ISBN | 3956010701 | |
Autor | Achim Greser | |
Verlag | Frankfurter Allgemeine Buch | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 2000 | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Extras | - |
Selbst wenn mich einmal die Aufmacher oder Leitartikel der FAZ nicht vom Hocker gerissen haben - auf die zeichnerische Aufbereitung des aktuellen Geschehens in Deutschland und ggf. der Welt durch Greser & Lenz habe ich mich schon immer gefreut. Seit dem Jahr 1996 zeichnen sie regelmäßig für die FAZ und seit nun schon 10 Jahren kommt die Chronik des Jahres aus der Sicht von Greser&Lenz in gebundener Form auf den Markt. Grund genug, in diesem Jahr einen Jubiläumsschuber zu spendieren, in dem alle bisherigen 10 Bände dekorativ Platz finden. Die Bände sind dabei stets gleich aufgebaut. Nach einem einleitenden Vorwort eines der Herausgeber folgen prägende Cartoons und Zeichnungen des jeweiligen Jahres. Dabei steht die Zeichnung auf der rechten Seite und auf der linken Seite steht ein erläuternder Text des Redakteurs Jasper von Altenbockum.
Im Schuber enthalten sind folgende Bände seit 2005: „Deutschland in Sorge - Chronik eines Jahres I“, „Deutschland packt s an - Chronik eines Jahres II“, „Wir sind eine Welt - Chronik eines Jahres III“, „Finanzkrise?! Na und! - Chronik eines Jahres IV“, „Neues aus der Wirtschaft - Chronik eines Jahres V“, „Deutschland auf Sparkurs - Chronik eines Jahres VI“, „Ist Europa noch zu retten? - Chronik eine Jahres VII“, „Endlich Energiewende - Die Chronik eines Jahres VIII“, „Deutschland von unten - Die Chronik eines Jahres IX“ und schließlich „Wir sind Weltmeister! - Die Chronik eines Jahres X“.
Die Jahresbände bieten über das reine Vergnügen an den Illustrationen hinaus eine beachtliche politische und gesellschaftliche Erkenntnisquelle. Denn durch die erläuternden Texte erfährt man noch einmal en passant, was sich in den Jahren so alles ereignet hat und wovon man oft gar nichts mehr wusste. Zum anderen werden bestimmte Themen, was eigentlich höchst erschreckend ist, über die Jahre in steter Regelmäßigkeit zeichnerisch bedient, was ja nur bedeutet, dass es im realen politischen Leben auch immer wieder dazu Schlagzeilen dazu gab. Das sind etwa die Staatsverschuldung, Streiks der Bahn-Mitarbeiter (herrlich der Cartoon in Band IV, S. 15, zu den „GDL-Ehefrauen“: „Am Sonntag gehört der Papi uns! Gegen den 7-Tage-Streik!“), der schwierige Umgang mit Ausländern und Integration, dem Islam im Speziellen, und die Lage im Königreich Bayern im Besonderen, wobei man aus fränkischer Sicht ohnehin nur spottend auf München blicken kann. Vielleicht ändert sich das ja, wenn Söder Ministerpräsident werden sollte. Hinzu kommen natürlich die Kämpfe und Zwistigkeiten unter den Parteien und innerhalb des Regierungspersonals, was ja schon per se eine gehobene Form des zeichnerischen Kabaretts ist. So wie man sich früher an der Oggersheimer Birne abarbeiten konnte, ist nunmehr die ewige Mutti und ihr Verschleißpersonal, wahlweise aus SPD oder FDP, ein immer wieder gern gesehenes Cartoon-Thema (so etwa die Flucht der Klingonen vor der Erderoberung aus Angst vor der Kanzlerin, Band IX, S. 157). Zum anderen erlauben Greser&Lenz aber auch immer wieder einen Blick auf „das Volk“, etwa wenn die typischen kleinen Leute und ihre Gedankenwelt am Stammtisch, beim Einkaufen oder anderswo abgebildet wird und eben nicht nur den „Großkopferten“ graphischer Raum gewährt wird.
Natürlich kann man über manche tagesaktuelle Zeichnung von vor einigen Jahren aus heutigem Blickwinkel nicht mehr so schallend lachen, wie man es eben zur damaligen Zeit getan hätte. Aber Greser&Lenz haben daneben regelrechte Evergreens geschaffen, die zeitlos sind und noch heute echte Humorraketen beinhalten. Etwa mit dem im Krankenhaus befindlichen Bin Laden, dem vom verängstigten Ärzteteam nicht offenbart werden möchte, dass er Kreuzschmerzen und einen Kreuzbandriss hat (Band V, S. 91), oder mit dem Cartoon über den Studenten auf Wohnungssuche, der in einer Hinterhof-Schrauberwerkstatt die Hebebühne für 500 EUR kalt im Monat zum Schlafen angeboten bekommt (Band VIII, S. 179). Und natürlich das in die Alpen gemeißelte überlebensgroße Antlitz Stoibers im Stile der amerikanischen Präsidenten, zu dem es heißt: „Im Nasenflügel ist eine Teestube. Da fährt demnächst der Transrapid hin.“ (Band III, S. 211). Genial. Fehlt nur noch der Zusatz „in 10 Minuten“. Und auch wenn es gemein ist, auf bemitleidenswerte politische Figuren wie dem ehemaligen Ministerpräsidenten Kurt Beck als SPD-Parteivorsitzendem noch einzudreschen - der Cartoon zu den vermeintlich steigenden Umfragewerten ist ein Brüller (Band IV, S. 135: „Frank-Walter, 7% der deutschen Scherenschleifer können sich vorstellen bei der Bundestagswahl die SPD zu wählen, wenn das Wetter es erlaubt“).
Auch Seitenhiebe auf die langsame Veränderung politischer Verhältnisse sitzen wie die Faust aufs Auge, etwa wenn der Mercedes-Facharbeiter am Wahlstand der SPD vorbeigeht und sich denkt „SPD wählen? Von wegen, ich setze doch nicht meine Villa im Tessin aufs Spiel.“ Das trifft dann nicht nur die Profilsuche der SPD, sondern auch den Umstand, dass die Mitarbeiter z.B. der großen Autohersteller in Deutschland, auch wenn es mal keine Aktienübernahmeschlachten zwischen VW und Porsche gibt, an denen sich Mitarbeiter eine goldene Nase verdient haben, recht gut situiert sind und nicht mehr wirklich mit „herkömmlichen“ Arbeitern verglichen werden können (Band IX, S. 93).
Auf diese Weise sorgen die 10 Bände eben nicht nur für Erheiterung, sondern auch für ein politisches und gesellschaftliches Panoptikum und viele Momente zum Innehalten und Grübeln. Dieser Schuber eignet sich deshalb ganz hervorragend zum einen als intelligentes Geschenk, zum anderen auch als Selbstbelohnung.
geschrieben am 08.02.2015 | 822 Wörter | 4876 Zeichen
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