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Vom Sinn und Unsinn der Geschichte


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Rezension von

Ragan Tanger

Vom Sinn und Unsinn der Geschichte Eine unverzichtbare Sammlung wissenschaftstheoretischer Texte Die Sattelzeit ist nicht etwa der Moment, in dem ein Pferd reittauglich gemacht wird, sondern ein besonders bedeutender Begriff der europäischen Geschichtsschreibung, der die Epochenschwelle zwischen früher Neuzeit und Moderne zwischen der Mitte des 18. und des 19. Jahrhunderts kennzeichnet. In Anlehnung an die Metapher des Bergsattels schuf Reinhart Koselleck bei seinen umfangreichen Studien zur Aufklärung diesen Begriff, der heute zum guten Ton jedes Historikers und Nachschlagewerks gehört. Nicht nur wegen dieser Institutionalisierung solch zentraler Begriffe wird Koselleck heute als einer der größten Geschichtsschreiber der Nachkriegszeit angesehen. Zahlreiche Ehrendoktorate, Gastprofessuren, Akademiemitgliedschaften und akademische Preise würdigten seine Verdienste um die Geisteswissenschaft in Deutschland. Neben dem Kern historischen Arbeitens, der Quellenanalyse und der Kenntnisse des Hergangs und deren prosaischer Transkription, profilierte sich der 1923 in Görlitz geborene Koselleck als Geschichtsphilosoph und Wissenschaftstheoretiker, also als jemand, der nicht nur Geschichte schreibt, sondern auch darüber sinniert, wie und warum man sie so darstellt, wie es getan wurde und getan wird. Zahlreiche Kollegen der Postmoderne haben schließlich etwas Ähnliches offengelegt: Geschichte ist eine individuelle und persönlich konstruierte Darstellung, die weder der Realität noch der allgemeineren Anschauung entspricht. Dadurch erscheint eine nüchterne und kohärente Umsetzung dieser ungünstigen Vorlagen umso notwendiger. Im Rahmen solcher Überlegungen veröffentlichte Koselleck Zeit seines Lebens zahlreiche Aufsätze, Vorträge und Essays, die in diesem Band zusammengestellt, teilweise bislang unveröffentlicht, wurden. Carsten Dutt, der diese Edition zusammengetragen hat, betont, dass dies im ausdrücklichen Sinne Kosselecks stand, der den Nachlass nur insofern integrierte, als dass diese Schriften auch zur Veröffentlichung gedacht waren. Die bekanntesten Beiträge, nämlich derjenige der den Titel des Buchs trägt sowie die Laudatio für Werner Conze mit dem Titel „Wozu noch Historie?“ und die wichtigen Schriften über die fiktive Grundlage der Geschichtsschreibung sind natürlich auch längst in vielerlei anderen Organen veröffentlicht worden, dennoch ist diese kompakte Zusammenstellung jener wichtigsten wissenschaftstheoretischen Texte von Koselleck mehr als zu würdigen. Hinzu kommen vier bislang nicht veröffentlichte Beiträge, unter anderem über das 19. Jahrhundert und eine Gedenkrede für Hans-Georg Gadamer. Blind den Honorationen vertrauen muss man aber nicht, sondern besser lesend mitdenken, verstehen und argumentieren, diskutieren und deputieren, so wie es Koselleck selbst gemacht hat; gerne und überfrachtet mit dem akademischen Sprachgebrauch, der auch nur unter seinesgleichen zu lesen ist. Der Otto-Normal-Historiker fühlt sich bei seiner Masse an Wissen und der fachspezifischen Dialektik schnell vor den Kopf gestoßen, was schade ist, denn der Inhalt ist reichlich und immer trefflich. Gerade Koselleck, der sich 1941 freiwillig zur Wehrmacht meldete und erst nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft Geschichte studierte, hat bedeutende Geschichte selbst erlebt und verweist deswegen umso dringlicher auf die Erinnerung, unterstützt nachdrücklich die Fiktion des Faktischen, rüttelt dabei aber nur interepatotrisch an der Realität. Da kann man anderer Meinung sein, aber man sollte diese Meinung vorher gelesen haben. Seine Stärken liegen zweifelsfrei in der Sinnlosigkeit, die wider den Unsinn die Geschichte ausmacht und ihr nichtsdestoweniger immerhin die grundlegende Kraft gibt. Mit diesen Überlegungen können alle Studenten und bereits ausgebildete Historiker punkten; so eine Zusammenstellung gehört einfach ins Bücherregal. Anspruchsvolle Fachfremde seien ebenfalls eingeladen, das Oeuvre dieses berühmten Wissenschaftlers kennenzulernen, es ist, um mit seinen eigenen Worten zu sprechen, eo ipso selbstreferentiell.

Eine unverzichtbare Sammlung wissenschaftstheoretischer Texte

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Die Sattelzeit ist nicht etwa der Moment, in dem ein Pferd reittauglich gemacht wird, sondern ein besonders bedeutender Begriff der europäischen Geschichtsschreibung, der die Epochenschwelle zwischen früher Neuzeit und Moderne zwischen der Mitte des 18. und des 19. Jahrhunderts kennzeichnet. In Anlehnung an die Metapher des Bergsattels schuf Reinhart Koselleck bei seinen umfangreichen Studien zur Aufklärung diesen Begriff, der heute zum guten Ton jedes Historikers und Nachschlagewerks gehört. Nicht nur wegen dieser Institutionalisierung solch zentraler Begriffe wird Koselleck heute als einer der größten Geschichtsschreiber der Nachkriegszeit angesehen. Zahlreiche Ehrendoktorate, Gastprofessuren, Akademiemitgliedschaften und akademische Preise würdigten seine Verdienste um die Geisteswissenschaft in Deutschland.

Neben dem Kern historischen Arbeitens, der Quellenanalyse und der Kenntnisse des Hergangs und deren prosaischer Transkription, profilierte sich der 1923 in Görlitz geborene Koselleck als Geschichtsphilosoph und Wissenschaftstheoretiker, also als jemand, der nicht nur Geschichte schreibt, sondern auch darüber sinniert, wie und warum man sie so darstellt, wie es getan wurde und getan wird. Zahlreiche Kollegen der Postmoderne haben schließlich etwas Ähnliches offengelegt: Geschichte ist eine individuelle und persönlich konstruierte Darstellung, die weder der Realität noch der allgemeineren Anschauung entspricht. Dadurch erscheint eine nüchterne und kohärente Umsetzung dieser ungünstigen Vorlagen umso notwendiger. Im Rahmen solcher Überlegungen veröffentlichte Koselleck Zeit seines Lebens zahlreiche Aufsätze, Vorträge und Essays, die in diesem Band zusammengestellt, teilweise bislang unveröffentlicht, wurden.

Carsten Dutt, der diese Edition zusammengetragen hat, betont, dass dies im ausdrücklichen Sinne Kosselecks stand, der den Nachlass nur insofern integrierte, als dass diese Schriften auch zur Veröffentlichung gedacht waren. Die bekanntesten Beiträge, nämlich derjenige der den Titel des Buchs trägt sowie die Laudatio für Werner Conze mit dem Titel „Wozu noch Historie?“ und die wichtigen Schriften über die fiktive Grundlage der Geschichtsschreibung sind natürlich auch längst in vielerlei anderen Organen veröffentlicht worden, dennoch ist diese kompakte Zusammenstellung jener wichtigsten wissenschaftstheoretischen Texte von Koselleck mehr als zu würdigen. Hinzu kommen vier bislang nicht veröffentlichte Beiträge, unter anderem über das 19. Jahrhundert und eine Gedenkrede für Hans-Georg Gadamer.

Blind den Honorationen vertrauen muss man aber nicht, sondern besser lesend mitdenken, verstehen und argumentieren, diskutieren und deputieren, so wie es Koselleck selbst gemacht hat; gerne und überfrachtet mit dem akademischen Sprachgebrauch, der auch nur unter seinesgleichen zu lesen ist. Der Otto-Normal-Historiker fühlt sich bei seiner Masse an Wissen und der fachspezifischen Dialektik schnell vor den Kopf gestoßen, was schade ist, denn der Inhalt ist reichlich und immer trefflich.

Gerade Koselleck, der sich 1941 freiwillig zur Wehrmacht meldete und erst nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft Geschichte studierte, hat bedeutende Geschichte selbst erlebt und verweist deswegen umso dringlicher auf die Erinnerung, unterstützt nachdrücklich die Fiktion des Faktischen, rüttelt dabei aber nur interepatotrisch an der Realität. Da kann man anderer Meinung sein, aber man sollte diese Meinung vorher gelesen haben.

Seine Stärken liegen zweifelsfrei in der Sinnlosigkeit, die wider den Unsinn die Geschichte ausmacht und ihr nichtsdestoweniger immerhin die grundlegende Kraft gibt. Mit diesen Überlegungen können alle Studenten und bereits ausgebildete Historiker punkten; so eine Zusammenstellung gehört einfach ins Bücherregal. Anspruchsvolle Fachfremde seien ebenfalls eingeladen, das Oeuvre dieses berühmten Wissenschaftlers kennenzulernen, es ist, um mit seinen eigenen Worten zu sprechen, eo ipso selbstreferentiell.

geschrieben am 12.07.2010 | 521 Wörter | 3575 Zeichen

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