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Heimliches Berlin


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

Heimliches Berlin 1955 ist der damals 23jĂ€hrige, angehende Filmemacher François Truffaut bei einem Bouquinisten am Palais Royal. Er entdeckt ein Exemplar des Romans Jules et Jim von Henri-Pierre RochĂ©, der zwei Jahre zuvor bei Gallimard erschienen war. Er hatte das Publikum ĂŒberfordert: Nicht nur handelte er von einer Dreiecksbeziehung, sondern auch noch von einer deutsch-französischen. DafĂŒr war die Zeit so wenige Jahre nach dem Krieg noch nicht reif. Truffaut dagegen war von dem Buch begeistert. Er kauft es sofort und besucht den Autoren, um mit ihm ĂŒber eine Verfilmung zu sprechen. Erst 1959 jedoch hatte er das Filmprojekt finanziell gesichert. Eine Hauptdarstellerin zu finden, war fĂŒr ihn leichter: Jeanne Moreau. RochĂ© sieht ihre Photos und ist sofort begeistert: Sie Ă€hnele der Protagonisten Kathe sehr. Im April 1959 – vier Tage vor dem vereinbarten Treffen mit der Schauspielerin – stirbt RochĂ©. Der Film wurde ein großer Erfolg und zog auch die Romanvorlage wieder ans Tageslicht, die nun neue Auflagen erlebte. Franz Hessels Roman "Heimliches Berlin" behandelt denselben Stoff, ist jedoch kaum allgemein bekannt. Dabei hat die ErzĂ€hlung das Gegenteil verdient. Aber was heißt eigentlich ErzĂ€hlung. Der Text besteht aus 13 einzelnen Szenen, die kunstvoll verwoben werden. Dem Leser wird auf höherer Ebene bewusst, dass die eine Handlung weitergeht. Hessel legt seinen Figuren die Worte in den Mund; sprachgewandt, tiefgrĂŒndig, manchmal skurril. Die wabernde Metropole Berlin der 1920er Jahre ist zugleich BĂŒhne wie Hintergrund, der als BĂŒhnenbild quasi unanwesend ist. Die Handlung ist eine surrealistische; sie schreitet wie in Schwarz-Weiß-Bildern durch eine dunkle Regennacht. Dem Leser fĂ€llt nicht auf, dass es nur »die Geschichte eines Abends, einer Nacht, eines Tages und wieder eines Abends« ist, wie Manfred FlĂŒgge in seinem wunderbaren Nachwort schreibt. Dies so genannte Nachwort ist ein eigenes Essay, ein Text von eigenem literarischem Rang, der Hessels ErzĂ€hlung trĂŒffelt. Die Sprache Hessels ist das wohl Herausragendste an der Geschichte. Man kann manche SĂ€tze mehrmals lesen, um das Raffinement ihrer Dramaturgie zu erfassen. Manfred FlĂŒgge nennt sie »genau und schwebend zugleich«. Zu Anfang beschreibt Franz Hessel seinen Protagonisten Wendelin mit bildmĂ€chtigen Worten: »Er trank nur wenig, sah aber schon nach dem ersten Glase Menschen und Dinge in der flĂ€chigen Ferne, die ein glĂŒcklicher Rausch ihnen gibt, fĂŒhlte sich allen, die ihn ansahen, ansprachen, anfaßten, wunderbar und gleichmĂ€ĂŸig hingegeben, sprach selbst leise und wenig und erwiderte die BerĂŒhrungen der anderen kaum. So verging ihm der Abend in schöner Undeutlichkeit, und was mit ihm geschehen, erlebte er eigentlich erst, als er am nĂ€chsten Morgen erwachte.« Heimliches Berlin ist ein paradoxer Roman. Ein Zeit-Roman, in dem die Zeit prĂ€sent ist als GegenwĂ€rtigkeit des ungeheuren Augenblicks. Und zugleich völlig zu verschwinden scheint hinter der Kulisse des einnehmenden Geschehens. Als literarische Wieder-Entdeckung ein Diamant!

1955 ist der damals 23jĂ€hrige, angehende Filmemacher François Truffaut bei einem Bouquinisten am Palais Royal. Er entdeckt ein Exemplar des Romans Jules et Jim von Henri-Pierre RochĂ©, der zwei Jahre zuvor bei Gallimard erschienen war. Er hatte das Publikum ĂŒberfordert: Nicht nur handelte er von einer Dreiecksbeziehung, sondern auch noch von einer deutsch-französischen. DafĂŒr war die Zeit so wenige Jahre nach dem Krieg noch nicht reif.

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Truffaut dagegen war von dem Buch begeistert. Er kauft es sofort und besucht den Autoren, um mit ihm ĂŒber eine Verfilmung zu sprechen. Erst 1959 jedoch hatte er das Filmprojekt finanziell gesichert. Eine Hauptdarstellerin zu finden, war fĂŒr ihn leichter: Jeanne Moreau. RochĂ© sieht ihre Photos und ist sofort begeistert: Sie Ă€hnele der Protagonisten Kathe sehr. Im April 1959 – vier Tage vor dem vereinbarten Treffen mit der Schauspielerin – stirbt RochĂ©.

Der Film wurde ein großer Erfolg und zog auch die Romanvorlage wieder ans Tageslicht, die nun neue Auflagen erlebte. Franz Hessels Roman "Heimliches Berlin" behandelt denselben Stoff, ist jedoch kaum allgemein bekannt. Dabei hat die ErzĂ€hlung das Gegenteil verdient. Aber was heißt eigentlich ErzĂ€hlung. Der Text besteht aus 13 einzelnen Szenen, die kunstvoll verwoben werden. Dem Leser wird auf höherer Ebene bewusst, dass die eine Handlung weitergeht. Hessel legt seinen Figuren die Worte in den Mund; sprachgewandt, tiefgrĂŒndig, manchmal skurril. Die wabernde Metropole Berlin der 1920er Jahre ist zugleich BĂŒhne wie Hintergrund, der als BĂŒhnenbild quasi unanwesend ist. Die Handlung ist eine surrealistische; sie schreitet wie in Schwarz-Weiß-Bildern durch eine dunkle Regennacht.

Dem Leser fĂ€llt nicht auf, dass es nur »die Geschichte eines Abends, einer Nacht, eines Tages und wieder eines Abends« ist, wie Manfred FlĂŒgge in seinem wunderbaren Nachwort schreibt. Dies so genannte Nachwort ist ein eigenes Essay, ein Text von eigenem literarischem Rang, der Hessels ErzĂ€hlung trĂŒffelt.

Die Sprache Hessels ist das wohl Herausragendste an der Geschichte. Man kann manche SĂ€tze mehrmals lesen, um das Raffinement ihrer Dramaturgie zu erfassen. Manfred FlĂŒgge nennt sie »genau und schwebend zugleich«. Zu Anfang beschreibt Franz Hessel seinen Protagonisten Wendelin mit bildmĂ€chtigen Worten:

»Er trank nur wenig, sah aber schon nach dem ersten Glase Menschen und Dinge in der flĂ€chigen Ferne, die ein glĂŒcklicher Rausch ihnen gibt, fĂŒhlte sich allen, die ihn ansahen, ansprachen, anfaßten, wunderbar und gleichmĂ€ĂŸig hingegeben, sprach selbst leise und wenig und erwiderte die BerĂŒhrungen der anderen kaum. So verging ihm der Abend in schöner Undeutlichkeit, und was mit ihm geschehen, erlebte er eigentlich erst, als er am nĂ€chsten Morgen erwachte.«

Heimliches Berlin ist ein paradoxer Roman. Ein Zeit-Roman, in dem die Zeit prÀsent ist als GegenwÀrtigkeit des ungeheuren Augenblicks. Und zugleich völlig zu verschwinden scheint hinter der Kulisse des einnehmenden Geschehens.

Als literarische Wieder-Entdeckung ein Diamant!

geschrieben am 21.11.2011 | 446 Wörter | 2625 Zeichen

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