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Fairy Tale


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Rezension von

Thomas Stumpf

Fairy Tale Der neueste Roman von Großmeister Stephen King trägt den schlichten Titel „Fairy Tale“, also übersetzt einfach nur „Märchen“. Ein richtiger Titel oder Name – wie „Rotkäppchen und der Wolf“ - wurde wohl nicht für nötig empfunden. Der Titel dient quasi als Quintessenz von Form und Inhalt. So einfach soll das sein. Der Inhalt ist, wie bei allen Märchen, kurz zusammenfassbar. Es war einmal ein Junge (Charlie Reade), der sich mit einem alten, kauzigen Mann (Howard Bowditch) und dessen Hündin (Radar) anfreundet. Nach dem Tod des Alten erbt der Junge dessen gesamten Besitz inklusive Hund und wird dadurch zum Hüter eines geheimen Portals zu einer Anderwelt. Dort wohnen missgestaltete, aber herzensgute Menschen, geknechtet unter einer dunklen Herrschaft. Der Junge schnallt den Revolvergurt des alten Mannes um und bricht zur Anderwelt auf, um den alternden, im Sterben liegenden Hund zu retten. Denn in der Anderwelt soll es eine Sonnenuhr geben, die Kranke heilen und Alte verjüngen kann. Charlie wird in die Geschicke der Bewohner von Empis, so der Name der Anderwelt, verwickelt und avanciert zum Helden, um das Böse zur Strecke zu bringen und die Prinzessin zu befreien. Und sie leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage. That´s it. Spoilerfrei, denn Märchen kann man im Grunde nicht spoilern. Im Grunde erzählt das Buch zwei Geschichten. Da ist zum einen die Geschichte des Teenagers, der sich mit einem in der Nachbarschaft eher unbeliebten alten Griesgram anfreundet. Die Mutter des Jungen ist vor Jahren tragisch verstorben, der alleinerziehende Vater ist (wie King selbst) trockener Alkoholiker. Charlie hat also einiges hinter sich und ist ein ernsthafter, verantwortungsbewusster junger Mensch. Charlie mag Howard Bowditch, der noch über ein Röhrenfernseher und ein Telefon mit Wahlscheibe verfügt und mit der modernen Zeit nichts anzufangen weiß. Dieser Teil nimmt etwa ein Drittel des Romans ein. Und es ist der eigentlich interessantere Part des Romans, die bessere Geschichte, die von der persönlichen Beziehung und der Entwicklung der Charaktere lebt. Eine Coming-Of-Age-Geschichte mit einem jugendlichen Protagonisten. Mit dem ersten Drittel des Romans kann King punkten. Der Rest des Romans, den man sich fast schenken kann, ist die klassische Heldenreise, wie sie aus zahlreichen Erzählungen des Altertums, aus Märchen, Abenteuerromanen und Roadmovies bekannt ist. Der Held, der die Monster besiegt, die Prinzessin rettet, das Böse entthront und nebenbei sein Herz (inklusive Jungfräulichkeit) verliert. Soweit, so vorhersehbar. Entgegen so ziemlich jeder anderen Erzählung aus dem letzten Jahrzehnt, baut King hier keinen doppelten Boden ein, es gibt keinen tieferen Sinn und nur wenig Zeitgeist, der noch dazu – sehr untypisch für King – wenig subtil eingeschoben wird. Das Buch ist gespickt mit Reminiszenzen und zahlreichen Anleihen aus bekannten literarischen Vorbildern, die King sehr häufig verwendet. Hier ist es aber ein wahres Namedropping auf Teufel komm raus und der Autor spielt ganz ungeniert damit. Da treffen die Gebrüder Grimm auf H. P. Lovecraft. Es werden Vorlagen aus „Alice im Wunderland“, „Der Zauberer von Oz“, „Rotkäppchen“, „Arielle die Meerjungfrau“, „Jack und die Bohnenranke“, „Hänsel und Gretel“ und vielen anderen Erzählungen aufgegriffen und verarbeitet. „Rumpelstilzchen“ spielt eine ganz zentrale Rolle. Die Hauptvorlage für den Plot ist jedoch der einflussreiche Roman „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“ von Ray Bradbury. King treibt dieses Vexierspiel in „Fairy Tale“ bis zum Exzess der Meta-Ebene und lässt seinen Protagonisten Charlie die Frage aufwerfen, ob Ray Bradbury nicht die Sonnenuhr in der Anderwelt Empis besucht und diese als Vorlage für das Karussell in seinen berühmten Roman genommen habe. Ein einfacher schriftstellerischer Trick, mit dem der eigene fiktive Kosmos real gemacht werden soll. King bedient sich aber auch großzügig aus seinem eigenen Fundus. „Der Talisman“ steht Pate, vor allem aber auch Kings epische Saga um den Dunklen Turm. Dass Howard Bowditch und später Charlie dem Bösen ausgerechnet mit einem Revolvergurt gewappnet entgegentreten, ist nur eine von vielen Anleihen, die Kings umfangreichsten Romanzyklus entnommen sind. Das ist der interessanteste Aspekt des Romans, jedenfalls für Literaturliebhaber. Es macht (bei entsprechender Veranlagung) tierischen Spaß, bei der Lektüre nach all diesen Anleihen Ausschau zu halten. Viele davon werden offensiv benannt, andere kann man nach einigem Suchen auffinden. Dabei bekommt man Lust, den einen oder anderen Klassiker mal wieder zur Hand zu nehmen. Aber leider kommt dann nicht viel mehr. „Fairy Tale“ ist auf zwei Dritteln nur ein recht belangloses Märchen, nicht spannend, nicht innovativ und völlig unkritisch. Die Erzählung ist auch etwas repetitiv und mindestens 150 Seiten zu lang. Da liest man 700 Seiten bis zum Endkampf, der dann keiner ist. Dieses Ende ist inhaltlich und formal konsequent hergeleitet, das passt, keine Frage. Das lasse ich mir bei einem Märchen mit einer Länge von wenigen Seiten gerne gefallen, nicht jedoch bei einem Buch dieser Seitenstärke. „Fairy Tale“ ist eines von Kings schwächeren Büchern, für Einsteiger völlig ungeeignet. Vielleicht fällt es auch nur deswegen so ab, weil seine anderen Veröffentlichungen aus den letzten 10 Jahren so stark waren, ganz besonders „Das Institut“ oder „Billy Summers“. Immerhin, der erste Teil des Buches ist wirklich gelungen und lesenswert. Vom Rest habe ich mir mehr erwartet.

Der neueste Roman von Großmeister Stephen King trägt den schlichten Titel „Fairy Tale“, also übersetzt einfach nur „Märchen“. Ein richtiger Titel oder Name – wie „Rotkäppchen und der Wolf“ - wurde wohl nicht für nötig empfunden. Der Titel dient quasi als Quintessenz von Form und Inhalt. So einfach soll das sein.

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Der Inhalt ist, wie bei allen Märchen, kurz zusammenfassbar. Es war einmal ein Junge (Charlie Reade), der sich mit einem alten, kauzigen Mann (Howard Bowditch) und dessen Hündin (Radar) anfreundet. Nach dem Tod des Alten erbt der Junge dessen gesamten Besitz inklusive Hund und wird dadurch zum Hüter eines geheimen Portals zu einer Anderwelt. Dort wohnen missgestaltete, aber herzensgute Menschen, geknechtet unter einer dunklen Herrschaft. Der Junge schnallt den Revolvergurt des alten Mannes um und bricht zur Anderwelt auf, um den alternden, im Sterben liegenden Hund zu retten. Denn in der Anderwelt soll es eine Sonnenuhr geben, die Kranke heilen und Alte verjüngen kann. Charlie wird in die Geschicke der Bewohner von Empis, so der Name der Anderwelt, verwickelt und avanciert zum Helden, um das Böse zur Strecke zu bringen und die Prinzessin zu befreien. Und sie leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage. That´s it. Spoilerfrei, denn Märchen kann man im Grunde nicht spoilern.

Im Grunde erzählt das Buch zwei Geschichten. Da ist zum einen die Geschichte des Teenagers, der sich mit einem in der Nachbarschaft eher unbeliebten alten Griesgram anfreundet. Die Mutter des Jungen ist vor Jahren tragisch verstorben, der alleinerziehende Vater ist (wie King selbst) trockener Alkoholiker. Charlie hat also einiges hinter sich und ist ein ernsthafter, verantwortungsbewusster junger Mensch. Charlie mag Howard Bowditch, der noch über ein Röhrenfernseher und ein Telefon mit Wahlscheibe verfügt und mit der modernen Zeit nichts anzufangen weiß. Dieser Teil nimmt etwa ein Drittel des Romans ein. Und es ist der eigentlich interessantere Part des Romans, die bessere Geschichte, die von der persönlichen Beziehung und der Entwicklung der Charaktere lebt. Eine Coming-Of-Age-Geschichte mit einem jugendlichen Protagonisten. Mit dem ersten Drittel des Romans kann King punkten.

Der Rest des Romans, den man sich fast schenken kann, ist die klassische Heldenreise, wie sie aus zahlreichen Erzählungen des Altertums, aus Märchen, Abenteuerromanen und Roadmovies bekannt ist. Der Held, der die Monster besiegt, die Prinzessin rettet, das Böse entthront und nebenbei sein Herz (inklusive Jungfräulichkeit) verliert. Soweit, so vorhersehbar.

Entgegen so ziemlich jeder anderen Erzählung aus dem letzten Jahrzehnt, baut King hier keinen doppelten Boden ein, es gibt keinen tieferen Sinn und nur wenig Zeitgeist, der noch dazu – sehr untypisch für King – wenig subtil eingeschoben wird.

Das Buch ist gespickt mit Reminiszenzen und zahlreichen Anleihen aus bekannten literarischen Vorbildern, die King sehr häufig verwendet. Hier ist es aber ein wahres Namedropping auf Teufel komm raus und der Autor spielt ganz ungeniert damit. Da treffen die Gebrüder Grimm auf H. P. Lovecraft. Es werden Vorlagen aus „Alice im Wunderland“, „Der Zauberer von Oz“, „Rotkäppchen“, „Arielle die Meerjungfrau“, „Jack und die Bohnenranke“, „Hänsel und Gretel“ und vielen anderen Erzählungen aufgegriffen und verarbeitet. „Rumpelstilzchen“ spielt eine ganz zentrale Rolle.

Die Hauptvorlage für den Plot ist jedoch der einflussreiche Roman „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“ von Ray Bradbury. King treibt dieses Vexierspiel in „Fairy Tale“ bis zum Exzess der Meta-Ebene und lässt seinen Protagonisten Charlie die Frage aufwerfen, ob Ray Bradbury nicht die Sonnenuhr in der Anderwelt Empis besucht und diese als Vorlage für das Karussell in seinen berühmten Roman genommen habe. Ein einfacher schriftstellerischer Trick, mit dem der eigene fiktive Kosmos real gemacht werden soll.

King bedient sich aber auch großzügig aus seinem eigenen Fundus. „Der Talisman“ steht Pate, vor allem aber auch Kings epische Saga um den Dunklen Turm. Dass Howard Bowditch und später Charlie dem Bösen ausgerechnet mit einem Revolvergurt gewappnet entgegentreten, ist nur eine von vielen Anleihen, die Kings umfangreichsten Romanzyklus entnommen sind.

Das ist der interessanteste Aspekt des Romans, jedenfalls für Literaturliebhaber. Es macht (bei entsprechender Veranlagung) tierischen Spaß, bei der Lektüre nach all diesen Anleihen Ausschau zu halten. Viele davon werden offensiv benannt, andere kann man nach einigem Suchen auffinden. Dabei bekommt man Lust, den einen oder anderen Klassiker mal wieder zur Hand zu nehmen.

Aber leider kommt dann nicht viel mehr. „Fairy Tale“ ist auf zwei Dritteln nur ein recht belangloses Märchen, nicht spannend, nicht innovativ und völlig unkritisch. Die Erzählung ist auch etwas repetitiv und mindestens 150 Seiten zu lang. Da liest man 700 Seiten bis zum Endkampf, der dann keiner ist. Dieses Ende ist inhaltlich und formal konsequent hergeleitet, das passt, keine Frage. Das lasse ich mir bei einem Märchen mit einer Länge von wenigen Seiten gerne gefallen, nicht jedoch bei einem Buch dieser Seitenstärke.

„Fairy Tale“ ist eines von Kings schwächeren Büchern, für Einsteiger völlig ungeeignet. Vielleicht fällt es auch nur deswegen so ab, weil seine anderen Veröffentlichungen aus den letzten 10 Jahren so stark waren, ganz besonders „Das Institut“ oder „Billy Summers“. Immerhin, der erste Teil des Buches ist wirklich gelungen und lesenswert. Vom Rest habe ich mir mehr erwartet.

geschrieben am 04.10.2022 | 824 Wörter | 4663 Zeichen

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