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Höre(n). Eine Geschichte unserer Ohren


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Rezension von

Hiram Kümper

Höre(n). Eine Geschichte unserer Ohren Vor fünfzehn Jahren schon ist „Écoute: une histoire de nos oreilles“ des französischen Musikwissenschaftlers Peter Szendy in der Originalausgabe erschienen. Nun liegt das gedankenreiche Buch endlich in deutscher Übersetzung vor – und findet hoffentlich viele neue Leser. Am Anfang steht eine einfache Einsicht: Im Gegensatz zum wissenschaftlichen Zitat fehlt dem musikalischen die etablierte formale Nachweismöglichkeit. Partituren haben eben keine Fußnoten. Von diesem Grundproblem aus entwickelt Szendy eine spannende Reise durch die Musikjustizgeschichte, die immer wieder Grundfragen des Hörens aufwirft: Wie hören wir? Was hören wir? Und wer reguliert das eigentlich? Wer bestimmt, was und wie zu hören legitim ist und was nicht? Denn es ist nicht oder bestenfalls am Rande die kleinliche Frage nach dem Urheberschutz, die den Verfasser interessiert, sondern „Eine Geschichte unserer Ohren“, der Hörer und ihrer Hörgewohnheiten also. Und mal mehr, mal weniger unterschwellig liefert er uns dabei Anregungen für ein bewussteres Hören. Dass mit der Entstehung eines autoritativen Werkbegriffs in den Jahrzehnten um 1800 auch besondere Hörregime einhergehen, ist eine Einsicht, die übergreifende kulturhistorische Bedeutung reklamieren kann. Szendy illustriert das eindrücklich mit einer Szene aus Mozarts 1787 uraufgeführten „Don Giovanni“, in der ein kleines Ensemble auf der Bühne als Tafelmusik ein Potpourri aus unterschiedlichen Opernmelodien spielt. Der Befehl des Komturs an Don Giovanni „Ascolta!“ („Höre zu!“) wird ihm symptomatisch für die Verbindung von Hören und Gehorsam, für die Geburt eines Imperativs des Werkrespekts und von differenzierten Regeln des legitimen Hörens aus dem Geist eines autoritativen Werkbegriffs. Virtuos verbindet Szendy eigene Hörerfahrungen und -eindrücke mit Anekdoten der Musikgeschichte und komplexen Lektüren kultur- und musikwissenschaftlicher Klassikern von Adorno bis Furtwängler. Von der Klage eines Pariser Grafen gegen die Verstümmelung einer Weber-Oper aus dem 19. Jahrhundert bis zur Digitalisierung der Klänge in unserer Gegenwart nimmt er uns mit auf einen Parforceritt durch die Musikgeschichte – und noch viel, viel mehr als das. Eine schöne Lektüre. Eine anstrengende mitunter. Aber vor allem: eine bereichernde.

Vor fünfzehn Jahren schon ist „Écoute: une histoire de nos oreilles“ des französischen Musikwissenschaftlers Peter Szendy in der Originalausgabe erschienen. Nun liegt das gedankenreiche Buch endlich in deutscher Übersetzung vor – und findet hoffentlich viele neue Leser.

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Am Anfang steht eine einfache Einsicht: Im Gegensatz zum wissenschaftlichen Zitat fehlt dem musikalischen die etablierte formale Nachweismöglichkeit. Partituren haben eben keine Fußnoten. Von diesem Grundproblem aus entwickelt Szendy eine spannende Reise durch die Musikjustizgeschichte, die immer wieder Grundfragen des Hörens aufwirft: Wie hören wir? Was hören wir? Und wer reguliert das eigentlich? Wer bestimmt, was und wie zu hören legitim ist und was nicht? Denn es ist nicht oder bestenfalls am Rande die kleinliche Frage nach dem Urheberschutz, die den Verfasser interessiert, sondern „Eine Geschichte unserer Ohren“, der Hörer und ihrer Hörgewohnheiten also. Und mal mehr, mal weniger unterschwellig liefert er uns dabei Anregungen für ein bewussteres Hören.

Dass mit der Entstehung eines autoritativen Werkbegriffs in den Jahrzehnten um 1800 auch besondere Hörregime einhergehen, ist eine Einsicht, die übergreifende kulturhistorische Bedeutung reklamieren kann. Szendy illustriert das eindrücklich mit einer Szene aus Mozarts 1787 uraufgeführten „Don Giovanni“, in der ein kleines Ensemble auf der Bühne als Tafelmusik ein Potpourri aus unterschiedlichen Opernmelodien spielt. Der Befehl des Komturs an Don Giovanni „Ascolta!“ („Höre zu!“) wird ihm symptomatisch für die Verbindung von Hören und Gehorsam, für die Geburt eines Imperativs des Werkrespekts und von differenzierten Regeln des legitimen Hörens aus dem Geist eines autoritativen Werkbegriffs.

Virtuos verbindet Szendy eigene Hörerfahrungen und -eindrücke mit Anekdoten der Musikgeschichte und komplexen Lektüren kultur- und musikwissenschaftlicher Klassikern von Adorno bis Furtwängler. Von der Klage eines Pariser Grafen gegen die Verstümmelung einer Weber-Oper aus dem 19. Jahrhundert bis zur Digitalisierung der Klänge in unserer Gegenwart nimmt er uns mit auf einen Parforceritt durch die Musikgeschichte – und noch viel, viel mehr als das. Eine schöne Lektüre. Eine anstrengende mitunter. Aber vor allem: eine bereichernde.

geschrieben am 02.01.2017 | 314 Wörter | 1959 Zeichen

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