ISBN | 3832180699 | |
Autor | John Cheever | |
Verlag | DuMont | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 224 | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Extras | - |
Unter dem Titel âFalconerâ erschien dieser Roman bereits 1977, als vierter Roman des Autors Cheever. Der Erfolg in Europa respektive Deutschland war jedoch bescheiden, sodass nun eine NeuĂŒbersetzung auf den Markt kam, auch um dem Gesamtwerk Cheevers gerecht zu werden. All das erfĂ€hrt man im Nachwort des Journalisten und Autors Peter Henning, der zugleich noch ĂŒber wesentliche Inhalte des Buches informiert, RĂŒckbezĂŒge zum Werk und zur Persönlichkeit Cheevers herstellt und das Buch in einen Gesamtkontext stellt. Das ist ein wunderbarer Service fĂŒr den Leser, ist aber, sofern man an das Buch ânurâ als belesener Laie herangeht, etwas erdrĂŒckend, gar einschĂŒchternd, wenn man soeben die LektĂŒre beendet hatte und sich nach dem Nachwort fragt, ob man dasselbe Buch wie Henning gelesen hat. Denn den schwelgerischen Beschreibungen Hennings kann bzw. mag ich mich nach der LektĂŒre des Buches nicht anschlieĂen. Ich nehme dafĂŒr gerne den Vorwurf der Ignoranz in Kauf, gerade was den Bezug zum Restwerk Cheevers, das angeblich âzutiefst Religiöseâ des Romans oder das verdichtete Amerikabild angeht, aber mich hat das Buch einfach nicht ĂŒberzeugt und schon wĂ€hrend der LektĂŒre wunderte ich mich doch, warum es unisono in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in der SĂŒddeutschen Zeitung und im SPIEGEL im Feuilleton so positiv angepriesen wurde, gar als Empfehlung fĂŒr die UrlaubslektĂŒre. Denn auch wenn man das Buch bis zum Ende durchlesen möchte, und sei es nur aus dem Wunsch, dass doch endlich mal etwas Zug in die ErzĂ€hlung kommen und ein passabler Handlungsfaden in Erscheinung treten wĂŒrde, ist der Gesamteindruck fad bzw. man hat stets das GefĂŒhl, dass aus Einzelthemen mehr hĂ€tte gemacht werden können.
Worum geht es? Der Protagonist Ezekiel Farragut wird in ein amerikanisches GefĂ€ngnis, Falconer, eingeliefert, weil er des Mordes an seinem Bruder fĂŒr schuldig befunden wurde, wĂ€hrend er mehrfach betont, es sei eine Körperverletzung mit tödlicher Folge gewesen, was ihm aber vor Gericht nicht geglaubt wurde. Die eigentliche Szene, die diese Verletzung ausgelöst hat, kommt erst ganz am Ende des Buches zur Sprache und man vermisst lange vorher eine Aufarbeitung der Familiengeschichte von Farragut, auch was die Beziehung zu seiner Frau und seinem Sohn angeht, die nur ganz nebenbei und am Anfang in den Blickpunkt geraten. Ăber das Leben Farraguts im Knast erfĂ€hrt man dann so einiges, vom Leben in der Zelle, den möglichen BeschĂ€ftigungen, dem VerhĂ€ltnis zum Wachpersonal und den MithĂ€ftlingen, der Drogensubstituierung und vor allem ĂŒber das Sexualleben bzw. die sexuellen BedĂŒrfnisse der HĂ€ftlinge. Davon liest man fĂŒr meinen Geschmack viel zu viel, wenngleich die Szene, in der die HĂ€ftlinge in einem dunklen Pissoirraum nebeneinander stehen und einvernehmlich und einmĂŒtig onanieren schon gespenstisch daherkommt. Die Liebesbeziehung Farraguts zu einem spĂ€ter entflohenen MithĂ€ftling ist angesichts seiner vorher beschriebenen klaren und erfolgreichen Fixierung auf den Verkehr mit Frauen einfach unglaubwĂŒrdig und wird erst ein wenig mehr erklĂ€rbar, wenn man spĂ€ter Hennings Hinweis auf die zunehmenden homosexuellen Neigungen Cheevers selbst, dessen Alter Ego Farragut nicht selten sein dĂŒrfte, zur Kenntnis nimmt. Unnötige LĂ€ngen offenbaren sich in diversen Briefen Farraguts, in denen er dem Gouverneur und dem Bischof seine Sicht der Dinge darstellt, aber auch die ErzĂ€hlungen anderer MithĂ€ftlinge, z.B. ĂŒber die SeitensprĂŒnge der Frau eines Insassen namens âHahnreiâ werden ohne jeglichen Kontext hineingepfropft. Generell sind die Namen der MithĂ€ftlinge inkonsequent ĂŒbersetzt: einmal werden so altertĂŒmliche Begriffe wie âHahnreiâ benutzt, andererseits heiĂt ein MithĂ€ftling âChicken number twoâ - irgendwann spĂ€t erfĂ€hrt man en passant, dass er SelbstgesprĂ€che fĂŒhrt und sich dabei so nennt. Dagegen werden starke und beeindruckende Szenen wie diejenige der Katzenausrottung oder das innere Beben der HĂ€ftlinge, das die Nachricht von einer Revolte in einem anderen GefĂ€ngnis des Landes auslöst, viel zu selten in den Fokus gestellt, auch ein Aspekt der Unausgewogenheit des Buches. Zum Schluss gelingt Farragut die Flucht in einem Leichensack und man wird wie auch an vielen vorherigen Stellen des Buches daran erinnert, dass das Werk in den 70ern spielt und die Sicherheitsvorkehrungen eher lĂ€cherlich im Vergleich zu heutigen Strafanstalten waren.
Letztendlich wĂŒrde ich das Buch niemandem mit Nachdruck zur LektĂŒre empfehlen. Sprachlich hat mich das Buch nicht ĂŒberzeugt, inhaltlich auch nicht und auch der ErzĂ€hlduktus weist NachlĂ€ssigkeiten auf. Wer jedoch als Literaturprofi das Buch als ErgĂ€nzung zu Cheevers Gesamtwerk schĂ€tzen lernen möchte oder das Amerikaselbstbild der 70er Jahre als Forschungs- und Interessengegenstand fĂŒr sich beansprucht, der wird mit diesem Buch viel Freude haben.
geschrieben am 22.09.2012 | 709 Wörter | 4215 Zeichen
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