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Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 2007. Demographie - Demokratie - Geschichte


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Rezension von

Christoph Kramer

Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 2007. Demographie - Demokratie - Geschichte Dieser Band hat es in sich. Die Beiträge sind um zwei Problemfelder herum angeordnet: das historische und aktuelle Spannungsverhältnis von Demographie und Demokratie und die diesbezügliche Betrachtung Israels und Deutschlands im Vergleich - wobei der Vergleich in keinem Beitrag explizit ausgearbeitet, aber durch die Gegenüberstellung vergleichbarer Beiträge von Historikern sowie Demographen und deren Kritikern aus beiden Ländern eine komparatistische Dimension geschaffen wird. Im Vorwort konstatiert der Herausgeber José Brunner, daß in beiden Gesellschaften „das nationale Selbstverständnis in ethno-kulturellen Grundsätzen verankert“ ist und auf dem Selbstbild eines gebildeten Mittelstandes fußt, der selbst relativ niedrige Geburtenraten aufweist und sich durch rascher wachsende Minderheitengruppen bedrängt fühlt. Thematisiert werden von diesen Minderheitengruppen in diesem Band allerdings nur die Palästinenser in Israel. Die wachsende muslimische Minderheit in Deutschland und die Fertilität der Ultraorthodoxen in Israel werden von den Autoren des Bandes ausgespart, aufgrund „einer gewissen Berührungsangst“, wie der Herausgeber mutmaßt. Die demographische Denkweise bezeichnet Brunner als eine in ihrem „innersten Kern der Demokratie entgegengesetzte Denkweise“. In Brunners Verständnis ist „Demokratie“ durch konkretes, kurzsichtiges Handeln von Individuen geprägt, dem sich die „Demographie“ als abstraktes, langfristiges und auf die kollektive Gesamtheit bezogenes Korrektiv mit Hilfe von apokalyptischen Prognosen und dem Erzeugen von Ängsten entgegenzustellen versucht. Wie dieser Versuch bewertet werden, bzw. wie weit ihm stattgegeben werden sollte, läßt der Band offen, bzw. er läßt diese Frage von den warnenden Demographen und ihren Kritikern selbst „demokratisch“ ausdiskutieren, indem er ihre Beiträge einander gegenüberstellt. Der deutsche „Demographie-Papst“ Herwig Birg sieht vier demographisch bedingte gesellschaftliche Konfliktlinien sich abzeichnen: zwischen den Generationen, zwischen den Regionen, zwischen Gruppen mit und ohne Migrationshintergrund, zwischen Eltern und Kinderlosen. Zur Verharmlosung dieser Gefahren kursierten allerlei „Legenden“, die Birg der Reihe nach vorstellt und zu entkräften versucht. In diesem Zusammenhang kündigt er auch eine demnächst neu erscheinende Regionalanalyse an, die den oft unterstellten Zusammenhang zwischen Frauenerwerbsquote und Geburtenrate empirisch entkräftet. Wie zur Bestätigung Brunners stellt Birg am Ende seines Beitrages resigniert fest, daß die demokratische Gesellschaftsform offensichtlich keine Garantie für die langfristige Überlebensfähigkeit des Landes darstelle. Josef Schmid fordert dann entsprechend – hiermit den deskriptiven Teil Birgs normativ ergänzend – „Re-Nationalisierung“ der „Schicksalsgemeinschaft“ durch eine „straffere Schließung nach innen und eine Rückkehr zur Drei-Generationen-Solidarität.“ Als Kritiker der Demographie tritt für Deutschland Christoph Butterwegge in den Ring. Sein Beitrag beschränkt sich fast ausschließlich auf eine akribische Auswertung demographischer Diskurse in der deutschen Presse, der er insgesamt einen Rechtsruck bescheinigt, indem sie eine „Biologisierung und Ethnisierung des Sozialen“ betreibe. Als realpolitische Alternative zur Geburtenförderung empfiehlt er statt der Förderung von Elternschaft als solcher eine Beschränkung der Förderung auf arme Eltern mit entsprechend armen Kindern, um ihnen „ausreichend gute Lebensbedingungen“ zu bieten, also Maßnahmen, die wohl in erster Linie den zunehmend muslimisch geprägten städtischen Unterschichten zugute kommen sollen. Außerdem solle die Migrationspolitik liberaler und die Integrationspolitik weniger restriktiv werden. Moshe Sicron, der die israelische Demographie vertritt, erläutert die umfangreichen statistischen Analyseinstrumente der israelischen Gesellschaft und vertritt die Auffassung, daß eine Demokratie demographische Daten benötigt für „management of the state, and the formulation, execution and follow-up of policy.“ Sein Beitrag verdeutlicht die große Bedeutung und Aufmerksamkeit, welche die Demographie in Israel im Vergleich zu Deutschland schon immer genoß – vor allem im Zusammenhang mit der Palästinenserfrage. Sicrons Kollege Sergio DellaPergola zeigt in seinem Beitrag, wie die Zahl der Juden überall in der Welt, besonders aber in den Vereinigten Staaten, kontinuierlich abnimmt, während sie allein in Israel steigt. Seine Daten basieren auf einem komplizierten – weder staatsbürgerschaftlichen, noch biologischen, noch rein religiösen, sondern letztlich ethnokulturellen Konzept von „core Jewish population“. Während die steigende Zahl von Mischehen zwischen Juden und Nichtjuden in den USA dort das Judentum demographisch schwächten, würden durch die Mischehen zwischen aschkenasischen und orientalischen Juden in Israel Integrationseffekte im Sinne des Judentums erzielt. Zum ersten Mal seit dem 1. Jahrhundert lebten nun wieder mehr Juden in ihrem „symbolic historical homeland“, als irgendwo anders. Allerdings werde die jüdische Mehrheit „between the river and the sea“ angesichts sinkender Immigrationsgewinne und extrem hoher palästinensischer Geburtenraten bald wieder eine Minderheit sein – so um 2020 ungefähr – worin DellaPergola eine Herausforderung für „the historical and civil identity“ der israelischen Gesellschaft sieht. Aus einem kritischen Beitrag von Yoav Peled erfährt man, daß DellaPergola zusammen mit Arnon Soffer den theoretischen Anstoß für den Plan eines nach ethnischen Kriterien vorgenommenen Gebietsaustausches zwischen Israel und den Palästinenserterritorien zur Verringerung des arabischen Bevölkerungsanteils Israels gegeben hat, den die rechte Yisrael Beytenu Partei von Avigdor Liberman dann in ihr Programm aufgenommen und damit 11 Sitze im Parlament sowie eine Beteiligung an der Regierungskoalition erreicht hat. Durch die Umsetzung dieses Planes würden die staatsbürgerlichen Grundrechte der betroffenen Palästinenser signifikant verletzt. Diese und andere Entwicklungen (v.a. Verweigerung der Familienzusammenführung zwischen Palästinensern israelischer Staatsbürgerschaft und Palästinensern aus den besetzten Gebieten) erzeugen bei Yoav Peled die Befürchtung, daß Israel sich von einer ethnischen Demokratie hin zu einer „Ethnokratie“ entwickeln könnte. Ganz im Sinne Butterwegges argumentiert Peled, daß die Gefahr bereits im Diskurs liege, also darin, daß die Aberkennung der Staatsbürgerschaft für palästinensische Bürger überhaupt ein legitimes Diskussionsthema geworden sei. An dieser Stelle wird dann auch die relative Harmlosigkeit der deutschen Debatte besonders augenfällig. Neben diesen Beiträgen zur aktuellen Lage und Perspektive besteht der Band vor allem aus Abhandlungen zur historischen Entwicklung der Methoden und Diskurse der Demographie in Deutschland und Israel. Viele der mehrheitlich von deutschen Historikern stammenden Beiträge verwenden ein diskursanalytisches Instrumentarium in der Nachfolge Foucaults, um die „biopolitischen“ Implikationen demographischer Diskurse der Vergangenheit zu entlarven. In diese Kategorie fallen Veronika Lipphardts Beitrag über demographisches Wissen in der Debatte um die „Biologie der Juden“ ab 1900, Thomas Bryants Analyse des deutschen „Alterungsdiskurses“ im 20. Jahrhundert sowie Matthias Weiperts Behandlung der „bürgerlich-öffentlichen Bevölkerungsdiskurse“ in der Weimarer Republik. Stärker wissenschaftssoziologisch ausgerichtete Beiträge stammen von Alexander Pinwinkler über das Fach Bevölkerungsgeschichte in der frühen Bundesrepublik, von Ursula Ferdinand über das bevölkerungswissenschaftliche Werk von Julius Wolf und von Bernhard vom Brocke, der einen sehr gelungenen Beitrag über die Bevölkerungswissenschaft im Nationalsozialismus beisteuert und dabei besonders auf die Dissidenten eingeht. Besonders spannend sind diejenigen Artikel, die exemplarisch auf die Wechselwirkung von demographischem Wissen und politischen Bedürfnissen fokussieren. Dazu gehören Michael C. Schneiders sehr gelungener Beitrag über die Entwicklung der preußischen Konfessionsstatistik vor dem Kulturkampf, Anat Leiblers Behandlung des ersten israelischen Bevölkerungszensus 1948, Ingo Haars Entstehungsgeschichte der „Dokumentation der Vertreibung“ nach 1945, Christian Saehrendts Geschichte der nun bereits seit 100 Jahren anhaltenden sukzessiven deutschen Abwanderung aus dem Osten sowie Fred A. Lazins sehr aufschlußreiche Abhandlung über die (erfolgreichen) israelischen Bemühungen, die Masse der sowjetischen Juden von deren präferierten Auswanderungsziel der Vereinigten Staaten nach Israel umzulenken, um dort das „aschkenasische“ Element zu stärken. In diese Rubrik gehört auch der vielleicht brisanteste Beitrag von Etan Bloom über Arthur Ruppin, der – sozialisiert in einem sozialdarwinistisch-deutschvölkischen Umfeld – als „master of Jewish ststistics“ eine ganz zentrale Rolle in der zionistischen Bewegung und bei der Gründung des israelischen Staates gespielt hat. Fazit: Was das Spannungsverhältnis von Demographie und Demokratie angeht, ist die Tendenz des Bandes überdeutlich: abgesehen von den wenigen hier vertretenen Fachdemographen und –Statistikern, die ihre berufliche Legitimation vor allem aus einem entsprechenden staatlichen Interesse beziehen, bezweckt die Mehrheit der Autoren letztlich eine Diskreditierung bevölkerungspolitischer Staats-Räson überhaupt – zugunsten der freien Entfaltung individueller Ansprüche. Die Problematik im deutsch-isrealischen Vergleich wird dagegen vielleicht am besten durch eine Rezension von Karl Jaspers „Die Schuldfrage“ (geschrieben 1946) am Ende des Bandes verdeutlicht, welche erst letztes Jahr ins Hebräische übersetzt worden ist. Das israelische Unbehagen an dieser Jaspersschrift rührt von der universalistischen Konsequenz, die der Philosoph aus den deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs zieht: Während Jaspers – in Übereinstimmung mit der amerikanischen Sicht - darin primär Verbrechen gegen die Menschlichkeit sieht, die durch eine universalistische Menschenrechtsethik mit entsprechender internationaler Durchsetzungsmöglichkeit (Vorbild: Nürnberger Prozesse) zu beantworten sind, steht im Zentrum der israelischen Perspektive primär das Verbrechen des deutschen Volkes am jüdischen Volk, dessen Wiederholung sich nur durch den Zusammenschluß in einer ethnisch exklusiven, souveränen und wehrbereiten Staatsnation verhindern lasse. Von den meisten Autoren des Bandes wird allerdings der umgekehrte (deutsche) Weg eines konsequenten Abbaus staatlicher Souveränität und ethnischer Exklusivität präferiert.

Dieser Band hat es in sich. Die Beiträge sind um zwei Problemfelder herum angeordnet: das historische und aktuelle Spannungsverhältnis von Demographie und Demokratie und die diesbezügliche Betrachtung Israels und Deutschlands im Vergleich - wobei der Vergleich in keinem Beitrag explizit ausgearbeitet, aber durch die Gegenüberstellung vergleichbarer Beiträge von Historikern sowie Demographen und deren Kritikern aus beiden Ländern eine komparatistische Dimension geschaffen wird.

Im Vorwort konstatiert der Herausgeber José Brunner, daß in beiden Gesellschaften „das nationale Selbstverständnis in ethno-kulturellen Grundsätzen verankert“ ist und auf dem Selbstbild eines gebildeten Mittelstandes fußt, der selbst relativ niedrige Geburtenraten aufweist und sich durch rascher wachsende Minderheitengruppen bedrängt fühlt. Thematisiert werden von diesen Minderheitengruppen in diesem Band allerdings nur die Palästinenser in Israel. Die wachsende muslimische Minderheit in Deutschland und die Fertilität der Ultraorthodoxen in Israel werden von den Autoren des Bandes ausgespart, aufgrund „einer gewissen Berührungsangst“, wie der Herausgeber mutmaßt. Die demographische Denkweise bezeichnet Brunner als eine in ihrem „innersten Kern der Demokratie entgegengesetzte Denkweise“. In Brunners Verständnis ist „Demokratie“ durch konkretes, kurzsichtiges Handeln von Individuen geprägt, dem sich die „Demographie“ als abstraktes, langfristiges und auf die kollektive Gesamtheit bezogenes Korrektiv mit Hilfe von apokalyptischen Prognosen und dem Erzeugen von Ängsten entgegenzustellen versucht. Wie dieser Versuch bewertet werden, bzw. wie weit ihm stattgegeben werden sollte, läßt der Band offen, bzw. er läßt diese Frage von den warnenden Demographen und ihren Kritikern selbst „demokratisch“ ausdiskutieren, indem er ihre Beiträge einander gegenüberstellt.

Der deutsche „Demographie-Papst“ Herwig Birg sieht vier demographisch bedingte gesellschaftliche Konfliktlinien sich abzeichnen: zwischen den Generationen, zwischen den Regionen, zwischen Gruppen mit und ohne Migrationshintergrund, zwischen Eltern und Kinderlosen. Zur Verharmlosung dieser Gefahren kursierten allerlei „Legenden“, die Birg der Reihe nach vorstellt und zu entkräften versucht. In diesem Zusammenhang kündigt er auch eine demnächst neu erscheinende Regionalanalyse an, die den oft unterstellten Zusammenhang zwischen Frauenerwerbsquote und Geburtenrate empirisch entkräftet. Wie zur Bestätigung Brunners stellt Birg am Ende seines Beitrages resigniert fest, daß die demokratische Gesellschaftsform offensichtlich keine Garantie für die langfristige Überlebensfähigkeit des Landes darstelle. Josef Schmid fordert dann entsprechend – hiermit den deskriptiven Teil Birgs normativ ergänzend – „Re-Nationalisierung“ der „Schicksalsgemeinschaft“ durch eine „straffere Schließung nach innen und eine Rückkehr zur Drei-Generationen-Solidarität.“

Als Kritiker der Demographie tritt für Deutschland Christoph Butterwegge in den Ring. Sein Beitrag beschränkt sich fast ausschließlich auf eine akribische Auswertung demographischer Diskurse in der deutschen Presse, der er insgesamt einen Rechtsruck bescheinigt, indem sie eine „Biologisierung und Ethnisierung des Sozialen“ betreibe. Als realpolitische Alternative zur Geburtenförderung empfiehlt er statt der Förderung von Elternschaft als solcher eine Beschränkung der Förderung auf arme Eltern mit entsprechend armen Kindern, um ihnen „ausreichend gute Lebensbedingungen“ zu bieten, also Maßnahmen, die wohl in erster Linie den zunehmend muslimisch geprägten städtischen Unterschichten zugute kommen sollen. Außerdem solle die Migrationspolitik liberaler und die Integrationspolitik weniger restriktiv werden.

Moshe Sicron, der die israelische Demographie vertritt, erläutert die umfangreichen statistischen Analyseinstrumente der israelischen Gesellschaft und vertritt die Auffassung, daß eine Demokratie demographische Daten benötigt für „management of the state, and the formulation, execution and follow-up of policy.“ Sein Beitrag verdeutlicht die große Bedeutung und Aufmerksamkeit, welche die Demographie in Israel im Vergleich zu Deutschland schon immer genoß – vor allem im Zusammenhang mit der Palästinenserfrage.

Sicrons Kollege Sergio DellaPergola zeigt in seinem Beitrag, wie die Zahl der Juden überall in der Welt, besonders aber in den Vereinigten Staaten, kontinuierlich abnimmt, während sie allein in Israel steigt. Seine Daten basieren auf einem komplizierten – weder staatsbürgerschaftlichen, noch biologischen, noch rein religiösen, sondern letztlich ethnokulturellen Konzept von „core Jewish population“. Während die steigende Zahl von Mischehen zwischen Juden und Nichtjuden in den USA dort das Judentum demographisch schwächten, würden durch die Mischehen zwischen aschkenasischen und orientalischen Juden in Israel Integrationseffekte im Sinne des Judentums erzielt. Zum ersten Mal seit dem 1. Jahrhundert lebten nun wieder mehr Juden in ihrem „symbolic historical homeland“, als irgendwo anders. Allerdings werde die jüdische Mehrheit „between the river and the sea“ angesichts sinkender Immigrationsgewinne und extrem hoher palästinensischer Geburtenraten bald wieder eine Minderheit sein – so um 2020 ungefähr – worin DellaPergola eine Herausforderung für „the historical and civil identity“ der israelischen Gesellschaft sieht.

Aus einem kritischen Beitrag von Yoav Peled erfährt man, daß DellaPergola zusammen mit Arnon Soffer den theoretischen Anstoß für den Plan eines nach ethnischen Kriterien vorgenommenen Gebietsaustausches zwischen Israel und den Palästinenserterritorien zur Verringerung des arabischen Bevölkerungsanteils Israels gegeben hat, den die rechte Yisrael Beytenu Partei von Avigdor Liberman dann in ihr Programm aufgenommen und damit 11 Sitze im Parlament sowie eine Beteiligung an der Regierungskoalition erreicht hat. Durch die Umsetzung dieses Planes würden die staatsbürgerlichen Grundrechte der betroffenen Palästinenser signifikant verletzt. Diese und andere Entwicklungen (v.a. Verweigerung der Familienzusammenführung zwischen Palästinensern israelischer Staatsbürgerschaft und Palästinensern aus den besetzten Gebieten) erzeugen bei Yoav Peled die Befürchtung, daß Israel sich von einer ethnischen Demokratie hin zu einer „Ethnokratie“ entwickeln könnte. Ganz im Sinne Butterwegges argumentiert Peled, daß die Gefahr bereits im Diskurs liege, also darin, daß die Aberkennung der Staatsbürgerschaft für palästinensische Bürger überhaupt ein legitimes Diskussionsthema geworden sei. An dieser Stelle wird dann auch die relative Harmlosigkeit der deutschen Debatte besonders augenfällig.

Neben diesen Beiträgen zur aktuellen Lage und Perspektive besteht der Band vor allem aus Abhandlungen zur historischen Entwicklung der Methoden und Diskurse der Demographie in Deutschland und Israel. Viele der mehrheitlich von deutschen Historikern stammenden Beiträge verwenden ein diskursanalytisches Instrumentarium in der Nachfolge Foucaults, um die „biopolitischen“ Implikationen demographischer Diskurse der Vergangenheit zu entlarven. In diese Kategorie fallen Veronika Lipphardts Beitrag über demographisches Wissen in der Debatte um die „Biologie der Juden“ ab 1900, Thomas Bryants Analyse des deutschen „Alterungsdiskurses“ im 20. Jahrhundert sowie Matthias Weiperts Behandlung der „bürgerlich-öffentlichen Bevölkerungsdiskurse“ in der Weimarer Republik.

Stärker wissenschaftssoziologisch ausgerichtete Beiträge stammen von Alexander Pinwinkler über das Fach Bevölkerungsgeschichte in der frühen Bundesrepublik, von Ursula Ferdinand über das bevölkerungswissenschaftliche Werk von Julius Wolf und von Bernhard vom Brocke, der einen sehr gelungenen Beitrag über die Bevölkerungswissenschaft im Nationalsozialismus beisteuert und dabei besonders auf die Dissidenten eingeht.

Besonders spannend sind diejenigen Artikel, die exemplarisch auf die Wechselwirkung von demographischem Wissen und politischen Bedürfnissen fokussieren. Dazu gehören Michael C. Schneiders sehr gelungener Beitrag über die Entwicklung der preußischen Konfessionsstatistik vor dem Kulturkampf, Anat Leiblers Behandlung des ersten israelischen Bevölkerungszensus 1948, Ingo Haars Entstehungsgeschichte der „Dokumentation der Vertreibung“ nach 1945, Christian Saehrendts Geschichte der nun bereits seit 100 Jahren anhaltenden sukzessiven deutschen Abwanderung aus dem Osten sowie Fred A. Lazins sehr aufschlußreiche Abhandlung über die (erfolgreichen) israelischen Bemühungen, die Masse der sowjetischen Juden von deren präferierten Auswanderungsziel der Vereinigten Staaten nach Israel umzulenken, um dort das „aschkenasische“ Element zu stärken.

In diese Rubrik gehört auch der vielleicht brisanteste Beitrag von Etan Bloom über Arthur Ruppin, der – sozialisiert in einem sozialdarwinistisch-deutschvölkischen Umfeld – als „master of Jewish ststistics“ eine ganz zentrale Rolle in der zionistischen Bewegung und bei der Gründung des israelischen Staates gespielt hat.

Fazit: Was das Spannungsverhältnis von Demographie und Demokratie angeht, ist die Tendenz des Bandes überdeutlich: abgesehen von den wenigen hier vertretenen Fachdemographen und –Statistikern, die ihre berufliche Legitimation vor allem aus einem entsprechenden staatlichen Interesse beziehen, bezweckt die Mehrheit der Autoren letztlich eine Diskreditierung bevölkerungspolitischer Staats-Räson überhaupt – zugunsten der freien Entfaltung individueller Ansprüche.

Die Problematik im deutsch-isrealischen Vergleich wird dagegen vielleicht am besten durch eine Rezension von Karl Jaspers „Die Schuldfrage“ (geschrieben 1946) am Ende des Bandes verdeutlicht, welche erst letztes Jahr ins Hebräische übersetzt worden ist. Das israelische Unbehagen an dieser Jaspersschrift rührt von der universalistischen Konsequenz, die der Philosoph aus den deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs zieht: Während Jaspers – in Übereinstimmung mit der amerikanischen Sicht - darin primär Verbrechen gegen die Menschlichkeit sieht, die durch eine universalistische Menschenrechtsethik mit entsprechender internationaler Durchsetzungsmöglichkeit (Vorbild: Nürnberger Prozesse) zu beantworten sind, steht im Zentrum der israelischen Perspektive primär das Verbrechen des deutschen Volkes am jüdischen Volk, dessen Wiederholung sich nur durch den Zusammenschluß in einer ethnisch exklusiven, souveränen und wehrbereiten Staatsnation verhindern lasse. Von den meisten Autoren des Bandes wird allerdings der umgekehrte (deutsche) Weg eines konsequenten Abbaus staatlicher Souveränität und ethnischer Exklusivität präferiert.

geschrieben am 19.06.2007 | 1322 Wörter | 9557 Zeichen

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