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Die kürzeste Geschichte Europas


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Rezension von

Hiram Kümper

Die kĂŒrzeste Geschichte Europas Ziemlich genau zweihundert Seiten braucht der australische Historiker John Hirst, um seine Geschichte Europas zu schreiben. Wirklich GANZ Europas? Nein, nur ein kleines gallisches Dorf 
 die Leserinnen und Leser wissen, wie es weiter geht. Und ein bißchen wie ein Comicbuch muss man sich auch diese Geschichte Europas vorstellen: Klug, aber manchmal sehr einseitig deutend, anspielend, oft ĂŒberzeichnet, manchmal wohl auch aus GrĂŒnden der Komik – aber jedenfalls immer unterhaltsam. Das ist sicher auch die Crux, die es mitliefert. FĂŒr den geschichtsinteressierten Leser wird hier in souverĂ€ner, humorvoller und leicht eingĂ€ngiger Schreibart Großgeschichte geboten. Viele Parallelen zur Gegenwart und historische Querverweise sollen das VerstĂ€ndnis vereinfachen. Aber: So mundgerecht, wie Hirst die Geschichte hier prĂ€sentiert, ist sie leider dann doch nicht immer. Die flotten Analogen hinken leider beim genauen Hinsehen immer einmal wieder und die als Überzeichnung sicher augenzwinkernd gemeinten Pointierungen liegen gefĂ€hrlich nah an populĂ€ren Geschichtsbildern, die Historiker sich ĂŒblicherweise nicht zu bestĂ€tigen, sondern zu hinterfragen anschicken. DreiklĂ€nge etwa wie dieser hier: „Nach Ansicht der Griechen ist die Welt einfach, logisch und mathematisch. Nach Ansicht der Christen ist die Welt böse, und nur Christus errettet uns. Nach Ansicht der germanischen Krieger macht KĂ€mpfen Spaß.“ (S. 24) Keiner dieser drei SĂ€tze ist bei nĂ€herem Hinsehen wirklich richtig, er setzt auf die rhetorische Wirkung – die zweifellos nicht ausbleibt – und den gesunden Menschenverstand des Lesers, der hinter „diese[r] ungewöhnliche Mischung, die die europĂ€ische Zivilisation ausmacht“, die komplexeren Kulturprozesse schon selbstĂ€ndig wird erahnen können. Mag ja auch alles sein. Vielleicht unterschĂ€tzt der Rezensent hier Hirsts Publikum. Um nicht falsch verstanden zu werden: Das Buch ist – auch und gerade in seiner provokanten Art – ĂŒber weite Strecken eine Lesefreude. Man muss sich nur fragen, fĂŒr wen eigentlich. Anregend ist vor allem Hirsts institutionengeschichtlich-vergleichender Blick, den er im zweiten Teil, der „lĂ€ngeren Version der Geschichte“, in sechs thematischen Vertiefungskapiteln entfaltet. Die Eleganz, mit der er attische Demokratie und französische Parteienbildung, englische Bodenreform und mittelalterliche Dreifelderwirtschaft gedanklich zusammenbringt, macht Lust auf kritisches Mitdenken bei diesem Parforceritt durch die Geschichte. Es zeigt auch deutlich die StĂ€rken des Autors in Strukturgeschichte, die Verfassung, Wirtschaft, Technik und MilitĂ€r als strukturierende Elemente einer Gesellschaft aufeinander bezieht. Wo es um vermeintlich „bloße“ Ereignisgeschichte geht, insbesondere im FrĂŒhmittelalter, aber auch in der mittelalterlichen Kirchen- und selbst in der von Hirst so prominent gemachten Philosophiegeschichte, bleiben seine Schilderungen dagegen immer wieder altbelasteten Holzschnitten verhaftet, die man gerne etwas differenzierter gelesen hĂ€tte. Hirsts Geschichte Europas endet nicht, wie man meinen könnte, in der Gegenwart, sondern in den Jahrzehnten um 1800 – in der Zeit also, in der andere, wie etwa Dietrich Gerhard, Jacques LeGoff oder jĂŒngst Peter Blicke, das „Alte Europa“ zu Ende gehen ließen. Das reicht ihm aus, um das spezifisch EuropĂ€ische herauszuarbeiten, so wie es sich „dem Rest der Welt aufgezwungen hat“ (S. 11), bevor die Globalisierung die Grenzen zwischen den Weltregionen offener und fließender zu gestalten begann. Da aber Hirst ohnehin nicht wirklich chronologisch, sondern immer wieder springend und vergleichend erzĂ€hlt, wird das Alte mit dem Neuen Europa regelmĂ€ĂŸig in Verbindung gebracht. „[
] wenn meine Methode funktioniert“, so Hirst, „werden Sie die Welt, in der wir heute leben, erkennen, denn ihre GrundzĂŒge wurden vor langer Zeit festgelegt“ (S. 8). Das stimmt sicher – und gerade in dieser Hinsicht gibt sein Buch viel Stoff zum Nachdenken. Fazit: Dies ist beileibe kein Buch fĂŒr Faule, die europĂ€ische Geschichte möglichst als Fast-Food-MenĂŒ serviert bekommen und sich deshalb ein paar hundert Seiten sparen möchten. Der elegante Ausdruck des Verfassers suggeriert das ein wenig – und die Entstehungsgeschichte aus einem ‚textbook‘ fĂŒr australische Studenten nicht minder. Aber eigentlich wird Gewinn aus diesem Buch vielmehr derjenige ziehen, der mit einem gesunden Vorwissen und vor allem mit der Muße an das Buch herangeht, die GedankengĂ€nge seines Verfassers kritisch nachzuvollziehen. Dann wird man damit einige vergnĂŒgliche und anregende Stunden haben.

Ziemlich genau zweihundert Seiten braucht der australische Historiker John Hirst, um seine Geschichte Europas zu schreiben. Wirklich GANZ Europas? Nein, nur ein kleines gallisches Dorf 
 die Leserinnen und Leser wissen, wie es weiter geht.

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Und ein bißchen wie ein Comicbuch muss man sich auch diese Geschichte Europas vorstellen: Klug, aber manchmal sehr einseitig deutend, anspielend, oft ĂŒberzeichnet, manchmal wohl auch aus GrĂŒnden der Komik – aber jedenfalls immer unterhaltsam. Das ist sicher auch die Crux, die es mitliefert. FĂŒr den geschichtsinteressierten Leser wird hier in souverĂ€ner, humorvoller und leicht eingĂ€ngiger Schreibart Großgeschichte geboten. Viele Parallelen zur Gegenwart und historische Querverweise sollen das VerstĂ€ndnis vereinfachen. Aber: So mundgerecht, wie Hirst die Geschichte hier prĂ€sentiert, ist sie leider dann doch nicht immer. Die flotten Analogen hinken leider beim genauen Hinsehen immer einmal wieder und die als Überzeichnung sicher augenzwinkernd gemeinten Pointierungen liegen gefĂ€hrlich nah an populĂ€ren Geschichtsbildern, die Historiker sich ĂŒblicherweise nicht zu bestĂ€tigen, sondern zu hinterfragen anschicken. DreiklĂ€nge etwa wie dieser hier: „Nach Ansicht der Griechen ist die Welt einfach, logisch und mathematisch. Nach Ansicht der Christen ist die Welt böse, und nur Christus errettet uns. Nach Ansicht der germanischen Krieger macht KĂ€mpfen Spaß.“ (S. 24) Keiner dieser drei SĂ€tze ist bei nĂ€herem Hinsehen wirklich richtig, er setzt auf die rhetorische Wirkung – die zweifellos nicht ausbleibt – und den gesunden Menschenverstand des Lesers, der hinter „diese[r] ungewöhnliche Mischung, die die europĂ€ische Zivilisation ausmacht“, die komplexeren Kulturprozesse schon selbstĂ€ndig wird erahnen können. Mag ja auch alles sein. Vielleicht unterschĂ€tzt der Rezensent hier Hirsts Publikum.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Das Buch ist – auch und gerade in seiner provokanten Art – ĂŒber weite Strecken eine Lesefreude. Man muss sich nur fragen, fĂŒr wen eigentlich. Anregend ist vor allem Hirsts institutionengeschichtlich-vergleichender Blick, den er im zweiten Teil, der „lĂ€ngeren Version der Geschichte“, in sechs thematischen Vertiefungskapiteln entfaltet. Die Eleganz, mit der er attische Demokratie und französische Parteienbildung, englische Bodenreform und mittelalterliche Dreifelderwirtschaft gedanklich zusammenbringt, macht Lust auf kritisches Mitdenken bei diesem Parforceritt durch die Geschichte. Es zeigt auch deutlich die StĂ€rken des Autors in Strukturgeschichte, die Verfassung, Wirtschaft, Technik und MilitĂ€r als strukturierende Elemente einer Gesellschaft aufeinander bezieht. Wo es um vermeintlich „bloße“ Ereignisgeschichte geht, insbesondere im FrĂŒhmittelalter, aber auch in der mittelalterlichen Kirchen- und selbst in der von Hirst so prominent gemachten Philosophiegeschichte, bleiben seine Schilderungen dagegen immer wieder altbelasteten Holzschnitten verhaftet, die man gerne etwas differenzierter gelesen hĂ€tte.

Hirsts Geschichte Europas endet nicht, wie man meinen könnte, in der Gegenwart, sondern in den Jahrzehnten um 1800 – in der Zeit also, in der andere, wie etwa Dietrich Gerhard, Jacques LeGoff oder jĂŒngst Peter Blicke, das „Alte Europa“ zu Ende gehen ließen. Das reicht ihm aus, um das spezifisch EuropĂ€ische herauszuarbeiten, so wie es sich „dem Rest der Welt aufgezwungen hat“ (S. 11), bevor die Globalisierung die Grenzen zwischen den Weltregionen offener und fließender zu gestalten begann. Da aber Hirst ohnehin nicht wirklich chronologisch, sondern immer wieder springend und vergleichend erzĂ€hlt, wird das Alte mit dem Neuen Europa regelmĂ€ĂŸig in Verbindung gebracht. „[
] wenn meine Methode funktioniert“, so Hirst, „werden Sie die Welt, in der wir heute leben, erkennen, denn ihre GrundzĂŒge wurden vor langer Zeit festgelegt“ (S. 8). Das stimmt sicher – und gerade in dieser Hinsicht gibt sein Buch viel Stoff zum Nachdenken.

Fazit: Dies ist beileibe kein Buch fĂŒr Faule, die europĂ€ische Geschichte möglichst als Fast-Food-MenĂŒ serviert bekommen und sich deshalb ein paar hundert Seiten sparen möchten. Der elegante Ausdruck des Verfassers suggeriert das ein wenig – und die Entstehungsgeschichte aus einem ‚textbook‘ fĂŒr australische Studenten nicht minder. Aber eigentlich wird Gewinn aus diesem Buch vielmehr derjenige ziehen, der mit einem gesunden Vorwissen und vor allem mit der Muße an das Buch herangeht, die GedankengĂ€nge seines Verfassers kritisch nachzuvollziehen. Dann wird man damit einige vergnĂŒgliche und anregende Stunden haben.

geschrieben am 11.09.2015 | 633 Wörter | 4024 Zeichen

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