Navigation

Seiten der Rubrik "Bücher"


Google Anzeigen

Anzeigen

Bücher

Freaks of the Heartland


Statistiken
  • 5703 Aufrufe

Informationen zum Buch
  ISBN
  Autoren
  Verlag
  Sprache
  Seiten
  Erscheinungsjahr
  Extras

Rezension von

Frank Drehmel

Freaks of the Heartland Tief im weiten, verlassenen Herzen Amerikas liegt Gristlewood Valley. Es ist die Heimat des kleinen Trevor Owen und seiner Eltern, dem trunksĂŒchtigen Vater Henry und der schweigsamen Mutter Marion. Ohne Freunde oder Spielkameraden fristet der Junge ein einsames Dasein und nur die Fantasie lĂ€sst ihn aus der Monotonie, der Freudlosigkeit des harten, bĂ€uerlichen Lebens ausbrechen. Und dann ist da noch Trevors Bruder Will. Körperlich entstellt, von riesenhaftem Wuchs, mit kindlicher Seele und kaum der Sprache mĂ€chtig lebt er seit seiner Geburt angekettet in einer alten Scheune. FĂŒr den Vater ist er wenig mehr als ein Tier, das er bisher nur deshalb nicht getötet hat, weil es das Kind seiner Frau ist und weil der Prediger des Ortes den Mord nicht gutheißen wĂŒrde. Eines Tages wird in Gristlewood Valley ein Verbrechen verĂŒbt, fĂŒr das Henry eines “der Kinder” der anderen Einwohner verantwortlich macht. Dadurch erfĂ€hrt Trevor, dass es noch andere wie Will geben muss, andere “Mutanten”, die, von ihren Eltern in Kellern und verlassenen Scheunen eingekerkert, ein unmenschliches Leben fĂŒhren mĂŒssen. Als der Vater im Zuge des Verbrechens den Entschluss fasst, Will zu töten, befreit Trevor unter tragischen UmstĂ€nden, bei denen Henry den Tod findet, seinen Bruder und flieht gemeinsam mit ihm zunĂ€chst in die Weiten des Herzlandes, um die zu suchen, die so sind wie Will. Schon bald befinden sich fĂŒnf Kinder auf der Flucht vor ihren VĂ€tern: Trevor und Will, Maggie und ihr mutierter Bruder Roy sowie Hank, der rein Ă€ußerlich tatsĂ€chlich mehr einem Tier denn einem Menschen gleicht. Sie fassen den naiven Plan, in der Großstadt, die sie nur aus den ErzĂ€hlungen ihrer Eltern kennen, Schutz vor deren entfesselter Wut zu suchen. Als sie schließlich die Lichter der Stadt vor sich sehen, erkennen sie, dass auch dort Trevors Bruder und seine Leidensgenossen Ausgestoßene sein wĂŒrden. Resigniert beschließt Will daraufhin, sich den Verfolgern zu stellen, und auch der Rest der Gruppe sieht ein, dass ihnen keine andere Wahl bleibt. Als die VĂ€ter sie erreichen, kommt es zu einem Blutbad. Vielen Lesern dĂŒrfte der Amerikaner Steve Niles als (Drehbuch)Autor von “30 Days of Night” ein Begriff sein. Ein Blick in seine Vita macht deutlich, dass eine AffinitĂ€t zum DĂŒsteren, Makabren und Skurrilen sein Oeuvre durchzieht, die sowohl in plakativem Gore und Splatter, als auch - wie im vorliegenden Comic - in einem feinen, fast schon poetischen Horror ihren Ausdruck findet. Das grundlegend Unheimliche, das BeĂ€ngstigende von Niles’ “Freaks of the Heartland” ist die UniversalitĂ€t, die diese in der amerikanischen bĂ€uerlichen Einsamkeit angesiedelte Story ausstrahlt, das GefĂŒhl, die Ahnung, dass die geschilderten Ereignisse - abgesehen von einigen metaphysischen Aspekten - eben nicht jenseits der Vorstellungskraft liegen, sondern auch in dĂŒnn besiedelten Gegenden unseres Landes, ja selbst in den isolierten Wohnsilos von TrabantenstĂ€dten “denkbar” sind. Es ist die Erfahrung bezĂŒglich unseres Umganges mit unseren Kindern, die tĂ€glich erlebte Ausgrenzung des Fremden, des Anderen, die das Grauen dieser Story so greifbar macht. BeĂ€ngstigend ist darĂŒber hinaus, dass man - und das ist eine großartige Leistung von Niles und Ruth - einige Augenblicke lang tatsĂ€chlich mit den TĂ€tern, den VĂ€tern, den wahren Freaks mitfĂŒhlt, ein Anflug von VerstĂ€ndnis Raum greift, denn Will wirkt trotz aller kindlicher Unschuld wegen seiner verspielten Wildheit bedrohlich. Erst in dem Moment, in dem Trevor der mutmaßlichen Gefahr souverĂ€n, unaufgeregt und letztlich voller Liebe begegnet, erkennen wir unseren Irrtum, erkennen, dass das Bedrohliche eine Ausgeburt unserer Geisteshaltung ist. NatĂŒrlich bedient sich der Autor bei der Zeichnung der Charaktere bestimmter Stereotype - trinkender, gewalttĂ€tiger Vater, sprachlose Mutter, unschuldiges Kind -, um die Geschichte fĂŒr uns erfahrbarer zu machen, durchbricht diese Stereotype jedoch immer wieder, bspw. indem er die sentimentale Seite des Vaters zeigt, die Mutter einen tonlosen, “ultimativen Schrei” ausstoßen lĂ€sst oder Will vom Opfer zu einer Person macht, die Widerstand leistet. Dabei vermeidet Niles den großen, hohlen Pathos, sondern formuliert seine emotionalen Appelle bevorzugt in kleinen, fast beilĂ€ufigen Gesten. Vom Aufbau Ă€hnelt “Freaks of the Heartland” deutlich einer surrealistisch eingefĂ€rbten Kurzgeschichte, in der die tragenden Charaktere nach einer kurzen EinfĂŒhrung ihren DĂ€monen begegnen, in der die Ereignisse innerhalb kurzer Zeit kulminieren, die ein offenes - fĂŒr das Genre ĂŒberraschendes - Ende hat und in der kaum Raum fĂŒr ausschweifende ErklĂ€rungen oder BegrĂŒndungen ist. Die Welt ist, wie sie ist; und die Figuren mĂŒssen sich ihr stellen. Damit kommen wir zum Artwork Greg Ruths, in dem eben jene oben angefĂŒhrten Gesten, die Ambivalenz der Figuren, das BedrĂŒckende und die (moralische) Enge der weiten, wogenden Felder der Heartlands grandios, mitreißend visualisiert werden. Greg Ruth dĂŒrfte fĂŒr die meisten Leser in Deutschland - im Gegensatz zu Niles - ein relativ unbeschriebenes Blatt sein, da sich sein Comic-Schaffen bisher in ĂŒberschaubaren Grenzen hĂ€lt und sein beruflicher Fokus eher auf Illustrationen von BĂŒchern lag. SpĂ€testens mit “Freaks of the Heartland” ist Ruth jedoch in die Riege der großen Comic-KĂŒnstler vorgestoßen. In seinen in Farbgebung, Dynamik und der sachten Auflösung der Figuren oft ins Surrealistische spielenden Bildern kann er seine Herkunft als Illustrator kaum verleugnen. Ruth folgt einem malerischen Ansatz, dem man das Ringen um Perspektiven, Posen und Inhalte anmerkt; d.h. seine Bilder wirken in der Regel nicht mit leichter Hand gezeichnet, sondern durchkomponiert und so erdig, schwer wie die Geschichte Niles’. In der Koloration beschrĂ€nkt er sich im Wesentlichen auf eine sehr reduzierte Palette aus trĂŒben GelbgrĂŒn-, Graublau- und Brauntönen, wobei die meisten Seiten monochrom und ohne herausragende Farbakzente gehalten sind. Redaktionell wird das hervorragend edierte Hardcover-Comic durch zwei Interviews ergĂ€nzt, welche Christian Endres mit Niles und Ruth fĂŒhren durfte, durch einen Einblick in das Skizzenbuch des KĂŒnstlers sowie ein Kurz-Vita von Autor und Zeichner. Fazit: Die ergreifende, poetische Story und das grandiose, expressive Artwork machen “Freaks of the Heartland” zu einem Must-have fĂŒr jeden Fan dunkler Comics.

Tief im weiten, verlassenen Herzen Amerikas liegt Gristlewood Valley. Es ist die Heimat des kleinen Trevor Owen und seiner Eltern, dem trunksĂŒchtigen Vater Henry und der schweigsamen Mutter Marion. Ohne Freunde oder Spielkameraden fristet der Junge ein einsames Dasein und nur die Fantasie lĂ€sst ihn aus der Monotonie, der Freudlosigkeit des harten, bĂ€uerlichen Lebens ausbrechen.

weitere Rezensionen von Frank Drehmel

#
rezensiert seit
Buchtitel
1
18.02.2018
4
18.02.2018
5
18.02.2018

Und dann ist da noch Trevors Bruder Will. Körperlich entstellt, von riesenhaftem Wuchs, mit kindlicher Seele und kaum der Sprache mĂ€chtig lebt er seit seiner Geburt angekettet in einer alten Scheune. FĂŒr den Vater ist er wenig mehr als ein Tier, das er bisher nur deshalb nicht getötet hat, weil es das Kind seiner Frau ist und weil der Prediger des Ortes den Mord nicht gutheißen wĂŒrde.

Eines Tages wird in Gristlewood Valley ein Verbrechen verĂŒbt, fĂŒr das Henry eines “der Kinder” der anderen Einwohner verantwortlich macht. Dadurch erfĂ€hrt Trevor, dass es noch andere wie Will geben muss, andere “Mutanten”, die, von ihren Eltern in Kellern und verlassenen Scheunen eingekerkert, ein unmenschliches Leben fĂŒhren mĂŒssen.

Als der Vater im Zuge des Verbrechens den Entschluss fasst, Will zu töten, befreit Trevor unter tragischen UmstÀnden, bei denen Henry den Tod findet, seinen Bruder und flieht gemeinsam mit ihm zunÀchst in die Weiten des Herzlandes, um die zu suchen, die so sind wie Will.

Schon bald befinden sich fĂŒnf Kinder auf der Flucht vor ihren VĂ€tern: Trevor und Will, Maggie und ihr mutierter Bruder Roy sowie Hank, der rein Ă€ußerlich tatsĂ€chlich mehr einem Tier denn einem Menschen gleicht. Sie fassen den naiven Plan, in der Großstadt, die sie nur aus den ErzĂ€hlungen ihrer Eltern kennen, Schutz vor deren entfesselter Wut zu suchen. Als sie schließlich die Lichter der Stadt vor sich sehen, erkennen sie, dass auch dort Trevors Bruder und seine Leidensgenossen Ausgestoßene sein wĂŒrden.

Resigniert beschließt Will daraufhin, sich den Verfolgern zu stellen, und auch der Rest der Gruppe sieht ein, dass ihnen keine andere Wahl bleibt.

Als die VĂ€ter sie erreichen, kommt es zu einem Blutbad.

Vielen Lesern dĂŒrfte der Amerikaner Steve Niles als (Drehbuch)Autor von “30 Days of Night” ein Begriff sein. Ein Blick in seine Vita macht deutlich, dass eine AffinitĂ€t zum DĂŒsteren, Makabren und Skurrilen sein Oeuvre durchzieht, die sowohl in plakativem Gore und Splatter, als auch - wie im vorliegenden Comic - in einem feinen, fast schon poetischen Horror ihren Ausdruck findet.

Das grundlegend Unheimliche, das BeĂ€ngstigende von Niles’ “Freaks of the Heartland” ist die UniversalitĂ€t, die diese in der amerikanischen bĂ€uerlichen Einsamkeit angesiedelte Story ausstrahlt, das GefĂŒhl, die Ahnung, dass die geschilderten Ereignisse - abgesehen von einigen metaphysischen Aspekten - eben nicht jenseits der Vorstellungskraft liegen, sondern auch in dĂŒnn besiedelten Gegenden unseres Landes, ja selbst in den isolierten Wohnsilos von TrabantenstĂ€dten “denkbar” sind. Es ist die Erfahrung bezĂŒglich unseres Umganges mit unseren Kindern, die tĂ€glich erlebte Ausgrenzung des Fremden, des Anderen, die das Grauen dieser Story so greifbar macht.

BeĂ€ngstigend ist darĂŒber hinaus, dass man - und das ist eine großartige Leistung von Niles und Ruth - einige Augenblicke lang tatsĂ€chlich mit den TĂ€tern, den VĂ€tern, den wahren Freaks mitfĂŒhlt, ein Anflug von VerstĂ€ndnis Raum greift, denn Will wirkt trotz aller kindlicher Unschuld wegen seiner verspielten Wildheit bedrohlich. Erst in dem Moment, in dem Trevor der mutmaßlichen Gefahr souverĂ€n, unaufgeregt und letztlich voller Liebe begegnet, erkennen wir unseren Irrtum, erkennen, dass das Bedrohliche eine Ausgeburt unserer Geisteshaltung ist.

NatĂŒrlich bedient sich der Autor bei der Zeichnung der Charaktere bestimmter Stereotype - trinkender, gewalttĂ€tiger Vater, sprachlose Mutter, unschuldiges Kind -, um die Geschichte fĂŒr uns erfahrbarer zu machen, durchbricht diese Stereotype jedoch immer wieder, bspw. indem er die sentimentale Seite des Vaters zeigt, die Mutter einen tonlosen, “ultimativen Schrei” ausstoßen lĂ€sst oder Will vom Opfer zu einer Person macht, die Widerstand leistet.

Dabei vermeidet Niles den großen, hohlen Pathos, sondern formuliert seine emotionalen Appelle bevorzugt in kleinen, fast beilĂ€ufigen Gesten.

Vom Aufbau Ă€hnelt “Freaks of the Heartland” deutlich einer surrealistisch eingefĂ€rbten Kurzgeschichte, in der die tragenden Charaktere nach einer kurzen EinfĂŒhrung ihren DĂ€monen begegnen, in der die Ereignisse innerhalb kurzer Zeit kulminieren, die ein offenes - fĂŒr das Genre ĂŒberraschendes - Ende hat und in der kaum Raum fĂŒr ausschweifende ErklĂ€rungen oder BegrĂŒndungen ist. Die Welt ist, wie sie ist; und die Figuren mĂŒssen sich ihr stellen.

Damit kommen wir zum Artwork Greg Ruths, in dem eben jene oben angefĂŒhrten Gesten, die Ambivalenz der Figuren, das BedrĂŒckende und die (moralische) Enge der weiten, wogenden Felder der Heartlands grandios, mitreißend visualisiert werden.

Greg Ruth dĂŒrfte fĂŒr die meisten Leser in Deutschland - im Gegensatz zu Niles - ein relativ unbeschriebenes Blatt sein, da sich sein Comic-Schaffen bisher in ĂŒberschaubaren Grenzen hĂ€lt und sein beruflicher Fokus eher auf Illustrationen von BĂŒchern lag. SpĂ€testens mit “Freaks of the Heartland” ist Ruth jedoch in die Riege der großen Comic-KĂŒnstler vorgestoßen.

In seinen in Farbgebung, Dynamik und der sachten Auflösung der Figuren oft ins Surrealistische spielenden Bildern kann er seine Herkunft als Illustrator kaum verleugnen. Ruth folgt einem malerischen Ansatz, dem man das Ringen um Perspektiven, Posen und Inhalte anmerkt; d.h. seine Bilder wirken in der Regel nicht mit leichter Hand gezeichnet, sondern durchkomponiert und so erdig, schwer wie die Geschichte Niles’.

In der Koloration beschrĂ€nkt er sich im Wesentlichen auf eine sehr reduzierte Palette aus trĂŒben GelbgrĂŒn-, Graublau- und Brauntönen, wobei die meisten Seiten monochrom und ohne herausragende Farbakzente gehalten sind.

Redaktionell wird das hervorragend edierte Hardcover-Comic durch zwei Interviews ergĂ€nzt, welche Christian Endres mit Niles und Ruth fĂŒhren durfte, durch einen Einblick in das Skizzenbuch des KĂŒnstlers sowie ein Kurz-Vita von Autor und Zeichner.

Fazit: Die ergreifende, poetische Story und das grandiose, expressive Artwork machen “Freaks of the Heartland” zu einem Must-have fĂŒr jeden Fan dunkler Comics.

geschrieben am 11.10.2008 | 931 Wörter | 5539 Zeichen

Kommentare lesen Kommentar schreiben

Kommentare zur Rezension (0)

Platz für Anregungen und Ergänzungen