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Englands Weg in die Marktgesellschaft


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Rezension von

Gérard Bökenkamp

Englands Weg in die Marktgesellschaft Christiane Eisenberg ist Direktorin des Großbritannien-Zentrums der Humboldt-Universität zu Berlin. In ihrer Studie „Englands Weg in die Marktgesellschaft“ untersucht die Autorin den Zeitraum zwischen 1066 und der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert unter dem Blickwinkel, welche sozialen, rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Pionierrolle, die England als Marktgesellschaft einnimmt, ausschlaggebend waren. Die empirische Basis der Arbeit sind die wirtschafs-, sozial- und kulturhistorischen Arbeiten, die seit den 70er Jahren von britischen Historikern zur Erklärung der industriellen Revolution vorgelegt worden sind. Eisenberg hat dieser unter ihren Fragestellungen neu ausgewertet und sie zu dieser sehr kompakten und sehr inhaltsreichen Studie verarbeitet. Es gelingt Eisenberg durch die Auswertung der vorhandenen sozial- und wirtschafthistorischen Daten zu zeigen, dass Englands Weg in die Marktgesellschaft hinter die Zeit der Reformation und Kolonialer Expansion und der durch die Gründung der Bank von England angestoßenen „Finanzrevolution“ zurückreicht und das England bereits im Mittelalter Züge einer ausgeprägten Marktgesellschaft darstellte. Die Beschreibung dieses Prozesses verbindet sie mit interessanten kulturhistorischen Betrachtungen, etwa über die Bedeutung des Marktprozesses für die Herausbildung öffentlicher Wohltätigkeit, und bürgerlicher Vorstellungen von Familie und romantischer Liebe. Sie setzt den historischen Startpunkt für Englands Weg in die Marktgesellschaft im Jahre 1066 mit der Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer. Da sich die normannische Herrschaft der Loyalität der alteingesessenen angelsächsischen Familien nicht sicher sein konnte, setzten die neuen Herrscher darauf, an die Stelle überlieferter Loyalität formale Vertragsbindungen und an Stelle der feudalen Militärpflicht Geldleistungen zu setzen. Land und Arbeitskraft wurden so nach und nach aus ihren feudalen Bindungen gelöst und nahmen den Charakter handelbarer Güter an. Das führte dazu, dass die englische Gesellschaft sich grundlegend von der kontinentaleuropäischen unterschieden habe: Als im übrigen Europa Eigentum noch aus Status resultierte, resultierte in England Status bereits aus Eigentum. Dieser Übergang von einer Feudal- zu einer Markt- und Eigentümergesellschaft war der Ausgangspunkt einer allumfassenden gesellschaftlichen Veränderung, die Eisenberg unter der Überschrift „Kommerzialisierung“ beschreibt. Das heißt, soziale und wirtschaftliche Beziehungen wurden zu einem immer größeren Teil über Markt- und Geldtransfers vermittelt. Die Autorin bezieht sich dabei auf die Thesen des Anthropologen Alane Macfarlan, dass England bereits in der Zeit des ausgehenden Mittelalters Merkmale einer modernen kommerzialisierten Gesellschaft trug. Aus Leibeigenen wurden Pächter und das Denken in Kategorien von Angebot und Nachfrage setzte sich in breiten Bevölkerungsschichten durch. Die Autorin stellt für den Untersuchungszeitraum fest: „Denn das Marktprinzip funktionierte uneingeschränkt, ja, es provozierte im Untersuchungszeitraum nicht einmal Protestbewegungen oder nennenswerte Intellektuellenkritik.“ Die Versorgungslage hatte sich nach dem Umbruch vom Mittelalter zur frühen Neuzeit durch die Integration des Marktes und die zunehmende Arbeitsteilung drastisch verbessert: „Jedermann versorgte sich nun über den Markt, und auch die Unterschichten erwarben eine Vielzahl von Waren, die sie bis dahin nicht besessen hatten.“ Zu diesen Waren gehörten Zucker, Tee, Tabak, Seiden- und Baumwollstoffe, Glas, Hausrat, Möbel und Kurzwaren. Die Folge des wachsenden Wohlstandes war ein hohes Bevölkerungswachstum. Zwischen der Mitte des 16. Jahrhundert und dem frühen 19. Jahrhundert nahm die englische Bevölkerung um 280 Prozent zu – im Vergleich zu Kontinentaleuropa mit einer Zunahme von 50-80 Prozent ein enormes Plus. Max Webers These, dass der Protestantismus die Grundlage für die Entwicklung des modernen Kapitalismus gewesen sei, lasse sich empirisch nicht bestätigen. Die Basis für den Weg in die Marktgesellschaft war schon lange vor der Kirchenspaltung gelegt worden. Vielmehr ließe sich die Argumentation umkehren, so dass die protestantische Arbeitsethik als Produkt der Marktgesellschaft gesehen werden kann, in der sie sich etablierte, und nicht umgekehrt die Marktgesellschaft als Produkt der protestantischen Arbeitsethik. Ebenso verweist die Untersuchung, die Annahme eines zwangsläufigen Entwicklungsprozesses von der Agrar- über die Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft in das Reich der Mythen. England war eine Dienstleistungsgesellschaft, lange bevor es eine Industriegesellschaft wurde. Bereits in der frühen Neuzeit war ein Heer von Erwerbstätigen im Dienstleistungsbereich beschäftigt, als Hauspersonal, Guts- und Unternehmensverwalter, Händler, Zwischenhändler, Bankangestellte, Verkäufer, Fuhrleute, Rechtsanwälte usw. Bei der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert waren in England und Wales etwa 34 Prozent der Beschäftigten in Dienstleistungen tätig. Das entspricht einem Niveau, das die USA erst um 1900, das Deutsche Reich und Frankreich sogar erst in den dreißiger Jahren erreichten. Angesichts neuerer wirtschaftshistorischer Erkenntnisse relativiert sich aus Sicht der Autorin die Bedeutung der Industrialisierung für die Jahre zwischen 1760 und 1830, die gemeinhin als Kernzeit der industriellen Revolution angesehen werden. Noch im Jahr 1850 waren etwa fünf Prozent der männlichen Erwerbstätigen in den neuen Fabriken beschäftigt und ebenfalls auf fünf Prozent wird der Anteil geschätzt, den Maschinen am gesamten Kapitalstock ausmachten. Die wachsende Rolle des Staates war ein Ergebnis der sehr kostspieligen militärischen Auseinandersetzung zwischen England und Frankreich zwischen dem Ende des 17. und Anfang des 19. Jahrhunderts. Die hohen Militärausgaben führten zur Einrichtung der Bank von England, die die nationalen Schulden verwaltete und dazu, dass Großbritannien im 18. Jahrhundert zum höchst besteuerten Land in Europa wurde. Zwischen 1689 und dem Ende der napoleonischen Kriege wuchs das Steueraufkommen um das zehnfache und das Steueraufkommen pro Kopf um das 4,5-fache. Im Jahr 1720 unterhielt der englische Staat 12000 Staatsangestellte, von denen ein Großteil mit dem Eintreiben der Steuern befasst war. Eisenbergs Bilanz der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Entwicklung Englands in eine „Marktgesellschaft“ fällt insgesamt positiv aus. Sie schreibt: „Denn über die Jahrhunderte wurde der Markt seiner Aufgabe, die Allokation von Gütern und Dienstleistungen sowie die Koordination der dafür erforderlichen Transaktionen zu garantieren, zunehmend besser gerecht, und die einzige erkennbare Nebenwirkung bestand darin, dass die flüchtigen, überwiegend anonymen Sozialbeziehungen, die er knüpfte, die englische Gesellschaft integrierten.“

Christiane Eisenberg ist Direktorin des Großbritannien-Zentrums der Humboldt-Universität zu Berlin. In ihrer Studie „Englands Weg in die Marktgesellschaft“ untersucht die Autorin den Zeitraum zwischen 1066 und der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert unter dem Blickwinkel, welche sozialen, rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Pionierrolle, die England als Marktgesellschaft einnimmt, ausschlaggebend waren. Die empirische Basis der Arbeit sind die wirtschafs-, sozial- und kulturhistorischen Arbeiten, die seit den 70er Jahren von britischen Historikern zur Erklärung der industriellen Revolution vorgelegt worden sind. Eisenberg hat dieser unter ihren Fragestellungen neu ausgewertet und sie zu dieser sehr kompakten und sehr inhaltsreichen Studie verarbeitet.

Es gelingt Eisenberg durch die Auswertung der vorhandenen sozial- und wirtschafthistorischen Daten zu zeigen, dass Englands Weg in die Marktgesellschaft hinter die Zeit der Reformation und Kolonialer Expansion und der durch die Gründung der Bank von England angestoßenen „Finanzrevolution“ zurückreicht und das England bereits im Mittelalter Züge einer ausgeprägten Marktgesellschaft darstellte. Die Beschreibung dieses Prozesses verbindet sie mit interessanten kulturhistorischen Betrachtungen, etwa über die Bedeutung des Marktprozesses für die Herausbildung öffentlicher Wohltätigkeit, und bürgerlicher Vorstellungen von Familie und romantischer Liebe.

Sie setzt den historischen Startpunkt für Englands Weg in die Marktgesellschaft im Jahre 1066 mit der Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer. Da sich die normannische Herrschaft der Loyalität der alteingesessenen angelsächsischen Familien nicht sicher sein konnte, setzten die neuen Herrscher darauf, an die Stelle überlieferter Loyalität formale Vertragsbindungen und an Stelle der feudalen Militärpflicht Geldleistungen zu setzen. Land und Arbeitskraft wurden so nach und nach aus ihren feudalen Bindungen gelöst und nahmen den Charakter handelbarer Güter an. Das führte dazu, dass die englische Gesellschaft sich grundlegend von der kontinentaleuropäischen unterschieden habe: Als im übrigen Europa Eigentum noch aus Status resultierte, resultierte in England Status bereits aus Eigentum.

Dieser Übergang von einer Feudal- zu einer Markt- und Eigentümergesellschaft war der Ausgangspunkt einer allumfassenden gesellschaftlichen Veränderung, die Eisenberg unter der Überschrift „Kommerzialisierung“ beschreibt. Das heißt, soziale und wirtschaftliche Beziehungen wurden zu einem immer größeren Teil über Markt- und Geldtransfers vermittelt. Die Autorin bezieht sich dabei auf die Thesen des Anthropologen Alane Macfarlan, dass England bereits in der Zeit des ausgehenden Mittelalters Merkmale einer modernen kommerzialisierten Gesellschaft trug. Aus Leibeigenen wurden Pächter und das Denken in Kategorien von Angebot und Nachfrage setzte sich in breiten Bevölkerungsschichten durch. Die Autorin stellt für den Untersuchungszeitraum fest: „Denn das Marktprinzip funktionierte uneingeschränkt, ja, es provozierte im Untersuchungszeitraum nicht einmal Protestbewegungen oder nennenswerte Intellektuellenkritik.“

Die Versorgungslage hatte sich nach dem Umbruch vom Mittelalter zur frühen Neuzeit durch die Integration des Marktes und die zunehmende Arbeitsteilung drastisch verbessert: „Jedermann versorgte sich nun über den Markt, und auch die Unterschichten erwarben eine Vielzahl von Waren, die sie bis dahin nicht besessen hatten.“ Zu diesen Waren gehörten Zucker, Tee, Tabak, Seiden- und Baumwollstoffe, Glas, Hausrat, Möbel und Kurzwaren. Die Folge des wachsenden Wohlstandes war ein hohes Bevölkerungswachstum. Zwischen der Mitte des 16. Jahrhundert und dem frühen 19. Jahrhundert nahm die englische Bevölkerung um 280 Prozent zu – im Vergleich zu Kontinentaleuropa mit einer Zunahme von 50-80 Prozent ein enormes Plus.

Max Webers These, dass der Protestantismus die Grundlage für die Entwicklung des modernen Kapitalismus gewesen sei, lasse sich empirisch nicht bestätigen. Die Basis für den Weg in die Marktgesellschaft war schon lange vor der Kirchenspaltung gelegt worden. Vielmehr ließe sich die Argumentation umkehren, so dass die protestantische Arbeitsethik als Produkt der Marktgesellschaft gesehen werden kann, in der sie sich etablierte, und nicht umgekehrt die Marktgesellschaft als Produkt der protestantischen Arbeitsethik.

Ebenso verweist die Untersuchung, die Annahme eines zwangsläufigen Entwicklungsprozesses von der Agrar- über die Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft in das Reich der Mythen. England war eine Dienstleistungsgesellschaft, lange bevor es eine Industriegesellschaft wurde. Bereits in der frühen Neuzeit war ein Heer von Erwerbstätigen im Dienstleistungsbereich beschäftigt, als Hauspersonal, Guts- und Unternehmensverwalter, Händler, Zwischenhändler, Bankangestellte, Verkäufer, Fuhrleute, Rechtsanwälte usw. Bei der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert waren in England und Wales etwa 34 Prozent der Beschäftigten in Dienstleistungen tätig. Das entspricht einem Niveau, das die USA erst um 1900, das Deutsche Reich und Frankreich sogar erst in den dreißiger Jahren erreichten.

Angesichts neuerer wirtschaftshistorischer Erkenntnisse relativiert sich aus Sicht der Autorin die Bedeutung der Industrialisierung für die Jahre zwischen 1760 und 1830, die gemeinhin als Kernzeit der industriellen Revolution angesehen werden. Noch im Jahr 1850 waren etwa fünf Prozent der männlichen Erwerbstätigen in den neuen Fabriken beschäftigt und ebenfalls auf fünf Prozent wird der Anteil geschätzt, den Maschinen am gesamten Kapitalstock ausmachten.

Die wachsende Rolle des Staates war ein Ergebnis der sehr kostspieligen militärischen Auseinandersetzung zwischen England und Frankreich zwischen dem Ende des 17. und Anfang des 19. Jahrhunderts. Die hohen Militärausgaben führten zur Einrichtung der Bank von England, die die nationalen Schulden verwaltete und dazu, dass Großbritannien im 18. Jahrhundert zum höchst besteuerten Land in Europa wurde. Zwischen 1689 und dem Ende der napoleonischen Kriege wuchs das Steueraufkommen um das zehnfache und das Steueraufkommen pro Kopf um das 4,5-fache. Im Jahr 1720 unterhielt der englische Staat 12000 Staatsangestellte, von denen ein Großteil mit dem Eintreiben der Steuern befasst war.

Eisenbergs Bilanz der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Entwicklung Englands in eine „Marktgesellschaft“ fällt insgesamt positiv aus. Sie schreibt: „Denn über die Jahrhunderte wurde der Markt seiner Aufgabe, die Allokation von Gütern und Dienstleistungen sowie die Koordination der dafür erforderlichen Transaktionen zu garantieren, zunehmend besser gerecht, und die einzige erkennbare Nebenwirkung bestand darin, dass die flüchtigen, überwiegend anonymen Sozialbeziehungen, die er knüpfte, die englische Gesellschaft integrierten.“

geschrieben am 22.02.2010 | 895 Wörter | 5965 Zeichen

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