Navigation

Seiten der Rubrik "Bücher"


Google Anzeigen

Anzeigen

Bücher

Politik und Gesellschaft im Umkreis Arthur Schopenhauers


Statistiken
  • 6655 Aufrufe

Informationen zum Buch
  ISBN
  Herausgeber
  Verlag
  Sprache
  Seiten
  Erscheinungsjahr
  Extras

Rezension von

Daniel Bigalke

Politik und Gesellschaft im Umkreis Arthur Schopenhauers Schopenhauers Schriften gründen auf Erfahrung und auf den Lektionen des eigenen Lebens selbst, die auch dann noch standhalten, wenn alles Chimärische des ichbezogenen Wollens, alle Eitelkeiten und maßlosen Sehnsüchte von der Wirklichkeit korrigiert worden sind. Neben diesen Lebenserfahrungen des Philosophen standen bisher seine politische Theorie und diejenige seiner philosophischen Nachfolger kaum im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Die allermeiste Gesellschaft nämlich ist für Schopenhauer so beschaffen, daß, wer sie gegen Einsamkeit eintauscht, einen guten Handel macht. Die wirklich gute Gesellschaft sei nötig und überall sehr klein. Je höher einer auf der Rangliste der Natur steht, desto einsamer steht er, wesentlich und unvermeidlich. Auch in der Gesellschaft sollte man in gewissem Grade allein sein - das gelte es zu erlernen. Der Mensch ist für Schopenhauer im Grunde ein wildes und entsetzliches Tier, das man bloß im Zustande der Bändigung und Zähmung, welcher Zivilisation heißt, kenne. Daher erschrecken uns die gelegentlichen Ausbrüche seiner Natur. Aber wo und wann einmal Schloss und Kette der gesetzlichen Ordnung abfallen und Anarchie eintritt, da zeigt sich, was Schopenhauer meint: Die überall zur Schau getragene Rechtlichkeit der Gesinnung, welche über jeden Zweifel erhaben sein will, nebst der hohen Indignation, welche durch die leiseste Andeutung eines Verdachts in dieser Hinsicht rege wird und bereit ist, in den feurigsten Zorn überzugehen. Es verwundert kaum, daß Schopenhauer das Recht an sich selbst als machtlos betrachtet. Von Natur aus herrsche die Gewalt. Die Ungerechtigkeit liegt tief im menschlichen Wesen. Die Völker sind eigentlich bloße Abstraktionen: die Individuen allein existieren wirklich. Jede Nation spottet über die andere und alle haben Recht. Soweit das Denken Schopenhauers. Doch im Glück beruht für ihn die Seelenruhe. Ein Pessimist war Schopenhauer nämlich gerade nicht, wenn man sein Ziel betrachtet. Er war vielmehr ein ethisch anspruchsvoller Realist. Er begreift das Unerfreuliche als eine gesetzmäßige Abhängigkeit vom Willen, die allein der Erkennende zu durchbrechen vermag. Leben und Leiden sind nicht zu trennen, das Ausmaß des Leidens ist in den meisten Fällen aber zu begrenzen, hält sich aber generell auf ein ganzes Leben gemessen immer die Wage. Es gibt keinen leidfreien Zustand, auch nicht jenen, der für einen solchen gehalten wird. Hierzu hält er es für unerlässlich, auf die Gesetze der Natur zu achten. Unglücklichsein entsteht nicht aus den Umständen, wie gut oder schlecht sie auch seien, sondern aus dem, was wir selbst in unserer Vorstellung daraus machen. Die Welt ist allein als Vorstellung gegeben. Die Natur irrt nicht und der Mensch ist nicht aus Nichts geworden. Schopenhauers Lehre der politischen und zwischenmenschlichen Grundhaltungen liest sich wie eine Schulung zur besseren Bewältigung des Unvermeidlichen und zur Vermeidung des nicht schicksalhaft auftretenden Unglücks. Ganz klar, daß auch vor diesem Hintergrund die Verbreitung des Buddhismus in Deutschland vor allem auf ihn zurückgeht. Der Philosoph sah in der Religion einen Gegenentwurf zur abendländischen Metaphysik, deutete deren Erkenntnisstreben als Mittel, um die geistige Isolierung des Individuums zu durchbrechen ("Die Welt als Wille und Vorstellung"). Schopenhauer fand zahlreiche Verbindungen zwischen seiner eigenen Philosophie und der buddhistischen Lehre, etwa den Atheismus. Die Begeisterung vieler Intellektueller wie auch die ersten Übersetzungen der asiatischen Schriften gehen vor allem auf Schopenhauer zurück. Um das Thema Schopenhauer und die Politik ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken und um einen ersten wirklichen Überblick über mögliche Forschungsfelder zu geben, wurde im Herbst 2005 von der Schopenhauer-Gesellschaft in Frankfurt eine kleine Tagung mit dem Titel Politik und Gesellschaft im Umkreis Arthur Schopenhauers veranstaltet, deren Beiträge im vorliegenden Band veröffentlicht werden. An den Anfang ist im Sinne einer Einführung in das Thema eine Darlegung allgemeiner Grundgedanken und -probleme gesetzt, die sich aus dem Werk und auch aus der Biographie Schopenhauers ableiten lassen, teils um den mit Schopenhauer noch nicht so vertrauten Leser mit ihnen bekannt zu machen, teils um sie zusammenfassend in Erinnerung zu bringen. Ihm folgen zwei Arbeiten über Schopenhauer, die zwei bisher kaum behandelte Aspekte seines Verhältnisses zu Politik und Gesellschaft thematisieren, und zwei Beiträge aus dem Umkreis Schopenhauers mit einem abschließenden Schwerpunkt bei Philipp Mainländer. Die Internationale Philipp Mainländer-Gesellschaft sieht eine ihrer Aufgaben darin, die Diskussion um sein Verhältnis zu Schopenhauer zu fordern und zu fördern. Für die dafür unerläßliche Zusammenarbeit mit der Schopenhauer-Gesellschaft ist dieser Tagungsband, der als Band 1 der Mainländer-Studien erscheint, ein erstes Beispiel. Die Herausgeber Matthias Koßler ist apl. Professor für Philosophie an der Universtiät Mainz. Winfried H. Müller-Seyfarth, Dr. phil., studierte Philosophie und Germanistik; Herausgeber der Werke von Philipp Mainländer und Julius Bahnsen. Besser ist bisher kaum zuvor Schopenhauers politisches Denken kompakt dargelegt worden, als in den Beiträgen des vorliegenden Bandes. Ein Reich der Gnade selbst mit dem Kantischen Postulat der praktischen Vernunft steht bei Schopenhauer als Alternative zum vom Willen zum Leben bestimmten Reich der Natur nicht zur Verfügung. Hinter Hegels dunkler Sprache treten für Schopenhauer sodann Ansichten hervor, die nicht akzeptiert werden können. Dazu gehören nach Schopenhauers Meinung zügellose metaphysische Spekulationen, die oft unbeweisbar und gewagt sind und - trotz ihres Anspruches, in einer von Kant begründeten Tradition zu stehen - in Wahrheit eine Absage an dessen methodische Strenge darstellen. Aber auch die praktischen Ergebnisse sind für Schopenhauer unbefriedigend z.B. auf dem Feld der Politik und Rechtslehre. Der von Preußen begeisterte Hegel verherrlicht etwa den Staat als die “Wirkung der sittlichen Idee” und fordert vom Einzelnen fast völlige Aufopferung. Schopenhauer steht folgender Auffassung nahe: Aus seiner Sicht stoßen die egoistischen “Willen” der Menschen ständig zusammen; Rechte werden so eingeschränkt und verletzt - ein “Krieg aller gegen alle” entsteht, eine Hobbessche Vorstellung, die Schopenhauer übernimmt. Für den pragmatischen Zweck, die Menschen vor den egoistischen Übergriffen des jeweils anderen zu schützen, wird der Staat geschaffen; er ist also ein Instrument für die Sicherheit der Menschen, die Hauptzweck der Politik sind und bleiben. Dieses Instrument der Staatsmacht ist aber beileibe nicht perfekt; und moralische Erhöhungen desselben sind unangebracht. In einer eindeutig gegen Hegel gerichteten Stelle (Grundlage der Moral §17) bemerkt er über den Staat: “Einige deutsche Philosophaster dieses feilen Zeitalters möchten ihn verdrehen zu einer Moralitäts-, Erziehungs- und Erbauungsanstalt: wobei im Hintergrunde der Jesuitische Zweck lauert, die persönliche Freiheit und individuelle Entwicklung des Einzelnen aufzuheben, um ihn zum bloßen Rade einer chinesischen Staats- und Religions-Maschine zu machen.” Der vorliegende Band zeichnet sich durch seine Detailfreudigkeit in Sachen Grundgedanken zur Gesellschaft und Politik aus. Schopenhauer geht z.B. aber auch im Gegensatz zu Hobbes davon aus, daß das Recht nicht erst durch souveräne Setzung sondern schon im Naturzustand Geltung hat. Der Staat muß das Recht also nicht erst schaffen, sondern schützen – mehr nicht. Hier sehen wir den Grund für die Ablehnung der überbordenden Staatsvergottung. Aber auch eine bedeutende Analogie zwischen Schopenhauer und Denkern der Gegenwart wie John Rawls wird offenbart: Die Theorie der Gerechtigkeit gehört mit Schopenhauer zur philosophischen Anthropologie. Schopenhauers „Schleier der Maya“ und Rawls „Schleier des Nichtwissens“ gehören zusammen. Sie haben die Doppelfunktion, den Weltlauf sichtbar zu machen und verdecken ihn zugleich so weit, daß Menschen trotz aller Egoismen in ihren Handlungen sich in ihrem Sein als Bürger respektieren. Zugleich wird in einem weiteren Beitrag dargelegt, daß Nihilismus kein Pessimismus ist und der Vorwurf des Pessimismus als Grundhaltung des deutschen Denkens nicht haltbar ist, kommt doch ein pessimistisches Denken auch bei vielen Idealisten vor. Es muß also eine andere Wurzel haben. Der Verweis auf Hölderlins Elegie des Nichts aus seinem Werk „Hyperion“ im XI. Brief an Bellarmin enthält ebenso eine nihilistische Perspektive wie sie auch Nietzsche vertrat. Und nur wenige wie Kleist, Hölderlin und Nietzsche machten existentiellen Ernst mit ihrer Erkenntnis. Sie sind lebende Protokolle ihres Scheiterns und damit Dokumente intellektueller Rechtschaffenheit gerade in Deutschland. Pessimismus heißt also, die Existenz als nichts wert zu erleben oder als weniger wert, als mögliche Belohnungen in derselben es rechtfertigen würden. Sie, die Existenz, sollte hiernach besser nicht sein. Der Nihilismus jedoch enthält nicht diese ethische Dimension des Pessimismus. Bei Philipp Mainländer als politischer Staatsidealist wird die Erkenntnis noch erweitert, dahingehend, daß alles was ist, immer schon erkannt und zwingend atheistisch ist und damit potentiell nihilistisch betrachtbar ist. Diese Ontologie des Leidens macht das Leiden zur Triebfeder der Erkenntnis, die von der Herrschaft des Willens befreit ist. Die Verknüpfung zur Politik sieht dann so aus, daß die Aufgabe der Gemeinschaft darin besteht, soziale Überzeugungen und das Wohlergehen nur im Denken an die Mitmenschen zu ermöglichen zu können.. Mainländer erweitert den Pessimismus Schopenhauers darin, daß sich gerade Leid durch Erkenntnis tilgen läßt und daß Leid zur Erkenntnis führt. Dieser erkenntnistheoretische Pessimismus hat mit der den Deutschen oft vorgeworfenen Resignation oder ihrem vermeintlichen Pessimismus nichts zu tun. Er ist erkenntnistheoretischer Natur und beinhaltet immer auch den Weg zur eigenen Lösung, die notwendig eine Individuelle sein muß, so wie Schopenhauer sie sich ebenso dachte. Es ist dies eine Lebenshaltung, die nicht beim Pessimismus halt macht, sondern ihn als Brücke in neue denkerische Dimensionen nutzt. „Pessimismus“ kann damit kein banaler Vorwurf mehr bleiben, sondern hat das Recht auf eine Binnendifferenzierung. Das vorliegende Buch eröffnet Weg des politischen Denkens, welche gerade aus dem Lager deutscher Pessimisten und dem Lager derjenigen, die gerade durch ihren Pessimismus keine Pessimisten mehr sind, unerhört innovativ auftreten.

Schopenhauers Schriften gründen auf Erfahrung und auf den Lektionen des eigenen Lebens selbst, die auch dann noch standhalten, wenn alles Chimärische des ichbezogenen Wollens, alle Eitelkeiten und maßlosen Sehnsüchte von der Wirklichkeit korrigiert worden sind. Neben diesen Lebenserfahrungen des Philosophen standen bisher seine politische Theorie und diejenige seiner philosophischen Nachfolger kaum im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Die allermeiste Gesellschaft nämlich ist für Schopenhauer so beschaffen, daß, wer sie gegen Einsamkeit eintauscht, einen guten Handel macht. Die wirklich gute Gesellschaft sei nötig und überall sehr klein. Je höher einer auf der Rangliste der Natur steht, desto einsamer steht er, wesentlich und unvermeidlich.

weitere Rezensionen von Daniel Bigalke


Auch in der Gesellschaft sollte man in gewissem Grade allein sein - das gelte es zu erlernen. Der Mensch ist für Schopenhauer im Grunde ein wildes und entsetzliches Tier, das man bloß im Zustande der Bändigung und Zähmung, welcher Zivilisation heißt, kenne. Daher erschrecken uns die gelegentlichen Ausbrüche seiner Natur. Aber wo und wann einmal Schloss und Kette der gesetzlichen Ordnung abfallen und Anarchie eintritt, da zeigt sich, was Schopenhauer meint: Die überall zur Schau getragene Rechtlichkeit der Gesinnung, welche über jeden Zweifel erhaben sein will, nebst der hohen Indignation, welche durch die leiseste Andeutung eines Verdachts in dieser Hinsicht rege wird und bereit ist, in den feurigsten Zorn überzugehen. Es verwundert kaum, daß Schopenhauer das Recht an sich selbst als machtlos betrachtet. Von Natur aus herrsche die Gewalt. Die Ungerechtigkeit liegt tief im menschlichen Wesen. Die Völker sind eigentlich bloße Abstraktionen: die Individuen allein existieren wirklich. Jede Nation spottet über die andere und alle haben Recht. Soweit das Denken Schopenhauers.

Doch im Glück beruht für ihn die Seelenruhe. Ein Pessimist war Schopenhauer nämlich gerade nicht, wenn man sein Ziel betrachtet. Er war vielmehr ein ethisch anspruchsvoller Realist. Er begreift das Unerfreuliche als eine gesetzmäßige Abhängigkeit vom Willen, die allein der Erkennende zu durchbrechen vermag. Leben und Leiden sind nicht zu trennen, das Ausmaß des Leidens ist in den meisten Fällen aber zu begrenzen, hält sich aber generell auf ein ganzes Leben gemessen immer die Wage. Es gibt keinen leidfreien Zustand, auch nicht jenen, der für einen solchen gehalten wird. Hierzu hält er es für unerlässlich, auf die Gesetze der Natur zu achten. Unglücklichsein entsteht nicht aus den Umständen, wie gut oder schlecht sie auch seien, sondern aus dem, was wir selbst in unserer Vorstellung daraus machen. Die Welt ist allein als Vorstellung gegeben. Die Natur irrt nicht und der Mensch ist nicht aus Nichts geworden. Schopenhauers Lehre der politischen und zwischenmenschlichen Grundhaltungen liest sich wie eine Schulung zur besseren Bewältigung des Unvermeidlichen und zur Vermeidung des nicht schicksalhaft auftretenden Unglücks.

Ganz klar, daß auch vor diesem Hintergrund die Verbreitung des Buddhismus in Deutschland vor allem auf ihn zurückgeht. Der Philosoph sah in der Religion einen Gegenentwurf zur abendländischen Metaphysik, deutete deren Erkenntnisstreben als Mittel, um die geistige Isolierung des Individuums zu durchbrechen ("Die Welt als Wille und Vorstellung"). Schopenhauer fand zahlreiche Verbindungen zwischen seiner eigenen Philosophie und der buddhistischen Lehre, etwa den Atheismus. Die Begeisterung vieler Intellektueller wie auch die ersten Übersetzungen der asiatischen Schriften gehen vor allem auf Schopenhauer zurück.

Um das Thema Schopenhauer und die Politik ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken und um einen ersten wirklichen Überblick über mögliche Forschungsfelder zu geben, wurde im Herbst 2005 von der Schopenhauer-Gesellschaft in Frankfurt eine kleine Tagung mit dem Titel Politik und Gesellschaft im Umkreis Arthur Schopenhauers veranstaltet, deren Beiträge im vorliegenden Band veröffentlicht werden. An den Anfang ist im Sinne einer Einführung in das Thema eine Darlegung allgemeiner Grundgedanken und -probleme gesetzt, die sich aus dem Werk und auch aus der Biographie Schopenhauers ableiten lassen, teils um den mit Schopenhauer noch nicht so vertrauten Leser mit ihnen bekannt zu machen, teils um sie zusammenfassend in Erinnerung zu bringen. Ihm folgen zwei Arbeiten über Schopenhauer, die zwei bisher kaum behandelte Aspekte seines Verhältnisses zu Politik und Gesellschaft thematisieren, und zwei Beiträge aus dem Umkreis Schopenhauers mit einem abschließenden Schwerpunkt bei Philipp Mainländer. Die Internationale Philipp Mainländer-Gesellschaft sieht eine ihrer Aufgaben darin, die Diskussion um sein Verhältnis zu Schopenhauer zu fordern und zu fördern. Für die dafür unerläßliche Zusammenarbeit mit der Schopenhauer-Gesellschaft ist dieser Tagungsband, der als Band 1 der Mainländer-Studien erscheint, ein erstes Beispiel. Die Herausgeber Matthias Koßler ist apl. Professor für Philosophie an der Universtiät Mainz. Winfried H. Müller-Seyfarth, Dr. phil., studierte Philosophie und Germanistik; Herausgeber der Werke von Philipp Mainländer und Julius Bahnsen.

Besser ist bisher kaum zuvor Schopenhauers politisches Denken kompakt dargelegt worden, als in den Beiträgen des vorliegenden Bandes. Ein Reich der Gnade selbst mit dem Kantischen Postulat der praktischen Vernunft steht bei Schopenhauer als Alternative zum vom Willen zum Leben bestimmten Reich der Natur nicht zur Verfügung. Hinter Hegels dunkler Sprache treten für Schopenhauer sodann Ansichten hervor, die nicht akzeptiert werden können. Dazu gehören nach Schopenhauers Meinung zügellose metaphysische Spekulationen, die oft unbeweisbar und gewagt sind und - trotz ihres Anspruches, in einer von Kant begründeten Tradition zu stehen - in Wahrheit eine Absage an dessen methodische Strenge darstellen.

Aber auch die praktischen Ergebnisse sind für Schopenhauer unbefriedigend z.B. auf dem Feld der Politik und Rechtslehre. Der von Preußen begeisterte Hegel verherrlicht etwa den Staat als die “Wirkung der sittlichen Idee” und fordert vom Einzelnen fast völlige Aufopferung. Schopenhauer steht folgender Auffassung nahe: Aus seiner Sicht stoßen die egoistischen “Willen” der Menschen ständig zusammen; Rechte werden so eingeschränkt und verletzt - ein “Krieg aller gegen alle” entsteht, eine Hobbessche Vorstellung, die Schopenhauer übernimmt. Für den pragmatischen Zweck, die Menschen vor den egoistischen Übergriffen des jeweils anderen zu schützen, wird der Staat geschaffen; er ist also ein Instrument für die Sicherheit der Menschen, die Hauptzweck der Politik sind und bleiben. Dieses Instrument der Staatsmacht ist aber beileibe nicht perfekt; und moralische Erhöhungen desselben sind unangebracht. In einer eindeutig gegen Hegel gerichteten Stelle (Grundlage der Moral §17) bemerkt er über den Staat: “Einige deutsche Philosophaster dieses feilen Zeitalters möchten ihn verdrehen zu einer Moralitäts-, Erziehungs- und Erbauungsanstalt: wobei im Hintergrunde der Jesuitische Zweck lauert, die persönliche Freiheit und individuelle Entwicklung des Einzelnen aufzuheben, um ihn zum bloßen Rade einer chinesischen Staats- und Religions-Maschine zu machen.”

Der vorliegende Band zeichnet sich durch seine Detailfreudigkeit in Sachen Grundgedanken zur Gesellschaft und Politik aus. Schopenhauer geht z.B. aber auch im Gegensatz zu Hobbes davon aus, daß das Recht nicht erst durch souveräne Setzung sondern schon im Naturzustand Geltung hat. Der Staat muß das Recht also nicht erst schaffen, sondern schützen – mehr nicht. Hier sehen wir den Grund für die Ablehnung der überbordenden Staatsvergottung. Aber auch eine bedeutende Analogie zwischen Schopenhauer und Denkern der Gegenwart wie John Rawls wird offenbart: Die Theorie der Gerechtigkeit gehört mit Schopenhauer zur philosophischen Anthropologie. Schopenhauers „Schleier der Maya“ und Rawls „Schleier des Nichtwissens“ gehören zusammen. Sie haben die Doppelfunktion, den Weltlauf sichtbar zu machen und verdecken ihn zugleich so weit, daß Menschen trotz aller Egoismen in ihren Handlungen sich in ihrem Sein als Bürger respektieren. Zugleich wird in einem weiteren Beitrag dargelegt, daß Nihilismus kein Pessimismus ist und der Vorwurf des Pessimismus als Grundhaltung des deutschen Denkens nicht haltbar ist, kommt doch ein pessimistisches Denken auch bei vielen Idealisten vor. Es muß also eine andere Wurzel haben. Der Verweis auf Hölderlins Elegie des Nichts aus seinem Werk „Hyperion“ im XI. Brief an Bellarmin enthält ebenso eine nihilistische Perspektive wie sie auch Nietzsche vertrat. Und nur wenige wie Kleist, Hölderlin und Nietzsche machten existentiellen Ernst mit ihrer Erkenntnis. Sie sind lebende Protokolle ihres Scheiterns und damit Dokumente intellektueller Rechtschaffenheit gerade in Deutschland. Pessimismus heißt also, die Existenz als nichts wert zu erleben oder als weniger wert, als mögliche Belohnungen in derselben es rechtfertigen würden. Sie, die Existenz, sollte hiernach besser nicht sein. Der Nihilismus jedoch enthält nicht diese ethische Dimension des Pessimismus.

Bei Philipp Mainländer als politischer Staatsidealist wird die Erkenntnis noch erweitert, dahingehend, daß alles was ist, immer schon erkannt und zwingend atheistisch ist und damit potentiell nihilistisch betrachtbar ist. Diese Ontologie des Leidens macht das Leiden zur Triebfeder der Erkenntnis, die von der Herrschaft des Willens befreit ist. Die Verknüpfung zur Politik sieht dann so aus, daß die Aufgabe der Gemeinschaft darin besteht, soziale Überzeugungen und das Wohlergehen nur im Denken an die Mitmenschen zu ermöglichen zu können.. Mainländer erweitert den Pessimismus Schopenhauers darin, daß sich gerade Leid durch Erkenntnis tilgen läßt und daß Leid zur Erkenntnis führt. Dieser erkenntnistheoretische Pessimismus hat mit der den Deutschen oft vorgeworfenen Resignation oder ihrem vermeintlichen Pessimismus nichts zu tun. Er ist erkenntnistheoretischer Natur und beinhaltet immer auch den Weg zur eigenen Lösung, die notwendig eine Individuelle sein muß, so wie Schopenhauer sie sich ebenso dachte. Es ist dies eine Lebenshaltung, die nicht beim Pessimismus halt macht, sondern ihn als Brücke in neue denkerische Dimensionen nutzt. „Pessimismus“ kann damit kein banaler Vorwurf mehr bleiben, sondern hat das Recht auf eine Binnendifferenzierung.

Das vorliegende Buch eröffnet Weg des politischen Denkens, welche gerade aus dem Lager deutscher Pessimisten und dem Lager derjenigen, die gerade durch ihren Pessimismus keine Pessimisten mehr sind, unerhört innovativ auftreten.

geschrieben am 11.11.2008 | 1482 Wörter | 9127 Zeichen

Kommentare lesen Kommentar schreiben

Kommentare zur Rezension (0)

Platz für Anregungen und Ergänzungen