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TATORT


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Rezension von

Benjamin Städter

TATORT „Wenn unsere Nachkommen irgendwann mal etwas über die Bundesrepublik dieser Jahrzehnte wissen wollen“, so fabulierte Gunther Witte, Erfinder der ARD-Serie TATORT, vor einem Jahr, „dann brauchen sie nur alle TATORTE angucken; dann wissen sie, was hier im Lande los war.“ Oftmals wurde der mit 40 Jahren wohl ältesten Krimiserie des deutschen Fernsehens zugestanden, als Indikator für gesellschaftliche Veränderungen dienen zu können. Allzu selten wurde diese offenkundige Annahme jedoch wissenschaftlich untersucht. Einen beträchtlichen Teil dieser Leerstelle kann nun Dennis Gräf mit seiner medienwissenschaftlichen Dissertationsschrift schließen. Der Autor geht in ihr der Frage nach, wie die populäre Krimiserie Transformationsprozesse der bundesdeutschen Gesellschaft verhandelte. Dabei spricht er sich explizit gegen die These aus, die den TATORT als Spiegel der Gesellschaft sieht; vielmehr, so Gräf, träfe hier die Metapher des Seismografen, der gesellschaftliche Schwingungen aufnimmt und im Medienformat des Krimis reflektiert. Schwerpunkt der Untersuchungen Gräfs bilden die 1970er und 1980er Jahre. Hierfür entspannt der Autor zwei große Diskursfelder: Ausgehend von der Beobachtung, dass der Tatort in der ersten Dekade seines Bestehens vor allem einen Diskurs über die Selbstkonstruktion, die Grenzen und den Wandel des Bürgertums führte, spürt Gräf in konzisen Einzelanalysen der Gegenüberstellung einer antiquierten, sich von anderen Gesellschaftsschichten abgrenzenden Bürgerlichkeit und einer mobilen, sich öffnenden Idee von bürgerlicher Lebenskultur nach. Diese Aushandlungsprozesse um das Bürgertum verloren in den achtziger Jahre ihre Bedeutung. So zeigt Gräf am Beispiel der legendären Schimanski-Tatorte aus dem Duisburger Arbeitervorort Ruhrort, dass sich der Charakter des ermittelten Kommissars nun nicht mehr als Wächter der bürgerlichen Normen verstand, sondern diese Aufgabe ad absurdum führte: Horst Schimanski trat mit seinem braunen Parka nicht nur äußerlich als Vertreter der Arbeiterklasse auf, sondern legte auch in seinem nonkonformistischen, entformalisierten Verhalten jeglichen Habitus eines wie auch immer gearteten Bürgertums ab. Parallel dazu konstruierten die Krimis vermehrt Kriminalfälle in einer internationalen Perspektive. Während das Verbrechen, so resümiert Gräf, in den siebziger Jahren aus dem privaten Raum hinein in die Öffentlichkeit trat, nahm es in den achtziger Jahren zunehmend in der Öffentlichkeit seinen Ursprung und drang dann in das Privatleben der Charaktere. Gräfs interessante Ausführungen begegnen ihren Lesern nicht als leichte Kost: Die instruktiven Analysen sind geprägt von der wissenschaftlichen, zuweilen recht hermetisch wirkenden Sprache der Mediensemiotik. So erhält das Buch – um in der Sprachwelt des TATORT zu bleiben – weniger den Unterhaltungswert eines Münsteraner TATORTS als vielmehr den bedeutungsschweren Tiefgang eines Odenthal-Krimis. Seinen Wert für zukünftige Forschungen über die bundesdeutsche Fernsehlandschaft kann dies jedoch nicht schmälern.

„Wenn unsere Nachkommen irgendwann mal etwas über die Bundesrepublik dieser Jahrzehnte wissen wollen“, so fabulierte Gunther Witte, Erfinder der ARD-Serie TATORT, vor einem Jahr, „dann brauchen sie nur alle TATORTE angucken; dann wissen sie, was hier im Lande los war.“

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Oftmals wurde der mit 40 Jahren wohl ältesten Krimiserie des deutschen Fernsehens zugestanden, als Indikator für gesellschaftliche Veränderungen dienen zu können. Allzu selten wurde diese offenkundige Annahme jedoch wissenschaftlich untersucht. Einen beträchtlichen Teil dieser Leerstelle kann nun Dennis Gräf mit seiner medienwissenschaftlichen Dissertationsschrift schließen. Der Autor geht in ihr der Frage nach, wie die populäre Krimiserie Transformationsprozesse der bundesdeutschen Gesellschaft verhandelte. Dabei spricht er sich explizit gegen die These aus, die den TATORT als Spiegel der Gesellschaft sieht; vielmehr, so Gräf, träfe hier die Metapher des Seismografen, der gesellschaftliche Schwingungen aufnimmt und im Medienformat des Krimis reflektiert.

Schwerpunkt der Untersuchungen Gräfs bilden die 1970er und 1980er Jahre. Hierfür entspannt der Autor zwei große Diskursfelder: Ausgehend von der Beobachtung, dass der Tatort in der ersten Dekade seines Bestehens vor allem einen Diskurs über die Selbstkonstruktion, die Grenzen und den Wandel des Bürgertums führte, spürt Gräf in konzisen Einzelanalysen der Gegenüberstellung einer antiquierten, sich von anderen Gesellschaftsschichten abgrenzenden Bürgerlichkeit und einer mobilen, sich öffnenden Idee von bürgerlicher Lebenskultur nach.

Diese Aushandlungsprozesse um das Bürgertum verloren in den achtziger Jahre ihre Bedeutung. So zeigt Gräf am Beispiel der legendären Schimanski-Tatorte aus dem Duisburger Arbeitervorort Ruhrort, dass sich der Charakter des ermittelten Kommissars nun nicht mehr als Wächter der bürgerlichen Normen verstand, sondern diese Aufgabe ad absurdum führte: Horst Schimanski trat mit seinem braunen Parka nicht nur äußerlich als Vertreter der Arbeiterklasse auf, sondern legte auch in seinem nonkonformistischen, entformalisierten Verhalten jeglichen Habitus eines wie auch immer gearteten Bürgertums ab. Parallel dazu konstruierten die Krimis vermehrt Kriminalfälle in einer internationalen Perspektive. Während das Verbrechen, so resümiert Gräf, in den siebziger Jahren aus dem privaten Raum hinein in die Öffentlichkeit trat, nahm es in den achtziger Jahren zunehmend in der Öffentlichkeit seinen Ursprung und drang dann in das Privatleben der Charaktere.

Gräfs interessante Ausführungen begegnen ihren Lesern nicht als leichte Kost: Die instruktiven Analysen sind geprägt von der wissenschaftlichen, zuweilen recht hermetisch wirkenden Sprache der Mediensemiotik. So erhält das Buch – um in der Sprachwelt des TATORT zu bleiben – weniger den Unterhaltungswert eines Münsteraner TATORTS als vielmehr den bedeutungsschweren Tiefgang eines Odenthal-Krimis. Seinen Wert für zukünftige Forschungen über die bundesdeutsche Fernsehlandschaft kann dies jedoch nicht schmälern.

geschrieben am 13.02.2011 | 402 Wörter | 2636 Zeichen

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