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Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte


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Rezension von

Daniel Bigalke

Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte Edgar Julius Jung (1894-1934), Rechtsanwalt und Verfasser der am 17. Juni 1934 von Franz von Papen gehaltenen Marburger Rede vor Studenten, welche fĂŒr Jung zum tödlichen VerhĂ€ngnis werden sollte, schrieb noch kurz vor seiner Ermordung in der Nacht zum 1. Juli 1934 durch die SS folgende SĂ€tze ĂŒber die Ausgabe der Politischen Schriften Oswald Spenglers im selben Jahre: „Persönlich Stolzeres und menschlich doch Weheres, aber auch sachlich Gerechteres und geschichtlich GĂŒltigeres dĂŒrfte in den letzten 15 Jahren kaum von einem zweiten Zeitgenossen deutscher Zunge geschrieben worden sein. Diese Sammlung von Schriften, von denen keine veraltet ist, schon weil alle darauf warten, erst noch verstanden zu werden, mutet an wie der Atemzug einer mĂ€chtigen Rede, in der Spengler seinem Volk und seiner Zeit kĂŒhn die Wahrheit zu sagen auf sich nimmt, im Namen des ewigen deutschen Geistes, fĂŒr den zu sprechen er Recht und Beruf hat.“ Höchste Zeit, zum aktuellen denkerischen Kern Spenglers, des deutschen Geistes, seinem wieder neu aufgelegten Buch „Der Untergang des Abendlandes“ und seinem metapolitischen Konzept Stellung zu beziehen. Es ist dies das Buch, welches Furore machen sollte und so machen Philosophen und Politologen der Gegenwart – nicht nur Samuel P. Huntington mit seiner These vom „Kampf der Kulturen“ - weiterhin beeindruckt, gerade weil es damals wie heute fĂŒr viele unabhĂ€ngige Denker eine intuitiv gefĂŒhlte AktualitĂ€t in sich birgt. Es ist deshalb umso begrĂŒĂŸenswerter, daß im Patmos-Verlag mit diesem Buch, „Der Untergang des Abendlandes“ (2007), inzwischen die zweite Schrift Oswald Spenglers (1880-1936) neben „Der Mensch und die Technik“ (2006 - Karolinger Verlag) ganz neu aufgelegt wird, was natĂŒrlich fĂŒr eine Wende in der intellektuellen Auseinandersetzung mit Spengler in der deutschen Nachkriegszeit steht, die zum ersten Mal den Namen „wirkliche Auseinandersetzung“ auch verdient. Das nunmehr neu vorliegende Buch „Der Untergang des Abendlandes“ ist mehr als nur eine Kulturphilosophie, es ist in hohem Maße TrĂ€ger einer politischen Botschaft, im Kern ein geschichtsspekulatives System, welches deutsche Denker nach Hegel wohl kaum wieder derartig in Angriff nahmen. Spengler war ein unpolitischer Intellektueller, der sich abseits der Politik hielt und sein Heil in höheren SphĂ€ren suchte - eine typische Haltung fĂŒr das BildungsbĂŒrgertum seiner Zeit. Seine politische Ideologie, sein Buch und seine AktivitĂ€ten sind ohne seine Lebens- und Kulturphilosophie nicht zu verstehen. Genau diese findet sich in diesem 1249 Seiten umfassenden Buch ausfĂŒhrlich dargelegt. Metaphysik, Kulturphilosophie und Politik sind in dem Buch Spenglers eng verbunden. Es ist ein Ă€ußerst subjektives Werk, verfaßt von einem ĂŒbersensiblen, introvertierten und depressiven Menschen, dessen Innerlichkeit vor der Außenwelt verschlossen war. In intellektueller und sozialer Hinsicht kann man Spengler vor 1918, vor Erscheinen dieses Buches, als einen „declassĂ©â€œ betrachten, bis er schließlich nach Erscheinen seines Werkes in ein verzweigtes Netzwerk industrieller, politischer und paramilitĂ€rischer Kreise aufgenommen wurde, das sich in drei Machtzentren des Deutschen Reiches konzentrierte: Berlin, Ruhrgebiet, MĂŒnchen. In ihm weitete Spengler seine „konservativ-revolutionĂ€re“ Geisteshaltung aus und praktizierte gleichsam aktive Metapolitik. Unter Metapolitik versteht sich der gezielte Einbezug des Transzendenten in die politische Auseinandersetzung. So gilt die Einkehr ins eigene Innere als Notwendigkeit fĂŒr ein Wirken in der Welt. Wissen und gar Weisheit ist nicht von denen zu erwarten, die nicht auch ernsthaft an sich selbst gearbeitet, eigene individuelle Motivationen und Leidenschaften erkannt und in ihren Konsequenzen reflektiert und optimiert haben. Dieser Bezug zur Innerlichkeit ist typisch fĂŒr die Bewegung der „Konservativen Revolution“, zu der erstmalig der Publizist Armin Mohler (1920-2003) den Kulturphilosophen Spengler zuordnete. (Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918 - 1932. Ein Handbuch, 1950, in 6. Auflage ĂŒberarbeitet von Karlheinz Weißmann) Nach Überzeugung dieser geistigen Strömung in Deutschland sollte die Innerlichkeit politische Umsetzung durch Geisteswandel in der Masse erbringen. Es gilt damit im Sinne von Alain de Benoists Analyse der Kulturrevolution Gramscis: “Innerhalb der menschlichen Gesellschaft (...) ist nichts neutral. (...) Die Kultur formt (...) den Geist nach der herrschenden Ideologie. Es gilt, daß man auf die Struktur der politischen (...) Macht Einfluss ausĂŒben kann, indem man auf den Überbau der Kultur und der Ideen einwirkt.” (Alain de Benoist: Kulturrevolution von rechts, 1985, S. 42/43) Daraus ergibt sich, daß ein Einwirken nicht im politischen Bereich, sondern vielmehr im vorpolitischen Bereich gemeint ist, und zwar unter Bezugnahme auf SuggestibilitĂ€t und Beeinflussung der Massen im Zuge einer verstĂ€rkten Selbstwahrnehmung und SelbstreflexivitĂ€t unter den Initiatoren dieses Ansatzes – u.a. Spengler selbst. Festzuhalten ist also, daß Metapolitik von der Artikulation neuer politischer Methoden und Inhalte handelt und reflektiert, was hinter der Politik steht. Sie analysiert unter schrittweiser VerĂ€nderung des sozialen Raumes, was der Politik vorausgeht. Das Rekurrieren auf existentielle Erfahrungen, wie die Furcht vor einem neuerlichen Zusammenbruch einer haltgebenden Ordnung, kann zur Erfahrung von Sinn fĂŒhren, kann die Konzentration und das Krisenbewußtsein schĂ€rften und ĂŒber politische Artikulation ihre zielbewußt sich realisierende VerlĂ€ngerung finden. So auch bei Oswald Spengler, der im vorliegenden Buch vor kulturphilosophischem Hintergrund vom „UrgefĂŒhl der Sehnsucht“ (107), von „Weltangst“ (107) und der „Gewissheit eines Schicksals“ (153) spricht. Doch wie erklĂ€rt sich die Motivation, das vorliegende Buch verfaßt zu haben und noch vielmehr: Was fasziniert bis heute an diesem Buch? Wieso wird es erneut aufgelegt? Befinden wir uns in einer Ă€hnlichen Zeitenwende wie Spengler selbst? Oswald Spengler war besonders sensibel fĂŒr soziale und kulturelle Entwicklungen in Deutschland. Sein Kulturpessimismus umschließt die Dekadenz und das SpĂ€tzeitbewußtsein, die gespannte Beziehung zwischen Geist, Macht und ModernitĂ€tskrise. Es ist bezeichnend fĂŒr sein metapolitisches Konzept, daß seine Lebensphilosophie völlig außerhalb der renommierten – oder sich als dergleichen betrachtenden – „professionellen“ Wissenschaft entstand – sich dafĂŒr aber umso autonomer entwickelte. Seine persönlichen EnttĂ€uschungen und Ressentiments kehrten sich gegen die Kultur und deren offizielle ReprĂ€sentanten. Die Flucht ins Selbst resultiert daraus. Man kann auch von einem Innerlichkeitskult sprechen oder von einem inneren Egotismus, wie ihn der französische Philosoph Stendhal prĂ€gte. Spenglers eigene Tragödie als Mensch, der sich verstehen will, trug alle Farben seiner Zeit: “...den Kult des einsamen, des Fremdlings (...), die Begierde zu leiden, den Narzismus der Schwarzen Romantik. (...) Er versteht: es gibt keine Erkenntnis, kein GlĂŒck (...), es gibt nur Werden und Wollen.” (Anton Mirko Koktanek: Oswald Spengler in seiner Zeit, 1968, S. XXIV/XXV) So faßte Anton Koktanek die psychologische Disposition Spenglers in Bezug zum Hauptwerk trefflich zusammen. Die feindliche Außenwelt, die etablierte Politik, wird fĂŒr den empfundenen Verfall – womöglich zurecht - verantwortlich gemacht. Die manichĂ€ische Feindschaft gegen den liberalen Westen, die sich in Spenglers nachfolgender Schrift „Preußentum und Sozialismus“ aus dem Jahre 1924 kundtut und dem preußischen Ordensgeistes als ordnungsstiftendes transpersonales Gemeinschaftsprinzip das Prinzip des Individualismus und Materialismus liberaler Provenienz entgegenstellt, ist verbunden mit einer chiliastischen Aufladung der deutschen Geschichte als erstrebtes Chiffre fĂŒr die Vision einer organischen und haltgebenden Institution von Staat. Dieses metapolitische Programm der „Konservativen Revolution“ versuchte sich ĂŒber ein dionysisches, melancholisches und kulturbetonendes, Ă€sthetisierendes Wesen in die Tat umzusetzen. Wer diesen Ansatz aus erster Hand zu verstehen gedenkt und nicht die Ebene eines Pseudowissens betritt, die Resultat hypermoralischer Vorgaben dessen ist, was heute ĂŒber Spengler zu denken ist oder gedacht sein soll, um guter „Demokrat“ zu sein, der möge speziell das Kapitel ĂŒber Staat, Politik und Wirtschaft im vorliegenden Buch direkt studieren – Spengler selbst reden lassen. (961ff.) Auch Spengler entzog sich also im „Untergang“ nicht den direkt politischen Inhalten. Er kompensierte seine innere Zerrissenheit und sein Unvermögen tatsĂ€chlicher Teilhabe am Leben durch seine Mystik, durch sein allumfassendes Lebensprinzip, schlichtweg durch seine Lebensphilosophie als sĂ€kulare Ersatzreligion. Er bezweckte damit die Verschiebung deutscher MentalitĂ€ten nach seinen intuitiven Ambitionen, um der GefĂ€hrdung der tradierten Kultur durch “Massenhaftigkeit und (...) Begehrlichkeit der Massen” im Zuge aufkommender Mechnisierung und Ökonomie sowie aufkommender Systematisierung und Abstraktion im Denken entgegenzuwirken. (Joachim Knoll/Julius Schoeps (Hrsg.): Von kommenden Zeiten, 1984, S. 131) Wissenschaft konnte Gesetze erweisen, aber nicht die ersehnte innere Gewißheit erzeugen. Der „Untergang“ Spenglers ist ein Werk, welches sich in diesen Zusammenhang einordnet und nur auf dieser Ebene inhaltlich verstanden werden kann. Man möge also Abstand nehmen von einer solchen Beurteilung der vorliegenden Schrift, deren Maßstab nicht dem zu beurteilenden Objekt immanent ist. Spenglers politische Haltung wußte, daß das Denkvermögen des Menschen dennoch nicht reicht, um die Wirklichkeit vollstĂ€ndig zu ergrĂŒnden, und so richtet sich sein Lebensbegriff gegen die Form wissenschaftlicher Erkenntnis, die die eigentlich innewohnende IrrationalitĂ€t des Seienden negiere. Spengler betrachtet das Denken im Sinne Fichtes vorrangig als einen immer wieder nur auf das Individuum zurĂŒckgehenden Prozeß. „Das Denken herrscht, trotz allem, nur im ‚Reich der Gedanken’“. (568) Es ist festzuhalten, daß Spenglers absoluter historischer Relativismus wiederum auf seine Befindlichkeit als Individuum zurĂŒckzufĂŒhren ist und durch individuelle Handlungsmuster seines Geistes bestimmt werden kann, weil dieser selbst von PolaritĂ€ten geprĂ€gt war: Ich und Welt, Mikrokosmos und Makrokosmos, das Eigene und das Fremde, Geburt und Weltangst. So betrachtet er das Leben wesentlich aus der Perspektive des Geworfenseins, dessen Ausdruck bei ihm das Buch „Der Untergang des Abendlandes“ ist: “Ein Denker ist ein Mensch, dem es bestimmt war, durch das eigene Schauen und Verstehen die Zeit symbolisch darzustellen. Er hat keine Wahl. Er denkt, wie er denken muß, und wahr ist fĂŒr ihn, was als Bild seiner Welt mit ihm geboren wurde.” (Vorwort, VII) Auch hier klingen Analogien zur klassischen Philosophie des Deutschen Idealismus an, die Spengler womöglich in schopenhauerischer Manier getadelt hĂ€tte, welche aber mit Fichtes Wissenschaftslehre schon frĂŒher wußte, daß die Philosophie eines Denkers lediglich und einzig davon abhĂ€nge, was fĂŒr ein Mensch er sei. Also wieder das principium individuationis. Über die Marginalisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse konzentrierte Spengler sich auf metaphysische Probleme und fĂŒhrte den Deutschen die tatsĂ€chliche Situation vor Augen. Das ist als Auswirkung seiner spezifischen IndividualitĂ€t auf die politische Ebene zu verstehen, durch die er seine PassivitĂ€t beenden wollte. Seine konservative Weltanschauung trug latent die Konturen einer politischen Ideologie, die weniger durch eine empirisch-induktive sondern vielmehr durch den poetisch-intuitiven Zugriff gegen die verhaßte Entseelung seiner Zeit ankĂ€mpfte. So versteht sich auch der strenge Determinismus seines Hauptwerkes “Der Untergang des Abendlandes”: Die Konzentration auf metaphysische, mythische PhĂ€nomene, die Wahrnehmung des kĂŒnftig Notwendigen und der Drang, all jenes politisch mitzuteilen, fĂŒhrten zu einer spezifischen politischen Motivation und zu einer einmaligen Ausdrucksweise, wie wir sie nur im vorliegenden Buch finden. Die „konservativen RevolutionĂ€re“, darunter Spengler, können als die geistige Vorhut auf der Suche nach neuen Sicherheiten verstanden werden. Spengler entwickelte darunter eine antiintellektuelle und vitalistische Lebensphilosophie. Er wurde konfrontiert mit der Entstehung eines neuen Mittelstandes, der sich zusehends ĂŒber Massenpolitik und InteressenverbĂ€nde zu artikulieren wußte. Dadurch entstand der Druck auf die konservative Elite, die - zu recht - einstige Kulturideale wie Harmonie zwischen Innerlichkeit und Welt, Formkraft und Beseelung sowie Metaphysik verloren gehen sah oder, um mit Spengler zu reden, diese zur „Zivilisation“ (43ff.) erstarren sah. Daraus resultiert kompensatorisch der ĂŒberspannte Subjektivismus der Intuition, der sich trefflich in der holistischen antiwissenschaftlichen Methode niederließ. Die Wirklichkeit sei demnach nicht rational erkennbar. Sie sei nur intuitiv erfĂŒhlbar, und mit der intuitiven Methode wandte sich Spengler gegen jedes wissenschaftliche ObjektivitĂ€tskriterium, was bei ihm in eine Real-Utopie der konservativ-revolutionĂ€ren Strömung mĂŒndete, um schließlich ĂŒber den metapolitischen Weg zur Geltung zu kommen. Das Buch „Der Untergang des Abendlandes“ ist der zu Sprache geronnene Ausdruck dieses denkerischen Weges, welcher zudem heute aus aktuellem Anlaß umso lesenswerter ist. Kriege und Massenpsychosen entstehen gegenwĂ€rtig zuhauf. Eine Selbstreflexion ist nicht möglich, ohne daß der Mensch sich als Teil seiner Umgebung betrachtet. Daher ist der AbsurditĂ€t der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts auch heute noch zu widersprechen, wenn diese annimmt, es gĂ€be eine objektive Welt, die ohne das Rekurrieren auf den gesunden Standpunkt des Menschen selbst erfaßt werden könne. Die Denker der „Konservativen Revolution“ hatten ein solches Bewußtsein, welches in Anlehnung an Kants transzendentale Wende und Fichtes Subjektphilosophie als jenes Bewußtsein gekennzeichnet werden kann, das mehr denn je das „Spezifisch Deutsche“ im Denken war und ist. Eine progressive Atomisierung des Lebens wurde befĂŒrchtet und dazu das unweigerliche Resultat in jedem Einzelnen: Angst, Neurose, allgemeine Primitivierung und RealitĂ€tsverlust der Massengesellschaft. Dabei ging es den „Konservativen RevolutionĂ€ren“, wie aus heutiger Sicht leichtfertig behauptet, nicht um eine konservative VerlĂ€ngerung der linken Gesellschaftskritik, sondern vielmehr um die individuelle Kompensation gesellschaftlicher und sozialer UmbrĂŒche in Deutschland, in denen wir uns auch gegenwĂ€rtig wieder befinden. Alte Überzeugungen brechen weg, der Nachkriegsdogmatismus von „Demokratie und Wohlstand“ schwindet, indoktrinierte Konventionen von „Alleinschuld“ und „SingularitĂ€t“ werden konstruktiv relativiert, schlichtweg: die Demokratie, das Politische und das spezifisch Deutsche wird – Ă€hnlich wie zur Zeit der Entstehung des spenglerischen Hauptwerkes – wieder neu gedacht, und man steht damit lediglich in einer Tradition von höherem intellektuellem Reflexionsniveau. „In Deutschland leisteten sich die Gebildeten fern der Politischen Praxis die RadikalitĂ€t des reinen Gedankens. Das macht die deutsche Besonderheit aus.“ (SchĂŒĂŸlburner/KnĂŒtter (Hrsg.): Was der Verfassungsschutz verschweigt. Bausteine fĂŒr einen alternativen Verfassungsschutzbericht, 2007, S. 330) So liegt das Wahre im Inneren des Menschen und die differenzierten menschlichen Motivationen bleiben stets dieselben. Georg Quabbe, einst auch „Konservativer RevolutionĂ€r“ erkannte dazu entgegen der PrimitivitĂ€t einseitig agierender amtlicher Diskriminierung in der Bundesrepublik beispielsweise durch VerfassungsschutzĂ€mter bereits frĂŒh, daß diese höhere traditionelle Reflexionskultur in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert immer wieder zu sagen gewillt war: So sind wir! Und deshalb handeln wir danach – zwar ĂŒberzeugt, aber in dem Wissen, daß wir nur den KomplementĂ€rgedanken zur anderen Seite vertreten. (Vgl. Georg Quabbe: Tar a Ri. Variationen ĂŒber ein konservatives Thema, 2007,S. 176-177). So manches sakrosanktes Postulat gegenwĂ€rtiger Politik ist vor diesem Hintergrund guten Gewissens in Frage zu stellen. Der letzte Wert dessen, was konservativ ist, liegt darĂŒber hinaus auch nur sekundĂ€r im Politischen. Er ist in der metaphysischen, subjektiven Innerlichkeit eines jeden Menschen zu suchen, der unweigerlich und spĂŒrbar allein motiviert wird und auf seine Weise handelt, sich in die Welt eingliedert und demgemĂ€ĂŸ trotz des Wissens vom konsequenten emotionellen Alleinsein gegenĂŒber der Außenwelt auch seine Umwelt aktiv nach eigenen BedĂŒrfnissen anzugleichen, zu formen versucht. Spengler hat seinen dafĂŒr Weg gefunden. Was die wirklichen optimistischen Pessimisten in ihrer Melange aus Kontemplation und aktivistischem Pathos von seinem Formate auch heute auszeichnet, ist, daß sie nicht auf der Ebene der oberflĂ€chlichen konsensualen Unverbindlichkeit verharren, sondern ihren Geist und ihre HĂ€nde unter emotionaler Wahrnehmung des existenziellen Fundamentalcharakters des Lebens zutiefst strapazieren, gar beschmutzen, um eine demgemĂ€ĂŸe politische Ordnung zu verstetigen. Es bleibt zu hoffen, daß innovative Menschengruppen nach vollendeter LektĂŒre des vorliegenden Werkes von Oswald Spengler zu dieser Kategorie Mensch aufsteigen.

Edgar Julius Jung (1894-1934), Rechtsanwalt und Verfasser der am 17. Juni 1934 von Franz von Papen gehaltenen Marburger Rede vor Studenten, welche fĂŒr Jung zum tödlichen VerhĂ€ngnis werden sollte, schrieb noch kurz vor seiner Ermordung in der Nacht zum 1. Juli 1934 durch die SS folgende SĂ€tze ĂŒber die Ausgabe der Politischen Schriften Oswald Spenglers im selben Jahre: „Persönlich Stolzeres und menschlich doch Weheres, aber auch sachlich Gerechteres und geschichtlich GĂŒltigeres dĂŒrfte in den letzten 15 Jahren kaum von einem zweiten Zeitgenossen deutscher Zunge geschrieben worden sein. Diese Sammlung von Schriften, von denen keine veraltet ist, schon weil alle darauf warten, erst noch verstanden zu werden, mutet an wie der Atemzug einer mĂ€chtigen Rede, in der Spengler seinem Volk und seiner Zeit kĂŒhn die Wahrheit zu sagen auf sich nimmt, im Namen des ewigen deutschen Geistes, fĂŒr den zu sprechen er Recht und Beruf hat.“ Höchste Zeit, zum aktuellen denkerischen Kern Spenglers, des deutschen Geistes, seinem wieder neu aufgelegten Buch „Der Untergang des Abendlandes“ und seinem metapolitischen Konzept Stellung zu beziehen.

Es ist dies das Buch, welches Furore machen sollte und so machen Philosophen und Politologen der Gegenwart – nicht nur Samuel P. Huntington mit seiner These vom „Kampf der Kulturen“ - weiterhin beeindruckt, gerade weil es damals wie heute fĂŒr viele unabhĂ€ngige Denker eine intuitiv gefĂŒhlte AktualitĂ€t in sich birgt. Es ist deshalb umso begrĂŒĂŸenswerter, daß im Patmos-Verlag mit diesem Buch, „Der Untergang des Abendlandes“ (2007), inzwischen die zweite Schrift Oswald Spenglers (1880-1936) neben „Der Mensch und die Technik“ (2006 - Karolinger Verlag) ganz neu aufgelegt wird, was natĂŒrlich fĂŒr eine Wende in der intellektuellen Auseinandersetzung mit Spengler in der deutschen Nachkriegszeit steht, die zum ersten Mal den Namen „wirkliche Auseinandersetzung“ auch verdient.

Das nunmehr neu vorliegende Buch „Der Untergang des Abendlandes“ ist mehr als nur eine Kulturphilosophie, es ist in hohem Maße TrĂ€ger einer politischen Botschaft, im Kern ein geschichtsspekulatives System, welches deutsche Denker nach Hegel wohl kaum wieder derartig in Angriff nahmen. Spengler war ein unpolitischer Intellektueller, der sich abseits der Politik hielt und sein Heil in höheren SphĂ€ren suchte - eine typische Haltung fĂŒr das BildungsbĂŒrgertum seiner Zeit. Seine politische Ideologie, sein Buch und seine AktivitĂ€ten sind ohne seine Lebens- und Kulturphilosophie nicht zu verstehen. Genau diese findet sich in diesem 1249 Seiten umfassenden Buch ausfĂŒhrlich dargelegt.

Metaphysik, Kulturphilosophie und Politik sind in dem Buch Spenglers eng verbunden. Es ist ein Ă€ußerst subjektives Werk, verfaßt von einem ĂŒbersensiblen, introvertierten und depressiven Menschen, dessen Innerlichkeit vor der Außenwelt verschlossen war. In intellektueller und sozialer Hinsicht kann man Spengler vor 1918, vor Erscheinen dieses Buches, als einen „declassĂ©â€œ betrachten, bis er schließlich nach Erscheinen seines Werkes in ein verzweigtes Netzwerk industrieller, politischer und paramilitĂ€rischer Kreise aufgenommen wurde, das sich in drei Machtzentren des Deutschen Reiches konzentrierte: Berlin, Ruhrgebiet, MĂŒnchen. In ihm weitete Spengler seine „konservativ-revolutionĂ€re“ Geisteshaltung aus und praktizierte gleichsam aktive Metapolitik.

Unter Metapolitik versteht sich der gezielte Einbezug des Transzendenten in die politische Auseinandersetzung. So gilt die Einkehr ins eigene Innere als Notwendigkeit fĂŒr ein Wirken in der Welt. Wissen und gar Weisheit ist nicht von denen zu erwarten, die nicht auch ernsthaft an sich selbst gearbeitet, eigene individuelle Motivationen und Leidenschaften erkannt und in ihren Konsequenzen reflektiert und optimiert haben. Dieser Bezug zur Innerlichkeit ist typisch fĂŒr die Bewegung der „Konservativen Revolution“, zu der erstmalig der Publizist Armin Mohler (1920-2003) den Kulturphilosophen Spengler zuordnete. (Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918 - 1932. Ein Handbuch, 1950, in 6. Auflage ĂŒberarbeitet von Karlheinz Weißmann)

Nach Überzeugung dieser geistigen Strömung in Deutschland sollte die Innerlichkeit politische Umsetzung durch Geisteswandel in der Masse erbringen. Es gilt damit im Sinne von Alain de Benoists Analyse der Kulturrevolution Gramscis: “Innerhalb der menschlichen Gesellschaft (...) ist nichts neutral. (...) Die Kultur formt (...) den Geist nach der herrschenden Ideologie. Es gilt, daß man auf die Struktur der politischen (...) Macht Einfluss ausĂŒben kann, indem man auf den Überbau der Kultur und der Ideen einwirkt.” (Alain de Benoist: Kulturrevolution von rechts, 1985, S. 42/43) Daraus ergibt sich, daß ein Einwirken nicht im politischen Bereich, sondern vielmehr im vorpolitischen Bereich gemeint ist, und zwar unter Bezugnahme auf SuggestibilitĂ€t und Beeinflussung der Massen im Zuge einer verstĂ€rkten Selbstwahrnehmung und SelbstreflexivitĂ€t unter den Initiatoren dieses Ansatzes – u.a. Spengler selbst.

Festzuhalten ist also, daß Metapolitik von der Artikulation neuer politischer Methoden und Inhalte handelt und reflektiert, was hinter der Politik steht. Sie analysiert unter schrittweiser VerĂ€nderung des sozialen Raumes, was der Politik vorausgeht. Das Rekurrieren auf existentielle Erfahrungen, wie die Furcht vor einem neuerlichen Zusammenbruch einer haltgebenden Ordnung, kann zur Erfahrung von Sinn fĂŒhren, kann die Konzentration und das Krisenbewußtsein schĂ€rften und ĂŒber politische Artikulation ihre zielbewußt sich realisierende VerlĂ€ngerung finden. So auch bei Oswald Spengler, der im vorliegenden Buch vor kulturphilosophischem Hintergrund vom „UrgefĂŒhl der Sehnsucht“ (107), von „Weltangst“ (107) und der „Gewissheit eines Schicksals“ (153) spricht. Doch wie erklĂ€rt sich die Motivation, das vorliegende Buch verfaßt zu haben und noch vielmehr: Was fasziniert bis heute an diesem Buch? Wieso wird es erneut aufgelegt? Befinden wir uns in einer Ă€hnlichen Zeitenwende wie Spengler selbst?

Oswald Spengler war besonders sensibel fĂŒr soziale und kulturelle Entwicklungen in Deutschland. Sein Kulturpessimismus umschließt die Dekadenz und das SpĂ€tzeitbewußtsein, die gespannte Beziehung zwischen Geist, Macht und ModernitĂ€tskrise. Es ist bezeichnend fĂŒr sein metapolitisches Konzept, daß seine Lebensphilosophie völlig außerhalb der renommierten – oder sich als dergleichen betrachtenden – „professionellen“ Wissenschaft entstand – sich dafĂŒr aber umso autonomer entwickelte.

Seine persönlichen EnttĂ€uschungen und Ressentiments kehrten sich gegen die Kultur und deren offizielle ReprĂ€sentanten. Die Flucht ins Selbst resultiert daraus. Man kann auch von einem Innerlichkeitskult sprechen oder von einem inneren Egotismus, wie ihn der französische Philosoph Stendhal prĂ€gte. Spenglers eigene Tragödie als Mensch, der sich verstehen will, trug alle Farben seiner Zeit: “...den Kult des einsamen, des Fremdlings (...), die Begierde zu leiden, den Narzismus der Schwarzen Romantik. (...) Er versteht: es gibt keine Erkenntnis, kein GlĂŒck (...), es gibt nur Werden und Wollen.” (Anton Mirko Koktanek: Oswald Spengler in seiner Zeit, 1968, S. XXIV/XXV) So faßte Anton Koktanek die psychologische Disposition Spenglers in Bezug zum Hauptwerk trefflich zusammen. Die feindliche Außenwelt, die etablierte Politik, wird fĂŒr den empfundenen Verfall – womöglich zurecht - verantwortlich gemacht.

Die manichĂ€ische Feindschaft gegen den liberalen Westen, die sich in Spenglers nachfolgender Schrift „Preußentum und Sozialismus“ aus dem Jahre 1924 kundtut und dem preußischen Ordensgeistes als ordnungsstiftendes transpersonales Gemeinschaftsprinzip das Prinzip des Individualismus und Materialismus liberaler Provenienz entgegenstellt, ist verbunden mit einer chiliastischen Aufladung der deutschen Geschichte als erstrebtes Chiffre fĂŒr die Vision einer organischen und haltgebenden Institution von Staat. Dieses metapolitische Programm der „Konservativen Revolution“ versuchte sich ĂŒber ein dionysisches, melancholisches und kulturbetonendes, Ă€sthetisierendes Wesen in die Tat umzusetzen. Wer diesen Ansatz aus erster Hand zu verstehen gedenkt und nicht die Ebene eines Pseudowissens betritt, die Resultat hypermoralischer Vorgaben dessen ist, was heute ĂŒber Spengler zu denken ist oder gedacht sein soll, um guter „Demokrat“ zu sein, der möge speziell das Kapitel ĂŒber Staat, Politik und Wirtschaft im vorliegenden Buch direkt studieren – Spengler selbst reden lassen. (961ff.)

Auch Spengler entzog sich also im „Untergang“ nicht den direkt politischen Inhalten. Er kompensierte seine innere Zerrissenheit und sein Unvermögen tatsĂ€chlicher Teilhabe am Leben durch seine Mystik, durch sein allumfassendes Lebensprinzip, schlichtweg durch seine Lebensphilosophie als sĂ€kulare Ersatzreligion. Er bezweckte damit die Verschiebung deutscher MentalitĂ€ten nach seinen intuitiven Ambitionen, um der GefĂ€hrdung der tradierten Kultur durch “Massenhaftigkeit und (...) Begehrlichkeit der Massen” im Zuge aufkommender Mechnisierung und Ökonomie sowie aufkommender Systematisierung und Abstraktion im Denken entgegenzuwirken. (Joachim Knoll/Julius Schoeps (Hrsg.): Von kommenden Zeiten, 1984, S. 131) Wissenschaft konnte Gesetze erweisen, aber nicht die ersehnte innere Gewißheit erzeugen. Der „Untergang“ Spenglers ist ein Werk, welches sich in diesen Zusammenhang einordnet und nur auf dieser Ebene inhaltlich verstanden werden kann. Man möge also Abstand nehmen von einer solchen Beurteilung der vorliegenden Schrift, deren Maßstab nicht dem zu beurteilenden Objekt immanent ist. Spenglers politische Haltung wußte, daß das Denkvermögen des Menschen dennoch nicht reicht, um die Wirklichkeit vollstĂ€ndig zu ergrĂŒnden, und so richtet sich sein Lebensbegriff gegen die Form wissenschaftlicher Erkenntnis, die die eigentlich innewohnende IrrationalitĂ€t des Seienden negiere. Spengler betrachtet das Denken im Sinne Fichtes vorrangig als einen immer wieder nur auf das Individuum zurĂŒckgehenden Prozeß. „Das Denken herrscht, trotz allem, nur im ‚Reich der Gedanken’“. (568)

Es ist festzuhalten, daß Spenglers absoluter historischer Relativismus wiederum auf seine Befindlichkeit als Individuum zurĂŒckzufĂŒhren ist und durch individuelle Handlungsmuster seines Geistes bestimmt werden kann, weil dieser selbst von PolaritĂ€ten geprĂ€gt war: Ich und Welt, Mikrokosmos und Makrokosmos, das Eigene und das Fremde, Geburt und Weltangst. So betrachtet er das Leben wesentlich aus der Perspektive des Geworfenseins, dessen Ausdruck bei ihm das Buch „Der Untergang des Abendlandes“ ist: “Ein Denker ist ein Mensch, dem es bestimmt war, durch das eigene Schauen und Verstehen die Zeit symbolisch darzustellen. Er hat keine Wahl. Er denkt, wie er denken muß, und wahr ist fĂŒr ihn, was als Bild seiner Welt mit ihm geboren wurde.” (Vorwort, VII) Auch hier klingen Analogien zur klassischen Philosophie des Deutschen Idealismus an, die Spengler womöglich in schopenhauerischer Manier getadelt hĂ€tte, welche aber mit Fichtes Wissenschaftslehre schon frĂŒher wußte, daß die Philosophie eines Denkers lediglich und einzig davon abhĂ€nge, was fĂŒr ein Mensch er sei. Also wieder das principium individuationis.

Über die Marginalisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse konzentrierte Spengler sich auf metaphysische Probleme und fĂŒhrte den Deutschen die tatsĂ€chliche Situation vor Augen. Das ist als Auswirkung seiner spezifischen IndividualitĂ€t auf die politische Ebene zu verstehen, durch die er seine PassivitĂ€t beenden wollte. Seine konservative Weltanschauung trug latent die Konturen einer politischen Ideologie, die weniger durch eine empirisch-induktive sondern vielmehr durch den poetisch-intuitiven Zugriff gegen die verhaßte Entseelung seiner Zeit ankĂ€mpfte. So versteht sich auch der strenge Determinismus seines Hauptwerkes “Der Untergang des Abendlandes”: Die Konzentration auf metaphysische, mythische PhĂ€nomene, die Wahrnehmung des kĂŒnftig Notwendigen und der Drang, all jenes politisch mitzuteilen, fĂŒhrten zu einer spezifischen politischen Motivation und zu einer einmaligen Ausdrucksweise, wie wir sie nur im vorliegenden Buch finden.

Die „konservativen RevolutionĂ€re“, darunter Spengler, können als die geistige Vorhut auf der Suche nach neuen Sicherheiten verstanden werden. Spengler entwickelte darunter eine antiintellektuelle und vitalistische Lebensphilosophie. Er wurde konfrontiert mit der Entstehung eines neuen Mittelstandes, der sich zusehends ĂŒber Massenpolitik und InteressenverbĂ€nde zu artikulieren wußte. Dadurch entstand der Druck auf die konservative Elite, die - zu recht - einstige Kulturideale wie Harmonie zwischen Innerlichkeit und Welt, Formkraft und Beseelung sowie Metaphysik verloren gehen sah oder, um mit Spengler zu reden, diese zur „Zivilisation“ (43ff.) erstarren sah. Daraus resultiert kompensatorisch der ĂŒberspannte Subjektivismus der Intuition, der sich trefflich in der holistischen antiwissenschaftlichen Methode niederließ. Die Wirklichkeit sei demnach nicht rational erkennbar. Sie sei nur intuitiv erfĂŒhlbar, und mit der intuitiven Methode wandte sich Spengler gegen jedes wissenschaftliche ObjektivitĂ€tskriterium, was bei ihm in eine Real-Utopie der konservativ-revolutionĂ€ren Strömung mĂŒndete, um schließlich ĂŒber den metapolitischen Weg zur Geltung zu kommen. Das Buch „Der Untergang des Abendlandes“ ist der zu Sprache geronnene Ausdruck dieses denkerischen Weges, welcher zudem heute aus aktuellem Anlaß umso lesenswerter ist.

Kriege und Massenpsychosen entstehen gegenwĂ€rtig zuhauf. Eine Selbstreflexion ist nicht möglich, ohne daß der Mensch sich als Teil seiner Umgebung betrachtet. Daher ist der AbsurditĂ€t der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts auch heute noch zu widersprechen, wenn diese annimmt, es gĂ€be eine objektive Welt, die ohne das Rekurrieren auf den gesunden Standpunkt des Menschen selbst erfaßt werden könne. Die Denker der „Konservativen Revolution“ hatten ein solches Bewußtsein, welches in Anlehnung an Kants transzendentale Wende und Fichtes Subjektphilosophie als jenes Bewußtsein gekennzeichnet werden kann, das mehr denn je das „Spezifisch Deutsche“ im Denken war und ist. Eine progressive Atomisierung des Lebens wurde befĂŒrchtet und dazu das unweigerliche Resultat in jedem Einzelnen: Angst, Neurose, allgemeine Primitivierung und RealitĂ€tsverlust der Massengesellschaft. Dabei ging es den „Konservativen RevolutionĂ€ren“, wie aus heutiger Sicht leichtfertig behauptet, nicht um eine konservative VerlĂ€ngerung der linken Gesellschaftskritik, sondern vielmehr um die individuelle Kompensation gesellschaftlicher und sozialer UmbrĂŒche in Deutschland, in denen wir uns auch gegenwĂ€rtig wieder befinden. Alte Überzeugungen brechen weg, der Nachkriegsdogmatismus von „Demokratie und Wohlstand“ schwindet, indoktrinierte Konventionen von „Alleinschuld“ und „SingularitĂ€t“ werden konstruktiv relativiert, schlichtweg: die Demokratie, das Politische und das spezifisch Deutsche wird – Ă€hnlich wie zur Zeit der Entstehung des spenglerischen Hauptwerkes – wieder neu gedacht, und man steht damit lediglich in einer Tradition von höherem intellektuellem Reflexionsniveau. „In Deutschland leisteten sich die Gebildeten fern der Politischen Praxis die RadikalitĂ€t des reinen Gedankens. Das macht die deutsche Besonderheit aus.“ (SchĂŒĂŸlburner/KnĂŒtter (Hrsg.): Was der Verfassungsschutz verschweigt. Bausteine fĂŒr einen alternativen Verfassungsschutzbericht, 2007, S. 330)

So liegt das Wahre im Inneren des Menschen und die differenzierten menschlichen Motivationen bleiben stets dieselben. Georg Quabbe, einst auch „Konservativer RevolutionĂ€r“ erkannte dazu entgegen der PrimitivitĂ€t einseitig agierender amtlicher Diskriminierung in der Bundesrepublik beispielsweise durch VerfassungsschutzĂ€mter bereits frĂŒh, daß diese höhere traditionelle Reflexionskultur in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert immer wieder zu sagen gewillt war: So sind wir! Und deshalb handeln wir danach – zwar ĂŒberzeugt, aber in dem Wissen, daß wir nur den KomplementĂ€rgedanken zur anderen Seite vertreten. (Vgl. Georg Quabbe: Tar a Ri. Variationen ĂŒber ein konservatives Thema, 2007,S. 176-177).

So manches sakrosanktes Postulat gegenwĂ€rtiger Politik ist vor diesem Hintergrund guten Gewissens in Frage zu stellen. Der letzte Wert dessen, was konservativ ist, liegt darĂŒber hinaus auch nur sekundĂ€r im Politischen. Er ist in der metaphysischen, subjektiven Innerlichkeit eines jeden Menschen zu suchen, der unweigerlich und spĂŒrbar allein motiviert wird und auf seine Weise handelt, sich in die Welt eingliedert und demgemĂ€ĂŸ trotz des Wissens vom konsequenten emotionellen Alleinsein gegenĂŒber der Außenwelt auch seine Umwelt aktiv nach eigenen BedĂŒrfnissen anzugleichen, zu formen versucht. Spengler hat seinen dafĂŒr Weg gefunden. Was die wirklichen optimistischen Pessimisten in ihrer Melange aus Kontemplation und aktivistischem Pathos von seinem Formate auch heute auszeichnet, ist, daß sie nicht auf der Ebene der oberflĂ€chlichen konsensualen Unverbindlichkeit verharren, sondern ihren Geist und ihre HĂ€nde unter emotionaler Wahrnehmung des existenziellen Fundamentalcharakters des Lebens zutiefst strapazieren, gar beschmutzen, um eine demgemĂ€ĂŸe politische Ordnung zu verstetigen. Es bleibt zu hoffen, daß innovative Menschengruppen nach vollendeter LektĂŒre des vorliegenden Werkes von Oswald Spengler zu dieser Kategorie Mensch aufsteigen.

geschrieben am 12.05.2007 | 2312 Wörter | 15419 Zeichen

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