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Ernst Jünger - Albert Renger-Patzsch


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Ernst Jünger - Albert Renger-Patzsch Kurt Tucholsky nannte ihn seinen »Lieblingsfotografen«. Thomas Mann sah in ihm schlicht einen »Kamera-Virtuosen«. Albert Renger-Patzsch (1897-1966) wehrte sich vehement gegen den Anspruch, die Photographie sei Kunst. Sie dahin heben zu wollen, konnte seiner Auffassung nach nur misslingen. Stattdessen solle man sie nutzen, um zu dokumentieren. »Überlassen wir die Kunst den Künstlern«, sagte der Mann, der später zu einem der bedeutendsten deutschen Photographen werden sollte. Albert Renger-Patzsch machte sich einen Namen durch herausragende Industriephotos. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg bekam er Aufträge von Unternehmen wie Krupp und Pelikan, die es ihm ermöglichten, die Industrialisierung auf seine Art festzuhalten. Später nannte man diesen Stil Neue Sachlichkeit. Doch auch die andere Seite der Welt interessierte ihn: In den 1920er Jahren hat er in Hamburger Parks Landschaftspanoramen und Einzelnes wie Bäume und Blüten aufgenommen. Der Schriftsteller Ernst Jünger näherte sich der Welt scheinbar von anderem Blickwinkel. Sah Renger-Patzsch seine Aufgabe darin, die Form als ein an der Oberfläche der Dinge vorhandenes Gesetz sichtbar werden zu lassen, so suchte Jünger nach dem Gesetz dahinter: Was soll uns die Erscheinung sagen? Dennoch realisierten die beiden Ausnahmepersönlichkeiten zusammen zwei absolut außergewöhnliche Buchprojekte: Bäume und Gestein. Beide Bücher wurden ermöglicht durch den Unternehmer Ernst Boehringer. Er war Mitinhaber der Firma C. H. Boehringer Sohn Ingelheim und war Renger-Patzsch freundschaftlich zugetan. Die Herausgeber von Ernst Jünger – Albert Renger-Patzsch Briefwechsel 1943-1966 übersehen allerdings ein entscheidendes Faktum: In ihrer Erläuterung zu Ernst Boehringer schreiben sie, Boehringer sei mit Jünger »auch über den gemeinsamen Freund Hans Speidel indirekt verbunden«. Jünger und Boehringer waren wesentlich mehr als das. Es ist bekannt, dass Jünger in seinem sehr ausführlichen Tagebuchwerk zurückhaltend ist mit Äußerungen über Freundschaften und persönliche Beziehungen. Wen er jedoch als Freund bezeichnet, der war auch einer. Ernst Boehringer nennt Jünger in Siebzig verweht I einen »großen Freund«. Außerdem erfährt der Leser der Tagebücher, dass Jünger an dessen Grab stand. Und immerhin hat Boehringer dem Schriftsteller eine »strahlblaue Iris« geschenkt (16. Juni 1966). Hier wäre weitere Forschung interessant. Auch im Nachwort des Bandes erfährt man nur, dass Boehringer Jünger anlässlich eines Buchvorhabens besuchte. Gedruckt wurden die realisierten Photobände von der Officina Bodini des Giovanni Mardersteig in Verona, die sich auf bibliophile Drucke mittels Handpresse spezialisiert hatte. 1927 gewann Mardersteig die Ausschreibung für Gestaltung und Druck der Gesamtausgabe Gabriele d’Annunzios. Heute sind die beiden als Privatdrucke bei C. H. Boehringer erschienen Bücher gesuchte Sammlerstücke und erzielen dreistellige Preise. Ein wenig enttäuschend ist, dass der Briefwechsel tatsächlich ausschließlich um die beiden Buchprojekte kreist. Es entsteht keinerlei darüber hinausgehende Diskussion, beispielsweise über kunsttheoretische oder philosophische Aspekte. Offensichtlich wird, dass der Photograph den zwei Jahre älteren Dichter bewundert. Eine Annäherung findet jedoch nicht statt. An Helene Henze schreibt Renger-Patzsch, Jünger stecke in einer Rüstung. »Aber ich hatte von Anfang an keine Schwierigkeit, mit ihm in Kontakt zu kommen. Aber die Kühle bleibt natürlich immer, das ist eben seine Natur.« Das führt bei dem Photographen zu einer leichten Verunsicherung: »Ich weiss nicht recht, ob er von meinen Fotos sehr beeindruckt ist, er braucht wohl keinen Helfer zum Sehen, denn er sieht genauer als alle Leute, die ich kenne. Einen winzigen Plattenfehler auf einem Foto 30/40 von einer Steinfaltung mit 1000 Einzelheiten sah er sofort.« Jüngers Distanz zum seinem Briefpartner wird deutlich durch seine wiederholte falsche Schreibweise von dessen Namen (»Paatsch«). Dass das Buch mehr etwas für Jünger oder Renger-Patzsch-Fans ist, wird wettgemacht durch die gelungene und anspruchsvolle Gestaltung. Neben dem kompletten Schriftwechsel enthält der Band die beiden von Jünger für die gemeinsamen Bücher geschriebenen Essays Der Baum und Steine, Portraitphotographien Sabine Renger-Patzschs von Ernst Jünger, die bei einem Besuch 1969 entstanden und Ergänzendes.

Kurt Tucholsky nannte ihn seinen »Lieblingsfotografen«. Thomas Mann sah in ihm schlicht einen »Kamera-Virtuosen«. Albert Renger-Patzsch (1897-1966) wehrte sich vehement gegen den Anspruch, die Photographie sei Kunst. Sie dahin heben zu wollen, konnte seiner Auffassung nach nur misslingen. Stattdessen solle man sie nutzen, um zu dokumentieren. »Überlassen wir die Kunst den Künstlern«, sagte der Mann, der später zu einem der bedeutendsten deutschen Photographen werden sollte.

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Albert Renger-Patzsch machte sich einen Namen durch herausragende Industriephotos. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg bekam er Aufträge von Unternehmen wie Krupp und Pelikan, die es ihm ermöglichten, die Industrialisierung auf seine Art festzuhalten. Später nannte man diesen Stil Neue Sachlichkeit. Doch auch die andere Seite der Welt interessierte ihn: In den 1920er Jahren hat er in Hamburger Parks Landschaftspanoramen und Einzelnes wie Bäume und Blüten aufgenommen.

Der Schriftsteller Ernst Jünger näherte sich der Welt scheinbar von anderem Blickwinkel. Sah Renger-Patzsch seine Aufgabe darin, die Form als ein an der Oberfläche der Dinge vorhandenes Gesetz sichtbar werden zu lassen, so suchte Jünger nach dem Gesetz dahinter: Was soll uns die Erscheinung sagen?

Dennoch realisierten die beiden Ausnahmepersönlichkeiten zusammen zwei absolut außergewöhnliche Buchprojekte: Bäume und Gestein. Beide Bücher wurden ermöglicht durch den Unternehmer Ernst Boehringer. Er war Mitinhaber der Firma C. H. Boehringer Sohn Ingelheim und war Renger-Patzsch freundschaftlich zugetan.

Die Herausgeber von Ernst Jünger – Albert Renger-Patzsch Briefwechsel 1943-1966 übersehen allerdings ein entscheidendes Faktum: In ihrer Erläuterung zu Ernst Boehringer schreiben sie, Boehringer sei mit Jünger »auch über den gemeinsamen Freund Hans Speidel indirekt verbunden«. Jünger und Boehringer waren wesentlich mehr als das. Es ist bekannt, dass Jünger in seinem sehr ausführlichen Tagebuchwerk zurückhaltend ist mit Äußerungen über Freundschaften und persönliche Beziehungen. Wen er jedoch als Freund bezeichnet, der war auch einer. Ernst Boehringer nennt Jünger in Siebzig verweht I einen »großen Freund«. Außerdem erfährt der Leser der Tagebücher, dass Jünger an dessen Grab stand. Und immerhin hat Boehringer dem Schriftsteller eine »strahlblaue Iris« geschenkt (16. Juni 1966). Hier wäre weitere Forschung interessant. Auch im Nachwort des Bandes erfährt man nur, dass Boehringer Jünger anlässlich eines Buchvorhabens besuchte.

Gedruckt wurden die realisierten Photobände von der Officina Bodini des Giovanni Mardersteig in Verona, die sich auf bibliophile Drucke mittels Handpresse spezialisiert hatte. 1927 gewann Mardersteig die Ausschreibung für Gestaltung und Druck der Gesamtausgabe Gabriele d’Annunzios. Heute sind die beiden als Privatdrucke bei C. H. Boehringer erschienen Bücher gesuchte Sammlerstücke und erzielen dreistellige Preise.

Ein wenig enttäuschend ist, dass der Briefwechsel tatsächlich ausschließlich um die beiden Buchprojekte kreist. Es entsteht keinerlei darüber hinausgehende Diskussion, beispielsweise über kunsttheoretische oder philosophische Aspekte. Offensichtlich wird, dass der Photograph den zwei Jahre älteren Dichter bewundert. Eine Annäherung findet jedoch nicht statt. An Helene Henze schreibt Renger-Patzsch, Jünger stecke in einer Rüstung. »Aber ich hatte von Anfang an keine Schwierigkeit, mit ihm in Kontakt zu kommen. Aber die Kühle bleibt natürlich immer, das ist eben seine Natur.« Das führt bei dem Photographen zu einer leichten Verunsicherung: »Ich weiss nicht recht, ob er von meinen Fotos sehr beeindruckt ist, er braucht wohl keinen Helfer zum Sehen, denn er sieht genauer als alle Leute, die ich kenne. Einen winzigen Plattenfehler auf einem Foto 30/40 von einer Steinfaltung mit 1000 Einzelheiten sah er sofort.« Jüngers Distanz zum seinem Briefpartner wird deutlich durch seine wiederholte falsche Schreibweise von dessen Namen (»Paatsch«).

Dass das Buch mehr etwas für Jünger oder Renger-Patzsch-Fans ist, wird wettgemacht durch die gelungene und anspruchsvolle Gestaltung. Neben dem kompletten Schriftwechsel enthält der Band die beiden von Jünger für die gemeinsamen Bücher geschriebenen Essays Der Baum und Steine, Portraitphotographien Sabine Renger-Patzschs von Ernst Jünger, die bei einem Besuch 1969 entstanden und Ergänzendes.

geschrieben am 25.02.2010 | 597 Wörter | 3761 Zeichen

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Rezension von

Jan Robert Weber

Ernst Jünger - Albert Renger-Patzsch Im Wilhelm Fink Verlag ist vor kurzem der Briefwechsel Ernst Jüngers mit dem Fotografen Albert Renger-Patzsch erschienen. Neben der Edition der Briefe inklusive Kommentar und Nachwort bietet der Band eine Fülle von Zusatzmaterial: Jüngers Essays „Der Baum“ und „Steine“, fotografische Kostproben Renger-Patzschs, Faksimiles einiger Briefe sowie mehrere Foto-Porträts von Jünger, die von Sabine Renger-Patzsch, der Tochter des Fotografen, die ebenfalls Fotografin war, 1969 aufgenommen worden sind. Dass Ernst Jünger und Albert Renger-Patzsch in den 1960er Jahren gemeinsam zwei Fotobildbände schufen, ist auf Ernst Boehringer zurückzuführen. Der Ingelheimer Mäzen und Kunstliebhaber regte 1958 nicht nur den Fotografen dazu an, „die schönsten Bäume in den prächtigsten Exemplaren in Deutschland“ für eine aufwändig gestaltete Publikation aufzunehmen, sondern vermittelte auch 1959 die gedeihliche Zusammenarbeit von Schriftsteller und Fotograf. Es entstanden schließlich zwei exklusive Privatdrucke, deren Herstellungskosten bei jeweils über 50 000 DM lagen! 1962 erschien „Bäume“, 1966 „Gestein“ unter dem Schirm der Firma Ingelheim Boehringer. Renger-Patzschs Angebot vom August 1959, seinen Fotografien einen eigenständigen Essay an die Seite zu stellen, die beide um wissenschaftliche Anmerkungen ergänzt werden sollten, stieß bei Jünger sogleich auf offene Ohren. Die Wissenschaft sollte zur Magd der Kunst werden, Fotografie und Literatur über Geologie und Dendrologie triumphieren. Dass es dabei um Sujets aus der Natur ging, nämlich um „Bäume“ zunächst und dann um „Steine“ bzw. den „Baum“ und das „Gestein“, dürfte (neben einem stattlichen Honorar) nicht minder entscheidend dazu beigetragen haben, einzuschlagen. So konnte sich ein „stereoskopisches“ Buch verwirklichen lassen, in dem die fotografische Betrachtung mit der literarischen Kontemplation intime Zwiesprache hält, um dem Mythos der Natur zu huldigen. Nicht von ungefähr reklamierte Renger-Patzsch für sich (und Jünger), einen „ganz neuen Buchtypus“ geschaffen zu haben. Bei allen offensichtlichen biografischen Unterschieden: Jüngers Zusammenarbeit mit Renger-Patzsch glückte auch aus persönlichen Gründen. Beide gehörten der Frontgeneration an, beide waren in der Zwischenkriegszeit künstlerische und zugleich unbedingte Verfechter der Moderne (Renger-Patzsch als neusachlicher Industriefotograf, Jünger als Autor des „Arbeiters“) und beide entwickelten sich während bzw. nach der Hitler-Diktatur zu Verteidigern von Mutter Natur. Die gemeinsamen Bildbände sollten entsprechend als Einsprüche in die Zeitläufte verstanden werden. Die Zeit beschleunige sich, bemerkte Renger-Patzsch 1961 (ganz in Jüngers Manier): „Man hat den Eindruck, der Globus drehe sich immer schneller und man sieht nur noch Flecken, Schatten und Nebel, kann aber die Dinge nicht mehr ins Auge fassen.“ Eben darum ging es in den Fotobänden: um Entschleunigung der Anschauung, den Leser einzuladen, sich auf die ruhige wie beruhigende Betrachtung der Natur einzulassen, bevor sie im Zuge fortgesetzter Industrialisierung verschwunden sein würde. „Bäume“ und „Gestein“ – Aufhalter der Umweltzerstörung? Präsentation des zeitlos Schönen und Bewahrenswerten in der beschleunigten Konsumwelt? Mahnung zur Mäßigung mit einer fotografisch-literarischen Ästhetik der Konservierung und Musealisierung? Man muss hinter diese Sätze ein Fragezeichen setzen, weil der Briefwechsel über die Absichten der Künstler keinen Aufschluss bringt. Über ihre Intentionen haben Renger-Patzsch und Jünger in ihrer Korrespondenz geschwiegen. Es genügte vermutlich der mündliche Austausch, der nachweislich nur einmal stattgefunden hat, nämlich als sich die beiden zum ersten und einzigen Mal im August 1959 in Wilflingen trafen. Man fragt sich daher, warum dieser Briefwechsel ediert worden ist, der über den Austausch von Höflichkeiten, über zumeist schiefgehende Verabredungen und organisatorische Verständigungen nicht hinauskommt? Man muss ernüchtert antworten: ignoramus et ignorabimus. Den Kauf und die Lektüre rechtfertigen allein Jüngers (wiederabgedruckte) Essays und das Dutzend von Renger-Patzschs Baum- und Gesteins-Fotografien. Neben den uninteressanten Briefen müssen noch zwei Merkwürdigkeiten bemängelt werden: Geschmacklos wirkt zum einen das Porträtfoto des toten Albert Renger-Patzsch (man hat tatsächlich eine Art von fotografischer Totenmaske zwischen die überaus schönen Aufnahmen von Bäumen und Gesteinen platziert!), insbesondere weil eine Abbildung des noch lebendigen Künstlers unterblieben ist. Zum anderen erscheint es geradezu lächerlich, dass ein recht unbeholfener Bericht Sabine Renger-Patzschs über ihren Besuch beim Ehepaar Jünger gedruckt worden ist, der in seiner maßlosen Feier des Schriftstellers peinlich berührt. Mein zu spät kommender Verbesserungsvorschlag lautet: Vielmehr hätte es sich gelohnt, die Fotografien und Texte der Originalbände neu herauszubringen und den Briefwechsel samt Kommentar und Nachwort in einer solchen Neuausgabe als Anhang unterzubringen! Das möchte man Verlag und Herausgebern nachrufen, die sich mit der Edition viel Mühe gegeben haben. Aber zugleich weiß man, dass ein solches Projekt wohl jenseits aller finanziellen Möglichkeiten liegt – der Verlage wie der Leser. Schade.

Im Wilhelm Fink Verlag ist vor kurzem der Briefwechsel Ernst Jüngers mit dem Fotografen Albert Renger-Patzsch erschienen. Neben der Edition der Briefe inklusive Kommentar und Nachwort bietet der Band eine Fülle von Zusatzmaterial: Jüngers Essays „Der Baum“ und „Steine“, fotografische Kostproben Renger-Patzschs, Faksimiles einiger Briefe sowie mehrere Foto-Porträts von Jünger, die von Sabine Renger-Patzsch, der Tochter des Fotografen, die ebenfalls Fotografin war, 1969 aufgenommen worden sind.

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Dass Ernst Jünger und Albert Renger-Patzsch in den 1960er Jahren gemeinsam zwei Fotobildbände schufen, ist auf Ernst Boehringer zurückzuführen. Der Ingelheimer Mäzen und Kunstliebhaber regte 1958 nicht nur den Fotografen dazu an, „die schönsten Bäume in den prächtigsten Exemplaren in Deutschland“ für eine aufwändig gestaltete Publikation aufzunehmen, sondern vermittelte auch 1959 die gedeihliche Zusammenarbeit von Schriftsteller und Fotograf. Es entstanden schließlich zwei exklusive Privatdrucke, deren Herstellungskosten bei jeweils über 50 000 DM lagen! 1962 erschien „Bäume“, 1966 „Gestein“ unter dem Schirm der Firma Ingelheim Boehringer.

Renger-Patzschs Angebot vom August 1959, seinen Fotografien einen eigenständigen Essay an die Seite zu stellen, die beide um wissenschaftliche Anmerkungen ergänzt werden sollten, stieß bei Jünger sogleich auf offene Ohren. Die Wissenschaft sollte zur Magd der Kunst werden, Fotografie und Literatur über Geologie und Dendrologie triumphieren. Dass es dabei um Sujets aus der Natur ging, nämlich um „Bäume“ zunächst und dann um „Steine“ bzw. den „Baum“ und das „Gestein“, dürfte (neben einem stattlichen Honorar) nicht minder entscheidend dazu beigetragen haben, einzuschlagen. So konnte sich ein „stereoskopisches“ Buch verwirklichen lassen, in dem die fotografische Betrachtung mit der literarischen Kontemplation intime Zwiesprache hält, um dem Mythos der Natur zu huldigen. Nicht von ungefähr reklamierte Renger-Patzsch für sich (und Jünger), einen „ganz neuen Buchtypus“ geschaffen zu haben.

Bei allen offensichtlichen biografischen Unterschieden: Jüngers Zusammenarbeit mit Renger-Patzsch glückte auch aus persönlichen Gründen. Beide gehörten der Frontgeneration an, beide waren in der Zwischenkriegszeit künstlerische und zugleich unbedingte Verfechter der Moderne (Renger-Patzsch als neusachlicher Industriefotograf, Jünger als Autor des „Arbeiters“) und beide entwickelten sich während bzw. nach der Hitler-Diktatur zu Verteidigern von Mutter Natur.

Die gemeinsamen Bildbände sollten entsprechend als Einsprüche in die Zeitläufte verstanden werden. Die Zeit beschleunige sich, bemerkte Renger-Patzsch 1961 (ganz in Jüngers Manier): „Man hat den Eindruck, der Globus drehe sich immer schneller und man sieht nur noch Flecken, Schatten und Nebel, kann aber die Dinge nicht mehr ins Auge fassen.“ Eben darum ging es in den Fotobänden: um Entschleunigung der Anschauung, den Leser einzuladen, sich auf die ruhige wie beruhigende Betrachtung der Natur einzulassen, bevor sie im Zuge fortgesetzter Industrialisierung verschwunden sein würde. „Bäume“ und „Gestein“ – Aufhalter der Umweltzerstörung? Präsentation des zeitlos Schönen und Bewahrenswerten in der beschleunigten Konsumwelt? Mahnung zur Mäßigung mit einer fotografisch-literarischen Ästhetik der Konservierung und Musealisierung?

Man muss hinter diese Sätze ein Fragezeichen setzen, weil der Briefwechsel über die Absichten der Künstler keinen Aufschluss bringt. Über ihre Intentionen haben Renger-Patzsch und Jünger in ihrer Korrespondenz geschwiegen. Es genügte vermutlich der mündliche Austausch, der nachweislich nur einmal stattgefunden hat, nämlich als sich die beiden zum ersten und einzigen Mal im August 1959 in Wilflingen trafen. Man fragt sich daher, warum dieser Briefwechsel ediert worden ist, der über den Austausch von Höflichkeiten, über zumeist schiefgehende Verabredungen und organisatorische Verständigungen nicht hinauskommt?

Man muss ernüchtert antworten: ignoramus et ignorabimus. Den Kauf und die Lektüre rechtfertigen allein Jüngers (wiederabgedruckte) Essays und das Dutzend von Renger-Patzschs Baum- und Gesteins-Fotografien. Neben den uninteressanten Briefen müssen noch zwei Merkwürdigkeiten bemängelt werden: Geschmacklos wirkt zum einen das Porträtfoto des toten Albert Renger-Patzsch (man hat tatsächlich eine Art von fotografischer Totenmaske zwischen die überaus schönen Aufnahmen von Bäumen und Gesteinen platziert!), insbesondere weil eine Abbildung des noch lebendigen Künstlers unterblieben ist. Zum anderen erscheint es geradezu lächerlich, dass ein recht unbeholfener Bericht Sabine Renger-Patzschs über ihren Besuch beim Ehepaar Jünger gedruckt worden ist, der in seiner maßlosen Feier des Schriftstellers peinlich berührt. Mein zu spät kommender Verbesserungsvorschlag lautet: Vielmehr hätte es sich gelohnt, die Fotografien und Texte der Originalbände neu herauszubringen und den Briefwechsel samt Kommentar und Nachwort in einer solchen Neuausgabe als Anhang unterzubringen! Das möchte man Verlag und Herausgebern nachrufen, die sich mit der Edition viel Mühe gegeben haben. Aber zugleich weiß man, dass ein solches Projekt wohl jenseits aller finanziellen Möglichkeiten liegt – der Verlage wie der Leser. Schade.

geschrieben am 22.04.2010 | 698 Wörter | 4567 Zeichen

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