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1968: Bildspur eines Jahres


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Rezension von

Benjamin Städter

1968: Bildspur eines Jahres In der deutschsprachigen Publizistik gehört es zum (verkaufsstrategisch) guten Ton, den runden Geburtstag epochaler Ereignisse mit einer Vielzahl von Veröffentlichungen zu begleiten, die dem Leser das Vergangene in Erinnerung rufen, es in einen historischen Kontext einordnen und somit zugleich in rückblickender Perspektive ausdeuten. So beschert das Bücherjahr 2008 dem an der jüngeren Vergangenheit interessierten Leser eine Vielzahl historischer Analysen, politischer Stellungnahmen und persönlicher Erinnerungen an das Jahr 1968, das als prägnante Wendemarke die Geschichte der Bundesrepublik in zwei Teile zu trennen scheint. Längst kann es zwar als common sense gelten, dass das Kalenderjahr 1968 weder den Abschied von einer „alten“ Bundesrepublik adenauerscher Prägung noch den Beginn einer neuen Epoche der brandtschen Demokratie bedeutete. Trotz allem begegnet uns dieses Jahr in den Diskussionen unserer Tage als Signum für eine grundlegende Erneuerung der Bundesrepublik, die fast alle gesellschaftlichen Teilbereiche erfassen konnte. Nachdem Norbert Frei und (wie in guten alten Zeiten heiß diskutiert) Götz Aly ihren Blick auf 1968 vor allem einem fachwissenschaftlichen Publikum vorlegten, präsentieren der Filmemacher Andres Veiel und der Publizist Gerd Koenen nun dem breiten Publikum einen ansprechenden Bildband, der den viel sagenden Titel „1968. Bildspur eines Jahres“ trägt. Schon hier wird dem Leser deutlich gemacht: Die Rückschauenden sind noch auf der Suche nach überzeugenden und griffigen Interpretationsansätzen, die uns die ubiquitären Facetten von 1968 nicht nur präsentieren, sondern auch ordnen und erklären. Sich dem so vielseitigen Jahr über die Spur seiner Visualität zu nähern, scheint dabei durchaus sinnig, haben seine Bilder doch zweifelsohne sowohl die Wahrnehmung der Zeitgenossen als auch den retrospektiven Blick mindestens genauso stark geprägt wie die schriftlichen Überlieferungen. Wie so häufig in der zeitgenössischen Diskussion um 1968 begegnet dem Leser und Betrachter auch im vorliegenden Band ein stark persönliches Bild, eine Art Rückschau des ‚Dabeigewesenen’. Gerd Koenens einleitender Aufsatz, der in feuilletonistischer Leichtigkeit (und Lesbarkeit) auf gut zwanzig Seiten einen Parforceritt durch das wahrhaft ‚Ereignis-reiche’ Jahr in internationaler Perspektive vollbringt, trägt so auch den sinnfälligen Titel „Mein 1968“. Immer wieder streut der Autor seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse aus dem Tübinger SDS in sein Referat über Ausgangspunkte, Anstöße und Verlauf von politischem Protest und kultureller Erneuerung ein. Dabei gelingt es ihm, weniger eine Apologie auf das damals Geschehene als vielmehr eine ebenso ehrliche wie humorvolle Melange von persönlichen Erfahrungen und deren weltpolitischer Rahmung zu präsentieren. Herzstück des Bandes sind zweifelsohne die knapp 200 Schwarz-Weiß-Bilder, die Andres Veiel aus den verschiedensten Archiven und Bilderdiensten zusammengestellt hat, um eine „scheinbar bekannte Geschichte neu zu erzählen“ (S.6). Auch wenn er hierbei beteuert, ikonografische Bilder zu meiden, begegnen dem Betrachter doch oft die bekannten Szenen: Der Leichnam Che Guevaras, die mit Holzstangen bewaffneten „Jubelperser“, das Polizeifoto Andreas Baaders nach seiner Festnahme. Einleitende Texte führen in die einzelnen Themenbereiche ein. Dabei erfährt der Betrachter leider nur etwas über die historischen Kontexte einzelner Bildstrecken. Einige Kommentare auch zu den Besonderheiten der Visualisierungen dieser Ereignisse hätten hier sicher einen tieferen Einblick in die bildlichen Inszenierungen von 1968 geben können. Allzu deutlich wird dies an einem Coverfoto des Wirtschaftsmagazins „Capital“ mit dem lapidaren Titel „Rudi Dutschke mit Lektüre“. Auf ihm sieht der Betrachter den Studententribunen mit visionärem Blick, der leicht am Betrachter vorbei geht. Dutschke trägt einen zugeknöpften Mantel, ein akkurat gefalteter Schal verdeckt seinen Hals. Unter seinem Arm hält er – fest an den Körper gedrückt – eine Ausgabe des Marx’schen Kapitals, aus dem einige Papierschnipsel wie Lesezeichen hervorragen. Die hier allzu offensichtliche Selbstinszenierung Dutschkes, die anscheinend auch anschlussfähig für die bürgerliche Leserschaft der Wirtschaftszeitung war, hätte an dieser Stelle durchaus einige Bemerkungen der Herausgeber verdient. So bleiben hier wie an anderen Stellen die Bilder dann doch „nur“ Illustrationen der schriftlichen Deutung von 1968, ihr Eigenwert wird allzu selten herausgestellt. Gerade Bilder von 1968 sprechen aber eben nicht für sich selbst, sondern sind immer eingebunden in den von Produzenten und Medienakteuren vorgegebenen narrativen und visuellen Kontext, der dem Betrachter eine Lesart zumindest nahe legt. Diese historisch bedingten Lesarten der Bilder von 1968 zumindest ansatzweise zu dekonstruieren, hätte sicher die Möglichkeit einer überaus interessanten und innovativen Auseinandersetzung mit der Visualität von Protest und Erneuerung gegeben, die in Veiels und Koenens Bildband ausgelassen wurde. Trotz dieser Leerstelle bietet der Bildband dem Betrachter eine Fülle von interessanten und fotografisch hochwertigen Einblicken in die Ereignisse, die mit dem bewegenden Jahr 1968 in Verbindung gebracht werden. Somit bleibt es ihm zu wünschen, dass er sein Publikum nicht nur in der Gruppe der ‚sich Erinnernden’ findet, sondern auch in denjenigen, die damals nicht dabei waren.

In der deutschsprachigen Publizistik gehört es zum (verkaufsstrategisch) guten Ton, den runden Geburtstag epochaler Ereignisse mit einer Vielzahl von Veröffentlichungen zu begleiten, die dem Leser das Vergangene in Erinnerung rufen, es in einen historischen Kontext einordnen und somit zugleich in rückblickender Perspektive ausdeuten. So beschert das Bücherjahr 2008 dem an der jüngeren Vergangenheit interessierten Leser eine Vielzahl historischer Analysen, politischer Stellungnahmen und persönlicher Erinnerungen an das Jahr 1968, das als prägnante Wendemarke die Geschichte der Bundesrepublik in zwei Teile zu trennen scheint. Längst kann es zwar als common sense gelten, dass das Kalenderjahr 1968 weder den Abschied von einer „alten“ Bundesrepublik adenauerscher Prägung noch den Beginn einer neuen Epoche der brandtschen Demokratie bedeutete. Trotz allem begegnet uns dieses Jahr in den Diskussionen unserer Tage als Signum für eine grundlegende Erneuerung der Bundesrepublik, die fast alle gesellschaftlichen Teilbereiche erfassen konnte. Nachdem Norbert Frei und (wie in guten alten Zeiten heiß diskutiert) Götz Aly ihren Blick auf 1968 vor allem einem fachwissenschaftlichen Publikum vorlegten, präsentieren der Filmemacher Andres Veiel und der Publizist Gerd Koenen nun dem breiten Publikum einen ansprechenden Bildband, der den viel sagenden Titel „1968. Bildspur eines Jahres“ trägt. Schon hier wird dem Leser deutlich gemacht: Die Rückschauenden sind noch auf der Suche nach überzeugenden und griffigen Interpretationsansätzen, die uns die ubiquitären Facetten von 1968 nicht nur präsentieren, sondern auch ordnen und erklären. Sich dem so vielseitigen Jahr über die Spur seiner Visualität zu nähern, scheint dabei durchaus sinnig, haben seine Bilder doch zweifelsohne sowohl die Wahrnehmung der Zeitgenossen als auch den retrospektiven Blick mindestens genauso stark geprägt wie die schriftlichen Überlieferungen.

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Wie so häufig in der zeitgenössischen Diskussion um 1968 begegnet dem Leser und Betrachter auch im vorliegenden Band ein stark persönliches Bild, eine Art Rückschau des ‚Dabeigewesenen’. Gerd Koenens einleitender Aufsatz, der in feuilletonistischer Leichtigkeit (und Lesbarkeit) auf gut zwanzig Seiten einen Parforceritt durch das wahrhaft ‚Ereignis-reiche’ Jahr in internationaler Perspektive vollbringt, trägt so auch den sinnfälligen Titel „Mein 1968“. Immer wieder streut der Autor seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse aus dem Tübinger SDS in sein Referat über Ausgangspunkte, Anstöße und Verlauf von politischem Protest und kultureller Erneuerung ein. Dabei gelingt es ihm, weniger eine Apologie auf das damals Geschehene als vielmehr eine ebenso ehrliche wie humorvolle Melange von persönlichen Erfahrungen und deren weltpolitischer Rahmung zu präsentieren.

Herzstück des Bandes sind zweifelsohne die knapp 200 Schwarz-Weiß-Bilder, die Andres Veiel aus den verschiedensten Archiven und Bilderdiensten zusammengestellt hat, um eine „scheinbar bekannte Geschichte neu zu erzählen“ (S.6). Auch wenn er hierbei beteuert, ikonografische Bilder zu meiden, begegnen dem Betrachter doch oft die bekannten Szenen: Der Leichnam Che Guevaras, die mit Holzstangen bewaffneten „Jubelperser“, das Polizeifoto Andreas Baaders nach seiner Festnahme. Einleitende Texte führen in die einzelnen Themenbereiche ein. Dabei erfährt der Betrachter leider nur etwas über die historischen Kontexte einzelner Bildstrecken. Einige Kommentare auch zu den Besonderheiten der Visualisierungen dieser Ereignisse hätten hier sicher einen tieferen Einblick in die bildlichen Inszenierungen von 1968 geben können. Allzu deutlich wird dies an einem Coverfoto des Wirtschaftsmagazins „Capital“ mit dem lapidaren Titel „Rudi Dutschke mit Lektüre“. Auf ihm sieht der Betrachter den Studententribunen mit visionärem Blick, der leicht am Betrachter vorbei geht. Dutschke trägt einen zugeknöpften Mantel, ein akkurat gefalteter Schal verdeckt seinen Hals. Unter seinem Arm hält er – fest an den Körper gedrückt – eine Ausgabe des Marx’schen Kapitals, aus dem einige Papierschnipsel wie Lesezeichen hervorragen. Die hier allzu offensichtliche Selbstinszenierung Dutschkes, die anscheinend auch anschlussfähig für die bürgerliche Leserschaft der Wirtschaftszeitung war, hätte an dieser Stelle durchaus einige Bemerkungen der Herausgeber verdient. So bleiben hier wie an anderen Stellen die Bilder dann doch „nur“ Illustrationen der schriftlichen Deutung von 1968, ihr Eigenwert wird allzu selten herausgestellt. Gerade Bilder von 1968 sprechen aber eben nicht für sich selbst, sondern sind immer eingebunden in den von Produzenten und Medienakteuren vorgegebenen narrativen und visuellen Kontext, der dem Betrachter eine Lesart zumindest nahe legt. Diese historisch bedingten Lesarten der Bilder von 1968 zumindest ansatzweise zu dekonstruieren, hätte sicher die Möglichkeit einer überaus interessanten und innovativen Auseinandersetzung mit der Visualität von Protest und Erneuerung gegeben, die in Veiels und Koenens Bildband ausgelassen wurde.

Trotz dieser Leerstelle bietet der Bildband dem Betrachter eine Fülle von interessanten und fotografisch hochwertigen Einblicken in die Ereignisse, die mit dem bewegenden Jahr 1968 in Verbindung gebracht werden. Somit bleibt es ihm zu wünschen, dass er sein Publikum nicht nur in der Gruppe der ‚sich Erinnernden’ findet, sondern auch in denjenigen, die damals nicht dabei waren.

geschrieben am 17.06.2008 | 736 Wörter | 4688 Zeichen

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