ISBN | 3940864315 | |
Buchreihe | Monsieur Mardi-Gras Unter Knochen | |
Autor | Ãric Liberge | |
Verlag | Splitter | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 64 | |
Erscheinungsjahr | 2008 | |
Extras | - |
Den Tod hatte sich der Kartograph Victor Tourtelle lebhafter vorgestellt. Nun sitzt er all seines Fleisches beraubt als gescheites, fĂŒnfsinniges Skelett inmitten einer unermesslichen WĂŒste unter einem schwarzen Himmel, an dem ein fahler Mond - oder ist es eine Sonne? - seine Bahn zieht und hadert mit dem Schicksal. Gerade, als er sich ganz der Langeweile der leeren Ădnis ergeben will, taucht am Horizont auf einem Fahrrad ein zweites Skelett auf, das sich als Postbote mit einem wichtigen Einschreiben fĂŒr den Verstorben vorstellt. Dieser Brief enthĂ€lt sowohl den neuen Namen, unter dem Tourtelle fortan in seiner neuen Welt wandeln soll - Mardi-Gras Aschermittwoch -, als auch die notwendige Registriernummer, die ihm der feinfĂŒhlige Beamte sogleich auf den Hinterkopf stempelt. Immerhin bietet der gute Mann sich an, den Orientierungslosen auf dem GepĂ€cktrĂ€ger seines Velozipedes mit in die Stadt im Königreich der TrĂ€nen zu nehmen.
Deren Anblick ĂŒberwĂ€ltig den ehemaligen Victor Tourtelle geradezu: UnzĂ€hlige Skelette drĂ€ngen sich durch ĂŒberfĂŒllte Gassen, einem Plan folgend, den er nicht durchschaut, und gigantische TĂŒrme unterschiedlichster architektonischer Stile recken sich gen Himmel.
Nicht nur, dass in dieser Situation des Staunens und RĂ€tselns sein FĂŒhrer, der Postbote, urplötzlich verschwunden ist, zusĂ€tzlich zieht sich Aschermittwoch durch sein ungestĂŒmes Auftreten den Zorn der MitbĂŒrger zu. Die nĂ€chste Zeit verbringt er damit, a) den Briefzusteller zu suchen, sowie b) die wichtigsten Regeln seiner neuen Heimstatt zu verinnerlichen, von denen die beiden wichtigsten lauten: Achte auf deine Knochen, denn sie sind alles, was du besitzt, und sie sind bei Verlust oder BeschĂ€digung nicht ohne Weiteres zu ersetzen. Sprich nicht ĂŒber Kaffee, denn Kaffe ist das, was die Toten am intensivsten und schmerzlichsten an ihr Vorleben erinnert. Und er findet sich in einem Intrigenspiel wieder, in welchem seine FĂ€higkeiten als Kartograph von zentraler Bedeutung zu sein scheinen.
âMr. Mardi-Gras Decendres 1: Bienvenueâ steht ganz in der Tradition des frankobelgischen Autorencomics, d.h. Ăric Liberge hat als Autor die Herrschaft ĂŒber die Geschichte und ist zugleich als Zeichner fĂŒr ihre grafische Umsetzung verantwortlich. Die damit einhergehende groĂe Chance, ein Comic âwie aus einem Gussâ zu kreieren, hat Liberge auf ĂŒberzeugende Art und Weise genutzt.
Er entwirft eine jenseitige Welt, die sich radikal von dem unterscheidet, was sich ein GlĂ€ubiger fĂŒr seine Existenz nach dem Tode erhofft. Das Königreich der TrĂ€nen scheint eine Art Limbus zu sein, ein Teil der Hölle, in dem man es sich gemĂŒtlichen machen könnte, wĂ€ren da nicht Vorschriften und Mit-Skelette, die einem das Nach-Leben mit ihren Regeln, ihren RĂ€nkespielen oder ihrer Persiflage einer Religion schwer machten.
Der Autor ĂŒberlĂ€sst es dem Leser, (fast) auf Augenhöhe mit Mardi-Gras Aschermittwoch die ersten zaghaften Schritte in ein bizarres Spiegeluniversum zu wagen, das einen Hauch von Dantes âGöttlicher Komödieâ und Kafkas âSchlossâ atmet, dessen Regeln erst nach und nach offenbar werden und in dem sich bis zum Schluss des vorliegenden Albums nicht abzeichnet, wer an welchen FĂ€den zieht oder worin die besondere Bedeutung des Kartographen fĂŒr diese Wesen liegt.
Das an Details reiche Artwork Liberges ist hinreiĂend. Auf der formalen Ebene beschrĂ€nkt er sich - mit einer einzigen Ausnahme - auf rechteckige, geschlossene Panels, deren freie Anordnung jedoch keiner anderen Vorgabe als der ErzĂ€hlstruktur folgt. Der KĂŒnstler schreckt selbst vor ganzseitigen Zeichnungen nicht zurĂŒck, was gerade beim AlbengroĂformat nicht immer unproblematisch ist, jedenfalls dann nicht, wenn - anders als bei Liberge - die zĂŒndende Idee hinter dem Bild fehlt.
Die Farbgebung ist durchgehend fast monochrom, d.h. dem Tiefe erzeugenden Schwarz stehen Grautöne - kein WeiĂ - gegenĂŒber, die extrem verhalten ins Gelbliche, GrĂŒnliche, BlĂ€uliche oder Rötliche spielen, wobei deren Nuanciertheit dennoch ausreicht, um eine lebendige Welt abzubilden.
Bemerkenswert ist, wie Liberge eine Untiefe des Hintergrundes grafisch gekonnt umschifft: Menschliche Skelette sind von Natur aus fĂŒr Nicht-Forensiker nur schwer unterscheidbar bzw. ĂŒberhaupt darstellbar; zudem fehlt es ihrer Physiognomie an AusdrucksfĂ€higkeit. Des ersten Problems entledigt sich Liberge dadurch, dass er die Figuren mit kleinen Accessoires, Ersatzteilen ausstattet, wobei er dafĂŒr storytechnisch die BegrĂŒndung gleich mitliefert. Das zweite Problem löst er im Wesentlichen durch das Fortlassen der ZĂ€hne, sodass er den âMĂŒndernâ - neben den Augenhöhlen - die maximale Beweglichkeit bzw. Ausdruckskraft zurĂŒckgibt.
Die Aufmachung des Comics kann sich zwar nicht ganz mit den kleineren DIN-A5-Hardcover-BĂ€nden des Cross-Cult-Verlags messen - insbesondere fehlt mir ein redaktioneller Teil -, jedoch gehört sie im Album-Markt-Segment zweifellos zur gehobenen Kategorie und weiĂ insbesondere durch den klaren Druck und die satten âFarbenâ zu ĂŒberzeugen.
Fazit: Eine humorvoll morbide Geschichte mit ernstem Unterton und ein leichtes, hinreiĂendes Artwork machen Liberges Comic zu einer Empfehlung fĂŒr jeden Freund des gehaltvoll Makabren.
geschrieben am 02.10.2008 | 732 Wörter | 4531 Zeichen
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