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Krachkultur 12


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Krachkultur 12 MARTIN BRINKMANN. Er hat sich gerade eine Zigarette angesteckt. Nun zieht er den Reißverschluss seiner hellen Windjacke hoch. Er guckt konzentriert auf den Reißverschluss. Ein wenig gereizt vielleicht auch. Es ist dieses immer selbe Schwarz-Weiß-Photo von ihm, das mittlerweile die meisten deutschen Feuilletons gebracht haben. Angefangen hat die taz Bremen. Das lag daran, dass seine Literaturzeitschrift »Krachkultur« von hier kommt. Und das liegt daran, dass er hier wohnt. So haben sie ihn inzwischen alle besucht oder zumindest über ihn geschrieben: Die Welt, die FAZ, am klügsten die Zeit. Das Bild macht sich gut. Es repräsentiert eine eigenständige Ästhetik, die anzieht. Dazu gehört auch die Internetseite von Brinkmann. Die heißt einfach nur wiedernichts. Hier erfährt der geneigte Leser seine Vita, geboren 1976, Studium in Bremen &C. &C. REFLEXIONS-LITERATUR. Nun ist die zwölfte Ausgabe von Krachkultur erschienen. In ihrer Presseerklärung annoncieren die beiden Herausgeber eine »interessante Zusammenschau weltliterarischer Seitenstücke und zeitgenössischer literarischer Phänomene«. Das ist bescheiden, enthält diese Nummer doch essentielle Stücke und teils deutsche Erstveröffentlichungen von H. P. Lovecraft, »Matthias« BAADER Holst und Léon Bloy. Natürlich unter anderen. Der Band, ein gestandenes Paperback mit knapp 200 Seiten, beinhaltet insgesamt fast zwei Dutzend Beiträge. Zuallererst herausgehoben werden muss die graphische Gestaltung. Titel wie Buckrücken-Beschriftung sind in Reflektoren-Druck, das heißt, sie strahlen in der Dunkelheit! HEUTIGER HORROR. H(oward) P(hillips) Lovecraft (1890-1937) gilt heute als einer der bedeutendsten Horror-Schriftsteller. Stephen King nennt den früh Verstorbenen einen der Wegbereiter seines Schreibstils. Krachkultur 12 enthält eine Kurzgeschichte, an der Lovecraft beteiligt war, einen Text, in welchem er sein politisches Weltbild offenbart und eine Einführung zu Lovecraft von Ramsey Campbell. In seinem Weltbild schwankt Lovecraft, wie es die Überschrift verrät: zwischen »Nietzscheanismus und Realismus«: »Aristokratie und Monarchie sind am effektivsten, wenn es darum geht, die besten menschlichen Eigenschaften zu entwickeln, solche nämlich, die sich in stilistischen und intellektuellen Leistungen manifestieren«. Lovecraft nimmt seine Kritiker vorweg, indem er seine skeptische Weltsicht verteidigt: »Pessimismus erzeugt Güte. Der desillusionierte Philosoph ist sogar toleranter als der tugendhafte, bourgeoise Idealist mit seinen gefühlsseligen und versponnenen Vorstellungen von menschlicher Würde und Bestimmung.« Campbell gilt als einer der wichtigsten lebenden Horrorautoren. Er rühmt die erzählerische Kraft von Lovecrafts Werk, weil sein Vorgänger jegliche Nachahmung überwunden hätte: »Im Bemühen, Literatur zu schreiben, die sowohl sein Talent wie auch seine Grenzen (besonders seine Schwierigkeit, glaubwürdige Figuren zu beschreiben) positiv nutzte, entwickelte er beinahe perfekte Gerüste für Horror-Storys«, urteilt Campbell rückblickend. DER BAADER-KOMPLEX. »Matthias« BAADER Holst war eine absolute schriftstellerische Ausnahmefigur. Martin Brinkmann bezeichnet ihn in seinem persönlichen und einfühlsamen Porträt als DEN Außenseiter der letzten DDR-Autorengeneration. Der hieß eigentlich Matthias Holst und legte sich den »BAADER« zu zur Abgrenzung. Seine Art der Identifikation. Vielleicht sah er sich als Terrorist der Poesie. Eine Woche, nachdem der Ostberliner Grenzschreiber am 23. Juni 1990 von einer Straßenbahn angefahren wurde, starb er. Martin Brinkmann zeichnet die Vergleiche mit den Toden von Rolf Dieter Brinkmann und Jörg Fauser nach. Beide haderten ähnlich mit dem Leben. Fauser wurde vom Lastwagen überfahren. Brinkmann vom Auto. Martin Brinkmann sucht nach Ursachen für die Legendenbildung um den Prenzlauer Berg-Schriftsteller, der sich jedweder Vereinnahmung widersetzte: »Die brutale Art und Weise des Umkommens und das hinausgezögerte, sozusagen zeichensetzende Todesdatum« trügen zur Legendenbildung bei, schreibt der Herausgeber. Süffisant schildert Brinkmann, wie BAADER nun postmortem doch vereinnahmt wird: In diversen Readern zur sogenannten Popliteratur tituliert, vermanscht und eingeordnet kann er sich nun nicht mehr davor wehren, dass er zu Literaturgeschichte obduziert wird. KATHOLISCHER ABBRUCHUNTERNEHMER. Als dritte Kostprobe pars pro toto genannt sei »Die vierundzwanzig Ohren des Gueule-de-Bois« des Erzkatholiken und Abbruchunternehmers Léon Bloy. Bloy (1846-1917) beeinflusste unter anderen Franz Kafka, Ernst Jünger und Carl Schmitt. Jorge Luis Borges nannte ihn einen »terroristischen Autoren«, einen »Sammler des Hasses«. Jünger beschäftigte sich insbesondere 1943/ 44 intensiv mit Bloys Tagebüchern und Prosa, um die untergehende Macht der gottlosen Nazis zu interpretieren. Der Text ist eine deutsche Erstveröffentlichung in der Übersetzung von Alexander Pschera, Herausgeber eines furiosen Sammelbandes über Ernst Jünger. Pschera erläutert in einem Essay die Weltsicht des radikalen Franzosen und fordert uns auf: »Wer zu Bloy will, der muß sich überwinden. Er muß in jenes entlegene Pariser Viertel hinauswandern, in jenen düsteren Hinterhof eintreten, unter den mißtrauischen Blicken aus dunklen Fenstern die modrige Haustür aufstoßen, die durchgefaulten Treppen hinaufsteigen, immer höher hinauf, und in jene ärmlichen, aber reinlichen Zimmer eintreten, die für die Kinder der Familie Bloy Heimat waren, in jene einfachen, aber aufgeräumten Zimmer, in denen ganz hinten, im äußersten Winkel, unter einem Kruzifix eine Rose steht und eine Kerze brennt. Für immer brennt.« Dies könnte auch eine Allegorie auf diese Nummer von Krachkultur sein. Das avantgardistische Literaturmagazin auf höchstem geistigen und ästhetischen Niveau ist eine Einladung. Eine Einladung zu einer sinnlicheren Welt. Chapeau Messieurs!

MARTIN BRINKMANN. Er hat sich gerade eine Zigarette angesteckt. Nun zieht er den Reißverschluss seiner hellen Windjacke hoch. Er guckt konzentriert auf den Reißverschluss. Ein wenig gereizt vielleicht auch. Es ist dieses immer selbe Schwarz-Weiß-Photo von ihm, das mittlerweile die meisten deutschen Feuilletons gebracht haben. Angefangen hat die taz Bremen. Das lag daran, dass seine Literaturzeitschrift »Krachkultur« von hier kommt. Und das liegt daran, dass er hier wohnt. So haben sie ihn inzwischen alle besucht oder zumindest über ihn geschrieben: Die Welt, die FAZ, am klügsten die Zeit. Das Bild macht sich gut. Es repräsentiert eine eigenständige Ästhetik, die anzieht. Dazu gehört auch die Internetseite von Brinkmann. Die heißt einfach nur wiedernichts. Hier erfährt der geneigte Leser seine Vita, geboren 1976, Studium in Bremen &C. &C.

weitere Rezensionen von Matthias Pierre Lubinsky


REFLEXIONS-LITERATUR. Nun ist die zwölfte Ausgabe von Krachkultur erschienen. In ihrer Presseerklärung annoncieren die beiden Herausgeber eine »interessante Zusammenschau weltliterarischer Seitenstücke und zeitgenössischer literarischer Phänomene«. Das ist bescheiden, enthält diese Nummer doch essentielle Stücke und teils deutsche Erstveröffentlichungen von H. P. Lovecraft, »Matthias« BAADER Holst und Léon Bloy. Natürlich unter anderen. Der Band, ein gestandenes Paperback mit knapp 200 Seiten, beinhaltet insgesamt fast zwei Dutzend Beiträge. Zuallererst herausgehoben werden muss die graphische Gestaltung. Titel wie Buckrücken-Beschriftung sind in Reflektoren-Druck, das heißt, sie strahlen in der Dunkelheit!

HEUTIGER HORROR. H(oward) P(hillips) Lovecraft (1890-1937) gilt heute als einer der bedeutendsten Horror-Schriftsteller. Stephen King nennt den früh Verstorbenen einen der Wegbereiter seines Schreibstils. Krachkultur 12 enthält eine Kurzgeschichte, an der Lovecraft beteiligt war, einen Text, in welchem er sein politisches Weltbild offenbart und eine Einführung zu Lovecraft von Ramsey Campbell. In seinem Weltbild schwankt Lovecraft, wie es die Überschrift verrät: zwischen »Nietzscheanismus und Realismus«: »Aristokratie und Monarchie sind am effektivsten, wenn es darum geht, die besten menschlichen Eigenschaften zu entwickeln, solche nämlich, die sich in stilistischen und intellektuellen Leistungen manifestieren«. Lovecraft nimmt seine Kritiker vorweg, indem er seine skeptische Weltsicht verteidigt: »Pessimismus erzeugt Güte. Der desillusionierte Philosoph ist sogar toleranter als der tugendhafte, bourgeoise Idealist mit seinen gefühlsseligen und versponnenen Vorstellungen von menschlicher Würde und Bestimmung.« Campbell gilt als einer der wichtigsten lebenden Horrorautoren. Er rühmt die erzählerische Kraft von Lovecrafts Werk, weil sein Vorgänger jegliche Nachahmung überwunden hätte: »Im Bemühen, Literatur zu schreiben, die sowohl sein Talent wie auch seine Grenzen (besonders seine Schwierigkeit, glaubwürdige Figuren zu beschreiben) positiv nutzte, entwickelte er beinahe perfekte Gerüste für Horror-Storys«, urteilt Campbell rückblickend.

DER BAADER-KOMPLEX. »Matthias« BAADER Holst war eine absolute schriftstellerische Ausnahmefigur. Martin Brinkmann bezeichnet ihn in seinem persönlichen und einfühlsamen Porträt als DEN Außenseiter der letzten DDR-Autorengeneration. Der hieß eigentlich Matthias Holst und legte sich den »BAADER« zu zur Abgrenzung. Seine Art der Identifikation. Vielleicht sah er sich als Terrorist der Poesie. Eine Woche, nachdem der Ostberliner Grenzschreiber am 23. Juni 1990 von einer Straßenbahn angefahren wurde, starb er. Martin Brinkmann zeichnet die Vergleiche mit den Toden von Rolf Dieter Brinkmann und Jörg Fauser nach. Beide haderten ähnlich mit dem Leben. Fauser wurde vom Lastwagen überfahren. Brinkmann vom Auto. Martin Brinkmann sucht nach Ursachen für die Legendenbildung um den Prenzlauer Berg-Schriftsteller, der sich jedweder Vereinnahmung widersetzte: »Die brutale Art und Weise des Umkommens und das hinausgezögerte, sozusagen zeichensetzende Todesdatum« trügen zur Legendenbildung bei, schreibt der Herausgeber. Süffisant schildert Brinkmann, wie BAADER nun postmortem doch vereinnahmt wird: In diversen Readern zur sogenannten Popliteratur tituliert, vermanscht und eingeordnet kann er sich nun nicht mehr davor wehren, dass er zu Literaturgeschichte obduziert wird.

KATHOLISCHER ABBRUCHUNTERNEHMER. Als dritte Kostprobe pars pro toto genannt sei »Die vierundzwanzig Ohren des Gueule-de-Bois« des Erzkatholiken und Abbruchunternehmers Léon Bloy. Bloy (1846-1917) beeinflusste unter anderen Franz Kafka, Ernst Jünger und Carl Schmitt. Jorge Luis Borges nannte ihn einen »terroristischen Autoren«, einen »Sammler des Hasses«. Jünger beschäftigte sich insbesondere 1943/ 44 intensiv mit Bloys Tagebüchern und Prosa, um die untergehende Macht der gottlosen Nazis zu interpretieren. Der Text ist eine deutsche Erstveröffentlichung in der Übersetzung von Alexander Pschera, Herausgeber eines furiosen Sammelbandes über Ernst Jünger. Pschera erläutert in einem Essay die Weltsicht des radikalen Franzosen und fordert uns auf: »Wer zu Bloy will, der muß sich überwinden. Er muß in jenes entlegene Pariser Viertel hinauswandern, in jenen düsteren Hinterhof eintreten, unter den mißtrauischen Blicken aus dunklen Fenstern die modrige Haustür aufstoßen, die durchgefaulten Treppen hinaufsteigen, immer höher hinauf, und in jene ärmlichen, aber reinlichen Zimmer eintreten, die für die Kinder der Familie Bloy Heimat waren, in jene einfachen, aber aufgeräumten Zimmer, in denen ganz hinten, im äußersten Winkel, unter einem Kruzifix eine Rose steht und eine Kerze brennt. Für immer brennt.«

Dies könnte auch eine Allegorie auf diese Nummer von Krachkultur sein. Das avantgardistische Literaturmagazin auf höchstem geistigen und ästhetischen Niveau ist eine Einladung. Eine Einladung zu einer sinnlicheren Welt. Chapeau Messieurs!

geschrieben am 28.01.2009 | 775 Wörter | 5078 Zeichen

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