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Lea


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Rezension von

Max Nimrod

Lea In Saint-Remy begegnen sich zufällig zwei Männer, sie sind Mitte fünfzig und waren früher beide in verantwortlicher Position tätig, Martijn van Vliet als Professor für Biokybernetik, Adian Herzog als bekannter Chirurg. Sie stammen beide aus Bern und treten gemeinsam die Rückreise an. Auf dieser erzählt Martijn die Geschichte seiner Tochter Lea. Die wenigen Tage, die sie zusammen verbringen, und das anrührende Schickal Martijns, verändern den Chirurgen, der am Ende eine überraschende Feststellung trifft: „Ich legte Miles Davis auf. Er löschte das Licht. Als der letzte Ton verklungen war, stand ich im Dunkeln auf, berührte ihn an der Schulter und ging ohne Worte aus der Wohnung. Nie habe ich größere Nähe erlebt.„ Martijn van Vliets Frau stirbt an Krebs, als die gemeinsame Tochter Lea acht Jahre alt ist; diese leidet stumm unter dem Tod und ist sehr schwierig. Bei der Begegnung mit einer Straßenmusikantin entflammt das Mädchen für das Geigenspiel, in den kommenden fünfzehn Jahren wird die Geige zu ihrer Passion und schließlich zu ihrem Verhängnis. Der Vater unterstützt und fördert Lea bei ihrer musikalischen Ausbildung mit allen Mitteln; unter Anleitung zweier außergewöhnlicher Geigenlehrer avanciert das Mädchen zu einer Musikerin, die Konzertsäle füllt und in den Medien größte Beachtung findet.Doch die Geschichte der schönen, jungen Virtuosin hat auch ihre Schattenseite: ihr Ehrgeiz ist grenzenlos, ihre Affekte sind oft unkontrollierbar, Aggression wechselt mit depressiver Verstimmung. Martijn van Vliet ist in seine Tochter vernarrt und tut alles für sie: er investiert sein ganzes Vermögen, er vernachlässigt seine berufliche Tätigkeit, gerät zunehmend in ein vereinsamtes und isoliertes Leben und schreckt am Ende selbst vor einer schweren Straftat nicht zurück, um Lea einen Weg zu ebnen, von dem er schon früh ahnt, dass er in einer Katastrophe münden wird... Pascal Mercier ist das Pseudonym von Peter Bieri, einem Professor für Philosophie. International bekannt wurde Mercier durch seinen Roman „Nachtzug nach Lissabon„ (2004), der bis heute 1,5 Millionen Mal verkauft und in fünfzehn Sprachen übersetzt wurde. Voraussichtlich wird die Novelle „Lea„ keinen so großen kommerziellen Erfolg haben, obwohl es sich um ein lesenswertes Buch handelt, das allerdings auch einige Schwächen aufweist. Der Leser erwartet nicht – auch dann nicht, wenn ein Autor Merciers beruflichen Hintergrund hat -, dass in einem literarischen Text die Behandlung eines philosophischen Problems miteinfließt. Die von Martijn van Vliet immer wieder aufgeworfene Frage: „... wäre es anders gekommen, wenn ich damals...„ ist überflüssig und nervt, zumal über die Frage hinaus nichts Erhellendes zu dem Spannungsfeld zwischen schicksalhafter Bestimmung des Menschen und seiner Willensfreiheit gesagt wird. Max Frisch, ein Landsmann von Mercier, schrieb vor über vierzig Jahren den Roman Homo Faber. Die Art, wie er das Thema Zufall-Notwendigkeit-individueller Wille behandelt – übrigens auch anhand einer Vater-Tochter-Beziehung – scheint mir gelungener. Eine Novelle hat eine „unerhörte Begebenheit„ zum Gegenstand. Das ist auch bei Merciers Werk der Fall, allerdings werden hier auch unrealistische Ereignisse erzählt. Wenn ein Chirurg in fortgeschrittenem Alter unter dem Eindruck der Geschichte und Persönlichkeit einer Zufallsbekanntschaft sich in seinen Einstellungen grundsätzlich zu ändern beginnt, klingt das einfach unglaubwürdig. Pascal Mercier, ein intelligenter und sehr wortgewandter Autor, ist mit der literarischen Tradition bestens vertraut. So ist es sicher kein Zufall, dass sich der Leser in mancherlei Hinsicht an eine literarische Epoche erinnert fühlt, die als „Poetischer Realismus„ bezeichnet wird und der Dichter wie Gottfried Keller und Theodor Strom zugerechnet werden. An Storm und Keller lassen neben der Textart (Novelle) und der Textstruktur (Rahmenerzählung, Retrospektive) vor allem auch die zahlreichen märchenhaften Elemente denken: eine geheimnisvolle Geigerin, ein steinreicher, verschrobener Greis, der das Leben eines Armen führt, ein nächtliches Geigenkonzert vor den Bewohnern eines Mietshauses...Ich denke, diese phantastischen (surrealen) Passagen sind Glanzlichter der Erzählung. Sie bewirken den Zauber und den Reiz, den viele Leser an etlichen deutschsprachigen Gegenwartsautoren vergeblich suchen und in den Büchern von Pascal Mercier finden.

In Saint-Remy begegnen sich zufällig zwei Männer, sie sind Mitte fünfzig und waren früher beide in verantwortlicher Position tätig, Martijn van Vliet als Professor für Biokybernetik, Adian Herzog als bekannter Chirurg. Sie stammen beide aus Bern und treten gemeinsam die Rückreise an. Auf dieser erzählt Martijn die Geschichte seiner Tochter Lea. Die wenigen Tage, die sie zusammen verbringen, und das anrührende Schickal Martijns, verändern den Chirurgen, der am Ende eine überraschende Feststellung trifft: „Ich legte Miles Davis auf. Er löschte das Licht. Als der letzte Ton verklungen war, stand ich im Dunkeln auf, berührte ihn an der Schulter und ging ohne Worte aus der Wohnung. Nie habe ich größere Nähe erlebt.„

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rezensiert seit
Buchtitel
1
27.12.2007

Martijn van Vliets Frau stirbt an Krebs, als die gemeinsame Tochter Lea acht Jahre alt ist; diese leidet stumm unter dem Tod und ist sehr schwierig. Bei der Begegnung mit einer Straßenmusikantin entflammt das Mädchen für das Geigenspiel, in den kommenden fünfzehn Jahren wird die Geige zu ihrer Passion und schließlich zu ihrem Verhängnis. Der Vater unterstützt und fördert Lea bei ihrer musikalischen Ausbildung mit allen Mitteln; unter Anleitung zweier außergewöhnlicher Geigenlehrer avanciert das Mädchen zu einer Musikerin, die Konzertsäle füllt und in den Medien größte Beachtung findet.Doch die Geschichte der schönen, jungen Virtuosin hat auch ihre Schattenseite: ihr Ehrgeiz ist grenzenlos, ihre Affekte sind oft unkontrollierbar, Aggression wechselt mit depressiver Verstimmung. Martijn van Vliet ist in seine Tochter vernarrt und tut alles für sie: er investiert sein ganzes Vermögen, er vernachlässigt seine berufliche Tätigkeit, gerät zunehmend in ein vereinsamtes und isoliertes Leben und schreckt am Ende selbst vor einer schweren Straftat nicht zurück, um Lea einen Weg zu ebnen, von dem er schon früh ahnt, dass er in einer Katastrophe münden wird...

Pascal Mercier ist das Pseudonym von Peter Bieri, einem Professor für Philosophie. International bekannt wurde Mercier durch seinen Roman „Nachtzug nach Lissabon„ (2004), der bis heute 1,5 Millionen Mal verkauft und in fünfzehn Sprachen übersetzt wurde. Voraussichtlich wird die Novelle „Lea„ keinen so großen kommerziellen Erfolg haben, obwohl es sich um ein lesenswertes Buch handelt, das allerdings auch einige Schwächen aufweist.

Der Leser erwartet nicht – auch dann nicht, wenn ein Autor Merciers beruflichen Hintergrund hat -, dass in einem literarischen Text die Behandlung eines philosophischen Problems miteinfließt. Die von Martijn van Vliet immer wieder aufgeworfene Frage: „... wäre es anders gekommen, wenn ich damals...„ ist überflüssig und nervt, zumal über die Frage hinaus nichts Erhellendes zu dem Spannungsfeld zwischen schicksalhafter Bestimmung des Menschen und seiner Willensfreiheit gesagt wird. Max Frisch, ein Landsmann von Mercier, schrieb vor über vierzig Jahren den Roman Homo Faber. Die Art, wie er das Thema Zufall-Notwendigkeit-individueller Wille behandelt – übrigens auch anhand einer Vater-Tochter-Beziehung – scheint mir gelungener.

Eine Novelle hat eine „unerhörte Begebenheit„ zum Gegenstand. Das ist auch bei Merciers Werk der Fall, allerdings werden hier auch unrealistische Ereignisse erzählt. Wenn ein Chirurg in fortgeschrittenem Alter unter dem Eindruck der Geschichte und Persönlichkeit einer Zufallsbekanntschaft sich in seinen Einstellungen grundsätzlich zu ändern beginnt, klingt das einfach unglaubwürdig.

Pascal Mercier, ein intelligenter und sehr wortgewandter Autor, ist mit der literarischen Tradition bestens vertraut. So ist es sicher kein Zufall, dass sich der Leser in mancherlei Hinsicht an eine literarische Epoche erinnert fühlt, die als „Poetischer Realismus„ bezeichnet wird und der Dichter wie Gottfried Keller und Theodor Strom zugerechnet werden. An Storm und Keller lassen neben der Textart (Novelle) und der Textstruktur (Rahmenerzählung, Retrospektive) vor allem auch die zahlreichen märchenhaften Elemente denken: eine geheimnisvolle Geigerin, ein steinreicher, verschrobener Greis, der das Leben eines Armen führt, ein nächtliches Geigenkonzert vor den Bewohnern eines Mietshauses...Ich denke, diese phantastischen (surrealen) Passagen sind Glanzlichter der Erzählung. Sie bewirken den Zauber und den Reiz, den viele Leser an etlichen deutschsprachigen Gegenwartsautoren vergeblich suchen und in den Büchern von Pascal Mercier finden.

Ăśbernahme von http://www.donaufisch.de/Nimrod/Mercier/mercier.html - (c) Max Nimrod
geschrieben am 27.12.2007 | 623 Wörter | 3863 Zeichen

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