ISBN | 3837116026 | |
Autor | Robert Harris | |
Verlag | Random House | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | - | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Extras | - |
Gut recherchierte historische Stoffe waren schon in frĂŒheren Romanen, z.B. Enigma, das Markenzeichen von Robert Harris. Dabei kam dem Tiefgang und der AuthentizitĂ€t der Geschichten stets zugute, dass Harris vor seinem Dasein als Romanautor als Reporter und Redakteur tĂ€tig war, bspw. fĂŒr die BBC und fĂŒr den "Observer". Die Verbindung von Fiktion und historischen Fakten prĂ€gt auch den Roman âVaterlandâ, der sich als Hörbuch sogar als phasenweise spannender entpuppt als das gedruckte Buch. ZunĂ€chst hĂ€tte ich damit nĂ€mlich nicht gerechnet, denn der Start der Geschichte ist eher zĂ€h und auch die lakonische Stimme des Sprechers ist nicht wirklich mitreiĂend, ja sogar etwas albern, wenn er versucht, fĂŒr eine Nebenfigur in einen sĂ€chsischen Dialekt zu verfallen. Der Rhythmus der Geschichte passt aber immer besser zur Sprecherstimme und mit zunehmender Spannung ist sie sogar ein wohltuendes Korrektiv.
Was ist der Hintergrund des Romans? Der zweite Weltkrieg wurde von Deutschland nicht verloren, sondern gewonnen und man befindet sich im Jahr 1964 in einem kalten Krieg mit den Vereinigten Staaten von Amerika unter deren PrĂ€sident Kennedy (Joseph, der Vater von John F. Kennedy). Hitler hat jedoch seit Jahren enorme Probleme mit PartisanenkĂ€mpfen an der Ostfront und sucht nach einem Entspannungsszenario mit den USA, um deren UnterstĂŒtzung der Partisanen zu beenden. Die historischen Ereignisse sind dabei bis in das Jahr 1943 fast identisch, wenden sich aber dann, so erfĂ€hrt man immer wieder rĂŒckblickend, zugunsten der dann siegreichen Deutschen. Es gibt eine Art europĂ€ische Gemeinschaft (wieso sollte sich das siegreiche Deutschland auf so etwas einlassen? eine von ein paar kleineren historischen NachlĂ€ssigkeiten im Buch) unter deutscher Vorherrschaft, einen polizeidominierten deutschen Staat mit einem greisen Hitler an der Spitze und einem offenbar nachfolgegierigen Heidrich, der den Polizei- und Sicherheitsapparat unter sich hat.
Der Kripo-Ermittler im Rang eines SS- SturmbannfĂŒhrers Xaver MĂ€rz wird morgens aus dem Schlaf geklingelt, um einen Mordfall zu ĂŒbernehmen. Eigentlich wĂ€re sein Kollege an der Reihe gewesen, aber der hat Frau und Kinder - MĂ€rz ist geschieden und allein -, sodass sich MĂ€rz uneigennĂŒtzig doch anstelle des Kollegen zum Leichenfundort aufmacht. Die in der Havel gefundene Leiche wird von ihm nach kurzer Zeit identifiziert, ein ehemaliger StaatssekretĂ€r im Innenministerium, BĂŒhler. Dieser steht in enger Verbindung zu einem weiteren ehemaligen StaatssekretĂ€r und Verantwortlichen des Generalgouvernements, das ehemalige Polen, Stuckard, der nun ebenfalls ermordet wird. Die Gestapo unter Leitung von Odilo Globocnik, genannt Globus (dessen Wiener Dialekt hervorragend kontrĂ€r zu seiner sadistischen Neigung passt), funkt MĂ€rz allerdings dazwischen und reiĂt die Ermittlungen an sich. MĂ€rz wittert MerkwĂŒrdiges und bleibt trotzdem am Ball, was am Ende zu seinem Untergang fĂŒhren wird. Im Lauf der Ermittlungen wendet er sich an eine Bekannte Stuckards, die deutschstĂ€mmige amerikanische Journalistin Charlie Maguire. Mit dieser deckt er weitere ZusammenhĂ€nge auf und sucht - parallel zur Gestapo und unter der scheinbaren Protektion des Kripo-Chefs Nebe - den letzten Ăberlebenden der Wannsee-Konferenz, auf welcher die Endlösung fĂŒr die deutschen und europĂ€ischen Juden beschlossen wurde, Martin Luther. ZunĂ€chst sieht es so aus, dass BĂŒhler, Stuckard und Luther ânurâ in einen gewaltigen Raub von KunstgegenstĂ€nden aus Polen und anderenorts verwickelt waren und sich so einen sĂŒĂen Lebensabend gesichert hatten. Aber die drei hatten bemerkt, dass Heidrich alle Mitwisser der Judenvernichtung sukzessive ermorden lieĂ und wollten Asyl in den USA beantragen. Bevor Luther dies erreichen kann, wird er vor MĂ€rzâ Augen auf offener StraĂe erschossen. Die Journalistin, die inzwischen das Herz von MĂ€rz gewonnen hat - und umgekehrt - wird von MĂ€rz mit den beweissichernden Dokumenten, die Luther in einem BankschlieĂfach in ZĂŒrich deponiert hatte, auĂer Landes geschickt und er selbst wird, am Ende sogar von seinem Sohn an die Gestapo verraten, erst gefoltert und dann fast in einen finalen Hinterhalt gelockt. Er erkennt diesen aber und lĂ€sst sich von seinem Kollegen JĂ€ger, der, eingeweiht bzw. befohlen, den Mord eigentlich hĂ€tte bearbeiten sollen und ihn stĂ€ndig verraten und hintergangen hat, ĂŒber die ehemalige polnische Grenze chauffieren, wo er sich auf den mittlerweile zerstörten Ăberresten eines ehemaligen Konzentrationslagers selbst das Leben nimmt.
Die Geschichte ist stimmig, spannend und historisch interessant, gerade mit dem Aspekt des âwas wĂ€re wenn?â. Das Ende ist konsequent, wenngleich man sich fĂŒr den Protagonisten ein Happy End gewĂŒnscht hĂ€tte. Etwas enttĂ€uschend ist höchstens, dass das groĂe Geheimnis ânurâ die Dokumentation der Judenvernichtung ist, die fiktiv bislang von den siegreichen Deutschen verschleiert worden war. Aus der Sicht des halbwegs gebildeten Hörers, dem diese VorgĂ€nge historisch bekannt sind, wĂ€re da vielleicht etwas anderes spannender gewesen. Aber Harris schreibt ja fĂŒr ein internationales Publikum und man kann nicht davon ausgehen, dass dort die Kenntnis der historischen VorgĂ€nge Ă€hnlich ausgeprĂ€gt ist, wie in Deutschland.
Mit einer Laufzeit von mehr als 13 Stunden ist das Werk auch ein opulentes HörvergnĂŒgen fĂŒr lange Autofahrten. Die Pressung als mp3-CD erspart viele Wechsel. Insgesamt eine klare Empfehlung.
geschrieben am 15.01.2014 | 779 Wörter | 4730 Zeichen
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