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Wolfssekunden


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Rezension von

Alexander Muehlen

Wolfssekunden Wer sich die aktuellen Bestsellerlisten – Abteilung Belletristik – anschaut, bekommt den Eindruck, dass an zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren gerade mal Figuren wie Bernhard Schlink, Daniel Kehlmann, Martin Suter und Juli Zeh, dazu noch ein paar mehr, von Bedeutung sind. Die Preisträger(innen) der jährlichen Nachwuchswettbewerbe werden mit Lob überschüttet, aber einem großen Publikum prägen sich ihre Namen nur in Ausnahmefällen ein. Dabei gab es kaum jemals so spannende Zeiten wie diejenige nach dem Umbruch 1989/90. Seither gilt nichts mehr, was früher gesicherte Erkenntnis war: Was macht einen Roman zum Roman, können Krimis, aufgefrischte Biographien historischer Figuren, können Kurzgeschichten, dokumentierte Tag- und Nachtträume – vielleicht sogar große – Literatur sein? Darf der Autor scheinbar willkürlich mit Personen, Szenen und Ereignisfragmenten würfeln, so als spiele sich die Handlung in einer dem Leser unzugänglichen vierten Dimension ab? Ans Tageslicht kommen hier die sporadischen Schnittpunkte mit der dreidimensionalen Welt des Beobachters – nur selten findet dies in Form einer linearen Abfolge von Geschehnissen statt… Damit wird der Blick frei auf die Seelenlage des Verfassers und ihre Widerspiegelung im Zusammenwirken mit anderen, durchweg zu- und untergeordneten Personen. Liebe (emotional), Sex (körperlich) und Tod (unausweichlich) sind allgegenwärtig, aber kaum mehr als Bojen auf dem uferlosen Meer der inneren Handlung. Doch auch was die Konsistenz der Erzählerfigur betrifft, so findet ein Spiel jenseits von Gewissheiten statt: Mindestens einmal auf drei Seiten ändert sich mal eben die Perspektive – das Gegenüber ist dann schlauer als der Ich-Erzähler! Worüber rede ich die ganze Zeit? Ich möchte den Blick darauf lenken, dass es in der tiefsten deutschen Provinz, dort, wo man neben einigem lokalen Mittelmaß immer noch im Nobelpreis für Heinrich Böll das literarische Ereignis sieht, eine erfrischende Entwicklung gibt: Im Raum Siegburg/Bonn hat sich eine Keimzelle kreativen Künstlertums etabliert, genannt Kunstgeflecht. Ihr Platzhirsch und schöpferischer Antrieb ist ein gewisser Rolf Stolz, zeitweise als Grünen-Mitbegründer, später als Dissident zu Fernsehauftritten gelangt. Von Haus aus Psychologe, dazu Journalist und Fotograf, ist er nichts weniger als ein Schreib-Vulkan, der sich offenbar fast 30 Jahre lang Tag und Nacht schriftstellerisch ausagiert hat. Manches davon ist hie und da erschienen, er besitzt auch eine lokale Fangemeinde – der große Durchbruch steht allerdings aus. Soeben hat er den Rundumschlag gewagt und 2018 begonnen, seine gesammelten Werke in mehreren Bänden in einem Brandenburger Verlag, der Edition Bärenklau, zu veröffentlichen. Band 1 („Wolfssekunden“, Kurze Prosa 1995-2010) und Band 2 („Flächen, Bilder“, Gedichte 1998-2013) sind bereits erschienen. „Wolfssekunden“ liegt mir vor. Es ist, ich sage es gleich, sperrig sich einzulesen. Eine Weile dauert es, bis man sich auf der Wellenlänge des Autors eingependelt hat. Dann geschieht das Wunderbare: Man ist überwältigt von der Tiefe und Kraft jeder einzelner dieser Geschichten, die vom Sich-Selbst-Finden und, mehr noch, -verlieren handeln. Zwischendurch gibt es – wahre oder erfundene – Traumerzählungen, durchnummeriert oder –datiert. Ihr Duktus weicht kaum von den übrigen Short Stories ab. Sachdienlicher Hinweis: Nachdem Sie sich das Buch besorgt haben, fangen Sie mit den gefälligeren Passagen an, so auf S. 165 mit dem Kapitel „Der Engel der Vergeblichkeit“. Ein sogar richtig schnulziger Herz-/Schmerztext steht auf Seite 111 „Jeff“. Ab Seite 135 befindet sich in lockerer Reihenfolge eine Porträt-Sammlung von Personen, die über die Jahre hinweg den Weg des Autors gekreuzt haben, darunter eine gewisse Petra Karin Kelly. Im Erbe von Günther Grass (Blechtrommel) und Felix Salten (Mutzenbacher) steht der „Wunder-von-Bern“-Softporno auf Seite 72. Unverzeihlich: Max Morlock „hämmert“ den Ball nicht zum Anschlusstor ins Netz, sondern bugsiert ihn mit der Fußspitze (Picke) über die Linie. Sonst nichts zu beanstanden, 8 Punkte von 10. Alexander Mühlen

Wer sich die aktuellen Bestsellerlisten – Abteilung Belletristik – anschaut, bekommt den Eindruck, dass an zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren gerade mal Figuren wie Bernhard Schlink, Daniel Kehlmann, Martin Suter und Juli Zeh, dazu noch ein paar mehr, von Bedeutung sind. Die Preisträger(innen) der jährlichen Nachwuchswettbewerbe werden mit Lob überschüttet, aber einem großen Publikum prägen sich ihre Namen nur in Ausnahmefällen ein.

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Dabei gab es kaum jemals so spannende Zeiten wie diejenige nach dem Umbruch 1989/90. Seither gilt nichts mehr, was früher gesicherte Erkenntnis war: Was macht einen Roman zum Roman, können Krimis, aufgefrischte Biographien historischer Figuren, können Kurzgeschichten, dokumentierte Tag- und Nachtträume – vielleicht sogar große – Literatur sein? Darf der Autor scheinbar willkürlich mit Personen, Szenen und Ereignisfragmenten würfeln, so als spiele sich die Handlung in einer dem Leser unzugänglichen vierten Dimension ab? Ans Tageslicht kommen hier die sporadischen Schnittpunkte mit der dreidimensionalen Welt des Beobachters – nur selten findet dies in Form einer linearen Abfolge von Geschehnissen statt…

Damit wird der Blick frei auf die Seelenlage des Verfassers und ihre Widerspiegelung im Zusammenwirken mit anderen, durchweg zu- und untergeordneten Personen. Liebe (emotional), Sex (körperlich) und Tod (unausweichlich) sind allgegenwärtig, aber kaum mehr als Bojen auf dem uferlosen Meer der inneren Handlung. Doch auch was die Konsistenz der Erzählerfigur betrifft, so findet ein Spiel jenseits von Gewissheiten statt: Mindestens einmal auf drei Seiten ändert sich mal eben die Perspektive – das Gegenüber ist dann schlauer als der Ich-Erzähler!

Worüber rede ich die ganze Zeit? Ich möchte den Blick darauf lenken, dass es in der tiefsten deutschen Provinz, dort, wo man neben einigem lokalen Mittelmaß immer noch im Nobelpreis für Heinrich Böll das literarische Ereignis sieht, eine erfrischende Entwicklung gibt: Im Raum Siegburg/Bonn hat sich eine Keimzelle kreativen Künstlertums etabliert, genannt Kunstgeflecht. Ihr Platzhirsch und schöpferischer Antrieb ist ein gewisser Rolf Stolz, zeitweise als Grünen-Mitbegründer, später als Dissident zu Fernsehauftritten gelangt.

Von Haus aus Psychologe, dazu Journalist und Fotograf, ist er nichts weniger als ein Schreib-Vulkan, der sich offenbar fast 30 Jahre lang Tag und Nacht schriftstellerisch ausagiert hat. Manches davon ist hie und da erschienen, er besitzt auch eine lokale Fangemeinde – der große Durchbruch steht allerdings aus. Soeben hat er den Rundumschlag gewagt und 2018 begonnen, seine gesammelten Werke in mehreren Bänden in einem Brandenburger Verlag, der Edition Bärenklau, zu veröffentlichen. Band 1 („Wolfssekunden“, Kurze Prosa 1995-2010) und Band 2 („Flächen, Bilder“, Gedichte 1998-2013) sind bereits erschienen.

„Wolfssekunden“ liegt mir vor. Es ist, ich sage es gleich, sperrig sich einzulesen. Eine Weile dauert es, bis man sich auf der Wellenlänge des Autors eingependelt hat. Dann geschieht das Wunderbare: Man ist überwältigt von der Tiefe und Kraft jeder einzelner dieser Geschichten, die vom Sich-Selbst-Finden und, mehr noch, -verlieren handeln. Zwischendurch gibt es – wahre oder erfundene – Traumerzählungen, durchnummeriert oder –datiert. Ihr Duktus weicht kaum von den übrigen Short Stories ab.

Sachdienlicher Hinweis: Nachdem Sie sich das Buch besorgt haben, fangen Sie mit den gefälligeren Passagen an, so auf S. 165 mit dem Kapitel „Der Engel der Vergeblichkeit“. Ein sogar richtig schnulziger Herz-/Schmerztext steht auf Seite 111 „Jeff“. Ab Seite 135 befindet sich in lockerer Reihenfolge eine Porträt-Sammlung von Personen, die über die Jahre hinweg den Weg des Autors gekreuzt haben, darunter eine gewisse Petra Karin Kelly. Im Erbe von Günther Grass (Blechtrommel) und Felix Salten (Mutzenbacher) steht der „Wunder-von-Bern“-Softporno auf Seite 72. Unverzeihlich: Max Morlock „hämmert“ den Ball nicht zum Anschlusstor ins Netz, sondern bugsiert ihn mit der Fußspitze (Picke) über die Linie.

Sonst nichts zu beanstanden, 8 Punkte von 10.

Alexander Mühlen

geschrieben am 01.04.2018 | 584 Wörter | 3522 Zeichen

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