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Annäherungen - Drogen und Rausch


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Annäherungen - Drogen und Rausch Im Frühjahr 1962 unternimmt Ernst Jünger mal wieder ein Drogenexperiment. Nachdem er bereits die verschiedensten Rauschmittel getestet hatte, ist nun der Pilz dran. Genauer: ein mexikanischer Wahrheitspilz, champignons hallucinogènes divinatoires. Zu viert saßen sie am Tisch in der Wilflinger Oberförsterei und kauten die braune, modrige Masse. Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. »Der Frühlinsstrauß glühte stärker«, vermerkt Jünger als erstes, »das war kein natürliches Licht. In den Ecken regten sich Schatten, als ob sie Gestalt suchten.« Dem zu dieser Zeit 67-jährigen Schriftsteller wurde »beklommen, auch fröstelig« und das »trotz der Hitze«, die von den Kacheln des Ofens ausströmte. Der hochdekorierte Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges macht aus seinen Rauscherfahrungen keine Mördergrube: »Alles war Haut und wurde angetastet, auch die Retina – dort wurde die Berührung Licht. Dieses Licht war vielfarbig; es ordnete sich zu Schnüren, die sanft hin- und herschwangen, zu Glasperlenschnüren orientalischer Eingänge. Sie bildeten Türen, wie man sie im Traum durchschreitet, Vorhänge der Lust und Gefahr. Der Wind bewegt sie wie ein Gewand. Sie fallen auch von den Gürteln der Tänzerinnen nieder, öffnen und schließen sich im Schwung der Hüften, und aus den Perlen weht ein Geriesel feinster Töne den geschärften Sinnen zu.« Der große Doyen der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert, leidet unter der Sensibilisierung seiner Sinne. Eigentlich hatte er geglaubt, gehofft, die seien durch die Stahlgewitter der Grabenkämpfe endlich abgestorben. Abgetötet. Doch nichts da. Das wahrgenommene »Klingen der Silberreifen an den Fesseln und Handgelenken« ist ihm schon zu laut. »Es riecht nach Schweiß, Blut, Tabak, gehackten Pferdehaaren, billigem Rosenöl.« Das treibt den Drogen-Dandy zu der Frage: »Wer weiß, was in den Ställen getrieben wird.« DAS HATTE NIEMAND ERWARTET. In seinem zuerst 1970 erschienen Buch »Annäherungen. Drogen und Rausch«, das der Verlag Klett-Cotta nun wieder veröffentlicht hat, nimmt Ernst Jünger den Leser mit auf seine intime, sehr persönliche Reise zum eigenen Ich, zu Grenzen des Erfahrbaren, des wissenschaftlich Greifbaren. Annäherungen. Auch an Mythologisches. Die stimulierende Substanz des mexikanischen Pilzes geht ins Blut. Jünger beschreibt die Szenerie weiter. »Es mußte ein riesiger Palast sein, mauretanisch, kein guter Ort. An diesen Tanzsaal schlossen sich Nebenräume, Fluchten bis in den Untergrund. Und überall die Vorhänge mit ihrem Glitzern, ihrem Funkeln – radioaktives Gegleiß. Dazu das Geriesel gläserner Instrumente mit ihrem Locken, ihrem buhlenden Werben: ‚Willst, feiner Knabe, du mit mir gehen?’ Bald hörte es auf, bald kam es wieder, zudringlicher, eindringlicher, des Einverständnisses fast schon gewiß. Nun kam Geformtes – historische Collagen, die Vox humana, der Kuckucksruf. War es die Hure von Santa Lucia, die aus dem Fenster die Brüste vorstreckte? Dann war die Heuer futsch. Salome tanzte; die Bernsteinkette sprühte Funken und steilte im Schwingen die Brustwarzen auf. Was tut man nicht für seinen Johannes? - verdammt, das war eine üble Zote, das kam nicht von mir, war durch den Vorhang geraunt.« Selten hat man Jünger so leicht gelesen, so fließend und selbstironisch. Die »Annäherungen«, seit vielen Jahren vergriffen, sind zuletzt nur noch erhältlich gewesen als Band der Gesamtausgabe. Die Erstausgabe taucht antiquarisch kaum auf. Die alten 68er wollen es nicht herausrücken. Verständlich. Für den zigsten Taschenbuchnachdruck werden unverschämte Preise verlangt, so in Berlin 35 Euro. Dabei ist das Buch nicht primär – wie oft kolportiert – eine Schilderung der verschiedenen Drogen und ihren Wirkungen. Es ist ein kulturhistorischer Großessay, in dem Jünger seine eigenen Rauscherfahrungen einbettet. Der bei Erscheinen des Buches 75-jährige spannt einen vexierbildartigen Bogen, vordergründig gegliedert nach den Kontinenten, von denen die verschiedenen Drogen stammen: Bier, Wein, Nikotin, Äther, Laudanum, Kokain, Canabis, Meskalin und LSD werden behandelt aber auch Bücher und Städte, das Glücksspiel und andere Süchte. Jünger geht es um die Annäherung an das große Ganze, an den kosmischen Plan. In den einleitenden Seiten befasst er sich mit der Todesstunde. Der Tod sei schließlich, aus der Perspektive des hiesigen Lebens betrachtet, die ungeheuerste Annäherung. So geht es Jünger nicht um eine lexikalische Abhandlung aller möglichen Drogen. Vielmehr versucht er zu ergründen, welche Annäherungsmöglichkeiten dem Bewusst-Suchenden zur Verfügung stehen. Dabei bilden die Rauschmittel eine Art von Rahmen, sie sind Kulturträger ihrer Epochen und Kontinente. Sie verfeinern das Leben, lassen Kontakt zu anderen Regionen der Wahrnehmung zu. Jünger verknüpft seine eigenen, lebenslangen Rauscherfahrungen retrospektiv mit ihren jeweiligen biographischen Situationen. Streiflichter aus Literatur, Mythologie und Philosophie dienen als ästhetische Trüffelung, als geistige Einbettung des Erfahrenen. So haben die »Annäherungen« starken autobiographischen Charakter. Schade nur, dass das Vorwort von Volker Weidermann Geist und Niveau des Buches nicht gerecht wird. Der Literaturchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung beschränkt sich darauf, einige Schilderungen von Jüngers Rauscherfahrungen aus dem Buch zu rezitieren. Der Leser erfährt nichts von der Wirkungsgeschichte des Buches, das so anders ist als viele andere Veröffentlichungen von Ernst Jünger. Wer weiß heute noch, dass ein CDU-Abgeordneter des Baden-Württembergischen Landtags das Verbot des Buches forderte, weil es jugendgefährdend sei. Oder dass Jünger kurz nach Publikation Besuch von einem Staatsanwalt aus Riedlingen bekam, der ihn nach seinem Drogenkonsum befragte? EIN LUSTLOSES VORWORT. Wie lustlos das Vorwort geschrieben worden ist, wird an der fehlerhaften Zitierung deutlich. So macht Weidermann aus der »Hure von Santa Lucia« die »Hure Santa Lucia« (S. 11). Jünger war gern auf Sizilien und reiste gerade in den 1960er Jahren – also einige Jahre vor Entstehen der »Annäherungen« mehrmals auf die Insel. Hier gibt es ein traditionelles Fest, das der Nacht der Heiligen Lucia gewidmet ist. Diese Nacht wurde lange als die längste angesehen; danach nähmen die Tage wieder zu. Das Fest symbolisiert dies noch heute. Für Jünger typisch wäre die »Hure von Santa Lucia« also als Allegorie: Dieser heftige Pilztraum zog ihn in die dunkelste Tiefe. Danach konnte es nur noch heller werden. Schließlich betont Jünger in dem Buch an mehreren Stellen das hohe Ausmaß an Gefahr, in die er sich mit seinen Rauschexperimenten begab.

Im Frühjahr 1962 unternimmt Ernst Jünger mal wieder ein Drogenexperiment. Nachdem er bereits die verschiedensten Rauschmittel getestet hatte, ist nun der Pilz dran. Genauer: ein mexikanischer Wahrheitspilz, champignons hallucinogènes divinatoires. Zu viert saßen sie am Tisch in der Wilflinger Oberförsterei und kauten die braune, modrige Masse.

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Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. »Der Frühlinsstrauß glühte stärker«, vermerkt Jünger als erstes, »das war kein natürliches Licht. In den Ecken regten sich Schatten, als ob sie Gestalt suchten.« Dem zu dieser Zeit 67-jährigen Schriftsteller wurde »beklommen, auch fröstelig« und das »trotz der Hitze«, die von den Kacheln des Ofens ausströmte. Der hochdekorierte Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges macht aus seinen Rauscherfahrungen keine Mördergrube: »Alles war Haut und wurde angetastet, auch die Retina – dort wurde die Berührung Licht. Dieses Licht war vielfarbig; es ordnete sich zu Schnüren, die sanft hin- und herschwangen, zu Glasperlenschnüren orientalischer Eingänge. Sie bildeten Türen, wie man sie im Traum durchschreitet, Vorhänge der Lust und Gefahr. Der Wind bewegt sie wie ein Gewand. Sie fallen auch von den Gürteln der Tänzerinnen nieder, öffnen und schließen sich im Schwung der Hüften, und aus den Perlen weht ein Geriesel feinster Töne den geschärften Sinnen zu.« Der große Doyen der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert, leidet unter der Sensibilisierung seiner Sinne. Eigentlich hatte er geglaubt, gehofft, die seien durch die Stahlgewitter der Grabenkämpfe endlich abgestorben. Abgetötet. Doch nichts da. Das wahrgenommene »Klingen der Silberreifen an den Fesseln und Handgelenken« ist ihm schon zu laut. »Es riecht nach Schweiß, Blut, Tabak, gehackten Pferdehaaren, billigem Rosenöl.« Das treibt den Drogen-Dandy zu der Frage: »Wer weiß, was in den Ställen getrieben wird.«

DAS HATTE NIEMAND ERWARTET. In seinem zuerst 1970 erschienen Buch »Annäherungen. Drogen und Rausch«, das der Verlag Klett-Cotta nun wieder veröffentlicht hat, nimmt Ernst Jünger den Leser mit auf seine intime, sehr persönliche Reise zum eigenen Ich, zu Grenzen des Erfahrbaren, des wissenschaftlich Greifbaren. Annäherungen. Auch an Mythologisches. Die stimulierende Substanz des mexikanischen Pilzes geht ins Blut. Jünger beschreibt die Szenerie weiter.

»Es mußte ein riesiger Palast sein, mauretanisch, kein guter Ort. An diesen Tanzsaal schlossen sich Nebenräume, Fluchten bis in den Untergrund. Und überall die Vorhänge mit ihrem Glitzern, ihrem Funkeln – radioaktives Gegleiß. Dazu das Geriesel gläserner Instrumente mit ihrem Locken, ihrem buhlenden Werben: ‚Willst, feiner Knabe, du mit mir gehen?’ Bald hörte es auf, bald kam es wieder, zudringlicher, eindringlicher, des Einverständnisses fast schon gewiß.

Nun kam Geformtes – historische Collagen, die Vox humana, der Kuckucksruf. War es die Hure von Santa Lucia, die aus dem Fenster die Brüste vorstreckte? Dann war die Heuer futsch. Salome tanzte; die Bernsteinkette sprühte Funken und steilte im Schwingen die Brustwarzen auf. Was tut man nicht für seinen Johannes? - verdammt, das war eine üble Zote, das kam nicht von mir, war durch den Vorhang geraunt.«

Selten hat man Jünger so leicht gelesen, so fließend und selbstironisch. Die »Annäherungen«, seit vielen Jahren vergriffen, sind zuletzt nur noch erhältlich gewesen als Band der Gesamtausgabe. Die Erstausgabe taucht antiquarisch kaum auf. Die alten 68er wollen es nicht herausrücken. Verständlich. Für den zigsten Taschenbuchnachdruck werden unverschämte Preise verlangt, so in Berlin 35 Euro. Dabei ist das Buch nicht primär – wie oft kolportiert – eine Schilderung der verschiedenen Drogen und ihren Wirkungen. Es ist ein kulturhistorischer Großessay, in dem Jünger seine eigenen Rauscherfahrungen einbettet. Der bei Erscheinen des Buches 75-jährige spannt einen vexierbildartigen Bogen, vordergründig gegliedert nach den Kontinenten, von denen die verschiedenen Drogen stammen: Bier, Wein, Nikotin, Äther, Laudanum, Kokain, Canabis, Meskalin und LSD werden behandelt aber auch Bücher und Städte, das Glücksspiel und andere Süchte. Jünger geht es um die Annäherung an das große Ganze, an den kosmischen Plan. In den einleitenden Seiten befasst er sich mit der Todesstunde. Der Tod sei schließlich, aus der Perspektive des hiesigen Lebens betrachtet, die ungeheuerste Annäherung.

So geht es Jünger nicht um eine lexikalische Abhandlung aller möglichen Drogen. Vielmehr versucht er zu ergründen, welche Annäherungsmöglichkeiten dem Bewusst-Suchenden zur Verfügung stehen. Dabei bilden die Rauschmittel eine Art von Rahmen, sie sind Kulturträger ihrer Epochen und Kontinente. Sie verfeinern das Leben, lassen Kontakt zu anderen Regionen der Wahrnehmung zu. Jünger verknüpft seine eigenen, lebenslangen Rauscherfahrungen retrospektiv mit ihren jeweiligen biographischen Situationen. Streiflichter aus Literatur, Mythologie und Philosophie dienen als ästhetische Trüffelung, als geistige Einbettung des Erfahrenen.

So haben die »Annäherungen« starken autobiographischen Charakter. Schade nur, dass das Vorwort von Volker Weidermann Geist und Niveau des Buches nicht gerecht wird. Der Literaturchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung beschränkt sich darauf, einige Schilderungen von Jüngers Rauscherfahrungen aus dem Buch zu rezitieren. Der Leser erfährt nichts von der Wirkungsgeschichte des Buches, das so anders ist als viele andere Veröffentlichungen von Ernst Jünger. Wer weiß heute noch, dass ein CDU-Abgeordneter des Baden-Württembergischen Landtags das Verbot des Buches forderte, weil es jugendgefährdend sei. Oder dass Jünger kurz nach Publikation Besuch von einem Staatsanwalt aus Riedlingen bekam, der ihn nach seinem Drogenkonsum befragte?

EIN LUSTLOSES VORWORT. Wie lustlos das Vorwort geschrieben worden ist, wird an der fehlerhaften Zitierung deutlich. So macht Weidermann aus der »Hure von Santa Lucia« die »Hure Santa Lucia« (S. 11). Jünger war gern auf Sizilien und reiste gerade in den 1960er Jahren – also einige Jahre vor Entstehen der »Annäherungen« mehrmals auf die Insel. Hier gibt es ein traditionelles Fest, das der Nacht der Heiligen Lucia gewidmet ist. Diese Nacht wurde lange als die längste angesehen; danach nähmen die Tage wieder zu. Das Fest symbolisiert dies noch heute. Für Jünger typisch wäre die »Hure von Santa Lucia« also als Allegorie: Dieser heftige Pilztraum zog ihn in die dunkelste Tiefe. Danach konnte es nur noch heller werden. Schließlich betont Jünger in dem Buch an mehreren Stellen das hohe Ausmaß an Gefahr, in die er sich mit seinen Rauschexperimenten begab.

geschrieben am 10.09.2008 | 946 Wörter | 5699 Zeichen

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