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Das Untier – Konturen einer Philosophie der Menschenflucht


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Rezension von

Daniel Bigalke

Das Untier – Konturen einer Philosophie der Menschenflucht Die Erstausgabe des „Untiers" von Ulrich Horstmann erschien 1983 im Wiener Medusa-Verlag. Mit dem vorliegenden Buch des Hoof-Verlages erscheint dieses damals Furore machende Buch in erneuter Auflage, ergänzt um ein sowohl biographisches als auch bibliographisches Nachwort über den Autor. Und gewiß, die Schrift Horstmanns hat nichts an Bedeutung verloren. Das Stichwort für die im Nachwort vorgeschlagene Lesart des „Untiers" nämlich stammt von Michael Pauen und lautet „sekundärer Pessimismus". Gegenüber der Krisenhypothese, die den Pessimismus als Reaktion auf historische Defizienzerfahrungen erklärt, läßt sich zeigen, daß Horstmanns Pessimismus eine Form der Inszenierung von Kritik und Kritiker ist, eine Essenz mythopoetischer Leidenschaft, die deshalb zu einer Ästhetisierung des Leidens, der Verwandlung von Grauen in Genuss sowohl in der Lage als auch literarisch berechtigt ist. Wir haben hier ein Werk vorliegen, welches die mit Schopenhauer seicht beginnende aber niemals dergleichen benannte anthropofugale Perspektive im Nachkriegsdeutschland neu zu denken und gleichsam konsequent auszugestalten sich vorwagt. Die anthropofugale Perspektive definiert Horstmann selbst: Gemeint ist ein Auf-Distanz-Gehen des „Untiers“ zu sich selbst und seiner Geschichte, ein unparteiisches Zusehen, ein „Aussetzen des scheinbar universalen Sympathiegebots mit der Gattung“, der der Nachdenkende selbst angehört, ein Kappen der affektiven Bindungen, schlichtweg – so ließe sich sagen – ein philosophisches Reflektieren aus der Beobachterperspektive heraus, die sich des weltimmanenten Irrsinns, der oftmals gerade als „Vernunft“ auftritt, aus eigener Verantwortung heraus entzieht. Was Horstmann hier kaum länger als in sechs Wochen, bis das Manuskript fertig gestellt war, schrieb, ist nichts Geringeres als die Ankündigung der unmittelbar bevorstehenden Selbstabschaffung des „Untiers“ Mensch, wobei ihm „Mensch“ als terminologischer Euphemismus gilt. Wer dies zu sagen sich berufen fühlt, sieht den Menschen, das potentielle Untier, wie Horstmann aus der anthropofugalen Perspektive der Gleichgültigkeit gegenüber der Hybris nicht enden wollender Glücksansprüche des Menschen in der Gegenwart. Diese Perspektive gewinnt heute an Land, und so schrieb schon 2001 der französische Philosoph Pascal Bruckner, er liebe das Leben zu sehr, um glücklich sein zu wollen. (Bruckner: Verdammt zum Glück, 2001, S. 14) Horstmann wiederum geht noch weiter, wie es die deutschen Philosophen gleichsam gattungscharakteristisch oft taten: Er zeichnet einen interessanten Bogen anthropofugalen Denkens beginnend bei Paul Thiry d’Holbachs (1723-1789) „System der Natur“, der zuerst erkannte, daß das Organische ein großes wechselseitiges Würgen, Schlingen und Einverleiben ohne Ende ist. Um das Gefängnis des Gattungsnarzismus anzuprangern und ganz zu überwinden, landet Horstmann bei Schopenhauers (1788-1860) Ansicht, „daß wir besser nicht da wären.“ Dieser Bogen des Denkens im Dienste anthropofugaler Kunst, die als „anthropofugale Vernunft“ zu bezeichnen Horstmann viel Energie verwendet, mag für Außenstehende einigermaßen fremd wirken, doch wer genauer hinschaut, erkennt, daß im Schlagschatten des akademischen Sachverstands und der wissenschaftlichen Linientreue hier lediglich etwas ans Licht gerät, das sich der „Schönheit der Menschenleere" bewußt ist und die "plärrende Ichsucht unserer Gattung seit einigen Jahrhunderten“ – man könnte meinen auch innerhalb der bundesdeutschen Akademikerzunft - nicht mehr wahrhaben will. Infolge des (militär)technologischen Fortschritts ist sie inzwischen sogar tatsächlich überwindbar geworden. Es geht um eine denkerische - eben philosophische – Perspektive des großen Infernos. Neben Eduard Hartmann (1842-1906) und der methodischen Modifikation Nietzscheschen Denkens, daß das Leben nicht dem Ziel des Nihilismus und der damit zusammenhängenden Umwertung aller Werte diene, sondern dem Annihilismus – d.h. der Selbstaufhebung des „Untiers“ mitsamt seiner Gier nach Wahrheit - , tauchen hier Züge einer „anthropofugalen Aufklärung“ auf, die sich gegen den spekulativen Defätismus der Friedensforschung und die selbstbeweihräuchernden Festreden der innerakademischen oder innerpolitischen Zunft richtet. Horstmanns Parteiergreifung für die anthropofugalen Tendenzen findet schließlich Bestätigung bei Ludwig Klages’ (1872-1956) „Unabwendbarkeit des Untergangs“, der die Rücknahme des Menschen propagiert und ein vorbewußtes Vitales vergöttert. Ferner bei E.M. Cioran (1911-1995) mit seiner Bezeichnung des Menschen als „wissende Totgeburt“: „Was ist diese Masse von Hampelmännern, die mit roten Blutkörperchen vollgestopft wurden, um die Geschichte mitsamt ihren Grimassen zu gebären.“ Der Leser hat hier in jeder Zeile die geballte Energie des Ersehnens eines anorganischen Zustandes vor sich, eine anthropofugale Perspektive als Sehnsucht nach Frieden, als Sehnsucht nach dem, was diese Perspektive – zumindest weltimmanent – verabscheut, vorbewußt und präsozial aber anerkennnen müßte: den Frieden, der nur als Frieden des Nichts konsequent realisiert ist. Damit begründet Horstmann angesichts nicht enden wollenden Elends in der Welt das Konzept des „verantwortungsvollen Annihilismus“, einer Minoritätenperspektive, die als geistiges Experiment und aus denkerische Leidenschaft die Selbstauslöschung des Menschen und jeden einzelnen Individuums zu denken wagt. Enttäuschend sind hier lediglich wenige Aspekte in diesem geistigen Stahlgewitter gegen die Bastionen vermeintlich umfassend erreichbaren Glücks. Horstmann erwähnt nicht Leben und Werk des eigentlich ersten gradlinig lebenden und sterbenden anthropofugalen Denkers, nämlich Philipp Mainländer (1841-1876). Dieser Philosoph, von dem Horstmann in seiner ersten Ausgabe ggf. noch nicht wußte, hätte in der neuen Ausgabe seines Buches in erweiterter Form Erwähnung finden müssen. Ein weiterer Irrtum Horstmanns ist seine Haltung zum Deutschen Idealismus, zu dem er meint: „(…) – der deutsche Idealismus und sein gespreizter Umgang mit dem Absoluten war ein philosophischer Irrweg sondergleichen (…).“ Leider wird an dieser Stelle nicht darauf eingegangen, daß es gerade der Vertreter des Deutschen Idealismus G.W.F. Hegel war und nicht Klages, Nietzsche oder Cioran, der in seiner „Phänomenologie des Geistes“ (1807) bereits den zum Ende des 19. Jahrhunderts erst bei den Nihilisten oder Annihilisten aktuell werdenden Gedankengang des Todes Gottes, der Annihilierung und Entäußerung des Menschen aus diesem Bewußtsein des innerweltlichen Leidens und des Schmerzes heraus antizipierte. Hegel schrieb nämlich dort zur “Entäußerung der Substanz“ im Menschen: „Jenes hingegen ist umgekehrt das tragische Schicksal der an und für sich sein sollenden Gewissheit seiner selbst. Es ist das Bewußtsein des Verlustes aller Wesenheit in dieser Gewissheit seiner und des Verlustes eben dieses Wissens von sich – der Substanz wie des Selbsts; es ist der Schmerz, der sich als das harte Wort ausspricht, daß Gott gestorben ist.“ (Hegel, Phänomenologie des Geistes, Suhrkamp-Ausgabe 1986, S. 547) Im Deutschen Idealismus war der Flirt mit dem Absoluten als der dialektischen Synthese von Leben und Tod, von Leid und Glück heftig und sehr variationsreich, führte zwar zu keiner stabilen Verbindung, rechtfertigt aber auch nicht die Bezeichnung als Denken eines „Irrwegs“. Denn im Deutschen Idealismus existiert Gott nicht jenseits der Welt, sondern ist als Geist im menschlichen Geist gegenwärtig. Dem Menschen kommt eine wichtige Rolle zu: Gott kann sein Selbstbewußtsein nur mittels des endlichen menschlichen Geistes finden und erlangen. Es ergeben sich also auch im Deutschen Idealismus die Elemente notwendiger menschlicher Endlichkeit und Annihilierung sowie das Moment der potentiell im Menschen angelegten Selbstermächtigung des Menschen zur Annihilierung seiner Selbst – wodurch Gott erst existiere. Der im endlichen menschlichen Geist gespürte Gott kann nur durch die Endlichkeit des Menschen, seine natürliche oder selbstermächtigende Auslöschung, zu Gott werden, was wiederum eine anthropofugale Tendenz bedeuten kann. Hier hätte Horstmann methodischen Tiefgang anstelle gewisser Affekte walten lassen müssen, denn die Synthese zwischen Anthropofugalität und Idealismus ist möglich: So z.B. auch, wenn der Realdialektiker und anthropofugale Nachfolger Schopenhauers Julius Bahnsen (1830-1881) in seinen „Mosaiken und Silhouetten“ (1877) von einer „Phänomenologie des Willens“ spricht und damit die anthropofugale Tendenz Schopenhauers mit ihrer Lehre vom Willen als a priori mit dem phänomenologischen Prinzip des Idealisten Hegel, der die Wesensschau der innerweltlichen Dinge durch das menschliche Bewußtsein sowie die Selbstfindung menschlichen Geistes über sich selbst ergründende Selbstreflexion erkannte, synthetisierte. Vielleicht ist Bahnsen der Schlüssel zur Versöhnung des Deutschen Idealismus mit der bei Schopenhauer beginnenden reactio der Anthropofugalität. Die klassische deutsche Philosophie jedenfalls entbehrt keines solchen Zusammenhangs dank ihrer geistigen Fülle; sie schreit förmlich nach einer Synthese ihrer dialektisch diametral entgegengesetzten Pole. – Horstmanns Buch stellt eine wichtige Perspektive in der so genannten „Moderne“ neu in den Mittelpunkt. Sie gehört definitiv zu solchem Denken, das sich „vital“ nennen möchte, aber in ein Ganzes „Deutscher Philosophie“ einzuordnen wäre.

Die Erstausgabe des „Untiers" von Ulrich Horstmann erschien 1983 im Wiener Medusa-Verlag. Mit dem vorliegenden Buch des Hoof-Verlages erscheint dieses damals Furore machende Buch in erneuter Auflage, ergänzt um ein sowohl biographisches als auch bibliographisches Nachwort über den Autor. Und gewiß, die Schrift Horstmanns hat nichts an Bedeutung verloren. Das Stichwort für die im Nachwort vorgeschlagene Lesart des „Untiers" nämlich stammt von Michael Pauen und lautet „sekundärer Pessimismus". Gegenüber der Krisenhypothese, die den Pessimismus als Reaktion auf historische Defizienzerfahrungen erklärt, läßt sich zeigen, daß Horstmanns Pessimismus eine Form der Inszenierung von Kritik und Kritiker ist, eine Essenz mythopoetischer Leidenschaft, die deshalb zu einer Ästhetisierung des Leidens, der Verwandlung von Grauen in Genuss sowohl in der Lage als auch literarisch berechtigt ist.

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Wir haben hier ein Werk vorliegen, welches die mit Schopenhauer seicht beginnende aber niemals dergleichen benannte anthropofugale Perspektive im Nachkriegsdeutschland neu zu denken und gleichsam konsequent auszugestalten sich vorwagt. Die anthropofugale Perspektive definiert Horstmann selbst: Gemeint ist ein Auf-Distanz-Gehen des „Untiers“ zu sich selbst und seiner Geschichte, ein unparteiisches Zusehen, ein „Aussetzen des scheinbar universalen Sympathiegebots mit der Gattung“, der der Nachdenkende selbst angehört, ein Kappen der affektiven Bindungen, schlichtweg – so ließe sich sagen – ein philosophisches Reflektieren aus der Beobachterperspektive heraus, die sich des weltimmanenten Irrsinns, der oftmals gerade als „Vernunft“ auftritt, aus eigener Verantwortung heraus entzieht.

Was Horstmann hier kaum länger als in sechs Wochen, bis das Manuskript fertig gestellt war, schrieb, ist nichts Geringeres als die Ankündigung der unmittelbar bevorstehenden Selbstabschaffung des „Untiers“ Mensch, wobei ihm „Mensch“ als terminologischer Euphemismus gilt. Wer dies zu sagen sich berufen fühlt, sieht den Menschen, das potentielle Untier, wie Horstmann aus der anthropofugalen Perspektive der Gleichgültigkeit gegenüber der Hybris nicht enden wollender Glücksansprüche des Menschen in der Gegenwart. Diese Perspektive gewinnt heute an Land, und so schrieb schon 2001 der französische Philosoph Pascal Bruckner, er liebe das Leben zu sehr, um glücklich sein zu wollen. (Bruckner: Verdammt zum Glück, 2001, S. 14)

Horstmann wiederum geht noch weiter, wie es die deutschen Philosophen gleichsam gattungscharakteristisch oft taten: Er zeichnet einen interessanten Bogen anthropofugalen Denkens beginnend bei Paul Thiry d’Holbachs (1723-1789) „System der Natur“, der zuerst erkannte, daß das Organische ein großes wechselseitiges Würgen, Schlingen und Einverleiben ohne Ende ist. Um das Gefängnis des Gattungsnarzismus anzuprangern und ganz zu überwinden, landet Horstmann bei Schopenhauers (1788-1860) Ansicht, „daß wir besser nicht da wären.“ Dieser Bogen des Denkens im Dienste anthropofugaler Kunst, die als „anthropofugale Vernunft“ zu bezeichnen Horstmann viel Energie verwendet, mag für Außenstehende einigermaßen fremd wirken, doch wer genauer hinschaut, erkennt, daß im Schlagschatten des akademischen Sachverstands und der wissenschaftlichen Linientreue hier lediglich etwas ans Licht gerät, das sich der „Schönheit der Menschenleere" bewußt ist und die "plärrende Ichsucht unserer Gattung seit einigen Jahrhunderten“ – man könnte meinen auch innerhalb der bundesdeutschen Akademikerzunft - nicht mehr wahrhaben will. Infolge des (militär)technologischen Fortschritts ist sie inzwischen sogar tatsächlich überwindbar geworden. Es geht um eine denkerische - eben philosophische – Perspektive des großen Infernos.

Neben Eduard Hartmann (1842-1906) und der methodischen Modifikation Nietzscheschen Denkens, daß das Leben nicht dem Ziel des Nihilismus und der damit zusammenhängenden Umwertung aller Werte diene, sondern dem Annihilismus – d.h. der Selbstaufhebung des „Untiers“ mitsamt seiner Gier nach Wahrheit - , tauchen hier Züge einer „anthropofugalen Aufklärung“ auf, die sich gegen den spekulativen Defätismus der Friedensforschung und die selbstbeweihräuchernden Festreden der innerakademischen oder innerpolitischen Zunft richtet. Horstmanns Parteiergreifung für die anthropofugalen Tendenzen findet schließlich Bestätigung bei Ludwig Klages’ (1872-1956) „Unabwendbarkeit des Untergangs“, der die Rücknahme des Menschen propagiert und ein vorbewußtes Vitales vergöttert. Ferner bei E.M. Cioran (1911-1995) mit seiner Bezeichnung des Menschen als „wissende Totgeburt“: „Was ist diese Masse von Hampelmännern, die mit roten Blutkörperchen vollgestopft wurden, um die Geschichte mitsamt ihren Grimassen zu gebären.“

Der Leser hat hier in jeder Zeile die geballte Energie des Ersehnens eines anorganischen Zustandes vor sich, eine anthropofugale Perspektive als Sehnsucht nach Frieden, als Sehnsucht nach dem, was diese Perspektive – zumindest weltimmanent – verabscheut, vorbewußt und präsozial aber anerkennnen müßte: den Frieden, der nur als Frieden des Nichts konsequent realisiert ist. Damit begründet Horstmann angesichts nicht enden wollenden Elends in der Welt das Konzept des „verantwortungsvollen Annihilismus“, einer Minoritätenperspektive, die als geistiges Experiment und aus denkerische Leidenschaft die Selbstauslöschung des Menschen und jeden einzelnen Individuums zu denken wagt. Enttäuschend sind hier lediglich wenige Aspekte in diesem geistigen Stahlgewitter gegen die Bastionen vermeintlich umfassend erreichbaren Glücks.

Horstmann erwähnt nicht Leben und Werk des eigentlich ersten gradlinig lebenden und sterbenden anthropofugalen Denkers, nämlich Philipp Mainländer (1841-1876).

Dieser Philosoph, von dem Horstmann in seiner ersten Ausgabe ggf. noch nicht wußte, hätte in der neuen Ausgabe seines Buches in erweiterter Form Erwähnung finden müssen. Ein weiterer Irrtum Horstmanns ist seine Haltung zum Deutschen Idealismus, zu dem er meint: „(…) – der deutsche Idealismus und sein gespreizter Umgang mit dem Absoluten war ein philosophischer Irrweg sondergleichen (…).“ Leider wird an dieser Stelle nicht darauf eingegangen, daß es gerade der Vertreter des Deutschen Idealismus G.W.F. Hegel war und nicht Klages, Nietzsche oder Cioran, der in seiner „Phänomenologie des Geistes“ (1807) bereits den zum Ende des 19. Jahrhunderts erst bei den Nihilisten oder Annihilisten aktuell werdenden Gedankengang des Todes Gottes, der Annihilierung und Entäußerung des Menschen aus diesem Bewußtsein des innerweltlichen Leidens und des Schmerzes heraus antizipierte. Hegel schrieb nämlich dort zur “Entäußerung der Substanz“ im Menschen: „Jenes hingegen ist umgekehrt das tragische Schicksal der an und für sich sein sollenden Gewissheit seiner selbst. Es ist das Bewußtsein des Verlustes aller Wesenheit in dieser Gewissheit seiner und des Verlustes eben dieses Wissens von sich – der Substanz wie des Selbsts; es ist der Schmerz, der sich als das harte Wort ausspricht, daß Gott gestorben ist.“ (Hegel, Phänomenologie des Geistes, Suhrkamp-Ausgabe 1986, S. 547)

Im Deutschen Idealismus war der Flirt mit dem Absoluten als der dialektischen Synthese von Leben und Tod, von Leid und Glück heftig und sehr variationsreich, führte zwar zu keiner stabilen Verbindung, rechtfertigt aber auch nicht die Bezeichnung als Denken eines „Irrwegs“. Denn im Deutschen Idealismus existiert Gott nicht jenseits der Welt, sondern ist als Geist im menschlichen Geist gegenwärtig. Dem Menschen kommt eine wichtige Rolle zu: Gott kann sein Selbstbewußtsein nur mittels des endlichen menschlichen Geistes finden und erlangen. Es ergeben sich also auch im Deutschen Idealismus die Elemente notwendiger menschlicher Endlichkeit und Annihilierung sowie das Moment der potentiell im Menschen angelegten Selbstermächtigung des Menschen zur Annihilierung seiner Selbst – wodurch Gott erst existiere. Der im endlichen menschlichen Geist gespürte Gott kann nur durch die Endlichkeit des Menschen, seine natürliche oder selbstermächtigende Auslöschung, zu Gott werden, was wiederum eine anthropofugale Tendenz bedeuten kann. Hier hätte Horstmann methodischen Tiefgang anstelle gewisser Affekte walten lassen müssen, denn die Synthese zwischen Anthropofugalität und Idealismus ist möglich: So z.B. auch, wenn der Realdialektiker und anthropofugale Nachfolger Schopenhauers Julius Bahnsen (1830-1881) in seinen „Mosaiken und Silhouetten“ (1877) von einer „Phänomenologie des Willens“ spricht und damit die anthropofugale Tendenz Schopenhauers mit ihrer Lehre vom Willen als a priori mit dem phänomenologischen Prinzip des Idealisten Hegel, der die Wesensschau der innerweltlichen Dinge durch das menschliche Bewußtsein sowie die Selbstfindung menschlichen Geistes über sich selbst ergründende Selbstreflexion erkannte, synthetisierte.

Vielleicht ist Bahnsen der Schlüssel zur Versöhnung des Deutschen Idealismus mit der bei Schopenhauer beginnenden reactio der Anthropofugalität. Die klassische deutsche Philosophie jedenfalls entbehrt keines solchen Zusammenhangs dank ihrer geistigen Fülle; sie schreit förmlich nach einer Synthese ihrer dialektisch diametral entgegengesetzten Pole. – Horstmanns Buch stellt eine wichtige Perspektive in der so genannten „Moderne“ neu in den Mittelpunkt. Sie gehört definitiv zu solchem Denken, das sich „vital“ nennen möchte, aber in ein Ganzes „Deutscher Philosophie“ einzuordnen wäre.

geschrieben am 04.10.2007 | 1250 Wörter | 8157 Zeichen

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