Navigation

Seiten der Rubrik "Bücher"


Google Anzeigen

Anzeigen

Bücher

Orangen! Erdnüsse!


Statistiken
  • 6261 Aufrufe

Informationen zum Buch
  ISBN
  Autor
  Verlag
  Sprache
  Seiten
  Erscheinungsjahr
  Extras

Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Orangen! Erdnüsse! Vor zwei Jahren wurde der US-amerikanische Publizist Eliot Weinberger 60 Jahre alt. Zu diesem Anlass würdigte ihn Die Zeit und schrieb, Weinbergers Essays seien »zum Staunen schön«. Doch leider seien sie in Deutschland kaum bekannt. Dass sich daran etwas ändert, scheint sich die kleine Berliner Verlagsedelschmiede Berenberg zum Ziel gesetzt zu haben. 2008 veröffentlichte sie Eliot Weinbergers Essayband »Das Wesentliche«. Nun den zweiten Essayband »Orangen! Erdnüsse!«. Weinbergers Essays sind Miniaturen, Künststückchen, Artefakte. Erster Ausweis ihrer Qualität ist ihre Sprache. Die Sätze sitzen. Die Aussagen treffen. Man versteht sie, ohne Nachdenken zu müssen. Das kann man dann an anderer Stelle tun. Eliot Weinbergers Texten ist anzumerken, dass ihr Schöpfer in seinem Leben einige Bücher gelesen, einige Länder bereist hat. Und mehr als das, hat er sogar eine ganze Reihe von Büchern unterschiedlicher Sprachen übersetzt. Darunter auch Octavio Paz, dessen Gedicht-Zyklus Sonnenstein er als 18-Jähriger in einer High-School-Bibliothek in einem Buch eingeklebt fand. "[…] wann sind wir, was wir sind, in Wahrheit, wirklich? einzeln sind wir, genau betrachtet, niemals was anderes als Taumel, Schwindel, Leere, Spiegelfratzen, Entsetzen und Erbrechen, nie ist das Leben unser, stets von andern, […] um selbst zu sein, muss ich ein andrer werden, mich selbst verlassen und mich suchen unter den andern, die nicht sind, wenn ich nicht da bin, den andern, die mir volles Dasein geben, ich bin nicht, Ich gibt es nicht, immer sind wir als wir, das Leben ist ein andres, immer jenseits von dir, von mir, nur Horizont stets, Leben, das uns verlebt und uns entfremdet, uns ein Gesicht erfindet, es verwittert, Hunger nach Sein, o Tod, das Brot von allen […]." Weinberger beschloss spontan, er wolle Schriftsteller werden. Aber erstmal hat er - wie gesagt - mit 19 Jahren Octavio Paz übersetzt. Danach brach er sein Studium ab. Ein feiner und freier Geist kann sich nicht mit Lehrplänen herumschlagen. Anschließend reiste und las er viel. Muss man etwas anderes tun? Dann lebte er vier Jahre in London. Diese (ehemalige) Hauptstadt des Commonwealth sprach zu ihm und erzählte ihm die europäische Geschichte: Die besten Schreiber der alten Kolonien waren längst da. Sie waren zum Teil besser als die Einheimischen. So lernte der Wissbegierige viel über die Vermengung von Kulturen und dass eine höhere Gattung nur aus gegenseitiger Befruchtung entsteht. Man merkt seinen Texten an, dass sie gereift sind, - im besten Sinne des Wortes. Sie sind die geistige Frucht einer Sprache, die Seiendes durchdrungen hat. Und stets ist sie ihrem Subjekt angemessen. Weinberger wahrt eine gewisse Distanz. Auch wenn er zu dem Beschriebenen großen Respekt hegt, webt er kritische Töne mit ein. Das tut er zum Beispiel bei seinem Essay über die großartige Susan Sontag. Weinberger macht aus seiner Bewunderung keinen Hehl und kommt doch zum Ergebnis, letztlich seien von ihr nur drei Bücher heute wirklich noch lesenswert. Nur einer war in der Lage, Eliot Weinbergers Contenance zu brechen: Der US-amerikanische Präsident George W. Bush. In seinem wunderbaren Stück, das er für The London Review of Books schrieb, stellt er den damals mächtigsten Mann der Welt einen französischen Intellektuellen gegenüber: "Ende der sechziger Jahre war George Bush jr. in Yale und verpasste Studenten, die in die Verbindung Delta Kappa Epsilon aufgenommen werden wollten, mit einem heißen Kleiderbügel ein Brandzeichen auf das Gesäß. Michel Foucault saß in der Societé française de philosophie und überdachte die Frage: ‚Was ist ein Autor?‘ Eliot Weinberger rezensiert das Buch »Decision Points«, das unter dem Namen des Präsidenten erschien, allerdings von seinen Mitarbeitern zusammengelogen worden ist. Weinberger geht die wesentlichen Stationen von Juniors ‚Karriere‘ durch: Vom Versagen an der Uni, über das Versagen beim Sport bis zum Versenken ungeheurer Summen von Geld bei der Suche nach Erdölvorkommen – wo keine waren. Man lacht sich beim Lesen kaputt – obwohl es sich um eine verdammt erste Angelegenheit handelt. "Nach einer Predigt über Moses und wie er die Israeliten aus Ägypten führte, fasste er den Entschluss, sich als Präsidentschaftskandidat aufstellen zu lassen. Und als ein Mann, der gern früh zu Bett geht, klagte Präsident George W. Bush am 11. September 2001 gegen 22 Uhr, er müsse nun schlafen gehen." Lesenswert sind die Essays von Eliot Weinberger letztlich auch deshalb, weil der Leser nie weiß, wo die Reise hingehen wird. Die Texte sind nicht nur unterschiedlich lang, auch verrät die Überschrift nicht sogleich, womit sich der kluge Kolumnist beschäftigen wird. Bei der Beschreibung einer Photographie von Anton Bruehl, die dem Band den Titel gegeben hat, beschreibt er die Kulturgeschichte der abgebildeten Früchte. Mehr sei nicht verraten.

Vor zwei Jahren wurde der US-amerikanische Publizist Eliot Weinberger 60 Jahre alt. Zu diesem Anlass würdigte ihn Die Zeit und schrieb, Weinbergers Essays seien »zum Staunen schön«. Doch leider seien sie in Deutschland kaum bekannt.

weitere Rezensionen von Matthias Pierre Lubinsky


Dass sich daran etwas ändert, scheint sich die kleine Berliner Verlagsedelschmiede Berenberg zum Ziel gesetzt zu haben. 2008 veröffentlichte sie Eliot Weinbergers Essayband »Das Wesentliche«. Nun den zweiten Essayband »Orangen! Erdnüsse!«.

Weinbergers Essays sind Miniaturen, Künststückchen, Artefakte. Erster Ausweis ihrer Qualität ist ihre Sprache. Die Sätze sitzen. Die Aussagen treffen. Man versteht sie, ohne Nachdenken zu müssen. Das kann man dann an anderer Stelle tun. Eliot Weinbergers Texten ist anzumerken, dass ihr Schöpfer in seinem Leben einige Bücher gelesen, einige Länder bereist hat. Und mehr als das, hat er sogar eine ganze Reihe von Büchern unterschiedlicher Sprachen übersetzt. Darunter auch Octavio Paz, dessen Gedicht-Zyklus Sonnenstein er als 18-Jähriger in einer High-School-Bibliothek in einem Buch eingeklebt fand.

"[…] wann sind wir, was wir sind, in Wahrheit, wirklich?

einzeln sind wir, genau betrachtet, niemals

was anderes als Taumel, Schwindel, Leere,

Spiegelfratzen, Entsetzen und Erbrechen,

nie ist das Leben unser, stets von andern, […]

um selbst zu sein, muss ich ein andrer werden,

mich selbst verlassen und mich suchen unter

den andern, die nicht sind, wenn ich nicht da bin,

den andern, die mir volles Dasein geben,

ich bin nicht, Ich gibt es nicht, immer sind wir

als wir, das Leben ist ein andres, immer

jenseits von dir, von mir, nur Horizont stets,

Leben, das uns verlebt und uns entfremdet,

uns ein Gesicht erfindet, es verwittert,

Hunger nach Sein, o Tod, das Brot von allen […]."

Weinberger beschloss spontan, er wolle Schriftsteller werden. Aber erstmal hat er - wie gesagt - mit 19 Jahren Octavio Paz übersetzt. Danach brach er sein Studium ab. Ein feiner und freier Geist kann sich nicht mit Lehrplänen herumschlagen. Anschließend reiste und las er viel. Muss man etwas anderes tun? Dann lebte er vier Jahre in London. Diese (ehemalige) Hauptstadt des Commonwealth sprach zu ihm und erzählte ihm die europäische Geschichte: Die besten Schreiber der alten Kolonien waren längst da. Sie waren zum Teil besser als die Einheimischen. So lernte der Wissbegierige viel über die Vermengung von Kulturen und dass eine höhere Gattung nur aus gegenseitiger Befruchtung entsteht.

Man merkt seinen Texten an, dass sie gereift sind, - im besten Sinne des Wortes. Sie sind die geistige Frucht einer Sprache, die Seiendes durchdrungen hat. Und stets ist sie ihrem Subjekt angemessen. Weinberger wahrt eine gewisse Distanz. Auch wenn er zu dem Beschriebenen großen Respekt hegt, webt er kritische Töne mit ein. Das tut er zum Beispiel bei seinem Essay über die großartige Susan Sontag. Weinberger macht aus seiner Bewunderung keinen Hehl und kommt doch zum Ergebnis, letztlich seien von ihr nur drei Bücher heute wirklich noch lesenswert.

Nur einer war in der Lage, Eliot Weinbergers Contenance zu brechen: Der US-amerikanische Präsident George W. Bush. In seinem wunderbaren Stück, das er für The London Review of Books schrieb, stellt er den damals mächtigsten Mann der Welt einen französischen Intellektuellen gegenüber:

"Ende der sechziger Jahre war George Bush jr. in Yale und verpasste Studenten, die in die Verbindung Delta Kappa Epsilon aufgenommen werden wollten, mit einem heißen Kleiderbügel ein Brandzeichen auf das Gesäß. Michel Foucault saß in der Societé française de philosophie und überdachte die Frage: ‚Was ist ein Autor?‘

Eliot Weinberger rezensiert das Buch »Decision Points«, das unter dem Namen des Präsidenten erschien, allerdings von seinen Mitarbeitern zusammengelogen worden ist. Weinberger geht die wesentlichen Stationen von Juniors ‚Karriere‘ durch: Vom Versagen an der Uni, über das Versagen beim Sport bis zum Versenken ungeheurer Summen von Geld bei der Suche nach Erdölvorkommen – wo keine waren. Man lacht sich beim Lesen kaputt – obwohl es sich um eine verdammt erste Angelegenheit handelt.

"Nach einer Predigt über Moses und wie er die Israeliten aus Ägypten führte, fasste er den Entschluss, sich als Präsidentschaftskandidat aufstellen zu lassen. Und als ein Mann, der gern früh zu Bett geht, klagte Präsident George W. Bush am 11. September 2001 gegen 22 Uhr, er müsse nun schlafen gehen."

Lesenswert sind die Essays von Eliot Weinberger letztlich auch deshalb, weil der Leser nie weiß, wo die Reise hingehen wird. Die Texte sind nicht nur unterschiedlich lang, auch verrät die Überschrift nicht sogleich, womit sich der kluge Kolumnist beschäftigen wird. Bei der Beschreibung einer Photographie von Anton Bruehl, die dem Band den Titel gegeben hat, beschreibt er die Kulturgeschichte der abgebildeten Früchte.

Mehr sei nicht verraten.

geschrieben am 22.09.2011 | 740 Wörter | 4101 Zeichen

Kommentare lesen Kommentar schreiben

Kommentare zur Rezension (0)

Platz für Anregungen und Ergänzungen