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Endzeit Europa


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Endzeit Europa »Wir hatten Hörsäle, Schulbänke und Werktische verlassen und waren in den kurzen Ausbildungswochen zu einem großen, begeisterten Körper zusammengeschmolzen«, beschreibt Ernst Jünger auf der ersten Seite seines wohl berühmtesten Buches die Stimmung, die 1914 Deutschland erfasst hatte. »Aufgewachsen in einem Zeitalter der Sicherheit«, schreibt er weiter, »fühlten wir alle die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach der großen Gefahr. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch. In einem Regen von Blumen waren wir hinausgezogen, in einer trunkenen Stimmung von Rosen und Blut. Der Krieg mußte es uns ja bringen, das Große, Starke, Feierliche. Er schien uns männliche Tat, ein fröhliches Schützengefecht auf blumigen, blutbetauten Wiesen.« Jünger schuf mit »In Stahlgewittern« das wohl bekannteste Buch zum Ersten Weltkrieg neben Erich Maria Remarques »Im Westen nichts Neues«. Es basiert auf den kleinen Tagebuchkladden, die Jünger stets mit sich führte und in die er das Erlebte notierte. Das aus diesen Aufzeichnungen Extrahierte, das spätere Buch, ist jedoch eine Stilisierung. Denn vergleicht man diese Aufzeichnungen, die mittlerweile im Marbacher Literaturarchiv liegen, mit dem veröffentlichten Text, so stellt man fest, dass Jünger sich und sein Handeln massiv heroisierte. In seinen authentischen Aufzeichnungen liest man nämlich: »Wann hat dieser Scheißkrieg eine Ende?« Dieser Satz findet sich nun in ein einem großartigen Begleitband einer großartigen Ausstellung wieder. »Endzeit Europa«, heißen Buch und Ausstellung. Die Schau der Zitate wird am 11. November 2008 im Kurt Tucholsky Literaturmuseum im Schloss Rheinsberg eröffnet. Sie wandert dann anschließend nach Potsdam, Finsterwalde, Erkner, und Oranienburg. Dadurch wird die Ausstellung bis Mitte Januar 2010 in Brandenburg zu sehen sein. Präsentiert werden Texte von über 100 deutschen und französischen Schriftstellern, Intellektuellen und Künstlern, die eben nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren. Es ist sozusagen die private, die persönliche Sichtweise. Sie ist häufig intimer, sensibilisierter und weniger gestylt als das, was derselbe Autor veröffentlicht hat. Sie ist authentischer und vielleicht ehrlicher. Ein weiteres Plus ist die große Anzahl von Autoren und Zitaten, die tatsächlich, wie die Ausstellungsbeschreibung formuliert, eine Art kollektives Tagebuch entstehen lässt. So ist es nur stimmig, dass man Walter Kempowski um ein Geleitwort gebeten hat. »Mehr als die unzähligen Pamphlete, Aufrufe und Gegenaufrufe […] geben die privaten Briefe und Tagebücher preis, wie die deutschsprachigen Schriftsteller und Künstler die Zeit erlebten, was sie über Kriegsverlauf und Kriegsschuld, über Niederlage und Revolution dachten.« Schade, dass Kempowski die Ausstellung selbst nicht mehr erlebt. Die Fülle des Materials ist es, die eine Collage schafft und damit soetwas wie einen geistigen Begleittext zum damaligen Kriegsgeschehen, der europäischen Geist haucht. Ausstellung und Begleitband werden ästhetisch-kongenial ergänzt durch zeitgenössische Farbphotografien. Sie stammen zum einen vom Stuttgarter Photographen Hans Hildenbrand, der auf deutscher Seite die einzigen Farbaufnahmen von der Front schuf. Sie erscheinen zum ersten Mal gesammelt im Buch. Der andere Teil der Farbphotos ist vom Franzosen Jules Gervais-Courtellemont. Er ist der einzige Photograph, der auf der Seite der Mittelmächte Farbaufnahmen vom Kriegsgeschehen machte. Stärker als bisher bekannte Schwarz-Weiß-Aufnahmen lassen sie die Bestialität und den Höllencharakter dieses Stellungskrieges anschaulich werden. »Ich habe mich verheiratet«, berichtet Klabund in einem Brief an Walter Heinrich-Unus vom 30. Juni 1918 und schwärmt von seiner neuen Frau. Jedoch: »Was von draußen, von der Welt, hereinfliegt, ist mißtönig und übellaut. Die praktische Vernunft – wo ist sie hin?« Diese Frage wird vielfach auch heute wieder gestellt. Anlass genug, zu studieren, wie Intellektuelle und Künstler in einer vorhergehenden weltweiten Umruchszeit mit dieser umgegangen sind. Ausstellung und Begleitband dieses kulturellen Highlights in Brandenburg seien möglichst viele Besucher und Leser gewünscht.

»Wir hatten Hörsäle, Schulbänke und Werktische verlassen und waren in den kurzen Ausbildungswochen zu einem großen, begeisterten Körper zusammengeschmolzen«, beschreibt Ernst Jünger auf der ersten Seite seines wohl berühmtesten Buches die Stimmung, die 1914 Deutschland erfasst hatte. »Aufgewachsen in einem Zeitalter der Sicherheit«, schreibt er weiter, »fühlten wir alle die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach der großen Gefahr. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch. In einem Regen von Blumen waren wir hinausgezogen, in einer trunkenen Stimmung von Rosen und Blut. Der Krieg mußte es uns ja bringen, das Große, Starke, Feierliche. Er schien uns männliche Tat, ein fröhliches Schützengefecht auf blumigen, blutbetauten Wiesen.«

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Jünger schuf mit »In Stahlgewittern« das wohl bekannteste Buch zum Ersten Weltkrieg neben Erich Maria Remarques »Im Westen nichts Neues«. Es basiert auf den kleinen Tagebuchkladden, die Jünger stets mit sich führte und in die er das Erlebte notierte. Das aus diesen Aufzeichnungen Extrahierte, das spätere Buch, ist jedoch eine Stilisierung. Denn vergleicht man diese Aufzeichnungen, die mittlerweile im Marbacher Literaturarchiv liegen, mit dem veröffentlichten Text, so stellt man fest, dass Jünger sich und sein Handeln massiv heroisierte. In seinen authentischen Aufzeichnungen liest man nämlich: »Wann hat dieser Scheißkrieg eine Ende?«

Dieser Satz findet sich nun in ein einem großartigen Begleitband einer großartigen Ausstellung wieder. »Endzeit Europa«, heißen Buch und Ausstellung. Die Schau der Zitate wird am 11. November 2008 im Kurt Tucholsky Literaturmuseum im Schloss Rheinsberg eröffnet. Sie wandert dann anschließend nach Potsdam, Finsterwalde, Erkner, und Oranienburg. Dadurch wird die Ausstellung bis Mitte Januar 2010 in Brandenburg zu sehen sein.

Präsentiert werden Texte von über 100 deutschen und französischen Schriftstellern, Intellektuellen und Künstlern, die eben nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren. Es ist sozusagen die private, die persönliche Sichtweise. Sie ist häufig intimer, sensibilisierter und weniger gestylt als das, was derselbe Autor veröffentlicht hat. Sie ist authentischer und vielleicht ehrlicher. Ein weiteres Plus ist die große Anzahl von Autoren und Zitaten, die tatsächlich, wie die Ausstellungsbeschreibung formuliert, eine Art kollektives Tagebuch entstehen lässt. So ist es nur stimmig, dass man Walter Kempowski um ein Geleitwort gebeten hat. »Mehr als die unzähligen Pamphlete, Aufrufe und Gegenaufrufe […] geben die privaten Briefe und Tagebücher preis, wie die deutschsprachigen Schriftsteller und Künstler die Zeit erlebten, was sie über Kriegsverlauf und Kriegsschuld, über Niederlage und Revolution dachten.« Schade, dass Kempowski die Ausstellung selbst nicht mehr erlebt. Die Fülle des Materials ist es, die eine Collage schafft und damit soetwas wie einen geistigen Begleittext zum damaligen Kriegsgeschehen, der europäischen Geist haucht.

Ausstellung und Begleitband werden ästhetisch-kongenial ergänzt durch zeitgenössische Farbphotografien. Sie stammen zum einen vom Stuttgarter Photographen Hans Hildenbrand, der auf deutscher Seite die einzigen Farbaufnahmen von der Front schuf. Sie erscheinen zum ersten Mal gesammelt im Buch. Der andere Teil der Farbphotos ist vom Franzosen Jules Gervais-Courtellemont. Er ist der einzige Photograph, der auf der Seite der Mittelmächte Farbaufnahmen vom Kriegsgeschehen machte. Stärker als bisher bekannte Schwarz-Weiß-Aufnahmen lassen sie die Bestialität und den Höllencharakter dieses Stellungskrieges anschaulich werden.

»Ich habe mich verheiratet«, berichtet Klabund in einem Brief an Walter Heinrich-Unus vom 30. Juni 1918 und schwärmt von seiner neuen Frau. Jedoch: »Was von draußen, von der Welt, hereinfliegt, ist mißtönig und übellaut. Die praktische Vernunft – wo ist sie hin?« Diese Frage wird vielfach auch heute wieder gestellt. Anlass genug, zu studieren, wie Intellektuelle und Künstler in einer vorhergehenden weltweiten Umruchszeit mit dieser umgegangen sind.

Ausstellung und Begleitband dieses kulturellen Highlights in Brandenburg seien möglichst viele Besucher und Leser gewünscht.

geschrieben am 06.11.2008 | 572 Wörter | 3671 Zeichen

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