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Anleitung zum glücklichen Nichtsein - Offenbacher Mainländer Essay-Wettbewerb 2005


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Informationen zum Buch
  ISBN
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  Extras

Rezension von

Daniel Bigalke

Anleitung zum glücklichen Nichtsein - Offenbacher Mainländer Essay-Wettbewerb 2005 Auf Anregung der Mainländer-Kenner Dr. Winfried H. Müller-Seyfarth (Herausgeber der Mainländer-Gesamtausgabe) und Dr. Thomas Regehly (Vorstandsmitglied der Schopenhauer-Gesellschaft) wurde am 28. November 2005 in Offenbach die „Internationale Mainländer-Gesellschaft e.V.“ gegründet. Kurz danach erschien der Sammelband „Was Philipp Mainländer ausmacht“. Das vorliegende Buch nun ist das Ergebnis eines Essay-Wettbewerbs, den die Stadt Offenbach am Main durch ihr Kulturdezernat im Sommer 2004 auslobte, um den Philosophen und Dichter Philipp Mainländer (1841-1876) zu ehren. Es ist der Beginn einer neuerlich aufkommenden Mainländer-Rezeption in der Philosophie. Mainländer malte in seinem zweibändigen Hauptwerk „Die Philosophie der Erlösung“ ein radikales Untergangsszenario, das einmalig ist. „Die Bewegung der Menschheit überhaupt ist die Bewegung aus dem Sein in das Nichtsein" (I, 215), heißt es dort. Der Philosoph sieht „im ganzen Weltall nur die tiefste Sehnsucht nach absoluter Vernichtung (…), Erlösung! Erlösung! Tod unserem Leben! Und die trostreiche Antwort darauf: ihr werdet Alle die Vernichtung finden und erlöst werden" (I, 335). Was für die einen die furchtbringende Rückkehr des Schattens der Metaphysik ist, bedeutet für die Mainländer-Rezipienten des vorliegenden kleinen Bandes lediglich das Stellen von wichtigen philosophischen Fragen: An wen richtet sich Mainländers Denken? Was bedeutet „Erlösung“? Welche Relevanz hat Mainländer für die Gegenwart? Antworten auf diese Fragen bietet der vorliegende Essayband, der Texte enthält, die unter dem Thema „Der Gedanke der Erlösung bei Philipp Mainländer und seine Bedeutung für die Gegenwart" ausgearbeitet werden sollten. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der Laudator Winfried Müller-Seyfarth hielt die Lobrede auf den Gewinner Damir Smilijanics, dessen Text „Mainländers Anleitung zum glücklichen Nichtsein" auch dem Sammelband den Titel gab. Er sieht die Aktualität Mainländers darin, daß seine „Beschreibung des idealen Staates" in „unserer Konsum- resp. Anspruchsgesellschaft", in der „alle Not gelindert" sei, ihre „konkrete gegenwärtige Bestätigung" erfahre. Und so werden neue Anknüpfungspunkte bei Mainländer für die Gegenwart neu benannt: der interkulturelle Aspekt, das innerphilosophische Problem von Einheit und Vielheit sowie das Ziel des Globalisierungsprozesses bzw. eines Idealstaates. Das sind alles Faktoren, die Mainländer bereits in seiner Philosophie antizipierte und klare Erklärungen dafür bot. Beispielsweise bezüglich des heilbringenden „Idealstaates“ meinte er, daß eine Realisierung desselben bereits das schönste Leben im Idealstaat sinnlos mache, da es geprägt von Langeweile sei und den Egoismus fördere. Dem stimmte auch Ulrich Horstmann, Vorreiter der anthropofugalen Perspektive Mainländers im Nachkriegsdeutschland, zu: Die Aktualität des Erlösungsbegriffes von Mainländer mit dem Ziel des kosmischen Annihilierungsprozesses stehe in engem Zusammenhang mit der Massenarbeitslosigkeit, der sozialen Entsolidarisierung, der Bildung nach Sozialstatus und der gelangweilten Unkultur der Big-Brother-Hysterie. Wichtig ist: Der Hauptgewinner Smilijanic erkennt auch in seiner Fußnote 22 einen Bezug zum Idealisten Hegel, den man doch als rein abstrakt-spekulativen Widerpart zu Mainländer auszumachen geneigt ist. Dennoch, die komplementäre Korrelation der Anthropofugalität mainländerschen Denkens mit Bestandteilen des Deutschen Idealismus muß erst noch herausgearbeitet werden, so etwa die Triade Sein – Nichts – Werden bei Hegel („Wissenschaft der Logik“), welche zur Triade Übersein – Werden – Nichts bei Mainländer wird. Bei Hegel ist das Werden die produktive Synthese aus Sein und Nichts, bei Mainländer löst sich das Sein in Nichts auf und das weltimmanente Werden hat nur den Sinn des Nichts. Trotz der Gefahr redundanter Abschnitte bei allen Preisträgern, die sich nun einmal in ihren Essays mit demselben Thema befaßten, erkennt der Leser in jedem Beitrag eine eigene Note heraus, welche immer wieder mit Mainländer vor den trügerischen modernen Heilsideologie warnt, deren negative Dialektik bereits einem jeden einleuchtet: Seit einiger Zeit heißt es beispielsweise in den Medien, wir sollten mehr Kinder gebären! Der Individualismus des Idealstaates in der Verkleidung des Sozialstaates trägt sonst die Fratze der biologischen Selbstvernichtung. Man mag dazu stehen wie man möchte - Mainländer hätte diese Tendenz sogar noch für wünschenswert erachtet, denn er sieht die Menschen durch die Lebenskette des Leidens miteinander verbunden. Fortpflanzung ist dabei die Perpetuierung des Leidens, absolute Virginität die Vorverlegung des erlösenden Todes. Keine Frage, auch Kritik an Mainländer mag hier gerechtfertigt sein. Im vorliegenden Buch ist es insbesondere Daniel Nachtsheim, der sich kritisch mit Mainländer befaßt. Er stellt zudem einen neuen Aspekt heraus, nämlich daß Mainländer davon ausging, in der Immanenz der Welt und ihren Eigenschaften den vorweltlichen Zustand des Überseins ablesen zu können. Aus dem Lauf der Dinge sei abzulesen wie der Ursprung der Welt gewesen ist. Über Mainländers Aussage „Gott ist gestorben und sein Tod war das Leben der Welt.“ wird hingegen in keinem Beitrag ausführlicher eingegangen. Hier hätte man den interessanten Bezug zum nietzscheschen Diktum „Gott ist tot!“ oder zu demjenigen Leon Bloys „Gott zieht sich zurück.“ herstellen können. Die vorliegende Essayserie zumindest macht Lust auf den ersten Band der angekündigten „Mainländer-Studien". Entsprechend ist eine weitere Rezeption wünschenswert. Wir haben mit diesem Buch die junge Frucht einer ersten und frisch entstandenen Mainländer-Schule vor uns.

Auf Anregung der Mainländer-Kenner Dr. Winfried H. Müller-Seyfarth (Herausgeber der Mainländer-Gesamtausgabe) und Dr. Thomas Regehly (Vorstandsmitglied der Schopenhauer-Gesellschaft) wurde am 28. November 2005 in Offenbach die „Internationale Mainländer-Gesellschaft e.V.“ gegründet. Kurz danach erschien der Sammelband „Was Philipp Mainländer ausmacht“. Das vorliegende Buch nun ist das Ergebnis eines Essay-Wettbewerbs, den die Stadt Offenbach am Main durch ihr Kulturdezernat im Sommer 2004 auslobte, um den Philosophen und Dichter Philipp Mainländer (1841-1876) zu ehren. Es ist der Beginn einer neuerlich aufkommenden Mainländer-Rezeption in der Philosophie.

weitere Rezensionen von Daniel Bigalke


Mainländer malte in seinem zweibändigen Hauptwerk „Die Philosophie der Erlösung“ ein radikales Untergangsszenario, das einmalig ist. „Die Bewegung der Menschheit überhaupt ist die Bewegung aus dem Sein in das Nichtsein" (I, 215), heißt es dort. Der Philosoph sieht „im ganzen Weltall nur die tiefste Sehnsucht nach absoluter Vernichtung (…), Erlösung! Erlösung! Tod unserem Leben! Und die trostreiche Antwort darauf: ihr werdet Alle die Vernichtung finden und erlöst werden" (I, 335). Was für die einen die furchtbringende Rückkehr des Schattens der Metaphysik ist, bedeutet für die Mainländer-Rezipienten des vorliegenden kleinen Bandes lediglich das Stellen von wichtigen philosophischen Fragen: An wen richtet sich Mainländers Denken? Was bedeutet „Erlösung“? Welche Relevanz hat Mainländer für die Gegenwart? Antworten auf diese Fragen bietet der vorliegende Essayband, der Texte enthält, die unter dem Thema „Der Gedanke der Erlösung bei Philipp Mainländer und seine Bedeutung für die Gegenwart" ausgearbeitet werden sollten. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Der Laudator Winfried Müller-Seyfarth hielt die Lobrede auf den Gewinner Damir Smilijanics, dessen Text „Mainländers Anleitung zum glücklichen Nichtsein" auch dem Sammelband den Titel gab. Er sieht die Aktualität Mainländers darin, daß seine „Beschreibung des idealen Staates" in „unserer Konsum- resp. Anspruchsgesellschaft", in der „alle Not gelindert" sei, ihre „konkrete gegenwärtige Bestätigung" erfahre. Und so werden neue Anknüpfungspunkte bei Mainländer für die Gegenwart neu benannt: der interkulturelle Aspekt, das innerphilosophische Problem von Einheit und Vielheit sowie das Ziel des Globalisierungsprozesses bzw. eines Idealstaates. Das sind alles Faktoren, die Mainländer bereits in seiner Philosophie antizipierte und klare Erklärungen dafür bot. Beispielsweise bezüglich des heilbringenden „Idealstaates“ meinte er, daß eine Realisierung desselben bereits das schönste Leben im Idealstaat sinnlos mache, da es geprägt von Langeweile sei und den Egoismus fördere. Dem stimmte auch Ulrich Horstmann, Vorreiter der anthropofugalen Perspektive Mainländers im Nachkriegsdeutschland, zu: Die Aktualität des Erlösungsbegriffes von Mainländer mit dem Ziel des kosmischen Annihilierungsprozesses stehe in engem Zusammenhang mit der Massenarbeitslosigkeit, der sozialen Entsolidarisierung, der Bildung nach Sozialstatus und der gelangweilten Unkultur der Big-Brother-Hysterie.

Wichtig ist: Der Hauptgewinner Smilijanic erkennt auch in seiner Fußnote 22 einen Bezug zum Idealisten Hegel, den man doch als rein abstrakt-spekulativen Widerpart zu Mainländer auszumachen geneigt ist. Dennoch, die komplementäre Korrelation der Anthropofugalität mainländerschen Denkens mit Bestandteilen des Deutschen Idealismus muß erst noch herausgearbeitet werden, so etwa die Triade Sein – Nichts – Werden bei Hegel („Wissenschaft der Logik“), welche zur Triade Übersein – Werden – Nichts bei Mainländer wird. Bei Hegel ist das Werden die produktive Synthese aus Sein und Nichts, bei Mainländer löst sich das Sein in Nichts auf und das weltimmanente Werden hat nur den Sinn des Nichts.

Trotz der Gefahr redundanter Abschnitte bei allen Preisträgern, die sich nun einmal in ihren Essays mit demselben Thema befaßten, erkennt der Leser in jedem Beitrag eine eigene Note heraus, welche immer wieder mit Mainländer vor den trügerischen modernen Heilsideologie warnt, deren negative Dialektik bereits einem jeden einleuchtet: Seit einiger Zeit heißt es beispielsweise in den Medien, wir sollten mehr Kinder gebären! Der Individualismus des Idealstaates in der Verkleidung des Sozialstaates trägt sonst die Fratze der biologischen Selbstvernichtung. Man mag dazu stehen wie man möchte - Mainländer hätte diese Tendenz sogar noch für wünschenswert erachtet, denn er sieht die Menschen durch die Lebenskette des Leidens miteinander verbunden. Fortpflanzung ist dabei die Perpetuierung des Leidens, absolute Virginität die Vorverlegung des erlösenden Todes. Keine Frage, auch Kritik an Mainländer mag hier gerechtfertigt sein. Im vorliegenden Buch ist es insbesondere Daniel Nachtsheim, der sich kritisch mit Mainländer befaßt. Er stellt zudem einen neuen Aspekt heraus, nämlich daß Mainländer davon ausging, in der Immanenz der Welt und ihren Eigenschaften den vorweltlichen Zustand des Überseins ablesen zu können. Aus dem Lauf der Dinge sei abzulesen wie der Ursprung der Welt gewesen ist. Über Mainländers Aussage „Gott ist gestorben und sein Tod war das Leben der Welt.“ wird hingegen in keinem Beitrag ausführlicher eingegangen. Hier hätte man den interessanten Bezug zum nietzscheschen Diktum „Gott ist tot!“ oder zu demjenigen Leon Bloys „Gott zieht sich zurück.“ herstellen können.

Die vorliegende Essayserie zumindest macht Lust auf den ersten Band der angekündigten „Mainländer-Studien". Entsprechend ist eine weitere Rezeption wünschenswert. Wir haben mit diesem Buch die junge Frucht einer ersten und frisch entstandenen Mainländer-Schule vor uns.

geschrieben am 05.10.2007 | 771 Wörter | 4902 Zeichen

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