ISBN | 3452280640 | |
Autor | Jan Bockemühl | |
Verlag | Heymanns | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 1968 | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Extras | - |
Bereits seit fünfzehn Jahren und nunmehr auch in der sechsten Auflage existiert das Handbuch des Fachanwalts Strafrecht. Den Fachanwaltstitel in diesem Bereich zu erwerben ist nicht nur wegen der formalen Hürden schwierig, auch den Spagat zwischen den Anforderungen des Mandanten und den Pflichten der Stellung als Organ der Rechtspflege muss man im Laufe der Tätigkeit erst einmal meistern. Hinzu kommen immer mehr Verpflichtungen zur medialen Präsenz, gerade wenn für einen Prozess mit Presseberichterstattung gerechnet werden muss. Und nebenbei soll der Verteidiger von seinem Tun auch noch leben und eine Kanzlei unterhalten können. All diese Parameter und noch viele weitere Aspekte berücksichtigt dieses meiner Ansicht nach hervorragende Handbuch - diese Einschätzung möchte ich durchaus schon vorwegnehmen.
Die Gestaltung des Handbuchs ist ganz klar auf die konkrete Rechtsanwendung fokussiert und bedient damit das Interesse des Lesers an einer gelungenen Kombination aus Darstellung und Umsetzung. Das Schriftbild ist übersichtlich, echte Fußnoten ermöglichen eine kontinuierliche Lektüre der Ausführungen und eine vorbildliche Menge an Beispielen, Formulierungshilfen, Hinweisen und Checklisten sorgt für den erforderlichen Transfer im Kopf des Lesers. Das Buch ist über jurion.de auch online verfügbar, sodass man z.B. auch in einer Verhandlungspause konkrete Fallgestaltungen nachlesen kann.
Gleich im ersten Teil des Werks wird die Rolle des Rechtsanwalts als Strafverteidiger umfassend gewürdigt. Neben der Rezeption der Rechtsprechung zur Geldwäsche und ihrer Bedeutung für den Verteidiger wird auch die schwierige Abgrenzung zwischen Täter und Organ der Rechtspflege in anderen Konstellationen kritisch hinterfragt, etwa bei der Strafvereitelung oder beim Parteiverrat. Sehr lesenswert sind die Erläuterungen zu den Rechten des Verteidigers gegenüber sitzungspolizeilichen Maßnahmen. Die beiden folgenden Teile befassen den Leser mit der Verteidigung in erster und zweiter Instanz, also vom Ermittlungsverfahren bis zur Revision. Mit über 500 Seiten Umfang stellen diese Ausführungen einen klaren und berechtigten Schwerpunkt des Handbuchs dar. Bemerkenswert ist auch hier, wie umfassend die Darstellung ausfällt, d.h. dass eben auch die Vorbereitungsarbeit des Verteidigers und die richtige Einschätzung der Situation für den Mandanten zu seinen Kernkompetenzen gehört, nicht nur das Reagieren auf behördliche und gerichtliche Maßnahmen. Nach einem kurzen Kapitel zum Wiederaufnahmeverfahren wird der Verteidigung in der Strafvollstreckung ein großer Abschnitt gewidmet. Sodann wird die Verteidigung in speziellen Verfahren in den Blickpunkt gerückt, darunter BtM-Verfahren, Steuerstrafsachen oder auch Jugendstrafsachen.
Ebenso berücksichtigt wird die Rolle des Verteidigers als Nebenklagevertreter, als Zeugenbeistand oder im Klageerzwingungsverfahren. Nach einem wiederum sehr umfangreichen Abschnitt zu allgemeinen, hier „instanzübergreifend“ genannten Fragen der Strafverteidigung, etwa zu Beweis- und Verwertungsverboten, zum Tatbegriff oder zur Strafzumessung, kann sich der Leser mit ergänzenden Themen beschäftigen. Dazu gehören der Umgang mit Sachverständigen, das Zusammenspiel zwischen Strafverteidigung und Medien und schließlich die anwaltliche Vergütung.
Einige ausgewählte Beispiele sollen die schon oben genannte Einschätzung zu diesem Handbuch unterstreichen, wobei diese als pars pro toto stehen. Im Kapitel zur Verteidigung in Verkehrsstrafsachen wird ein eigenes Unterkapitel den Verkehrsordnungswidrigkeiten gewidmet, keine Selbstverständlichkeit, wenn OWis eigentlich eher als notwendiges Übel neben „echter“ Strafverteidigung angesehen werden. Auf engem Raum werden in diesem Kapitel sogar das Wesentliche zur Strafbarkeit des Fahrens mit einer ausländischen Fahrerlaubnis oder auch das neue Registerrecht zusammengefasst. Im Kapitel zur Verteidigung in Sexualstrafverfahren hat mir besonders - auch aufgrund eigener Erfahrung als Vorsitzender in Jugendschutzsachen - der kleine aber feine Unterabschnitt zur Vernehmung kindlicher Zeugen imponiert. Hier betonen die Bearbeiter nicht nur die Notwendigkeit sprachlicher Disziplin gegenüber dem Kind, sondern auch die stete Vergegenwärtigung vorhandener entwicklungspsychologischer Erkenntnisse, die die Arbeit des Verteidigers beeinflussen können. Hinzu kommt die notwendige Aufdeckung der Umstände, die bei einer ersten Vernehmung ohne Beisein des Verteidigers vorlagen und maßgeblich in die Verschriftlichung einer Aussage eingeflossen sein können. Schließlich möchte ich das Kapitel zum Adhäsionsverfahren als positives Beispiel benennen, wo ebenfalls in wenigen Worten ganz essentielle Aspekte dieses Verfahrens benannt werden. Dies beginnt schon damit, dass für den Schmerzensgeldanspruch auf § 406 Abs. 1 S. 6 StPO hingewiesen wird, der dem Gericht wenigstens ein Grundurteil „aufnötigt“, auch wenn die Bemessung des Schmerzensgeldes mglw. über die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts hinausgehen würde. Ebenso wird das Recht zum Führen von Vergleichsverhandlungen benannt, was dem Strafprozess ja eher fremd ist.
Den einzigen Aspekt dieser Neuauflage, den ich ein wenig ungünstig finde - nicht inhaltlich, sondern für den Lesekomfort -, ist die Aufspaltung der Ausführungen zur Verfahrensverständigung in gleich mehrere Kapitel. So finden sich Darstellungen zur Absprache im Strafverfahren u.a. im Kapitel zu den Verkehrsstrafsachen, im Kapitel zu den instanzübergreifenden Rechtsfragen als eigener Abschnitt und in ebendiesem Kapitel noch einmal im Rahmen der Strafzumessung. Diese Vielfalt ist aber nicht einmal im Stichwortverzeichnis zur Gänze abgebildet. Hier sollte redaktionell in der Folgeauflage nachgebessert werden, u.a. durch interne Verweisungen und bessere Abstimmung der Gesamtdarstellung der Thematik.
Insgesamt bin ich von diesem Handbuch sehr angetan. Die Lektüre ist für jeden Strafverteidiger ein echter Gewinn, sowohl als Berufseinsteiger, aber auch als erfahrener Verteidiger, aber ebenso können Richter von diesem Handbuch sehr profitieren: denn das Verständnis für den Verteidiger als Gegenüber im Prozess ist eine wesentliche Voraussetzung für eine gute Verfahrenskommunikation.
geschrieben am 18.01.2015 | 802 Wörter | 5486 Zeichen
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