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Ästhetische Existenz - Ethische Existenz


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Ästhetische Existenz - Ethische Existenz Ein ästhetisches Leben gilt gemeinhin als Widerspruch zum ethischen Leben. Durch die Kulturgeschichte der vergangenen zweihundert Jahre zieht sich die Annahme dieses Entweder-Oder. Sozialcharaktere wie der Dandy, der Snob, der Flaneur stehen Spalier, um dieses Vorurteil zu bestätigen. Der jüngste Sammelband der Münchner edition text + kritik widmet sich dieser Frage, vielleicht einer Grundfrage der europäischen Kulturgeschichte. Die abgedruckten Studien basieren auf Tagungsreferaten des interdisziplinären Symposiums am Lehrstuhl für Ästhetik und Kunstwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Mai 2006. Dem Verlag ist zu verdanken, dass die intelligenten Beiträge nun einem breiteren Publikum zugänglich werden. Der Einführungsaufsatz von Helmut Fahrenbach will das Themenfeld wissenschaftlich abstecken und gerät dabei an seine Grenzen. Der größte Gewinn von Tagung und Band, die disziplinäre Engstirnigkeit gesprengt zu haben, gelangt hier beinahe in Vergessenheit. Der Aufsatz von Paolo D’Angelo trägt die Überschrift »Der Dandy als Beispiel ästhetischer Existenz«. Der Professor für Ästhetik an der Universität Roma Tre bleibt allerdings schuldig, was denn nun am Dandy ästhetisch ist. Er sieht das Wesen des Dandys in seiner Erscheinung. So kommt D’Angelo zu dem kaum überraschenden Schluss, vielmehr als sein besonders durchgestyltes Äußeres habe der Dandy nicht zu bieten. Der Römer zitiert die bekannten grundlegenden Definitionen von Baudelaire, Camus, d’Annunzio, leider ohne diesen Sozialtypus tatsächlich materiell festmachen zu können. Der Dandy könne »keinerlei soziale Veränderung anregen, schon allein aufgrund der Tatsache, dass ihm jegliche Form tätigen Handelns zuwider ist«. Das ist zwar richtig, aber nicht Grund allein. Jegliches politische Engagement sieht der Dandy als zutiefst sinnlos an. Karl Lagerfeld sagt, wenn man die Kulissen der Macht kenne, »hält man es für kindisch, über Politik zu reden«. Ernst Jünger bereute in seiner letzten Lebensphase, sich überhaupt engagiert zu haben: »Den Dandy kränkt mehr, wenn er ästhetisch, als wenn er moralisch nicht genügt.« D’Angelo kennt auch die bis heute unübertroffene Studie von Otto Mann von 1924. Mann schreibe, »dass der Dandy zum Zwecke der Herrschaft lebe«. Mann, der mit dieser Arbeit bei Karl Jaspers promovierte, unterscheidet jedoch zwischen sozialer und politischer Macht. Dem Dandy gehe es ausschließlich um erstere, argumentiert Mann. Der Dandy reflektiert seine Lage und kommt dabei zu dem Schluss, so wie die anderen in der sich modernisierenden Zeit nicht leben zu wollen. Ein Leben, das kreist um Erwerbsstreben, Karriere und dem Erfüllen der von der Gesellschaft an ihn gestellten Erwartungen, will er nicht führen. Er sieht in seiner Umgebung nur Mittelmaß, das ihn ästhetisch permanent verletzt. Daher legt er sich einen kalten Panzer des Ungerührtseins zu. Dieser ist für ihn essenziell zum Überleben notwendig. Übersehen wird von D’Angelo: Der Dandyismus ist eine Strategie des Selbstschutzes. Denn das kalte Gebaren des nil admiari schafft ihm die Freiheit, sich nicht rechtfertigen zu müssen und sich mit anderen gemein machen zu müssen. Mithin ist der Dandyismus eine Spielform menschlicher Souveränität. Die Essenz des dandysme ist das Aristokratophile. Zitieren wir Otto Mann, der dies scharf analysiert hat: „In der Aristokratie findet er alle Güter, deren Mangel ihn der Gegenwart entfremdet, die sicheren Instinkte für das Besondere, das doch im Rahmen des Allgemeinen bleibt, lange bewährte Tradition und in ihr Auslesung der Werte: Demokratie erscheint als der Zusammenschluß derer, die durch gegenseitige Versicherung aufhören wollen, sich ihrer Unwertigkeit zu schämen und wünschen, sie gerechtfertigt zu finden; die Aristokratie als Zusammenschluß derer, die dem höheren Einzelwert nachringen, die Gemeinschaft der Auserlesenen, Kulturtragenden, Verantwortungsvollen; Demokratie als der Wille, durch Masse zu wirken; Aristokratie hingegen als Wirkung durch Rang. So biegen diese Begriffe aus politischen Gegensätzen sich in wesenhafte um, als Gegensatz von Kultur und Zivilisation, von Wert und Unwert; Aristokratie wird erstrebt als Gebundenheit, Erfülltheit, Rang; Demokratie abgelehnt als Auflösung, Entseelung, Minderwertigkeit.“ Claudius Gellert befasst sich mit dem Gentleman-Ideal in der englischen Universitätstradition. Zu stark betont er dessen konservierende Folge für die englische Gesellschaft. Gerade zu Zeiten einer Generation doof ist die Bedeutung von Manieren, Vornehmheit und Bildung hervorzuheben. Gellert sieht die Funktion dieses Ideals heute vor allem darin, dem Wirtschaftssystem funktionierende Eliten zuzuführen. Doch benötigt man dafür Gentlemen? Nähme man dieses Ideal ernst, so müsste man dessen Tugenden wie Gerechtigkeit, Fairness und soziale Verantwortung, die ebenfalls subsumiert sind, betrachten. Auch widersprach der Gentleman dem Spezialistentum, das von der Welt isoliert. Würde das Gentleman-Ideal ehrlich gelebt, wäre es also eher ein Bollwerk gegen gesinnungslosen Kapitalismus. Weitere Beiträge seien erwähnt: Alfred Nordmann betrachtet unter ethischer Perspektive den Kitsch. Bertolt Fessen stellt Überlegungen an über den Sinn ästhetischer Kanons, Klaus Herding überlegt thesenartig, welche kulturhistorischen Veränderungen 1968 gebracht hat. Ein letzter Block des Bandes untersucht in acht Spezialthemen die Ethik ästhetischer Praxis. Der Band präsentiert Forschungs- und Diskussionsstand zum Thema. Er hat beinahe den Charakter eines Standardwerkes, - wird auf jeden Fall den Diskurs der nächsten Jahre mitbestimmen.

Ein ästhetisches Leben gilt gemeinhin als Widerspruch zum ethischen Leben. Durch die Kulturgeschichte der vergangenen zweihundert Jahre zieht sich die Annahme dieses Entweder-Oder. Sozialcharaktere wie der Dandy, der Snob, der Flaneur stehen Spalier, um dieses Vorurteil zu bestätigen.

weitere Rezensionen von Matthias Pierre Lubinsky


Der jüngste Sammelband der Münchner edition text + kritik widmet sich dieser Frage, vielleicht einer Grundfrage der europäischen Kulturgeschichte. Die abgedruckten Studien basieren auf Tagungsreferaten des interdisziplinären Symposiums am Lehrstuhl für Ästhetik und Kunstwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Mai 2006. Dem Verlag ist zu verdanken, dass die intelligenten Beiträge nun einem breiteren Publikum zugänglich werden.

Der Einführungsaufsatz von Helmut Fahrenbach will das Themenfeld wissenschaftlich abstecken und gerät dabei an seine Grenzen. Der größte Gewinn von Tagung und Band, die disziplinäre Engstirnigkeit gesprengt zu haben, gelangt hier beinahe in Vergessenheit.

Der Aufsatz von Paolo D’Angelo trägt die Überschrift »Der Dandy als Beispiel ästhetischer Existenz«. Der Professor für Ästhetik an der Universität Roma Tre bleibt allerdings schuldig, was denn nun am Dandy ästhetisch ist. Er sieht das Wesen des Dandys in seiner Erscheinung. So kommt D’Angelo zu dem kaum überraschenden Schluss, vielmehr als sein besonders durchgestyltes Äußeres habe der Dandy nicht zu bieten. Der Römer zitiert die bekannten grundlegenden Definitionen von Baudelaire, Camus, d’Annunzio, leider ohne diesen Sozialtypus tatsächlich materiell festmachen zu können.

Der Dandy könne »keinerlei soziale Veränderung anregen, schon allein aufgrund der Tatsache, dass ihm jegliche Form tätigen Handelns zuwider ist«. Das ist zwar richtig, aber nicht Grund allein. Jegliches politische Engagement sieht der Dandy als zutiefst sinnlos an. Karl Lagerfeld sagt, wenn man die Kulissen der Macht kenne, »hält man es für kindisch, über Politik zu reden«. Ernst Jünger bereute in seiner letzten Lebensphase, sich überhaupt engagiert zu haben: »Den Dandy kränkt mehr, wenn er ästhetisch, als wenn er moralisch nicht genügt.«

D’Angelo kennt auch die bis heute unübertroffene Studie von Otto Mann von 1924. Mann schreibe, »dass der Dandy zum Zwecke der Herrschaft lebe«. Mann, der mit dieser Arbeit bei Karl Jaspers promovierte, unterscheidet jedoch zwischen sozialer und politischer Macht. Dem Dandy gehe es ausschließlich um erstere, argumentiert Mann.

Der Dandy reflektiert seine Lage und kommt dabei zu dem Schluss, so wie die anderen in der sich modernisierenden Zeit nicht leben zu wollen. Ein Leben, das kreist um Erwerbsstreben, Karriere und dem Erfüllen der von der Gesellschaft an ihn gestellten Erwartungen, will er nicht führen. Er sieht in seiner Umgebung nur Mittelmaß, das ihn ästhetisch permanent verletzt. Daher legt er sich einen kalten Panzer des Ungerührtseins zu. Dieser ist für ihn essenziell zum Überleben notwendig. Übersehen wird von D’Angelo: Der Dandyismus ist eine Strategie des Selbstschutzes. Denn das kalte Gebaren des nil admiari schafft ihm die Freiheit, sich nicht rechtfertigen zu müssen und sich mit anderen gemein machen zu müssen. Mithin ist der Dandyismus eine Spielform menschlicher Souveränität.

Die Essenz des dandysme ist das Aristokratophile. Zitieren wir Otto Mann, der dies scharf analysiert hat: „In der Aristokratie findet er alle Güter, deren Mangel ihn der Gegenwart entfremdet, die sicheren Instinkte für das Besondere, das doch im Rahmen des Allgemeinen bleibt, lange bewährte Tradition und in ihr Auslesung der Werte: Demokratie erscheint als der Zusammenschluß derer, die durch gegenseitige Versicherung aufhören wollen, sich ihrer Unwertigkeit zu schämen und wünschen, sie gerechtfertigt zu finden; die Aristokratie als Zusammenschluß derer, die dem höheren Einzelwert nachringen, die Gemeinschaft der Auserlesenen, Kulturtragenden, Verantwortungsvollen; Demokratie als der Wille, durch Masse zu wirken; Aristokratie hingegen als Wirkung durch Rang. So biegen diese Begriffe aus politischen Gegensätzen sich in wesenhafte um, als Gegensatz von Kultur und Zivilisation, von Wert und Unwert; Aristokratie wird erstrebt als Gebundenheit, Erfülltheit, Rang; Demokratie abgelehnt als Auflösung, Entseelung, Minderwertigkeit.“

Claudius Gellert befasst sich mit dem Gentleman-Ideal in der englischen Universitätstradition. Zu stark betont er dessen konservierende Folge für die englische Gesellschaft. Gerade zu Zeiten einer Generation doof ist die Bedeutung von Manieren, Vornehmheit und Bildung hervorzuheben. Gellert sieht die Funktion dieses Ideals heute vor allem darin, dem Wirtschaftssystem funktionierende Eliten zuzuführen. Doch benötigt man dafür Gentlemen? Nähme man dieses Ideal ernst, so müsste man dessen Tugenden wie Gerechtigkeit, Fairness und soziale Verantwortung, die ebenfalls subsumiert sind, betrachten. Auch widersprach der Gentleman dem Spezialistentum, das von der Welt isoliert. Würde das Gentleman-Ideal ehrlich gelebt, wäre es also eher ein Bollwerk gegen gesinnungslosen Kapitalismus.

Weitere Beiträge seien erwähnt: Alfred Nordmann betrachtet unter ethischer Perspektive den Kitsch. Bertolt Fessen stellt Überlegungen an über den Sinn ästhetischer Kanons, Klaus Herding überlegt thesenartig, welche kulturhistorischen Veränderungen 1968 gebracht hat. Ein letzter Block des Bandes untersucht in acht Spezialthemen die Ethik ästhetischer Praxis.

Der Band präsentiert Forschungs- und Diskussionsstand zum Thema. Er hat beinahe den Charakter eines Standardwerkes, - wird auf jeden Fall den Diskurs der nächsten Jahre mitbestimmen.

geschrieben am 22.07.2008 | 769 Wörter | 4822 Zeichen

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