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Die ungeliebte Freiheit


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Die ungeliebte Freiheit DAS BUCH ZUR WM. Sah man bei vorigen Fußball-Welt- und Europameisterschaften die Deutschlandfahnen vor allem in sozial schwächeren Gebieten, so ist das Bekenntnis zur nationalen Mannschaft heute schichtübergreifend: In Villenvororten finden sich nicht weniger Fahnen an den neuen Limousinen, als in den Hartz IV-Ghettos. »Wer Angst vor Fehlern hat, flieht in die Gruppe, denn sie entindividualisiert«, schreibt Norbert Bolz in seinem neuen Buch Die ungeliebte Freiheit. Ein Lagebericht. Der Berliner Medien-Professor sagt, wie er das Wort »Lagebericht« verstanden wissen will: »Der Begriff der Lage ist hier durchaus im militärischen Sinne gebraucht, eingedenk der Erwartung Nietzsches, dass die künftigen Kriege im Namen philosophischer Grundlehren geführt werden.« Ein Blick ins Literaturverzeichnis zeigt die Sprengkraft des Bolz’schen Traktates: Autoren, die ob ihrer theoretischen Analyse- und Deutungsmacht in vorigen Jahrzehnten mit einem kollektiven Tabu bedacht waren, sind die Wegbereiter. Carl Schmitt, Arnold Gehlen, Martin Heidegger und Nikkas Luhmann finden sich hier. Natürlich auch Freiheitsdenker wie Odo Marquard und Herrmann Lübbe. Die Figur des Anarchen von Ernst Jünger ist Bolz nicht entgangen, weist er doch auf Der Waldgang und Eumeswil hin. NORBERT BOLZ, Jahrgang 1953, ist seit 2002 Professor für Medienwissenschaft an der Technischen Universität Berlin. Der Spiegel titulierte ihn zum »Dandy der Medientheorie«. Bolz sieht die größte Gefahr für die Freiheit nicht vom Staat kommen, nicht von dessen Regulierungswahn. Er polemisiert gegen den vorsorgenden Sozialstaat, der seinen Bürgern Freiheiten entziehe, »um sie zu bessern und vor sich selbst zu schützen«. Die größte Gefahr für die Freiheit sieht der Autor bei den Menschen selbst veranlagt. Nur wenigen sei heute die Freiheit wichtig genug, dem Kollektiv-Zwang zu trotzen, den Gruppen und Medien aufbauten. »Denn nicht zur Gruppe zu gehören, ist die Sünde wider den Heiligen Geist des Sozialismus. « Man könnte auch sagen: Der Mensch ist unsicher und feige. Denn aus der Reihe zu tanzen, kostet Mut, mindestens jedoch Selbst-Bewusstsein. Viel einfacher ist, sich an den anderen zu orientieren. Freiheit in diesem (falsch verstandenen) Sinne bedeutet eben auch die Freiheit vom Selber-Denken-Müssen. Der deutsche Nachkriegsphilosoph Odo Marquard sprach in diesem Zusammenhang von der notwendigen Einsamkeitsfähigkeit. EINEN FATALEN GESELLSCHAFTLICHEN ZWANG sieht Bolz zur Mittelmäßigkeit: »Wer hervorragen will, gilt als asozial. Prämiert werden Anpassungsfähigkeit und ‚Teamgeist‘. Im persönlichen Stolz sieht der egalitäre Sozialismus die größte Sünde, in der Selbstauslöschung dagegen eine Tugend. Wer nicht mitmacht in den ‚communities‘ und Kommissionen gilt als Verworfener. Ehrgeiz, Eitelkeit und Arroganz sind die schlimmsten Sünden wider den Gruppengeist. Und sein sozialpsychologischer Effekt ist durchschlagend: Wenn ich Erfolg habe, fühle ich mich schuldig; wenn der andere Misserfolg hat, fühle ich mich verantwortlich.« Ein aktuelles Beispiel sieht Bolz in den ‚Freundschaften‘ bei dem Social Network Facebook. Umso mehr Freunde, desto höher das Sozialprestige. Daher wäre heutigen Jugendlichen wichtiger, möglichst viele Facebook-Kontakte zu haben, als echte Freundschaften. Bolz sieht darin die aktuelle Faszination von Popularitätstest, Rankings und Ratings. Der Autor kommt zu einem harten Urteil der heutigen Zeit: »Statt eines protestantischen Gewissens haben die meisten Seelen einen quasi-statistischen Sinn oder ein psychologisches Radargerät. Aus der Isolationsangst ist ein Automatismus der sozialen Signalverarbeitung geworden, die sklavische Orientierung an der Peer-Group.« Darüber gilt es, zu reden.

DAS BUCH ZUR WM. Sah man bei vorigen Fußball-Welt- und Europameisterschaften die Deutschlandfahnen vor allem in sozial schwächeren Gebieten, so ist das Bekenntnis zur nationalen Mannschaft heute schichtübergreifend: In Villenvororten finden sich nicht weniger Fahnen an den neuen Limousinen, als in den Hartz IV-Ghettos.

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»Wer Angst vor Fehlern hat, flieht in die Gruppe, denn sie entindividualisiert«, schreibt Norbert Bolz in seinem neuen Buch Die ungeliebte Freiheit. Ein Lagebericht. Der Berliner Medien-Professor sagt, wie er das Wort »Lagebericht« verstanden wissen will: »Der Begriff der Lage ist hier durchaus im militärischen Sinne gebraucht, eingedenk der Erwartung Nietzsches, dass die künftigen Kriege im Namen philosophischer Grundlehren geführt werden.«

Ein Blick ins Literaturverzeichnis zeigt die Sprengkraft des Bolz’schen Traktates: Autoren, die ob ihrer theoretischen Analyse- und Deutungsmacht in vorigen Jahrzehnten mit einem kollektiven Tabu bedacht waren, sind die Wegbereiter. Carl Schmitt, Arnold Gehlen, Martin Heidegger und Nikkas Luhmann finden sich hier. Natürlich auch Freiheitsdenker wie Odo Marquard und Herrmann Lübbe. Die Figur des Anarchen von Ernst Jünger ist Bolz nicht entgangen, weist er doch auf Der Waldgang und Eumeswil hin.

NORBERT BOLZ, Jahrgang 1953, ist seit 2002 Professor für Medienwissenschaft an der Technischen Universität Berlin. Der Spiegel titulierte ihn zum »Dandy der Medientheorie«. Bolz sieht die größte Gefahr für die Freiheit nicht vom Staat kommen, nicht von dessen Regulierungswahn. Er polemisiert gegen den vorsorgenden Sozialstaat, der seinen Bürgern Freiheiten entziehe, »um sie zu bessern und vor sich selbst zu schützen«.

Die größte Gefahr für die Freiheit sieht der Autor bei den Menschen selbst veranlagt. Nur wenigen sei heute die Freiheit wichtig genug, dem Kollektiv-Zwang zu trotzen, den Gruppen und Medien aufbauten. »Denn nicht zur Gruppe zu gehören, ist die Sünde wider den Heiligen Geist des Sozialismus. « Man könnte auch sagen: Der Mensch ist unsicher und feige. Denn aus der Reihe zu tanzen, kostet Mut, mindestens jedoch Selbst-Bewusstsein. Viel einfacher ist, sich an den anderen zu orientieren. Freiheit in diesem (falsch verstandenen) Sinne bedeutet eben auch die Freiheit vom Selber-Denken-Müssen. Der deutsche Nachkriegsphilosoph Odo Marquard sprach in diesem Zusammenhang von der notwendigen Einsamkeitsfähigkeit.

EINEN FATALEN GESELLSCHAFTLICHEN ZWANG sieht Bolz zur Mittelmäßigkeit: »Wer hervorragen will, gilt als asozial. Prämiert werden Anpassungsfähigkeit und ‚Teamgeist‘. Im persönlichen Stolz sieht der egalitäre Sozialismus die größte Sünde, in der Selbstauslöschung dagegen eine Tugend. Wer nicht mitmacht in den ‚communities‘ und Kommissionen gilt als Verworfener. Ehrgeiz, Eitelkeit und Arroganz sind die schlimmsten Sünden wider den Gruppengeist. Und sein sozialpsychologischer Effekt ist durchschlagend: Wenn ich Erfolg habe, fühle ich mich schuldig; wenn der andere Misserfolg hat, fühle ich mich verantwortlich.«

Ein aktuelles Beispiel sieht Bolz in den ‚Freundschaften‘ bei dem Social Network Facebook. Umso mehr Freunde, desto höher das Sozialprestige. Daher wäre heutigen Jugendlichen wichtiger, möglichst viele Facebook-Kontakte zu haben, als echte Freundschaften. Bolz sieht darin die aktuelle Faszination von Popularitätstest, Rankings und Ratings. Der Autor kommt zu einem harten Urteil der heutigen Zeit: »Statt eines protestantischen Gewissens haben die meisten Seelen einen quasi-statistischen Sinn oder ein psychologisches Radargerät. Aus der Isolationsangst ist ein Automatismus der sozialen Signalverarbeitung geworden, die sklavische Orientierung an der Peer-Group.«

Darüber gilt es, zu reden.

geschrieben am 02.07.2010 | 509 Wörter | 3201 Zeichen

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