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Grenzgänger der Moderne


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Grenzgänger der Moderne Was hatte Ernst Jünger mit C. G. Jung zu schaffen? Kann uns Jung etwas über Jünger sagen? Jung (1875 – 1961) war Psychoanalytiker, bis zum Zerwürfnis Mitstreiter Sigmund Freuds und wurde nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten Vorsitzender der angesehenen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie (AÄGP). Jünger lehnte die Psychoanalyse ab und machte daraus keinen Hehl. Ihm war die brüllende Eitelkeit eines Freud zuwider. Auch wusste Jünger, dass Freuds ausschließliche Erklärung des menschlichen Unterbewussten mit dem sexuellen Trieb viel zu kurz gegriffen war. Jünger erwähnt in seinem mehrere tausend Seiten zählenden Tagebuchwerk, das er über etwa achtzig Jahre führte, Jung nicht ein einziges Mal. Sehr groß also erscheinen die Unterschiede. Aber ganz so einfach ist es nicht. Große Geister lassen sich niemals einlinig definieren. Immerhin beschäftigten sich zwei zeitweise Vertraute, resp. Freunde des Schriftstellers mit Jung. Dies waren Carl Schmitt und Rudolf Schlichter. »Wir haben uns des öfteren mit C. G. Jung befaßt, der ein sehr einsichtsreicher u. kluger Mann ist«, schrieb der Maler am 24. Januar 1942 an Jünger. Besonders angetan war Schlichter von Jungs Erläuterungen der chinesischen Philosophie. Jünger hat in seinem Antwortschreiben dazu zwar keine Stellung genommen. Dennoch ist es zu kurz gegriffen, in Ernst Jünger und C. G. Jung ideologische Gegner zu verorten. Dies macht das Buch von Axel Holm »Grenzgänger der Moderne. Ernst Jüngers Aufbruch zur Individuation 1939-1943. Eine tiefenpsychologische Untersuchung mit C. G. Jung« deutlich. »Individuation« ist einer der Schlüsselbegriffe Jungs. Sie meint die Bewusstwerdung des Menschen, die ein ganzes Leben andauere und die teilweise ins Unterbewusste verdrängten Gegensätze hoch hole und zusammenführe. Liest man den schmalen Band ohne Vorurteile, so bringt er einem Erkenntnisgewinn in der Perzeption Jüngers. Dazu unten mehr. Vielleicht ist er sogar für diejenigen Leser und Verehrer Jüngers am geeignetsten, die wenig von Jung wissen. Denn kennt man seine Aussagen, so wird man diesen eher zustimmen oder diese eher ablehnen. Stimmt man ihnen zu, so ist die Gefahr, dass man das Buch liest als reine Interpretation Jüngers durch die Brille Jungs. Das ist das Buch nicht. Es ist mehr. Lehnt man Jung sowieso ab, wird man kaum zu dem Band greifen. Geht man dagegen ohne Scheuklappen an die Lektüre, so eröffnet er neue Sichtweisen auf Jüngers Schilderungen in den Tagebuchbänden aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Autor Holm befasst sich hauptsächlich mit den Traumschilderungen Jüngers. Allein dass Jünger diesen in seinem gesamten Werk so breiten Raum einräumte, ist Beleg für dessen Spiritualität. In der Traumtheorie Jungs ist das Bewusstsein angewiesen auf das Unbewusste. Das Bewusstsein neigt stets zum Materialistischen. Zur Ablenkung durch sinnloses Tun, zur Verdrängung des seelischen Entwicklungsbedarfs. Durch den Traum erhält der Mensch Winke. Jung sieht in den geträumten Symbolen ganz konkrete Hinweise. Im Symbol manifestiere sich der dialektische Prozess zwischen Unbewusstem und Bewusstsein, beschreibt Holm die Theorie Jungs. Nicht zuletzt befasste sich Jung mit dem prognostischen Gehalt der Träume. An diesem Punkt scheinen der Psychoanalytiker und der Nationaldichter so weit auseinander nicht zu sein. Im Gegenteil. Axel Holm, der selbst als Psychotherapeut tätig ist, interpretiert Jüngers intensive Schilderungen seiner immer wiederkehrenden Schlangen- und Schildkrötenträume in einem Sinne, der Jüngers eigener Intention nicht unbedingt widerspricht. Die »Schlange symbolisiert das ganz Andere des Bewusstseins […] jene geistige Dimension, die dem Bewusstsein nicht assimilierbar ist«, schreibt Holm. Der promovierte Mediziner sieht im Ergebnis seiner Studie Jüngers Gesamtentwicklung als Aufbruch zur Individuation in Jungs Sinne. Es könnte sein, dass der Vexierspieler Jünger eine tiefgehende Interpretation seiner Traumschilderungen sogar provozieren wollte. Denn er selbst war sich seiner Entwicklung - mindestens zum Teil - bewusst. Dafür spricht beispielsweise eines seiner Lebensresümees, das er am 3. Februar 1983 in sein Tagebuch eintrug: »Zur Selbstkritik. Den Dandy kränkt mehr, wenn er ästhetisch als wenn er moralisch nicht genügt.« Er hatte sich die Maxime der Désinvolture zugelegt, den Selbstanspruch des Nicht-mehr-Verwickeltseins in das Geschehen, - was natürlich nur teilweise gelingen kann. Dieser Anspruch zeugt aber von der Erkenntnis Jüngers, es sei wichtiger, Geschehenes überhaupt wahrzunehmen und zu verstehen, anstatt es mit Gewalt ändern zu wollen. Auch die neuesten Erkenntnisse der Jünger-Forschung sprechen dafür, dass Jünger eine Auslegung seines Werkes anregen wollte. Genannt sei hier nur die Neuinterpretation der berühmten Burgunder-Szene. Jünger schreibt in den »Strahlungen«: »Paris, 27. Mai 1944. Alarme, Überfliegungen. Vom hohen Dache des Raphael sah ich zwei Mal in der Richtung von St. Germain gewaltige Sprengwolken aufsteigen, während Geschwader in großer Höhe davonflogen [...] Beim zweiten Male, bei Sonnenuntergang, hielt ich ein Glas Burgunder, in dem Erdbeeren schwammen, in der Hand. Die Stadt mit ihren roten Türmen und Kuppeln lag in gewaltiger Schönheit, gleich einem Blütenkelche, der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird.« Mittlerweile ist erwiesen, dass es an diesem Tag gar keinen Bombenangriff der Alliierten gegeben hat. Die bisherige gehässige Interpretation, Jünger hätte sich über die bevorstehende Zerstörung von Paris gefreut, ist also Unsinn. Die Farbe Rot und der Blütenkelch sind schon in Oscar Wildes »Das Bildnis des Dorian Grey« Symbole für die Verbindung von Eros und Zerstörung. In diesem Sinne ist Holms Veröffentlichung eine wertvolle Annäherung an die Tagebuch-Schilderungen Jüngers.

Was hatte Ernst Jünger mit C. G. Jung zu schaffen? Kann uns Jung etwas über Jünger sagen? Jung (1875 – 1961) war Psychoanalytiker, bis zum Zerwürfnis Mitstreiter Sigmund Freuds und wurde nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten Vorsitzender der angesehenen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie (AÄGP). Jünger lehnte die Psychoanalyse ab und machte daraus keinen Hehl. Ihm war die brüllende Eitelkeit eines Freud zuwider. Auch wusste Jünger, dass Freuds ausschließliche Erklärung des menschlichen Unterbewussten mit dem sexuellen Trieb viel zu kurz gegriffen war.

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Jünger erwähnt in seinem mehrere tausend Seiten zählenden Tagebuchwerk, das er über etwa achtzig Jahre führte, Jung nicht ein einziges Mal. Sehr groß also erscheinen die Unterschiede. Aber ganz so einfach ist es nicht. Große Geister lassen sich niemals einlinig definieren. Immerhin beschäftigten sich zwei zeitweise Vertraute, resp. Freunde des Schriftstellers mit Jung. Dies waren Carl Schmitt und Rudolf Schlichter. »Wir haben uns des öfteren mit C. G. Jung befaßt, der ein sehr einsichtsreicher u. kluger Mann ist«, schrieb der Maler am 24. Januar 1942 an Jünger. Besonders angetan war Schlichter von Jungs Erläuterungen der chinesischen Philosophie. Jünger hat in seinem Antwortschreiben dazu zwar keine Stellung genommen. Dennoch ist es zu kurz gegriffen, in Ernst Jünger und C. G. Jung ideologische Gegner zu verorten.

Dies macht das Buch von Axel Holm »Grenzgänger der Moderne. Ernst Jüngers Aufbruch zur Individuation 1939-1943. Eine tiefenpsychologische Untersuchung mit C. G. Jung« deutlich. »Individuation« ist einer der Schlüsselbegriffe Jungs. Sie meint die Bewusstwerdung des Menschen, die ein ganzes Leben andauere und die teilweise ins Unterbewusste verdrängten Gegensätze hoch hole und zusammenführe. Liest man den schmalen Band ohne Vorurteile, so bringt er einem Erkenntnisgewinn in der Perzeption Jüngers. Dazu unten mehr. Vielleicht ist er sogar für diejenigen Leser und Verehrer Jüngers am geeignetsten, die wenig von Jung wissen. Denn kennt man seine Aussagen, so wird man diesen eher zustimmen oder diese eher ablehnen. Stimmt man ihnen zu, so ist die Gefahr, dass man das Buch liest als reine Interpretation Jüngers durch die Brille Jungs. Das ist das Buch nicht. Es ist mehr. Lehnt man Jung sowieso ab, wird man kaum zu dem Band greifen. Geht man dagegen ohne Scheuklappen an die Lektüre, so eröffnet er neue Sichtweisen auf Jüngers Schilderungen in den Tagebuchbänden aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Autor Holm befasst sich hauptsächlich mit den Traumschilderungen Jüngers. Allein dass Jünger diesen in seinem gesamten Werk so breiten Raum einräumte, ist Beleg für dessen Spiritualität.

In der Traumtheorie Jungs ist das Bewusstsein angewiesen auf das Unbewusste. Das Bewusstsein neigt stets zum Materialistischen. Zur Ablenkung durch sinnloses Tun, zur Verdrängung des seelischen Entwicklungsbedarfs. Durch den Traum erhält der Mensch Winke. Jung sieht in den geträumten Symbolen ganz konkrete Hinweise. Im Symbol manifestiere sich der dialektische Prozess zwischen Unbewusstem und Bewusstsein, beschreibt Holm die Theorie Jungs. Nicht zuletzt befasste sich Jung mit dem prognostischen Gehalt der Träume. An diesem Punkt scheinen der Psychoanalytiker und der Nationaldichter so weit auseinander nicht zu sein. Im Gegenteil. Axel Holm, der selbst als Psychotherapeut tätig ist, interpretiert Jüngers intensive Schilderungen seiner immer wiederkehrenden Schlangen- und Schildkrötenträume in einem Sinne, der Jüngers eigener Intention nicht unbedingt widerspricht. Die »Schlange symbolisiert das ganz Andere des Bewusstseins […] jene geistige Dimension, die dem Bewusstsein nicht assimilierbar ist«, schreibt Holm. Der promovierte Mediziner sieht im Ergebnis seiner Studie Jüngers Gesamtentwicklung als Aufbruch zur Individuation in Jungs Sinne.

Es könnte sein, dass der Vexierspieler Jünger eine tiefgehende Interpretation seiner Traumschilderungen sogar provozieren wollte. Denn er selbst war sich seiner Entwicklung - mindestens zum Teil - bewusst. Dafür spricht beispielsweise eines seiner Lebensresümees, das er am 3. Februar 1983 in sein Tagebuch eintrug: »Zur Selbstkritik. Den Dandy kränkt mehr, wenn er ästhetisch als wenn er moralisch nicht genügt.« Er hatte sich die Maxime der Désinvolture zugelegt, den Selbstanspruch des Nicht-mehr-Verwickeltseins in das Geschehen, - was natürlich nur teilweise gelingen kann. Dieser Anspruch zeugt aber von der Erkenntnis Jüngers, es sei wichtiger, Geschehenes überhaupt wahrzunehmen und zu verstehen, anstatt es mit Gewalt ändern zu wollen.

Auch die neuesten Erkenntnisse der Jünger-Forschung sprechen dafür, dass Jünger eine Auslegung seines Werkes anregen wollte. Genannt sei hier nur die Neuinterpretation der berühmten Burgunder-Szene. Jünger schreibt in den »Strahlungen«: »Paris, 27. Mai 1944. Alarme, Überfliegungen. Vom hohen Dache des Raphael sah ich zwei Mal in der Richtung von St. Germain gewaltige Sprengwolken aufsteigen, während Geschwader in großer Höhe davonflogen [...] Beim zweiten Male, bei Sonnenuntergang, hielt ich ein Glas Burgunder, in dem Erdbeeren schwammen, in der Hand. Die Stadt mit ihren roten Türmen und Kuppeln lag in gewaltiger Schönheit, gleich einem Blütenkelche, der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird.« Mittlerweile ist erwiesen, dass es an diesem Tag gar keinen Bombenangriff der Alliierten gegeben hat. Die bisherige gehässige Interpretation, Jünger hätte sich über die bevorstehende Zerstörung von Paris gefreut, ist also Unsinn. Die Farbe Rot und der Blütenkelch sind schon in Oscar Wildes »Das Bildnis des Dorian Grey« Symbole für die Verbindung von Eros und Zerstörung. In diesem Sinne ist Holms Veröffentlichung eine wertvolle Annäherung an die Tagebuch-Schilderungen Jüngers.

geschrieben am 26.06.2007 | 822 Wörter | 4969 Zeichen

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