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Perspektiven, Bd. 5: Gerhard Nebel. Wächter des Normativen


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Rezension von

Daniel Bigalke

Gerhard Nebel. Wächter des Normativen „Das Nichts ist das Elend unserer Zeit, aber keine unübersteigbare Notwendigkeit, sondern immer für den Einzelnen mit der Lizenz des Ausstiegs verbunden.“ So schreibt Gerhard Nebel (1903-1974) 1973 über den protestantischen Mystiker Hamann, den er als geknechteten Autor deutscher Tradition betrachtete. Nebel gehört - trotz einer Ausgabe einiger seiner Essays im Jahre 2000 („Schmerz des Vermissens“) - zu den am meisten verschollenen Autoren. So kommt Erik Lehnert das Verdienst zu, die erste einführende Monographie über diesen geistigen Grenzüberschreiter geschrieben zu haben. Wie in der Perspektiven-Reihe üblich, beginnt das Buch mit einem biographischen Abriß, der Nebel, geboren im anhaltinischen Dessau, als Sucher nach dem Normativen, nach einer gleichsam metaphysischen Beheimatung zeigt. Durch den Niedergang der Weimarer Republik politisiert, tritt er zunächst der SPD bei, um später mit dem Syndikalismus Sorels zu sympathisieren, wegen sozialistischer Agitation vom Schuldienst suspendiert zu werden und schließlich nach der Begegnung mit Carl Schmitt und Ernst Jünger eine Wende zum undogmatischen Konservatismus zu vollziehen. Nebel - einst vielfacher Lehrer und seit 1955 vollends schriftstellerisch tätig - publizierte in der FAZ, Christ und Welt und in Merian. Sein Lebensthema allerdings - so Lehnert - war die Frage nach der Vereinbarkeit des griechischen Mythos mit dem Christentum. Zum Christentum bekannte sich Nebel in seinen letzten Jahren enthusiastisch. In Pindar hingegen verehrte er den Sänger des Agon, die Theologie der Athletik, den Helfer bei der heilsamen Zivilisationsaskese im Kampf um die grassierende ontologische Armut. Man müsse - so Nebel - philosophische Werke nacherleben, nicht nur interpretieren, um sie verstehen zu können. Entscheidenden Platz nimmt in der Darstellung Lehnerts das autobiographische Buch Nebels „Unter Partisanen und Kreuzfahrern“ (1950) ein, in dem Nebel im Weltbürgerkrieg des Nihilismus verortet wird (79ff.), der sich durch den Mangel an Wirklichkeit auszeichne und zu viel sekundäre Ersatzbefriedigung schaffe. Für Nebel gibt es also keine Gestalt des Lebens, deren sich in seinem Jahrhundert nicht der Nihilismus, die blinde Entartung, bemächtigt hat. So bilanziert er 1950 im benannten autobiographischen Kriegstagebuch über die permanente Berührung des Menschen mit dem Nichts: „Ich ehre die Idee des ritterlichen Krieges, muß aber gerade darum ihre partisanenhafte Entartung in aller Schärfe nachzeichnen.“ Später sieht er dieselbe Entartung im Materialismus und Rationalismus. Diese beiden Ränder des aufklärerischen Spektrums machten jede umfassende Aufklärung hinfällig. Der Fortschritt zerstörte offenbar alles, was Nebel wichtig erschien. So verwundert es nicht, daß er sich gerade in seinen letzten Jahren mit der vorbildhaften Aufklärung Hamanns befaßte, die bekanntlich die Mündigkeit nicht als völlig einzulösendes Postulat kannte, sondern die unüberwindbare Unmündigkeit vor Gott voraussetzte. Zwischen kantigen, transzendenzbejahenden, archaischen und technokratieverneinenden Versatzstücken der Person Nebels gelingt es Lehnert, ihn vom oftmals vorgebrachten Verdikt des „ekstatischen Traditionalisten“ zu befreien und ihn vielmehr in seiner eigentlichen Potentialität zu beschreiben: Als jemanden, der den Menschen in einer antinomischen Situation von Freiheit und Gebundenheit, zwischen Gott und Welt, sieht. Lehnerts Verdienst ist es ohne Zweifel, diese Lebenshaltung bei Nebel beschrieben zu haben und ihn als jemanden zu offenbaren, der gerade in Zeiten umfassender „postmoderner“ Aporien das Wesentliche verkündet, die Wahrheit, die uns trifft. Nebel erscheint schlichtweg als „Aufhalter“, als Katechont gegen die - so Nebel in seinem Hamann-Essay - „Verjauchung nicht nur der Elemente, sondern auch der Herzen“. Entgegen einem leidenschaftslosen Historismus - heute in den Geisteswissenschaften dominant - hat Nebel einiges mitzuteilen.

„Das Nichts ist das Elend unserer Zeit, aber keine unübersteigbare Notwendigkeit, sondern immer für den Einzelnen mit der Lizenz des Ausstiegs verbunden.“ So schreibt Gerhard Nebel (1903-1974) 1973 über den protestantischen Mystiker Hamann, den er als geknechteten Autor deutscher Tradition betrachtete. Nebel gehört - trotz einer Ausgabe einiger seiner Essays im Jahre 2000 („Schmerz des Vermissens“) - zu den am meisten verschollenen Autoren. So kommt Erik Lehnert das Verdienst zu, die erste einführende Monographie über diesen geistigen Grenzüberschreiter geschrieben zu haben.

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Wie in der Perspektiven-Reihe üblich, beginnt das Buch mit einem biographischen Abriß, der Nebel, geboren im anhaltinischen Dessau, als Sucher nach dem Normativen, nach einer gleichsam metaphysischen Beheimatung zeigt. Durch den Niedergang der Weimarer Republik politisiert, tritt er zunächst der SPD bei, um später mit dem Syndikalismus Sorels zu sympathisieren, wegen sozialistischer Agitation vom Schuldienst suspendiert zu werden und schließlich nach der Begegnung mit Carl Schmitt und Ernst Jünger eine Wende zum undogmatischen Konservatismus zu vollziehen. Nebel - einst vielfacher Lehrer und seit 1955 vollends schriftstellerisch tätig - publizierte in der FAZ, Christ und Welt und in Merian. Sein Lebensthema allerdings - so Lehnert - war die Frage nach der Vereinbarkeit des griechischen Mythos mit dem Christentum. Zum Christentum bekannte sich Nebel in seinen letzten Jahren enthusiastisch. In Pindar hingegen verehrte er den Sänger des Agon, die Theologie der Athletik, den Helfer bei der heilsamen Zivilisationsaskese im Kampf um die grassierende ontologische Armut. Man müsse - so Nebel - philosophische Werke nacherleben, nicht nur interpretieren, um sie verstehen zu können.

Entscheidenden Platz nimmt in der Darstellung Lehnerts das autobiographische Buch Nebels „Unter Partisanen und Kreuzfahrern“ (1950) ein, in dem Nebel im Weltbürgerkrieg des Nihilismus verortet wird (79ff.), der sich durch den Mangel an Wirklichkeit auszeichne und zu viel sekundäre Ersatzbefriedigung schaffe. Für Nebel gibt es also keine Gestalt des Lebens, deren sich in seinem Jahrhundert nicht der Nihilismus, die blinde Entartung, bemächtigt hat. So bilanziert er 1950 im benannten autobiographischen Kriegstagebuch über die permanente Berührung des Menschen mit dem Nichts: „Ich ehre die Idee des ritterlichen Krieges, muß aber gerade darum ihre partisanenhafte Entartung in aller Schärfe nachzeichnen.“ Später sieht er dieselbe Entartung im Materialismus und Rationalismus. Diese beiden Ränder des aufklärerischen Spektrums machten jede umfassende Aufklärung hinfällig. Der Fortschritt zerstörte offenbar alles, was Nebel wichtig erschien. So verwundert es nicht, daß er sich gerade in seinen letzten Jahren mit der vorbildhaften Aufklärung Hamanns befaßte, die bekanntlich die Mündigkeit nicht als völlig einzulösendes Postulat kannte, sondern die unüberwindbare Unmündigkeit vor Gott voraussetzte.

Zwischen kantigen, transzendenzbejahenden, archaischen und technokratieverneinenden Versatzstücken der Person Nebels gelingt es Lehnert, ihn vom oftmals vorgebrachten Verdikt des „ekstatischen Traditionalisten“ zu befreien und ihn vielmehr in seiner eigentlichen Potentialität zu beschreiben: Als jemanden, der den Menschen in einer antinomischen Situation von Freiheit und Gebundenheit, zwischen Gott und Welt, sieht. Lehnerts Verdienst ist es ohne Zweifel, diese Lebenshaltung bei Nebel beschrieben zu haben und ihn als jemanden zu offenbaren, der gerade in Zeiten umfassender „postmoderner“ Aporien das Wesentliche verkündet, die Wahrheit, die uns trifft. Nebel erscheint schlichtweg als „Aufhalter“, als Katechont gegen die - so Nebel in seinem Hamann-Essay - „Verjauchung nicht nur der Elemente, sondern auch der Herzen“. Entgegen einem leidenschaftslosen Historismus - heute in den Geisteswissenschaften dominant - hat Nebel einiges mitzuteilen.

geschrieben am 16.11.2006 | 525 Wörter | 3395 Zeichen

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