft. Ein interessantes Detail ist, dass Jünger Andres einmal um einen Rat bittet: Wie hoch sind eigentlich die Tantiemen bei einer Gesamtausgabe?

Eine Begegnung im Buch, - mit dieser schönen Formulierung hat Andres die Überschrift geliefert, die heute über der Veröffentlichung dieses Briefwechsels stehen könnte. Andres war zutiefst geprägt durch seine Herkunft aus dem idyllischen und katholischen Moseltal, in das die Moderne brutal einbrach: Da man ab 1910 im Drohntal das Wasser zur Erzeugung von Strom nutzte, nahm man den Müllern, wie Andres Vater, die Existenz. So musste die Familie, als er vier Jahre alt war, den angestammten Lebensmittelpunkt aufgeben. Die Familie zog vom Dorf in den Ort.

Während eines Besuches des Ehepaars Jünger bei den Andres 1968 in Italien charakterisierte Jünger seinen Gastgeber: »Andres ist einer der Moselaner, die sich im Süden wohler fühlen als bei uns. Bei ihnen findet man auch ausgeprägte Physiognomien; ich denke an Stefan George und Carl Schmitt. Unser Landrat sagte mir einmal nach einem Besuch von Andres: Der hat keinen Kopf; er hat ein Haupt.’ Dem entspricht die mimische Kraft.«

Eine Begegnung im Buch, - das verdeutlicht in anschaulicher Weise Jüngers Perzeption des Seins, des Hier-Seins und Lebens. Denn Jünger betonte stets, für ihn gebe es mehrere Welten. Neben der, die für viele Menschen die einzige ist, hatte er mindestens noch die der Lektüre und die der Annäherung an andere Seinszustände mittels Drogen. So ist der tiefe Farbton dieser Korrespondenz eine warme Behaglichkeit. Mit einem Wort: Freundschaft. Vieles muss gar nicht ausgesprochen werden; häufig genügen Stichworte oder Andeutungen. Wesentliches wird dann im persönlichen Gespräch erläutert. Jünger an Andres am 12. April 1947: »[…] Das fordert zu näherer Ergründung bei kontemplativer Trinkung heraus.«

Dennoch ist der Gewinn an Erhellendem für Interessierte gewaltig. Der Leser ist ja grundsätzlich nur Zaungast. Er darf auf das Blicken, was ihm der Autor zuvor sorgfältig ausgebreitet, ausgewählt hat. Die Briefe, die Jünger an seine Freunde und Bekannten schrieb, sind nicht für eine Veröffentlichung geschrieben, sondern für den Empfänger und zum gegenseitigen Austausch. Daher gewähren sie einen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt, der die primären Werke noch besser verstehen lässt. So lernen wir mit jedem weiteren Briefwechsel auch in gewisser Hinsicht einen neuen Jünger kennen.

Seit dem Tode Ernst Jüngers im Jahr 1998 ediert sein Verlag, Klett-Cotta, mit dieser Korrespondenz nun bereits den sechsten Briefwechsel. Wir sind gespannt auf alle weiteren.

geschrieben am 26.04.2007 | 716 Wörter | 4236 Zeichen

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