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Böse


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Rezension von

Dr. Benjamin Krenberger

Böse Es gibt kaum einen Roman, der mich in der jüngeren Vergangenheit ähnlich ratlos zurückgelassen hat, wie dieser (höchstens noch „Hanumans Reise nach Lolland“). Worum geht es zunächst inhaltlich? Um zwei junge Menschen in Island, die durch Zufall zueinander finden, Agnes und Omar. Agnes ist Studentin der Politikwissenschaft und beschäftigt sich mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust, das aber nicht erst seit dem Studium, sondern schon seit Kindheit und Jugend. Ihre Familie stammt aus Litauen und hat diesbezüglich eine bewegte Vergangenheit, die im Buch Stück für Stück offenbart wird. So war die väterliche Linie auf Seiten der deutschen Armee, als das Baltikum besetzt wurde, und half kräftig mit, unliebsame Subjekte, vor allem die Juden zu eliminieren. Die mütterliche Linie führt wiederum zu der jüdischen Bevölkerung zurück. Trotz dieser Vergangenheit fanden zwei Menschen aus scheinbar unversöhnlichen Welten zueinander und in weiterer Linie kam dann Agnes zur Welt. Omar wiederum hat eine höchst zerrissene Vergangenheit, getrennte Eltern, oft wechselnde Wohnorte, Identitätsfindungsschwierigkeiten und ein sehr passives Leben ohne feste Ziele oder Perspektive. Die beiden jungen Menschen, die noch keinen richtigen Halt im Leben gefunden haben, treffen sich nun eines Nachts in der Warteschlange am Taxistand, verbringen die Nacht zusammen und werden, so ungleich sie sind, ein Paar. Dann aber tritt der Neonazi Arnor in ihr Leben, der zuerst nur ein Interviewpartner für Agnes‘ Masterarbeit werden sollte, dann aber eine derartige Faszination auf sie ausübt, dass sie Omar kontinuierlich mit ihm betrügt. Als Agnes dann bemerkt, dass sie schwanger ist, weiß sie nicht einmal, von wem das Kind stammt und es wird bis zum Ende nur halbherzig aufgeklärt. Omar findet aber den Betrug heraus, zündet in einer Art Amokreaktion das gemeinsame Haus an und flüchtet auf eine Europareise zu den Stätten des Faschismus, um am Ende bei Agnes‘ Eltern im litauischen Jubarkas zu landen. Agnes sucht ihn dort auf, sie sprechen erstmals (!) ausführlich und kehren nach Island zurück. Dort sind sie wieder mit Arnor und natürlich dem Baby konfrontiert und am Ende gibt es eine Art Showdown mit einer Lösung, die zu der vorherigen Unentschlossenheit der Figuren bestens passt. Aus dieser Geschichte, der etwas verwegenen ménage a trois, hätte man durchaus einen interessanten Gesellschaftsroman machen können und zwar ohne die ganzen historischen Beigaben über Litauen, seinen Umgang mit den Juden, über das Verhältnis zwischen Island und Litauen, ohne die Reflektionen zur Einstellung der Isländer zum Nationalismus. Dann wäre nämlich ein knackiger Roman um die 200 Seiten herausgekommen, mit dem man etwas hätte anfangen können. Der Autor aber hat eine Darstellungsform gewählt, die dem Leser nach kurzem auf die Nerven geht, nicht für eine Kohärenz der Lektüre sorgt und an vielen Stellen einfach überflüssig ist. Denn er bringt im ersten Teil ständig allgemeine Einschübe mit politischen, historischen und gesellschaftlichen Informationen. Später im Buch setzen sich diese Einschübe mit Betrachtungen über das Baby Snorri und dessen Gefühlswelt fort. Ich habe nach kurzer Zeit diese Einschübe einfach überlesen. Aber auch die Kapitel zur Vergangenheit, also Agnes‘ Familie in Litauen, wäre für sich ein spannender Stoff gewesen. Leider ist der Zusammenhang zur Gegenwart mit Agnes und Omar höchst vage und konstruiert und man gewinnt während der Lektüre keinen wirklichen Mehrwert daraus. Insbesondere liefert der Roman keinen „Parforceritt durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts“, wie es auf dem Buchrücken reißerisch angekündigt wird. Hinzu kommt, dass das Bindeglied „Holocaust“ bzw. „Nationalsozialismus“ viel zu sehr überdehnt wird, denn Agnes und Omar sind einfach nur zwei junge Leute, die sich im modernen Europa bzw. Island nur schwer zurechtfinden. Für so eine Geschichte braucht man sicher keine braune Basis. Und auch der Titel „Böse“ ist letzten Endes unglücklich. Mir ist bis zur letzten Seite nicht klar geworden, warum der Roman unbedingt so heißen musste, denn um das Böse geht es wie gesagt nur peripher, es ist vielmehr eine Selbstfindungsgeschichte, was an sich völlig ausreichend gewesen wäre, ohne sich in philosophische Höhen und zu Gedanken über Gut und Böse aufzuschwingen, die die kümmerlichen Helden aber nie erreichen. Das Schlimme an dem fatalen Eindruck, den dieser Roman auf mich hatte, ist, dass der Autor wirklich gut schreiben kann, jedenfalls wirkt die Übersetzung so. Er ist pointiert, kann witzig sein, lakonisch, zynisch, höchst abwechslungsreich. Auch deshalb wäre es eigentlich gar nicht so tragisch, dass man sich in die unter merkwürdigen Parametern handelnden Hauptfiguren nicht ganz hineinversetzen kann, denn auch eine beobachtende Lektüre hat ihren Reiz und die Passivität von Romanhelden ist ja keine Neuerung in den Romanen der letzten Jahre. Ich aber empfand die Lektüre aufgrund des Durcheinanders von Perspektiven, Informationen und zeitlichen Ebenen eher als Zumutung und war am Ende sowohl inhaltlich als auch handwerklich enttäuscht. Wer sich durch diesen Roman durchgekämpft hat und zu gegenteiligem Ergebnis kommt, dem sei es von Herzen gegönnt. Von mir kommt aber keine Empfehlung.

Es gibt kaum einen Roman, der mich in der jüngeren Vergangenheit ähnlich ratlos zurückgelassen hat, wie dieser (höchstens noch „Hanumans Reise nach Lolland“). Worum geht es zunächst inhaltlich? Um zwei junge Menschen in Island, die durch Zufall zueinander finden, Agnes und Omar.

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Agnes ist Studentin der Politikwissenschaft und beschäftigt sich mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust, das aber nicht erst seit dem Studium, sondern schon seit Kindheit und Jugend. Ihre Familie stammt aus Litauen und hat diesbezüglich eine bewegte Vergangenheit, die im Buch Stück für Stück offenbart wird. So war die väterliche Linie auf Seiten der deutschen Armee, als das Baltikum besetzt wurde, und half kräftig mit, unliebsame Subjekte, vor allem die Juden zu eliminieren. Die mütterliche Linie führt wiederum zu der jüdischen Bevölkerung zurück. Trotz dieser Vergangenheit fanden zwei Menschen aus scheinbar unversöhnlichen Welten zueinander und in weiterer Linie kam dann Agnes zur Welt.

Omar wiederum hat eine höchst zerrissene Vergangenheit, getrennte Eltern, oft wechselnde Wohnorte, Identitätsfindungsschwierigkeiten und ein sehr passives Leben ohne feste Ziele oder Perspektive.

Die beiden jungen Menschen, die noch keinen richtigen Halt im Leben gefunden haben, treffen sich nun eines Nachts in der Warteschlange am Taxistand, verbringen die Nacht zusammen und werden, so ungleich sie sind, ein Paar. Dann aber tritt der Neonazi Arnor in ihr Leben, der zuerst nur ein Interviewpartner für Agnes‘ Masterarbeit werden sollte, dann aber eine derartige Faszination auf sie ausübt, dass sie Omar kontinuierlich mit ihm betrügt. Als Agnes dann bemerkt, dass sie schwanger ist, weiß sie nicht einmal, von wem das Kind stammt und es wird bis zum Ende nur halbherzig aufgeklärt. Omar findet aber den Betrug heraus, zündet in einer Art Amokreaktion das gemeinsame Haus an und flüchtet auf eine Europareise zu den Stätten des Faschismus, um am Ende bei Agnes‘ Eltern im litauischen Jubarkas zu landen. Agnes sucht ihn dort auf, sie sprechen erstmals (!) ausführlich und kehren nach Island zurück. Dort sind sie wieder mit Arnor und natürlich dem Baby konfrontiert und am Ende gibt es eine Art Showdown mit einer Lösung, die zu der vorherigen Unentschlossenheit der Figuren bestens passt.

Aus dieser Geschichte, der etwas verwegenen ménage a trois, hätte man durchaus einen interessanten Gesellschaftsroman machen können und zwar ohne die ganzen historischen Beigaben über Litauen, seinen Umgang mit den Juden, über das Verhältnis zwischen Island und Litauen, ohne die Reflektionen zur Einstellung der Isländer zum Nationalismus. Dann wäre nämlich ein knackiger Roman um die 200 Seiten herausgekommen, mit dem man etwas hätte anfangen können. Der Autor aber hat eine Darstellungsform gewählt, die dem Leser nach kurzem auf die Nerven geht, nicht für eine Kohärenz der Lektüre sorgt und an vielen Stellen einfach überflüssig ist. Denn er bringt im ersten Teil ständig allgemeine Einschübe mit politischen, historischen und gesellschaftlichen Informationen. Später im Buch setzen sich diese Einschübe mit Betrachtungen über das Baby Snorri und dessen Gefühlswelt fort. Ich habe nach kurzer Zeit diese Einschübe einfach überlesen. Aber auch die Kapitel zur Vergangenheit, also Agnes‘ Familie in Litauen, wäre für sich ein spannender Stoff gewesen. Leider ist der Zusammenhang zur Gegenwart mit Agnes und Omar höchst vage und konstruiert und man gewinnt während der Lektüre keinen wirklichen Mehrwert daraus. Insbesondere liefert der Roman keinen „Parforceritt durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts“, wie es auf dem Buchrücken reißerisch angekündigt wird. Hinzu kommt, dass das Bindeglied „Holocaust“ bzw. „Nationalsozialismus“ viel zu sehr überdehnt wird, denn Agnes und Omar sind einfach nur zwei junge Leute, die sich im modernen Europa bzw. Island nur schwer zurechtfinden. Für so eine Geschichte braucht man sicher keine braune Basis. Und auch der Titel „Böse“ ist letzten Endes unglücklich. Mir ist bis zur letzten Seite nicht klar geworden, warum der Roman unbedingt so heißen musste, denn um das Böse geht es wie gesagt nur peripher, es ist vielmehr eine Selbstfindungsgeschichte, was an sich völlig ausreichend gewesen wäre, ohne sich in philosophische Höhen und zu Gedanken über Gut und Böse aufzuschwingen, die die kümmerlichen Helden aber nie erreichen.

Das Schlimme an dem fatalen Eindruck, den dieser Roman auf mich hatte, ist, dass der Autor wirklich gut schreiben kann, jedenfalls wirkt die Übersetzung so. Er ist pointiert, kann witzig sein, lakonisch, zynisch, höchst abwechslungsreich. Auch deshalb wäre es eigentlich gar nicht so tragisch, dass man sich in die unter merkwürdigen Parametern handelnden Hauptfiguren nicht ganz hineinversetzen kann, denn auch eine beobachtende Lektüre hat ihren Reiz und die Passivität von Romanhelden ist ja keine Neuerung in den Romanen der letzten Jahre. Ich aber empfand die Lektüre aufgrund des Durcheinanders von Perspektiven, Informationen und zeitlichen Ebenen eher als Zumutung und war am Ende sowohl inhaltlich als auch handwerklich enttäuscht. Wer sich durch diesen Roman durchgekämpft hat und zu gegenteiligem Ergebnis kommt, dem sei es von Herzen gegönnt. Von mir kommt aber keine Empfehlung.

geschrieben am 08.02.2015 | 784 Wörter | 4463 Zeichen

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