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Das Vermächtnis Mark Rothkos


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Das Vermächtnis Mark Rothkos Am Mittwoch, dem 25. Februar 1970, bahnt sich Oliver Steindecker wie jeden Morgen den Weg durch die Menschenmenge des Berufsverkehrs. Sein Ziel ist das Atelier in der East 69th Street. Wie jeden Morgen steckt er den Schlüssel in das Schloss der mit Ornamenten verzierten schwarzen Tür. Es ist noch eine zweite Tür zu öffnen. Rituale. Er befindet sich im improvisierten, schäbigen Büro. Wie immer ein »Guten Morgen« in Richtung des Wohnbereichs. Aber diesmal gibt es keine Antwort. Noch ohne sich Gedanken zu machen, geht Steindecker vorbei an den Black-on-Grey-Bildern zum Bett. Die Bettdecke ist zerwühlt. Das Bett jedoch leer. Sein Chef und Freund Mark Rothko liegt in einer zwei mal zweieinhalb Meter großen Blutlache auf dem Rücken in der Küche. Er hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Rothko, zu diesem Zeitpunkt längst Superstar der zeitgenössischen Kunst, hatte damit zwar seinem Leiden ein Ende gesetzt. Nicht jedoch dem seiner Angehörigen. Und nicht dem seiner Bilder. Mark Rothko war zerrissen. Von außen betrachtet, verkörperte er den American Dream: In den 1930er Jahren als Kind russischer Immigranten in die USA gekommen, wandte er sich nach dem Zweiten Weltkrieg von der gegenständlichen Malerei ab. Rothko avancierte zu einem der bedeutendsten der Abstrakten Expressionisten. Zum Zeitpunkt seines Freitodes wurden seine meist großformatigen Bilder mit 50.000 Dollar gehandelt. Doch der kommerzielle Erfolg hatte den Künstler in einen unauflösbaren Konflikt gestürzt. 1959 kaufte ihm ein Nobel-Restaurant in New York Wandbilder ab. Rothko sah seine Schöpfungen degradiert als Hintergrund-Deko zum Schlemmen. Er bereute und kaufte die Bilder zurück. Für ihn war die spirituelle Dimension eines Bildes essenziell. Ein Kunstwerk durfte nicht zum Wohnaccessoire verkommen. Für seine Bilder begann mit seinem Tod erst die unglaubliche Odyssee. Seine engsten Freunde, von ihm selbst zu Nachlassverwaltern bestellt, versuchten sich die Gemälde mit allen nur denkbaren Tricks unter den Nagel zu reißen. Einer saß in Gremien mehrerer berühmter New Yorker Museen und versuchte, Ausstellungen von Rothkos Kunst zu initiieren, um die Preise in die Höhe zu treiben. Auch öffentliche Institutionen beteiligten sich an Ringverkäufen und Scheindeals. Erst die Klage der resoluten Tochter, Kate Rothko, die damals 19 Jahre alt war, konnte das betrügerische Treiben ans Licht bringen. Der Prozess, der 1971 begann, dauerte ganze 89 Verhandlungstage und brachte Unglaubliches zutage. Dabei geht es um wesentlich mehr als nur das verwerfliche Handeln der vermeintlichen Freunde. Offenbar wird, wie das US-amerikanische Rechtssystem dubiose Machenschaften begünstigt. Denn die Millionen-Deals der Kunst dienen auch Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Lee Seldes war die einzige Journalistin, die sich den gesamten Prozess antat. Sie arbeitete sich in den darauffolgenden zwei Jahren durch 14.500 Seiten Gerichtsakten. Das Ergebnis ist eine höchst aufschlussreiche und anschauliche Fallstudie zum Thema Internationaler Kunstmarkt. Aufgrund der Ausführlichkeit ihrer Darstellung erhält der Leser ein präzises Bild von den damaligen Verstrickungen und so vielem, was nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. So kann es nur ungläubiges Kopfschütteln auslösen, wenn man erfährt, dass die Mitglieder der »Art Dealers Association of America« von der Steuerbehörde ihre eigenen Abschreibungen begutachten sollten. Lee Seldes authentischem Kunstkrimi kommt zugute, dass sie mit allen Beteiligten, die dazu bereit waren, gesprochen hat. Dies gibt ihrem Bericht eine große Authentizität und Nähe zu den Ereignissen. Kritisch anzumerken ist, dass die Journalistin den Leser durch den Umfang von über 500 Seiten wohl ein wenig an ihrer Qual des Studiums der riesigen Aktenmenge teilhaben lassen wollte. Vielleicht wäre an mancher Stelle weniger mehr gewesen. Andererseits sind Beharrlichkeit und Akribie bewundernswert. Und mit weniger Aufwand wäre nicht eine der brillantesten Berichte über Korruption und inzestuöse Verstrickungen in der Kunstszene überhaupt entstanden. Der Berliner Parthas Verlag ist zu der deutschen Erstveröffentlichung zu beglückwünschen.

Am Mittwoch, dem 25. Februar 1970, bahnt sich Oliver Steindecker wie jeden Morgen den Weg durch die Menschenmenge des Berufsverkehrs. Sein Ziel ist das Atelier in der East 69th Street. Wie jeden Morgen steckt er den Schlüssel in das Schloss der mit Ornamenten verzierten schwarzen Tür. Es ist noch eine zweite Tür zu öffnen. Rituale. Er befindet sich im improvisierten, schäbigen Büro. Wie immer ein »Guten Morgen« in Richtung des Wohnbereichs. Aber diesmal gibt es keine Antwort. Noch ohne sich Gedanken zu machen, geht Steindecker vorbei an den Black-on-Grey-Bildern zum Bett. Die Bettdecke ist zerwühlt. Das Bett jedoch leer. Sein Chef und Freund Mark Rothko liegt in einer zwei mal zweieinhalb Meter großen Blutlache auf dem Rücken in der Küche. Er hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten.

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Rothko, zu diesem Zeitpunkt längst Superstar der zeitgenössischen Kunst, hatte damit zwar seinem Leiden ein Ende gesetzt. Nicht jedoch dem seiner Angehörigen. Und nicht dem seiner Bilder. Mark Rothko war zerrissen. Von außen betrachtet, verkörperte er den American Dream: In den 1930er Jahren als Kind russischer Immigranten in die USA gekommen, wandte er sich nach dem Zweiten Weltkrieg von der gegenständlichen Malerei ab. Rothko avancierte zu einem der bedeutendsten der Abstrakten Expressionisten. Zum Zeitpunkt seines Freitodes wurden seine meist großformatigen Bilder mit 50.000 Dollar gehandelt.

Doch der kommerzielle Erfolg hatte den Künstler in einen unauflösbaren Konflikt gestürzt. 1959 kaufte ihm ein Nobel-Restaurant in New York Wandbilder ab. Rothko sah seine Schöpfungen degradiert als Hintergrund-Deko zum Schlemmen. Er bereute und kaufte die Bilder zurück. Für ihn war die spirituelle Dimension eines Bildes essenziell. Ein Kunstwerk durfte nicht zum Wohnaccessoire verkommen. Für seine Bilder begann mit seinem Tod erst die unglaubliche Odyssee. Seine engsten Freunde, von ihm selbst zu Nachlassverwaltern bestellt, versuchten sich die Gemälde mit allen nur denkbaren Tricks unter den Nagel zu reißen. Einer saß in Gremien mehrerer berühmter New Yorker Museen und versuchte, Ausstellungen von Rothkos Kunst zu initiieren, um die Preise in die Höhe zu treiben. Auch öffentliche Institutionen beteiligten sich an Ringverkäufen und Scheindeals.

Erst die Klage der resoluten Tochter, Kate Rothko, die damals 19 Jahre alt war, konnte das betrügerische Treiben ans Licht bringen. Der Prozess, der 1971 begann, dauerte ganze 89 Verhandlungstage und brachte Unglaubliches zutage. Dabei geht es um wesentlich mehr als nur das verwerfliche Handeln der vermeintlichen Freunde. Offenbar wird, wie das US-amerikanische Rechtssystem dubiose Machenschaften begünstigt. Denn die Millionen-Deals der Kunst dienen auch Steuerhinterziehung und Geldwäsche.

Lee Seldes war die einzige Journalistin, die sich den gesamten Prozess antat. Sie arbeitete sich in den darauffolgenden zwei Jahren durch 14.500 Seiten Gerichtsakten. Das Ergebnis ist eine höchst aufschlussreiche und anschauliche Fallstudie zum Thema Internationaler Kunstmarkt. Aufgrund der Ausführlichkeit ihrer Darstellung erhält der Leser ein präzises Bild von den damaligen Verstrickungen und so vielem, was nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. So kann es nur ungläubiges Kopfschütteln auslösen, wenn man erfährt, dass die Mitglieder der »Art Dealers Association of America« von der Steuerbehörde ihre eigenen Abschreibungen begutachten sollten.

Lee Seldes authentischem Kunstkrimi kommt zugute, dass sie mit allen Beteiligten, die dazu bereit waren, gesprochen hat. Dies gibt ihrem Bericht eine große Authentizität und Nähe zu den Ereignissen. Kritisch anzumerken ist, dass die Journalistin den Leser durch den Umfang von über 500 Seiten wohl ein wenig an ihrer Qual des Studiums der riesigen Aktenmenge teilhaben lassen wollte. Vielleicht wäre an mancher Stelle weniger mehr gewesen. Andererseits sind Beharrlichkeit und Akribie bewundernswert. Und mit weniger Aufwand wäre nicht eine der brillantesten Berichte über Korruption und inzestuöse Verstrickungen in der Kunstszene überhaupt entstanden. Der Berliner Parthas Verlag ist zu der deutschen Erstveröffentlichung zu beglückwünschen.

geschrieben am 18.11.2008 | 592 Wörter | 3619 Zeichen

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