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Perspektiven, Bd. 3: Botho Strauß. Dichter der Gegenaufklärung


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Rezension von

Daniel Bigalke

Botho Strauß. Dichter der Gegenaufklärung „Beharren auf der Substanz des Deutschen“ - das könnte auch die Maxime des scharfen Beobachters Botho Strauß sein, der mit seinem Spiegel-Essay „Anschwellender Bocksgesang“ (1993) eine Absage an die nachkriegsdemokratischen Konventionen der Vergangenheitsbewältigung formulierte. Es ging ihm um das „Unsere“, das durch die Dominanz überbordender Moralität der Bedeutungslosigkeit preisgegeben werde. Umso begrüßenswerter ist diese Studie von Michael Wiesberg, die das Werk des Mystikers und Beobachters gesellschaftlicher Fluktuationen - dem eigenen Anspruch nach jenseits vom linksliberalen juste milieu - rekonstruiert. Nach einem werkbiographischen Überblick geht Wiesberg auf philosophische und poetologische Programme ein, die er für „unabdingbar für die Einordnung des Werkes“ (7) hält. Diese Einbettung des Denkens von Botho Strauß wird umsäumt von Ausflügen zu Descartes, Heidegger oder Georg Steiner. Spätestens hier wird deutlich, daß Wiesberg nicht auf eine umfassende philologische Interpretation seiner Texte und Theaterstücke aus ist, sondern auf die politische Einordnung von Strauß in die Kontinuitäten der deutschen Geistesgeschichte, worin Hölderlin - so Wiesberg - eine zentrale Rolle einnehme. Entsprechend räumt Wiesberg einer Beschreibung der Bekämpfung der „sukzessiven Atomisierung des Bewußtseins“ (45) in Strauß’ Werk viel Platz ein, so zum Beispiel im zentralen Kapitel zum „Bocksgesang“. Unter Verweis auf René Girards Theorie der Gewalt (98-103) wird dem Leser schnell deutlich, daß der Essay von Strauß keineswegs die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit an sich zu relativieren trachtete, sondern daß es ihm um eine Kritik an ihren vorteilhaft integrierten und wenig reflektiert arbeitenden Wortführern geht. Wiesberg selbst nannte sie in einer späteren Apologie seines Buches in Anlehnung an Strauß „Sachwalter der Dauerbewältigung“. Und in der Tat sind inzwischen unabhängig von Strauß, der seine Absichten bereits in dem Roman „Der junge Mann“ (1984) verdeutlichte, zahlreiche Autoren dieser Intention gefolgt und haben die Geschichte umfassender reflektiert: Jörg Friedrich, Ernst Nolte oder bekanntlich selbst Günter Grass. Fast wünschte man sich beim Lesen, daß Wiesberg das Problem des diesen Autoren und insbesondere Strauß vorgeworfenen „Revisionismus“ näher betrachtet. Ist doch Revisionismus entsprechend der Revisionsabteilung in Wirtschaftsunternehmen eher konnotiert mit Rechtschaffenheit, Aufklärung von Mißständen und umfassender Suche nach verborgenen Fehlern innerhalb der Funktionsweise eines ökonomischen oder gesellschaftlichen Ganzen. Revisionismus ist nicht per se Essenz ignoranter Intentionen, vielmehr terminologisch interpretierbar. Es gibt also Anhaltspunkte für die von Wiesberg zurecht konstatierte „Ästhetik der Restauration“ (71/77) in Deutschland. Ihm gelingt es, die Phänomene von substanzloser Jugendlichkeit, brutalem Haß der „Skinheads“ und grassierendem Nihilismus, welche von Soziologen lediglich unter „Postmodernität“ oder „Pluralismus“ subsumiert werden, über den Rekurs auf Strauß’ Werk in ihren Ursachen tiefgründiger zu beschreiben: Ursache dafür sei auch infolge instrumentalisierter „Vergangenheitsbewältigung“ der Mangel an einem durchaus normativen Kulturbegriff, der in der deutschen Geistesgeschichte steht. Wiesberg bietet ein politisch, philosophisch und ästhetisch verortetes Bildes von Botho Strauß an. Nachdem er den Geist des Autors, seine intentio auctoris - gleichgültig ob dies so manchem auf ausschließliche Textexegese bedachten Literaturwissenschaftler unzulänglich erscheinen mag - erfaßt hat, bilanziert Wiesberg: „Wie für Hegel ist auch für Heidegger die Dichtung die höchste Form der Kunst. Sie kann dem Menschen das Volle seines Wesens zurückgeben, das ihm durch die Technik genommen wurde.“ (118). Vortrefflicher ist Strauß im Sinne einer umfassenden Hermeneutik zum Verständnis seines Gesamtwerkes schwerlich zu charakterisieren. Wer für ein sensibles Verständnis von Literatur und Politik nicht das denkerische Differenzierungsvermögen aufbringt, sollte das Buch meiden, müsste sich aber im Gegenzug, gemäß Strauß’ Apologie seines „Bocksgesanges“ von 1994, einen Barbaren oder politischen Denunzianten schimpfen lassen.

„Beharren auf der Substanz des Deutschen“ - das könnte auch die Maxime des scharfen Beobachters Botho Strauß sein, der mit seinem Spiegel-Essay „Anschwellender Bocksgesang“ (1993) eine Absage an die nachkriegsdemokratischen Konventionen der Vergangenheitsbewältigung formulierte. Es ging ihm um das „Unsere“, das durch die Dominanz überbordender Moralität der Bedeutungslosigkeit preisgegeben werde.

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Umso begrüßenswerter ist diese Studie von Michael Wiesberg, die das Werk des Mystikers und Beobachters gesellschaftlicher Fluktuationen - dem eigenen Anspruch nach jenseits vom linksliberalen juste milieu - rekonstruiert. Nach einem werkbiographischen Überblick geht Wiesberg auf philosophische und poetologische Programme ein, die er für „unabdingbar für die Einordnung des Werkes“ (7) hält. Diese Einbettung des Denkens von Botho Strauß wird umsäumt von Ausflügen zu Descartes, Heidegger oder Georg Steiner. Spätestens hier wird deutlich, daß Wiesberg nicht auf eine umfassende philologische Interpretation seiner Texte und Theaterstücke aus ist, sondern auf die politische Einordnung von Strauß in die Kontinuitäten der deutschen Geistesgeschichte, worin Hölderlin - so Wiesberg - eine zentrale Rolle einnehme. Entsprechend räumt Wiesberg einer Beschreibung der Bekämpfung der „sukzessiven Atomisierung des Bewußtseins“ (45) in Strauß’ Werk viel Platz ein, so zum Beispiel im zentralen Kapitel zum „Bocksgesang“. Unter Verweis auf René Girards Theorie der Gewalt (98-103) wird dem Leser schnell deutlich, daß der Essay von Strauß keineswegs die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit an sich zu relativieren trachtete, sondern daß es ihm um eine Kritik an ihren vorteilhaft integrierten und wenig reflektiert arbeitenden Wortführern geht. Wiesberg selbst nannte sie in einer späteren Apologie seines Buches in Anlehnung an Strauß „Sachwalter der Dauerbewältigung“. Und in der Tat sind inzwischen unabhängig von Strauß, der seine Absichten bereits in dem Roman „Der junge Mann“ (1984) verdeutlichte, zahlreiche Autoren dieser Intention gefolgt und haben die Geschichte umfassender reflektiert: Jörg Friedrich, Ernst Nolte oder bekanntlich selbst Günter Grass. Fast wünschte man sich beim Lesen, daß Wiesberg das Problem des diesen Autoren und insbesondere Strauß vorgeworfenen „Revisionismus“ näher betrachtet. Ist doch Revisionismus entsprechend der Revisionsabteilung in Wirtschaftsunternehmen eher konnotiert mit Rechtschaffenheit, Aufklärung von Mißständen und umfassender Suche nach verborgenen Fehlern innerhalb der Funktionsweise eines ökonomischen oder gesellschaftlichen Ganzen. Revisionismus ist nicht per se Essenz ignoranter Intentionen, vielmehr terminologisch interpretierbar. Es gibt also Anhaltspunkte für die von Wiesberg zurecht konstatierte „Ästhetik der Restauration“ (71/77) in Deutschland. Ihm gelingt es, die Phänomene von substanzloser Jugendlichkeit, brutalem Haß der „Skinheads“ und grassierendem Nihilismus, welche von Soziologen lediglich unter „Postmodernität“ oder „Pluralismus“ subsumiert werden, über den Rekurs auf Strauß’ Werk in ihren Ursachen tiefgründiger zu beschreiben: Ursache dafür sei auch infolge instrumentalisierter „Vergangenheitsbewältigung“ der Mangel an einem durchaus normativen Kulturbegriff, der in der deutschen Geistesgeschichte steht.

Wiesberg bietet ein politisch, philosophisch und ästhetisch verortetes Bildes von Botho Strauß an. Nachdem er den Geist des Autors, seine intentio auctoris - gleichgültig ob dies so manchem auf ausschließliche Textexegese bedachten Literaturwissenschaftler unzulänglich erscheinen mag - erfaßt hat, bilanziert Wiesberg: „Wie für Hegel ist auch für Heidegger die Dichtung die höchste Form der Kunst. Sie kann dem Menschen das Volle seines Wesens zurückgeben, das ihm durch die Technik genommen wurde.“ (118). Vortrefflicher ist Strauß im Sinne einer umfassenden Hermeneutik zum Verständnis seines Gesamtwerkes schwerlich zu charakterisieren. Wer für ein sensibles Verständnis von Literatur und Politik nicht das denkerische Differenzierungsvermögen aufbringt, sollte das Buch meiden, müsste sich aber im Gegenzug, gemäß Strauß’ Apologie seines „Bocksgesanges“ von 1994, einen Barbaren oder politischen Denunzianten schimpfen lassen.

geschrieben am 16.11.2006 | 543 Wörter | 3686 Zeichen

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