ISBN | 3826039351 | |
Autor | Timo Kölling | |
Verlag | Königshausen & Neumann | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 171 | |
Erscheinungsjahr | 2009 | |
Extras | - |
Ernst Jünger erwähnt den Philosophen Leopold Ziegler in seinem Jahrzehnte währenden Tagebuch nur ganze dreimal. Immer wieder spielt in Jüngers Erinnerung der heute praktisch unbekannte Denker eine Rolle, wenn es um seinen eigenen Großessay »Der Arbeiter« geht. Jüngers letzter Eintrag über Leopold Ziegler erfolgte am 20. Juni 1994: »Als einzige Koryphäe hat Martin Heidegger der ‚Gestalt’ von Anfang an Beachtung gezollt. Er hat auch ein Seminar darüber abgehalten, ich hörte davon nur die Tatsache. Nicht vergessen will ich jedoch ein bedeutsames Gespräch mit Leopold Ziegler in Überlingen; die Zustimmung des Philosophen (‚Gestaltwandel der Götter’) berührte den Kern.« Ist üblicherweise die Häufigkeit der Namensnennung bei Jünger Indiz für Wert und Bedeutung, die der Schriftsteller jemandem zuwies, so führt das manchmal auf genau das falsche Gleis. So auch bei Ziegler. Denn sowohl Ernst wie auch sein Bruder Friedrich Georg kannten nicht nur dessen Werk gut, sie verkehrten eine zeitlang eng und häufig mit ihm.
Timo Kölling nahm das zum Anlass, sich mit der intellektuellen Liaison näher zu beschäftigen. Denn augenfällig ist die geistige Verwandtschaft und gegenseitige Beeinflussung zwischen den Genannten. Diese ist jedoch bisher kaum thematisiert worden. Der 1978 geborene Kölling studierte in Heidelberg und lebt jetzt in Frankfurt am Main. Er veröffentlichte bisher drei Gedichtbände und den ersten von drei geplanten Teilen »Tradition und Transzendenz«. In der Einleitung seiner Studie »Leopold Ziegler - Eine Schlüsselfigur im Umkreis des Denkens von Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger« schreibt er: »Den Einfluß Zieglers zu rekonstruieren, hieße zugleich, eine der empfindlichsten Lücken der bisherigen Jünger-Forschung schließen zu helfen.«
Leopold Ziegler (1881-1958) war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einer der einflussreichsten Philosophen im deutschen Sprachraum. 1929 erhielt er den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt. Er war der dritte Preisträger, - nach Stefan George und Albert Schweitzer. Ein Jahr nach ihm wurde Sigmund Freud geehrt. Ziegler durfte - als wohl einziger Philosoph – 1932 vor dem Reichstag sprechen. Sein Werk umfasst mehr als 20 Bücher. Das heutige weitgehende Vergessen Zieglers und seiner philosophischen Tradition ist Folge des Dritten Reiches, wo er zwölfjähriges Veröffentlichungsverbot hatte.
Vor allem Zieglers Schrift »Gestaltwandel der Götter« war es, die die beiden Jünger-Brüder stark in ihren Bann zog. Sie war in erster und zweiter Auflage 1920 erschienen und, formuliert Kölling, »der wohl früheste, bereits auf die späteren einschlägigen Arbeiten Heideggers vorausweisende Versuch, Nietzsches Diagnose des Nihilismus und des Zeitalters des Todes Gottes aufzunehmen und weiterzuführen«. Ziegler verfolgt die bewußtseinsgeschichtlichen Phänomene der Moderne bis zu ihren antiken Ursprüngen. Bereits Nietzsche sah die Wurzeln dessen, was er »europäischen Nihilismus« nannte, in Sokrates und Platon als »humanistische« Vorläufer des Christentums.
Köllings These: Der entscheidende Grundgedanke Zieglers werde von Jünger in sein Gegenteil verkehrt. Jünger mache »aus der philosophisch fruchtbaren Konzeption einer mystischen Teilhabe […] die theoretische Sackgasse einer magischen Identitätstheorie«. Das Verdienst von Köllings Buch ist, Leopold Ziegler und seine deutsche Denktradition einer göttlichen Weltsicht dem Vergessen entrissen zu haben. Zu der Beeinflussung der beiden Jüngers gibt er viele wertvolle Hinweise. Emblematisch genannt seien hier nur das Wort »Gestaltwandel«, das Ernst Jünger unmittelbar von Ziegler übernahm oder die Figur des Aladin aus Tausendundeine Nacht. Zu bemängeln ist der bruchstückhafte Charakter des Buchs. Kölling erforscht eine große Reihe von Details, ohne dass ihm eine Zusammenfassung gelingt. Der große Bogen einer philosophischen Tradition im Deutschland des vorigen Jahrhunderts muss erst noch gespannt werden.
geschrieben am 10.02.2009 | 544 Wörter | 3481 Zeichen
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