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Gentleman auf Zeit


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Informationen zum Buch
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Rezension von

Dr. Benjamin Krenberger

Gentleman auf Zeit Eine Schlüsselsequenz in diesem zwiespältige Gefühle weckenden Werk ist folgende: „(…) wenigstens nehme ich in dem dichten Nebel, der mein ganzes Leben lang geherrscht hat, allmählich etwas wahr. Einem Nebel, den offenbar kein Licht durchdringen konnte.“ Es ist erstaunlich, dass ein Mann von seinem eigenen Leben und dem Leben seiner Frau und Kinder in der Tat so wenig mitbekommen kann, die Augen vor so vielem verschließen kann und einfach vor sich hin lebt, ohne eine aktive Rolle zu übernehmen. Der Plot des Buches ist interessant aufgebaut: Jack McNulty ist ein alternder irischer Soldat vieler Kriege, der in Afrika nur mit seinem Hausangestellten in einem kleinen, wettergegerbten Häuschen sitzt und mit einem Mal das Bedürfnis verspürt, sein Leben zu notieren. Die Geschichte springt nun ständig und unvermittelt zwischen den Erinnerungen und der Gegenwart hin und her. Nach und nach fügt sich ein Bild zusammen, das erklärt, weswegen McNulty in einer solchen Melancholie und Traurigkeit in seinem Häuschen in Afrika sitzt und nicht nach Irland zurückkehrt. Dabei wird der Leser gekonnt an die Begleitumstände der verschiedenen Kriegsschauplätze herangeführt: Sei es die Darstellung der Unvermitteltheit von Bombenangriffen, sei es die Abstumpfung in Anbetracht beständiger Grausamkeit und menschlichen Leidens, sei es die schreiende Ungerechtigkeit der Obrigkeiten beim Umgang mit ihren Soldaten und Veteranen, sei es das Unvermögen der Heimkehrer mit Zivilisten – auch der eigenen Familie – über die Kriegserlebnisse zu sprechen und das Unverständnis der Daheimgebliebenen über die Nöte der Heimkehrer. McNulty schildert seine Kriegserinnerungen sehr lakonisch und dadurch sehr ergreifend. In einigen Sequenzen wird der Leser mit unvermittelter Grausamkeit konfrontiert, die sich nicht anbahnt und der man fassungslos gegenüber steht. Als kleines Beispiel sei eine Szene erwähnt, bei der McNultys Ehefrau Mai aus Afrika nach Hause zurückkehrt und ein kleines Äffchen dabei hat. Sie sitzt mit ihren Schwiegereltern in der Küche, Affe und die heimische Katze sitzen nebenbei. Ein Bild der Harmonie – bis der Affe plötzlich der Katze ein Auge ausreißt (S.117). Über der gesamten Geschichte schwebt die Liebe des Protagonisten zu seiner Ehefrau Mai. Er überhöht sie zu einem ätherischen Wesen und ist völlig überrascht, dass sie tatsächlich ihn als Ehemann auswählt. Der Nebel, in den sich McNulty hüllt, ist gewebt aus seiner Liebe zu Mai – einer unerschütterlichen Liebe, die die Realität gänzlich ausblendet. Reduziert man das Leben der Familie McNulty auf seine harten Fakten, handelt es sich um zwei Alkoholiker, die ihre Kinder vernachlässigen und misshandeln, ihr Hab und Gut aufgrund ihrer diversen Süchte verlieren und immer weiter dem Abgrund entgegengehen. McNulty ist ein Vater und Ehemann, der sich in den Krieg flüchtet, der nicht einmal der seine ist, da er als Ire nicht gezwungen wäre, sich am Krieg Großbritanniens zu beteiligen. Ist er zuhause, trinkt er sich ins Koma, streitet mit seiner Frau und kümmert sich nicht um die Kinder. Ist er nicht zuhause, ist Mai mit den Alltäglichkeiten gänzlich überfordert, die Kinder verwahrlosen und sie prügelt die jüngste Tochter nahezu tot. Trotz der Warnungen und Hilfsangebote aus dem Umfeld, zieht McNulty seinen Nebel allerdings vor und ändert nichts an seiner Familiensituation. Immerhin rettet er die jüngste Tochter, indem er sie bei seinen Eltern in Obhut gibt. Es handelt sich hier um ein Buch, bei dem man den Protagonisten schütteln möchte, dass er aus seinem Nebel auftaucht und sein Leben und das seiner Familie aus dem Abgrund reißt. Zugleich sind die historischen Umstände derart widrig und die soziale Unterstützung derart gering, dass man Verständnis aufbringt, für die lethargische und suchtaffine Haltung des Protagonisten. Über all den Schilderungen schweben die Hitze Afrikas und die Nasskälte Irlands, die miteinander im Wettstreit sind und eine besondere Faszination des Buches ausmachen. Insgesamt ein durchaus ergreifendes Buch, das aber das Potential hat den Leser arg zu verärgern: Das Banner der Liebe, das McNulty über alles stellt, steht in krassem Kontrast zur selbstverschuldeten Verwahrlosung nicht nur des Protagonisten selbst, sondern auch seiner Familie. Der alkoholgetränkte Nebel verdeckt gekonnt die Realität. Da das Buch dem Leser auch kein Happy End gönnt, keine Wiedergutmachung an den Kindern und keine Heimkehr für McNulty, bleibt am Ende beim Leser das Gefühl zurück, einem verschwendeten Leben beigewohnt zu haben, das so viele mit in den Abgrund riss und bei dem nur selten ein McNulty aufblitzte, der für wenige Momente seines Lebens ein Gentleman war.

Eine Schlüsselsequenz in diesem zwiespältige Gefühle weckenden Werk ist folgende: „(…) wenigstens nehme ich in dem dichten Nebel, der mein ganzes Leben lang geherrscht hat, allmählich etwas wahr. Einem Nebel, den offenbar kein Licht durchdringen konnte.“ Es ist erstaunlich, dass ein Mann von seinem eigenen Leben und dem Leben seiner Frau und Kinder in der Tat so wenig mitbekommen kann, die Augen vor so vielem verschließen kann und einfach vor sich hin lebt, ohne eine aktive Rolle zu übernehmen.

weitere Rezensionen von Dr. Benjamin Krenberger


Der Plot des Buches ist interessant aufgebaut: Jack McNulty ist ein alternder irischer Soldat vieler Kriege, der in Afrika nur mit seinem Hausangestellten in einem kleinen, wettergegerbten Häuschen sitzt und mit einem Mal das Bedürfnis verspürt, sein Leben zu notieren. Die Geschichte springt nun ständig und unvermittelt zwischen den Erinnerungen und der Gegenwart hin und her. Nach und nach fügt sich ein Bild zusammen, das erklärt, weswegen McNulty in einer solchen Melancholie und Traurigkeit in seinem Häuschen in Afrika sitzt und nicht nach Irland zurückkehrt. Dabei wird der Leser gekonnt an die Begleitumstände der verschiedenen Kriegsschauplätze herangeführt: Sei es die Darstellung der Unvermitteltheit von Bombenangriffen, sei es die Abstumpfung in Anbetracht beständiger Grausamkeit und menschlichen Leidens, sei es die schreiende Ungerechtigkeit der Obrigkeiten beim Umgang mit ihren Soldaten und Veteranen, sei es das Unvermögen der Heimkehrer mit Zivilisten – auch der eigenen Familie – über die Kriegserlebnisse zu sprechen und das Unverständnis der Daheimgebliebenen über die Nöte der Heimkehrer. McNulty schildert seine Kriegserinnerungen sehr lakonisch und dadurch sehr ergreifend. In einigen Sequenzen wird der Leser mit unvermittelter Grausamkeit konfrontiert, die sich nicht anbahnt und der man fassungslos gegenüber steht. Als kleines Beispiel sei eine Szene erwähnt, bei der McNultys Ehefrau Mai aus Afrika nach Hause zurückkehrt und ein kleines Äffchen dabei hat. Sie sitzt mit ihren Schwiegereltern in der Küche, Affe und die heimische Katze sitzen nebenbei. Ein Bild der Harmonie – bis der Affe plötzlich der Katze ein Auge ausreißt (S.117).

Über der gesamten Geschichte schwebt die Liebe des Protagonisten zu seiner Ehefrau Mai. Er überhöht sie zu einem ätherischen Wesen und ist völlig überrascht, dass sie tatsächlich ihn als Ehemann auswählt. Der Nebel, in den sich McNulty hüllt, ist gewebt aus seiner Liebe zu Mai – einer unerschütterlichen Liebe, die die Realität gänzlich ausblendet. Reduziert man das Leben der Familie McNulty auf seine harten Fakten, handelt es sich um zwei Alkoholiker, die ihre Kinder vernachlässigen und misshandeln, ihr Hab und Gut aufgrund ihrer diversen Süchte verlieren und immer weiter dem Abgrund entgegengehen. McNulty ist ein Vater und Ehemann, der sich in den Krieg flüchtet, der nicht einmal der seine ist, da er als Ire nicht gezwungen wäre, sich am Krieg Großbritanniens zu beteiligen. Ist er zuhause, trinkt er sich ins Koma, streitet mit seiner Frau und kümmert sich nicht um die Kinder. Ist er nicht zuhause, ist Mai mit den Alltäglichkeiten gänzlich überfordert, die Kinder verwahrlosen und sie prügelt die jüngste Tochter nahezu tot. Trotz der Warnungen und Hilfsangebote aus dem Umfeld, zieht McNulty seinen Nebel allerdings vor und ändert nichts an seiner Familiensituation. Immerhin rettet er die jüngste Tochter, indem er sie bei seinen Eltern in Obhut gibt.

Es handelt sich hier um ein Buch, bei dem man den Protagonisten schütteln möchte, dass er aus seinem Nebel auftaucht und sein Leben und das seiner Familie aus dem Abgrund reißt. Zugleich sind die historischen Umstände derart widrig und die soziale Unterstützung derart gering, dass man Verständnis aufbringt, für die lethargische und suchtaffine Haltung des Protagonisten. Über all den Schilderungen schweben die Hitze Afrikas und die Nasskälte Irlands, die miteinander im Wettstreit sind und eine besondere Faszination des Buches ausmachen.

Insgesamt ein durchaus ergreifendes Buch, das aber das Potential hat den Leser arg zu verärgern: Das Banner der Liebe, das McNulty über alles stellt, steht in krassem Kontrast zur selbstverschuldeten Verwahrlosung nicht nur des Protagonisten selbst, sondern auch seiner Familie. Der alkoholgetränkte Nebel verdeckt gekonnt die Realität. Da das Buch dem Leser auch kein Happy End gönnt, keine Wiedergutmachung an den Kindern und keine Heimkehr für McNulty, bleibt am Ende beim Leser das Gefühl zurück, einem verschwendeten Leben beigewohnt zu haben, das so viele mit in den Abgrund riss und bei dem nur selten ein McNulty aufblitzte, der für wenige Momente seines Lebens ein Gentleman war.

geschrieben am 22.05.2017 | 706 Wörter | 3962 Zeichen

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