ISBN | 3406633099 | |
Autor | Erich Göhler | |
Verlag | C.H.Beck | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 1535 | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Extras | - |
Obwohl es seit der letzten Auflage aus dem Jahr 2009 weder wesentliche Neuerungen in der Gesetzgebung noch Aufsehen erregende Gerichtsentscheidungen gegeben hat, wurde die Neuauflage des Kommentars von Göhler, bearbeitet durch Gürtler und Seitz, mit Ungeduld erwartet. Denn die Rechtsprechung ist in Bußgeldsachen sehr aktiv, teilweise auch widersprechend hinsichtlich einzelner Obergerichte, sodass man Verlässlichkeit in einer der besten Zusammenfassungen zum Bußgeldrecht überhaupt sucht - dem Göhler. Dieser Kommentar ist und bleibt, soviel kann schon vorab konstatiert werden, das Standardwerk im Ordnungswidrigkeitenrecht, wenngleich es für Spezialfragen, etwa zum Verkehrsrecht, mittlerweile Einzeltitel gibt, die den Bedarf des Verteidigers und des Richters präziser abdecken (z.B. Krumm, Burhoff, Hentschel/König/Dauer etc.). Auf über 1500 Seiten wird der Leser nicht nur dogmatisch gründlich mit der Materie vertraut gemacht, sondern wird auch in der Argumentation in Details geschult, wenngleich man den Bearbeitern nicht in allen Fragen folgen möchte.
Die Gestaltung der Beck’schen Kurzkommentare ist seit je her ein kleiner Kritikpunkt meinerseits und im Göhler kulminiert dies nunmehr, sodass man sich für die nächste Auflage dringend eine Änderung wünscht: nicht nur sind die Hinweise auf Rechtsprechung und Literatur weiterhin im Fließtext untergebracht und damit höchst leseunfreundlich, sondern ältere und neuere Hinweise finden sich zudem in echten Fußnoten, eine echte Hürde für die Übersichtlichkeit. Ansonsten wird durch Fettdruck und Untergliederung eine akzeptable Lektüreführung geschaffen. Die Verzeichnisse sind ausführlich und praktisch angelegt.
Einige Aspekte dürfen stellvertretend herausgegriffen werden, um die oben vorweg genommene positive Einschätzung zu untermauern. Wert legen die meisten Nutzer auf die praktische Anwendung, d.h. die Verwertbarkeit im Prozess. Dass daneben das Ordnungswidrigkeitenrecht auch dem Grunde nach erläutert wird, rundet das Werk optimal ab, ist aber in der Praxis allenfalls Beiwerk.
Die Bemessung der Höhe der Geldbuße ist im Prozess oftmals ein schwieriges Thema, gerade bei hohen Geldbußen und/oder beim schweigenden Angeklagten. Die einzelnen Bemessungskriterien werden gut dargestellt (§ 17, Rn. 16 ff.), insbesondere die Ähnlichkeiten zur Strafzumessung nach § 46 StGB fallen ins Auge, aber auch die detailliert aufbereiteten Verbote der Berücksichtigung der beruflichen Stellung zum Zwecke der Bußgelderhöhung. Gut ist der Verweis auf die Behandlung von Jugendlichen (Rn. 21) und die Darstellung des Verhältnisses zum BKat (Rn. 27). Warum aber ab Rn. 28 das Absehen vom Fahrverbot in Einzelheiten thematisiert wird, ist nicht recht erklärlich - es passt zwar grob zur Frage „Erhöhen der Geldbuße bei Absehen vom Fahrverbot“, ist aber an dieser Stelle für den Leser ein unnötiger Gedankensprung. Stattdessen hätte die Frage der Feststellung des Einkommens bei nicht geringfügigen Geldbußen wesentlich genauer behandelt werden müssen als dies in Rn. 22 am Ende geschehen ist. Insbesondere fehlen Hinweise auf die Rechtsprechung, dass und wie das Gericht beim schweigenden Betroffenen anhand von Indizien auf ausreichende wirtschaftliche Verhältnisse rückschließen kann (z.B. OLG Köln, Beschl. v. 04.03.2011 - 1 RBs 42/11 - juris).
Die Pflichtverteidigung, selten in Bußgeldsachen, wird in § 60, Rn. 23 ff., ausführlich erläutert, sogar mit aktueller Rechtsprechung zur Beiordnung wegen Relevanz der Verwertung von Blutalkoholgutachten (wenngleich der in Fn. 3 am Ende zitierte BeckOK zumindest dem Rezensenten unbekannt ist: zum OWiG gibt es keinen, das Gesetz ist nicht mitbenannt). Aber auch hier fehlt es an einschlägiger neuerer Rechtsprechung, etwa fehlt OLG Dresden, Beschl. v. 30.08.2010 - Ss (OWi) 812/09 - juris.
Erstaunlich ist die immer noch contra die OLG-Rechtsprechung agierende Kommentierung zu § 73 OWiG und der Frage, wann der Entbindungsantrag gestellt werden darf: Immerhin kann Seitz weiterhin als abweichende Ansicht zitiert werden, aber die Meinung, dass man vor Beginn der Hauptverhandlung den Antrag nicht mehr stellen dürfe, vertritt neuerdings kein OLG ernsthaft (vgl. jüngst z.B. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 04.08.2011 - 1 SsBs 26/10 - ZfSch 2011, 708; OLG Naumburg, Beschl. v. 19.10.2010 - 1 Ss (Bz) 74/10 - VRR 2011, 74). Gelungen ist die Zusammenfassung zum notwendigen Vorliegen und Inhalt der Vertretungsvollmacht des Verteidigers, Rn. 26 ff.
Ganz hervorragend und auch in der Gerichtspraxis wunderbar einzusetzen sind die Kommentierungen zur Erzwingungshaft sowie zur Verhängung von Arbeitsauflage und Arrest gegen Jugendliche (§§ 96, 98 OWiG). Gerade die ausgiebige Thematisierung von Einzelheiten rund um die Norm, also Zuständigkeit, Rechtsbehelfe und Vollstreckung, erlauben ein sofortiges und zielgerichtetes Arbeiten am Fall auch für den Dezernatsanfänger. Sehr gut ist auch die Erläuterung der - ansonsten in der Praxis kaum bekannten - Möglichkeit, ein Verfahren nach § 47 OWiG z.B. gegen Arbeitsauflage vorläufig einzustellen; gerade bei Jugendlichen in der Probezeit des Führerscheins ist dies ein durchaus probates Mittel (vgl. § 47, Rn. 34).
Man könnte noch zahlreiche andere Normen heranziehen, um die Stärken des Kommentars zu loben und vereinzelte Schwächen zu beklagen. Aber letztlich ändern selbst letztere nichts am Gesamteindruck: ich halte den Göhler in der Praxis für unverzichtbar, sowohl für den Bußgeldrichter, den Verteidiger und den Fachanwalt für Verkehrsrecht. Man würde sich nur wünschen, dass die Neuauflagen jedes Jahr erscheinen, um der Rechtsprechungsflut besser Herr zu werden.
geschrieben am 09.08.2012 | 778 Wörter | 4919 Zeichen
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