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Aufzeichnungen eines glückseligen Dämons


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Rezension von

Anna Kneisel

Aufzeichnungen eines glückseligen Dämons Um Yang Lians Werk zumindest ansatzweise zu verstehen, ist es nötig, die Eckdaten seines Lebens zu kennen: Der Schriftsteller wurde 1955 in Bern als der Sohn chinesischer Diplomaten geboren. Er wuchs in Peking auf und wurde -wie damals üblich- in den 70er Jahren zur „Umerziehung durch die Bauern“ aufs Land geschickt. Während des Pekinger Frühlings veröffentlichte er erste Gedichte in der literarischen Untergrundzeitschrift „Jintian“, geriet jedoch durch sein dichterisches Schaffen ab 1983 in die Kritik im Rahmen der Kampagne „gegen geistige Verschmutzung“. Als sich 1989 das Massaker auf dem Tiananmen-Platz (zu Deutsch dem „Platz des Himmlischen Friedens“) ereignete, befand er sich gerade im Ausland. –Seitdem befindet er sich im Exil, heute lebt Yang Lian in London. Der renommierte Sinologe Wolfgang Kubin, Professor in Bonn, hat den vorliegenden Band, eine Mischung aus Gedichten und reflektierenden Prosatexten, übersetzt. Er sieht sich einer schwierigen Aufgabe gegenüber, denn Yang Lian bedient sich einer komplexen Sprache. Kubin kennt sich jedoch aus mit Yang Lians Literatur und sieht eine Veränderung in dessen Werk vom Beginn des Exils an. Ihm zufolge tritt der Bezug zu China zurück, weil dieses Land nicht mehr unmittelbar behandelt werde und der Schriftsteller sich immer mehr abendländischer Literatur und Philosophie zuwende – was nicht weiter überrascht in Anbetracht der schon sehr lang andauernden, nicht nur räumlichen Distanz des Autors zu China. Dennoch, so Kubin, bleibe seinen Werken die ihnen eigene Motivik erhalten, besonders das immer wieder auftauchende memento mori . Folgendes Gedicht ist ein Beispiel für eben dieses Motiv: Ein verbotenes Gedicht Mit 35 zu sterben, ist längst zu spät. Im Schoß hättest du beizeiten exekutiert werden sollen So wie dein Gedicht. Keine Not Für ein weißes Blatt Papier, ganz Grab zu sein. Ein Kind ohne Recht auf Geburt Verschließt seine Hand in täglichen Verbrechen. Fünf Finger faulen wie eine Schlange, die im Winterschlaf Sich verfängt. Augen faulen, sie fliehen einen bissigen Sturm. Dein Gesicht ist ein Tropfen Wasser bei zügiger Berührung. Gebeine zeichnen dem Weiß seine Spur. Dies ist ein Schwarm Aale in der tiefen See des Leibes, der seinen Weg sucht unter weißem Seegras. In bleicheren Rufen ist nur zu hören Finsternis. Fühllos glättet dich eine fremde Hand, ein Druckfehler wirst du nach und nach. Und die Nachgeburt, sie wird enger gewickelt, bis dein letztes Wort mit dir sterben geht. Wer stirbt, heute stirbt, wird eine Nachricht, übel und riechend. (S.11) Der fortwährende Bezug zum Tod und zum Sterben hat überhaupt nichts Melancholisches. Stattdessen wird der Leser überrascht, ja schockiert, denn die Worte weisen auf das unvermeidliche Ende eines jeden von uns hin. Einfach macht es der Autor seinem Publikum nicht mit der Dechiffrierung, mit dem Zugang zu seiner Lyrik. Die Erfahrung, dass man in manchen Ländern dieser Erde nicht uneingeschränkt seine Meinung sagen kann, dass man nicht das publizieren darf, was immer man möchte, schlägt sich eben auch in der Art und Weise nieder, wie sich betroffene Schriftsteller mitteilen. Wer sich auf die Lyrik dieses außergewöhnlichen Autors einlässt, wird feststellen, dass es sich lohnt, wenn er sich gegen das „blindlings Drauflosschreiben“ seiner chinesischen Kollegen wehrt, gegen „Chinesisch von Außen“. Für uns macht seine Pflege der chinesischen Sprache das Verständnis nicht einfacher, aber gerade das mag den Reiz seiner Dichtung ausmachen.

Um Yang Lians Werk zumindest ansatzweise zu verstehen, ist es nötig, die Eckdaten seines Lebens zu kennen: Der Schriftsteller wurde 1955 in Bern als der Sohn chinesischer Diplomaten geboren. Er wuchs in Peking auf und wurde -wie damals üblich- in den 70er Jahren zur „Umerziehung durch die Bauern“ aufs Land geschickt. Während des Pekinger Frühlings veröffentlichte er erste Gedichte in der literarischen Untergrundzeitschrift „Jintian“, geriet jedoch durch sein dichterisches Schaffen ab 1983 in die Kritik im Rahmen der Kampagne „gegen geistige Verschmutzung“. Als sich 1989 das Massaker auf dem Tiananmen-Platz (zu Deutsch dem „Platz des Himmlischen Friedens“) ereignete, befand er sich gerade im Ausland. –Seitdem befindet er sich im Exil, heute lebt Yang Lian in London.

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Der renommierte Sinologe Wolfgang Kubin, Professor in Bonn, hat den vorliegenden Band, eine Mischung aus Gedichten und reflektierenden Prosatexten, übersetzt. Er sieht sich einer schwierigen Aufgabe gegenüber, denn Yang Lian bedient sich einer komplexen Sprache. Kubin kennt sich jedoch aus mit Yang Lians Literatur und sieht eine Veränderung in dessen Werk vom Beginn des Exils an. Ihm zufolge tritt der Bezug zu China zurück, weil dieses Land nicht mehr unmittelbar behandelt werde und der Schriftsteller sich immer mehr abendländischer Literatur und Philosophie zuwende – was nicht weiter überrascht in Anbetracht der schon sehr lang andauernden, nicht nur räumlichen Distanz des Autors zu China. Dennoch, so Kubin, bleibe seinen Werken die ihnen eigene Motivik erhalten, besonders das immer wieder auftauchende memento mori . Folgendes Gedicht ist ein Beispiel für eben dieses Motiv:

Ein verbotenes Gedicht

Mit 35 zu sterben, ist längst zu spät.

Im Schoß hättest du beizeiten exekutiert werden sollen

So wie dein Gedicht. Keine Not

Für ein weißes Blatt Papier, ganz Grab zu sein.

Ein Kind ohne Recht auf Geburt

Verschließt seine Hand in täglichen Verbrechen.

Fünf Finger faulen wie eine Schlange, die im Winterschlaf

Sich verfängt.

Augen faulen, sie fliehen einen bissigen Sturm.

Dein Gesicht ist ein Tropfen Wasser bei zügiger Berührung.

Gebeine zeichnen dem Weiß seine Spur.

Dies ist ein Schwarm Aale in der tiefen See des Leibes,

der seinen Weg sucht unter weißem Seegras.

In bleicheren Rufen ist nur zu hören Finsternis.

Fühllos glättet dich eine fremde Hand,

ein Druckfehler wirst du nach und nach.

Und die Nachgeburt, sie wird enger gewickelt,

bis dein letztes Wort mit dir sterben geht.

Wer stirbt, heute stirbt,

wird eine Nachricht, übel und riechend.

(S.11)

Der fortwährende Bezug zum Tod und zum Sterben hat überhaupt nichts Melancholisches. Stattdessen wird der Leser überrascht, ja schockiert, denn die Worte weisen auf das unvermeidliche Ende eines jeden von uns hin. Einfach macht es der Autor seinem Publikum nicht mit der Dechiffrierung, mit dem Zugang zu seiner Lyrik. Die Erfahrung, dass man in manchen Ländern dieser Erde nicht uneingeschränkt seine Meinung sagen kann, dass man nicht das publizieren darf, was immer man möchte, schlägt sich eben auch in der Art und Weise nieder, wie sich betroffene Schriftsteller mitteilen.

Wer sich auf die Lyrik dieses außergewöhnlichen Autors einlässt, wird feststellen, dass es sich lohnt, wenn er sich gegen das „blindlings Drauflosschreiben“ seiner chinesischen Kollegen wehrt, gegen „Chinesisch von Außen“. Für uns macht seine Pflege der chinesischen Sprache das Verständnis nicht einfacher, aber gerade das mag den Reiz seiner Dichtung ausmachen.

geschrieben am 01.12.2009 | 534 Wörter | 2973 Zeichen

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