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Briefwechsel Ernst Jünger und Martin Heidegger (1949 – 1975)


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Briefwechsel Ernst Jünger und Martin Heidegger (1949 – 1975) An einem Morgen in den 1960er Jahren notiert Ernst Jünger Reflexionen über das Verhältnis des Autoren zur Sprache: „Beim Frühstück. Föhn. Mißstimmung unterhöhlt die Realität der Dinge und ruft auch Zweifel an der Realität der Worte wach. Wir arbeiten mit der Sprache wie mit Lehm, der allmählich härter wird und endlich abbröckelt. Flugwild wird mit mehr oder minder glücklichen Treffern zur Strecke gebracht, oft nur gestreift. Unter schattenhaften Verwandlungen lebt es in der Sprache fort.“ Mit dieser Adnote, wie Ernst Jünger selbst diese kleinen Gedanken bezeichnete, beginnen die „Federbälle“, eine Sammlung von Bruchstücken kluger Gedanken und Gedankengedanken über die Sprache, wie sie bei einem so produktiven Autoren wie Jünger zuhauf anfielen. Ernst Jünger widmete den ersten Teil der Notizen Martin Heidegger zum 80. Geburtstag und fasste sie in einem kleinen Privatdruck zusammen. Jünger wollte sich damit bei Heidegger bedanken, dem er viel zu verdanken hatte, was den Zusammenhang von Sprache und Bewusstsein betrifft. Die „Federbälle“ bilden neben „Über die Linie“ und „Zur Seinsfrage“ den zweiten Teil des von Klett-Cotta erstveröffentlichten Briefwechsels zwischen Ernst Jünger und Martin Heidegger. Beiden Autoren war permanent präsent, dass die Sprache, ihre Sprache ihr Bewusstsein bestimmt. Diese so banal klingende Aussage ist in ihrer Auswirkung von ungeheurer Bedeutung. Denn wir sind, was wir denken. Anders ausgedrückt: Unser Bewusstsein kann nicht über unseren Wortschatz hinausreichen. Das was wir nicht mehr beschreiben können, kann für uns letztlich nicht existent sein. Jünger fasste dies in die schöne Formel: „Es wird immer solche geben, die meinen, wenn sie nicht weiter können, die Sprache sei erschöpft.“ So befassen sich viele der Adnoten Jüngers mit dem Verfall der Sprache, dem Verlust von Worten, Dialekten, Schreib- und Sprechweisen. Das Verhältnis zwischen Sprache und Bewusstsein ist dabei Fokus des Austausches der beiden vermutlich bedeutendsten deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Er umfasst im Buch knapp 100 Seiten. Günter Figal weist im Nachwort darauf hin, dass nicht alle Korrespondenz erhalten ist. Auf die Lücken weist die Korrespondenz selbst hin, wenn einer der beiden sich auf ein Schreiben bezieht, welches nicht abgedruckt ist. Günter Figal, Professor für Philosophie an der Universität Freiburg hat den Briefwechsel herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen. Seine Kommentierung ist knapp, sie unterlässt den Fehler voriger Briefwechsel mit Ernst Jünger, jedwedes Faktum, quasi lexikalisch erläutern zu wollen, was zum Ergebnis hatte, dass manch Anmerkungsapparat den Umfang der Korrespondenz einnahm. Dies schien mehr dem Ego der Herausgeber geschuldet als einem Sinn. Unser Sprachschatz bemisst nicht nur den Rahmen unseres Denkens. Auch unser soziales Verhalten und damit das äußere Leben wird durch unsere Äußerungsfähigkeit abgesteckt. Jünger geht in seinen Notizen, die wie Federbälle in reger Ergänzung auch der Briefe hin und her fliegen, immer wieder auf die dandyistischen Gepflogenheiten im 19. Jahrhundert ein. Das ironische Sprachspiel, gewürzt mit intelligenten Wortspielen diente in den Salons als Erkennungssigel der Dandys untereinander und war zugleich ein intellektuelles Duellieren. So lässt sich Jünger sich von Heidegger eine Maxime Rivarols übersetzen und stellt ihm gegenüber seine eigene Übersetzung zur Disposition. Der Austausch der beiden Großgeister in diesem Punkt ist einer der Höhepunkte der Korrespondenz. Jünger, der Dandy im Forsthaus, war seit den 1920er Jahren fasziniert von dieser sozialen Ausnahmefigur, die scheinbar mitten im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens steht, tatsächlich aber ein tief-reflektiertes vivre masqué führt. Jünger hatte früh die legendäre Schrift von Barbey d’Aurevilly studiert, die im späteren 20. Jahrhundert mit seinem Wissenschaftswahn nicht mehr ernstgenommen wurde, jedoch den Urdandy Beau Brummell treffend charakterisiert. Nach Barbey sei es nicht die Kleidung, die Brummell zum first gentleman of europe habe avancieren lassen. Seine Gesprächskunst wäre wichtiger gewesen: „Er war im Gespräch so beißend wie Hazlitt in seinen Schriften. Seine Worte gingen wie Nägel durchs Fleisch, aber in seiner Unverschämtheit war zu viel Breite, als dass sie sich verdichten, sich in Epigrammen hätte sammeln können. Von den geistreichen Worten, die sie verlauteten, ließ er seine Impertinenz übergehen in seine Handlungen, seine Haltung, seine Bewegungen, den Ton seiner Stimme. Und er übte sie mit der unanfechtbaren Überlegenheit, die in der guten Gesellschaft ihre Zulässigkeit überhaupt bedingt; denn sie streift die Grobheit wie das Erhabene das Lächerliche, und wenn sie aus der Nuance fällt, hat sie ausgespielt. Immer halb verhüllt, wie sie ist, bedarf die Unverschämtheit nicht der Worte, sich durchzusetzen; sie verschmäht jede Stütze und hat doch eine viel durchdringendere Wirkung als ein noch so glänzend gefeiltes Epigramm. Dem, der sie besitzt, ist sie der denkbar sicherste Schutz gegen die oft so feindselige Eitelkeit der anderen, und um wiederum die tief bewusste eigene Schwäche zu verbergen, eine Hülle, wie sie kleidsamer nicht gerafft werden kann. Wer über sie verfügt, was braucht der sonst?“ Heute, in Zeiten suggerierter sozialer Indifferenz, ist die Kunstfertigkeit in Gespräch und Konversation essenzieller Ausweis des tatsächlichen persönlichen Status. Wohlstand zu präsentieren, wirkt zunehmend peinlich. Der Verlag hat durch die Zusammenführung der Korrespondenz mit den Großessays Jüngers, die er Heidegger widmete, ein umfassendes Buch geschaffen, das sozusagen den Heidegger Jüngers repräsentiert. Als Ergänzung wünschenswert gewesen wäre noch eine Darstellung über das persönliche und intellektuelle Verhältnis dieser beiden großen Einzelgänger im Denken. Sicher, so eine Darstellung muss immer ein Versuch bleiben und Klett-Cotta und Vittorio Klostermann taten gut daran, psychologisierende Deutungsversuche zu unterbinden. Dennoch fehlt diesem Buch eine Annäherung an das, was man als biographische Treffpunkte beider und als geistige Synergie bezeichnen könnte. Figal beschränkt sich im Nachwort leider auf die Auskunft, wann und wie sich die Dichter-Philosophen kennengelernt haben.

An einem Morgen in den 1960er Jahren notiert Ernst Jünger Reflexionen über das Verhältnis des Autoren zur Sprache: „Beim Frühstück. Föhn. Mißstimmung unterhöhlt die Realität der Dinge und ruft auch Zweifel an der Realität der Worte wach. Wir arbeiten mit der Sprache wie mit Lehm, der allmählich härter wird und endlich abbröckelt.

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Flugwild wird mit mehr oder minder glücklichen Treffern zur Strecke gebracht, oft nur gestreift. Unter schattenhaften Verwandlungen lebt es in der Sprache fort.“

Mit dieser Adnote, wie Ernst Jünger selbst diese kleinen Gedanken bezeichnete, beginnen die „Federbälle“, eine Sammlung von Bruchstücken kluger Gedanken und Gedankengedanken über die Sprache, wie sie bei einem so produktiven Autoren wie Jünger zuhauf anfielen. Ernst Jünger widmete den ersten Teil der Notizen Martin Heidegger zum 80. Geburtstag und fasste sie in einem kleinen Privatdruck zusammen. Jünger wollte sich damit bei Heidegger bedanken, dem er viel zu verdanken hatte, was den Zusammenhang von Sprache und Bewusstsein betrifft. Die „Federbälle“ bilden neben „Über die Linie“ und „Zur Seinsfrage“ den zweiten Teil des von Klett-Cotta erstveröffentlichten Briefwechsels zwischen Ernst Jünger und Martin Heidegger.

Beiden Autoren war permanent präsent, dass die Sprache, ihre Sprache ihr Bewusstsein bestimmt. Diese so banal klingende Aussage ist in ihrer Auswirkung von ungeheurer Bedeutung. Denn wir sind, was wir denken. Anders ausgedrückt: Unser Bewusstsein kann nicht über unseren Wortschatz hinausreichen. Das was wir nicht mehr beschreiben können, kann für uns letztlich nicht existent sein. Jünger fasste dies in die schöne Formel: „Es wird immer solche geben, die meinen, wenn sie nicht weiter können, die Sprache sei erschöpft.“

So befassen sich viele der Adnoten Jüngers mit dem Verfall der Sprache, dem Verlust von Worten, Dialekten, Schreib- und Sprechweisen. Das Verhältnis zwischen Sprache und Bewusstsein ist dabei Fokus des Austausches der beiden vermutlich bedeutendsten deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Er umfasst im Buch knapp 100 Seiten. Günter Figal weist im Nachwort darauf hin, dass nicht alle Korrespondenz erhalten ist. Auf die Lücken weist die Korrespondenz selbst hin, wenn einer der beiden sich auf ein Schreiben bezieht, welches nicht abgedruckt ist. Günter Figal, Professor für Philosophie an der Universität Freiburg hat den Briefwechsel herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen. Seine Kommentierung ist knapp, sie unterlässt den Fehler voriger Briefwechsel mit Ernst Jünger, jedwedes Faktum, quasi lexikalisch erläutern zu wollen, was zum Ergebnis hatte, dass manch Anmerkungsapparat den Umfang der Korrespondenz einnahm. Dies schien mehr dem Ego der Herausgeber geschuldet als einem Sinn.

Unser Sprachschatz bemisst nicht nur den Rahmen unseres Denkens. Auch unser soziales Verhalten und damit das äußere Leben wird durch unsere Äußerungsfähigkeit abgesteckt. Jünger geht in seinen Notizen, die wie Federbälle in reger Ergänzung auch der Briefe hin und her fliegen, immer wieder auf die dandyistischen Gepflogenheiten im 19. Jahrhundert ein. Das ironische Sprachspiel, gewürzt mit intelligenten Wortspielen diente in den Salons als Erkennungssigel der Dandys untereinander und war zugleich ein intellektuelles Duellieren. So lässt sich Jünger sich von Heidegger eine Maxime Rivarols übersetzen und stellt ihm gegenüber seine eigene Übersetzung zur Disposition. Der Austausch der beiden Großgeister in diesem Punkt ist einer der Höhepunkte der Korrespondenz. Jünger, der Dandy im Forsthaus, war seit den 1920er Jahren fasziniert von dieser sozialen Ausnahmefigur, die scheinbar mitten im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens steht, tatsächlich aber ein tief-reflektiertes vivre masqué führt.

Jünger hatte früh die legendäre Schrift von Barbey d’Aurevilly studiert, die im späteren 20. Jahrhundert mit seinem Wissenschaftswahn nicht mehr ernstgenommen wurde, jedoch den Urdandy Beau Brummell treffend charakterisiert. Nach Barbey sei es nicht die Kleidung, die Brummell zum first gentleman of europe habe avancieren lassen. Seine Gesprächskunst wäre wichtiger gewesen: „Er war im Gespräch so beißend wie Hazlitt in seinen Schriften. Seine Worte gingen wie Nägel durchs Fleisch, aber in seiner Unverschämtheit war zu viel Breite, als dass sie sich verdichten, sich in Epigrammen hätte sammeln können. Von den geistreichen Worten, die sie verlauteten, ließ er seine Impertinenz übergehen in seine Handlungen, seine Haltung, seine Bewegungen, den Ton seiner Stimme. Und er übte sie mit der unanfechtbaren Überlegenheit, die in der guten Gesellschaft ihre Zulässigkeit überhaupt bedingt; denn sie streift die Grobheit wie das Erhabene das Lächerliche, und wenn sie aus der Nuance fällt, hat sie ausgespielt. Immer halb verhüllt, wie sie ist, bedarf die Unverschämtheit nicht der Worte, sich durchzusetzen; sie verschmäht jede Stütze und hat doch eine viel durchdringendere Wirkung als ein noch so glänzend gefeiltes Epigramm. Dem, der sie besitzt, ist sie der denkbar sicherste Schutz gegen die oft so feindselige Eitelkeit der anderen, und um wiederum die tief bewusste eigene Schwäche zu verbergen, eine Hülle, wie sie kleidsamer nicht gerafft werden kann. Wer über sie verfügt, was braucht der sonst?“

Heute, in Zeiten suggerierter sozialer Indifferenz, ist die Kunstfertigkeit in Gespräch und Konversation essenzieller Ausweis des tatsächlichen persönlichen Status. Wohlstand zu präsentieren, wirkt zunehmend peinlich.

Der Verlag hat durch die Zusammenführung der Korrespondenz mit den Großessays Jüngers, die er Heidegger widmete, ein umfassendes Buch geschaffen, das sozusagen den Heidegger Jüngers repräsentiert. Als Ergänzung wünschenswert gewesen wäre noch eine Darstellung über das persönliche und intellektuelle Verhältnis dieser beiden großen Einzelgänger im Denken. Sicher, so eine Darstellung muss immer ein Versuch bleiben und Klett-Cotta und Vittorio Klostermann taten gut daran, psychologisierende Deutungsversuche zu unterbinden. Dennoch fehlt diesem Buch eine Annäherung an das, was man als biographische Treffpunkte beider und als geistige Synergie bezeichnen könnte. Figal beschränkt sich im Nachwort leider auf die Auskunft, wann und wie sich die Dichter-Philosophen kennengelernt haben.

geschrieben am 11.04.2008 | 890 Wörter | 5381 Zeichen

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Jan Robert Weber

Briefwechsel Ernst Jünger und Martin Heidegger (1949 – 1975) Der kürzlich von Günter Figal edierte Briefwechsel zwischen dem Philosophen Martin Heidegger und dem Schriftsteller Ernst Jünger schließt eine wichtige Lücke in der Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts. Er dokumentiert seriös einen intellektuellen Gedankenaustausch zweier herausragender Konservativer, die am Ende der 1940er Jahre in direkten brieflichen wie persönlichen Kontakt zueinander traten. Während Jünger die Schriften des Philosophen offenbar erst nach 1945 zur Kenntnis nahm, hatte sich Heidegger schon in den 1930er Jahren mit Jüngers Werk intensiv beschäftigt. Vor allem den Essay „Der Arbeiter“ von 1932 schätzte der Todtnauberger Philosoph, sah er doch darin eine endgültige Manifestation abendländisch-metaphysischen Denkens in der Nachfolge Nietzsches und würdigte die Schrift darüber hinaus als eine überaus hellsichtige wie zutreffende Epochendiagnose des 20. Jahrhunderts. Ohne das darin beschriebene Phänomen einer globalen ‚nihilistischen’ Technisierung kam Heiderggers Philosophie fortan nicht mehr aus. Allerdings war das Verhältnis zwischen Jünger und Heidegger keinesfalls derart einvernehmlich, wie man annehmen dürfte. Heidegger schätzte den Schriftsteller als beschreibenden Diagnostiker, nicht als Denker. Was Jünger an philosophischen Ideen in seinem Werk zur Sprache brachte, beurteilte der Philosoph eher skeptisch. Das Paradebeispiel stellt der Wechsel der jeweils einander gewidmeten Festschriftenbeiträge dar, in dem Heidegger auf Jüngers Essay „Über die Linie“ mit der Reflexion „Über ‚die Linie’“ antwortet, die er dann später mit dem Titel „Zur Seinsfrage“ versah. Heideggers Replik ist eine zurückhaltende, wenngleich unüberlesbare Kritik. Er weist dem Schriftsteller nach, dass dessen Idee einer Überwindung der nihilistischen Moderne unzureichend sei, weil sie sprachlich wie philosophisch nach wie vor der abendländischen Metaphysik verhaftet bleibe, die es doch gerade denkerisch wie sprachlich zu überwinden gelte. Im vorliegenden Briefwechsel wird neben der Korrespondenz auch dieses essayistisch-philosophische Gespräch dokumentiert. Das Beziehung zwischen den beiden Intellektuellen, die mit der ersten, harmonisch verlaufenen Begegnung im September 1948 ihren Anfang nahm und erst mit dem Tod Heideggers 1976 endete, lässt sich wohl am besten mit dem Begriff wohlwollender Distanz beschreiben. Man markiert sein Nichteinverständnis, lässt es aber auf sich beruhen, weil man sich in der Hauptsache einig weiß: nämlich im „Bemühen“ um eine „Besinnung im gegenwärtigen Zeitalter“, wie Heidegger noch am 26. September 1974 an Jünger schreibt, das als nihilistisches Interregnum erlösungsbedürftig einer ‚Wiederkehr der Götter’ harre. Übereinstimmung drückt sich allerdings auch schon am Beginn der intellektuellen Freundschaft aus, beispielsweise in der Zurückhaltung, die beide der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit gegenüber übten. Das „den Lemuren entzogene Gespräch“ privater Korrespondenz – mit den „Lemuren“ sind offenbar Journalisten und Kritiker gemeint – zogen sowohl Jünger als auch Heidegger einem veröffentlichten Gedankenaustausch vor. Einvernehmlich lehnten sie es ab, an dem Zeitschriften-Projekt „Pallas“ als Herausgeber mitzuwirken, das der Stuttgarter Klett-Verlag mit der Gründung der Bundesrepublik ins Leben rufen wollte. „ Bisweilen scheint es mir inmitten der Weltverwirrung und […] bei der alles mißleitenden und umfälschenden Öffentlichkeit“, schrieb Heidegger im Dezember 1950 an Jünger diesbezüglich, „das Einzige […] zu bleiben, einfach der Zuwendung des Seins in gewährten Augenblicken sagend und doch ungehört zu entsprechen.“ Distanz drückt sich hingegen aus, wenn Heidegger am 29. Mai 1965 für Jünger aus dem Werk Laotses zitiert, um den gerade zu einer mehrmonatigen Asienfahrt aufbrechenden Schriftsteller auf die intellektuelle Nutzlosigkeit des Reisens im Zeitalter des Massentourismus aufmerksam zu machen. „Nicht zum Tor hinausgehen // und die Welt kennen, // Nicht zum Fenster hinausspähen // und des Himmels Weg sehen: // Geht man sehr weit hinaus, weiß man sehr wenig. // Darum der Weise: // Nicht reist er, // doch er kennt, // nicht guckt er, //, doch er rühmt, // nicht handelt er, // doch er vollendet.“ Aus dem Briefwechsel mit dem Schriftsteller Erhart Kästner ist Heideggers Reisescheu bekannt; Jahre der Überredung hatte es gebraucht, bis Kästner den Philosophen überzeugen konnte, eine Reise nach Griechenland zu unternehmen, dorthin also, wo der in Heideggers Werk so prominent bedachte wie häufig umsorgte Ursprung abendländischer Philosophie liegt. Der reiselustige Ernst Jünger antwortete dem mahnenden Philosophen noch aus Djibuti am 7. Juli 1965, von Bord des Schiffes „Hamburg“ der Hamburg-Amerika-Linie. „Könnte ich aber mein Temperament dadurch ändern, dass ich mich in meine Kammer einschlösse?“ fragt der Schriftsteller rhetorisch, um dann mit dem Zitat einer aristotelischen Anekdote über Heraklit, einem der von Heidegger verehrten Vorsokratiker, zu antworten: „Auch dort sind Götter“. Jünger stimmt seinem Korrespondenzpartner also zunächst zu, dass die Reise im Geiste Vorrang vor der touristischen besitze. Aber sogleich relativiert Jünger das Konzept des intellektuellen Ausflugs und verteidigt sich mit einer ästhetischen Verhaltenslehre im Zeitalter des Massentourismus: „Besser ist’s […], die geistige Ruhe zu gewinnen und in ihr“ auch auf Reisen „zu verharren, während der Raum sich bewegt.“ Der Leser darf sich auf weitere ebenso Vergnügen bereitende wie auch nachdenklich stimmende Stellen dieses Briefwechsels freuen. Zugleich sei ihm versichert, dass eine sicherere Hand für die Edition dieser Korrespondenz schwerlich zu finden gewesen wäre. Der Tübinger Philosophieprofessor Günter Figal ist ein ausgewiesener Kenner sowohl Heideggers als auch Jüngers.

Der kürzlich von Günter Figal edierte Briefwechsel zwischen dem Philosophen Martin Heidegger und dem Schriftsteller Ernst Jünger schließt eine wichtige Lücke in der Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts. Er dokumentiert seriös einen intellektuellen Gedankenaustausch zweier herausragender Konservativer, die am Ende der 1940er Jahre in direkten brieflichen wie persönlichen Kontakt zueinander traten.

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Während Jünger die Schriften des Philosophen offenbar erst nach 1945 zur Kenntnis nahm, hatte sich Heidegger schon in den 1930er Jahren mit Jüngers Werk intensiv beschäftigt. Vor allem den Essay „Der Arbeiter“ von 1932 schätzte der Todtnauberger Philosoph, sah er doch darin eine endgültige Manifestation abendländisch-metaphysischen Denkens in der Nachfolge Nietzsches und würdigte die Schrift darüber hinaus als eine überaus hellsichtige wie zutreffende Epochendiagnose des 20. Jahrhunderts. Ohne das darin beschriebene Phänomen einer globalen ‚nihilistischen’ Technisierung kam Heiderggers Philosophie fortan nicht mehr aus.

Allerdings war das Verhältnis zwischen Jünger und Heidegger keinesfalls derart einvernehmlich, wie man annehmen dürfte. Heidegger schätzte den Schriftsteller als beschreibenden Diagnostiker, nicht als Denker. Was Jünger an philosophischen Ideen in seinem Werk zur Sprache brachte, beurteilte der Philosoph eher skeptisch. Das Paradebeispiel stellt der Wechsel der jeweils einander gewidmeten Festschriftenbeiträge dar, in dem Heidegger auf Jüngers Essay „Über die Linie“ mit der Reflexion „Über ‚die Linie’“ antwortet, die er dann später mit dem Titel „Zur Seinsfrage“ versah. Heideggers Replik ist eine zurückhaltende, wenngleich unüberlesbare Kritik. Er weist dem Schriftsteller nach, dass dessen Idee einer Überwindung der nihilistischen Moderne unzureichend sei, weil sie sprachlich wie philosophisch nach wie vor der abendländischen Metaphysik verhaftet bleibe, die es doch gerade denkerisch wie sprachlich zu überwinden gelte. Im vorliegenden Briefwechsel wird neben der Korrespondenz auch dieses essayistisch-philosophische Gespräch dokumentiert.

Das Beziehung zwischen den beiden Intellektuellen, die mit der ersten, harmonisch verlaufenen Begegnung im September 1948 ihren Anfang nahm und erst mit dem Tod Heideggers 1976 endete, lässt sich wohl am besten mit dem Begriff wohlwollender Distanz beschreiben. Man markiert sein Nichteinverständnis, lässt es aber auf sich beruhen, weil man sich in der Hauptsache einig weiß: nämlich im „Bemühen“ um eine „Besinnung im gegenwärtigen Zeitalter“, wie Heidegger noch am 26. September 1974 an Jünger schreibt, das als nihilistisches Interregnum erlösungsbedürftig einer ‚Wiederkehr der Götter’ harre.

Übereinstimmung drückt sich allerdings auch schon am Beginn der intellektuellen Freundschaft aus, beispielsweise in der Zurückhaltung, die beide der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit gegenüber übten. Das „den Lemuren entzogene Gespräch“ privater Korrespondenz – mit den „Lemuren“ sind offenbar Journalisten und Kritiker gemeint – zogen sowohl Jünger als auch Heidegger einem veröffentlichten Gedankenaustausch vor. Einvernehmlich lehnten sie es ab, an dem Zeitschriften-Projekt „Pallas“ als Herausgeber mitzuwirken, das der Stuttgarter Klett-Verlag mit der Gründung der Bundesrepublik ins Leben rufen wollte. „ Bisweilen scheint es mir inmitten der Weltverwirrung und […] bei der alles mißleitenden und umfälschenden Öffentlichkeit“, schrieb Heidegger im Dezember 1950 an Jünger diesbezüglich, „das Einzige […] zu bleiben, einfach der Zuwendung des Seins in gewährten Augenblicken sagend und doch ungehört zu entsprechen.“

Distanz drückt sich hingegen aus, wenn Heidegger am 29. Mai 1965 für Jünger aus dem Werk Laotses zitiert, um den gerade zu einer mehrmonatigen Asienfahrt aufbrechenden Schriftsteller auf die intellektuelle Nutzlosigkeit des Reisens im Zeitalter des Massentourismus aufmerksam zu machen. „Nicht zum Tor hinausgehen // und die Welt kennen, // Nicht zum Fenster hinausspähen // und des Himmels Weg sehen: // Geht man sehr weit hinaus, weiß man sehr wenig. // Darum der Weise: // Nicht reist er, // doch er kennt, // nicht guckt er, //, doch er rühmt, // nicht handelt er, // doch er vollendet.“ Aus dem Briefwechsel mit dem Schriftsteller Erhart Kästner ist Heideggers Reisescheu bekannt; Jahre der Überredung hatte es gebraucht, bis Kästner den Philosophen überzeugen konnte, eine Reise nach Griechenland zu unternehmen, dorthin also, wo der in Heideggers Werk so prominent bedachte wie häufig umsorgte Ursprung abendländischer Philosophie liegt. Der reiselustige Ernst Jünger antwortete dem mahnenden Philosophen noch aus Djibuti am 7. Juli 1965, von Bord des Schiffes „Hamburg“ der Hamburg-Amerika-Linie. „Könnte ich aber mein Temperament dadurch ändern, dass ich mich in meine Kammer einschlösse?“ fragt der Schriftsteller rhetorisch, um dann mit dem Zitat einer aristotelischen Anekdote über Heraklit, einem der von Heidegger verehrten Vorsokratiker, zu antworten: „Auch dort sind Götter“. Jünger stimmt seinem Korrespondenzpartner also zunächst zu, dass die Reise im Geiste Vorrang vor der touristischen besitze. Aber sogleich relativiert Jünger das Konzept des intellektuellen Ausflugs und verteidigt sich mit einer ästhetischen Verhaltenslehre im Zeitalter des Massentourismus: „Besser ist’s […], die geistige Ruhe zu gewinnen und in ihr“ auch auf Reisen „zu verharren, während der Raum sich bewegt.“

Der Leser darf sich auf weitere ebenso Vergnügen bereitende wie auch nachdenklich stimmende Stellen dieses Briefwechsels freuen. Zugleich sei ihm versichert, dass eine sicherere Hand für die Edition dieser Korrespondenz schwerlich zu finden gewesen wäre. Der Tübinger Philosophieprofessor Günter Figal ist ein ausgewiesener Kenner sowohl Heideggers als auch Jüngers.

geschrieben am 02.05.2008 | 777 Wörter | 4994 Zeichen

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