ISBN | 3886809889 | |
Autor | Madeleine Albright | |
Verlag | Siedler | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 542 | |
Erscheinungsjahr | 2013 | |
Extras | - |
Gefesselt und auf jeder Seite Neues entdeckend wandert der Leser durch die Geschehnisse des zwanzigsten Jahrhunderts. Das Leben der Autorin Madeleine Albright spielt fast eine untergeordnete Rolle, was bei einer Autobiographie doch erstaunlich ist. Im Vordergrund steht ihr Bestreben, die Geschichte ihres Geburtslandes Tschechoslowakei, die Geschichte ihres Gastlandes Großbritannien und die Geschichte der Alliierten während des Zweiten Weltkrieges zu veranschaulichen. Dieses komplexe Ziel erreicht die Autorin auf scheinbar mühelose Weise. Ohne Brüche nimmt sie den Leser mit auf eine Reise durch die Zeit, führt ihm die Alltäglichkeiten der Menschen, die 6 Jahre lang im Kriegszustand lebten, deutlich vor Augen – lässt aber dabei die politischen Hintergründe nicht außen vor, da sie durch einen mit Zitaten fundierten Blick in die Hinterzimmer der Machthaber das Zustandekommen der vielfältigen Entscheidungen gekonnt wiedergibt.
Doch genau diese Alltäglichkeiten sind es, die dieses Buch so wertvoll machen – werden sie doch in den meisten Publikationen zum Zweiten Weltkrieg zugunsten der großen politischen, strategischen und grausamen Geschehnisse meist vernachlässigt. Wer wusste zum Beispiel schon, dass in Großbritannien in den ersten Kriegsjahren mehr Menschen im Straßenverkehr umkamen als durch Bomben? Grund war die Verdunkelungspflicht, die nicht nur Fenster und Straßenlaternen, sondern natürlich auch Autoscheinwerfer umfasste. Wem war bewusst, welche Blüten die Angst der Bevölkerung in den alliierten Staaten vor der „Wunderwaffe“ Hitlers trieb und welche Opfer unausgegorene Raketentypen der Deutschen gegen Kriegsende forderten, nur weil aufgrund einer militärischen Fehleinschätzung die Abwehrgeschütze falsch eingestellt waren?
Der Leser ist fassungslos, wenn er die Absprachen der Staatsmänner hinter verschlossenen Türen miterlebt, die so gravierende Fehleinschätzungen der Motive Hitlers offenbarten und kleine Länder wie die Tschechoslowakei mit einem Federstrich den Deutschen auslieferten, ohne deren Staatsmänner auch nur annähernd in die Gespräche mit einzubeziehen. Die durch vielfältige Querverweise und Aussagen hochrangiger politischer Beamter gesicherten Darstellungen der großen Persönlichkeiten der Politik entzaubern wiederholt das bisherige Geschichtsbild: Der blauäugige, zögerliche Chamberlain, der sich für das oben erwähnte Münchner Abkommen noch als Friedensbringer feiern ließ. Der müde und uninformierte Churchill, der Stalin blindlings vertraute. Die Ränkespiele der vielen unzähligen Mitspieler des politischen Betriebs, wie dem Hitlers Zwecken dienenden Führer der Sudentendeutschen in der Tschechoslowakei, der erfolgreich an der Legende strickte, das Land würde seine Leute unterdrücken – das Argument, das ungeprüft die Grundlage für das erwähnte Münchner Abkommen lieferte. Fassungslos ist der Leser auch über die Naivität oder das willentliche „Nicht-Hinsehen-Wollen“ von Institutionen wie dem Internationalen Roten Kreuz, das in Theresienstadt eine eilig gezimmerte Kulisse einer idyllischen „Judenstadt“ für bare Münze nahm.
Das Leben von Madeleine Albright ist in vielfältiger Hinsicht mit den Ereignissen verwoben: In der Tschechoslowakei 1937 geboren, kann sie mit ihren Eltern nach Walton-on-Thames fliehen und erlebt dort ihre ersten Kinderjahre. Ihre Großeltern, ihre Tante und Cousine väterlicherseits werden nach Theresienstadt deportiert und kommen dort ebenso wie zahlreiche weitere Ihrer Verwandten väter- und mütterlicherseits ums Leben. Die Autorin hat dadurch eine detaillierte Kenntnis über das Leben in den Lagern wie auch in den besetzten Gebieten und auf alliiertem Gebiet. Da ihr Vater in Großbritannien Radiosendungen für die BBC erstellte und für das abgesetzte Staatsoberhaupt der Tschechoslowakei arbeitete, kann die Autorin die politischen Geschehnisse aus erster Hand wiedergeben.
Beeindruckend ist, dass die Autorin von ihrer jüdischen Vergangenheit nichts wusste. Auch nicht davon, dass über zwanzig Angehörige von ihr im Holocaust umgekommen sind. Erst 1996 erfuhr sie durch einen Brief einer Zeitzeugin davon und begab sich gemeinsam mit ihrer Familie auf die Spurensuche ihrer Verwandten. Das Ergebnis dieser Suche findet sich beeindruckend wiedergegeben und in den politischen Kontext der Zeit verwoben, in diesem Buch. Das Buch zeigt eine fundierte Kenntnis der Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg und führt dies dem Leser auf leicht lesbare Art vor Augen. Ein absolut empfehlenswertes Buch!
geschrieben am 08.06.2013 | 609 Wörter | 3972 Zeichen
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