ISBN | 3898408574 | |
Autor | Pat Murphy | |
Verlag | Blitz Verlag | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 261 | |
Erscheinungsjahr | 2004 | |
Extras | - |
Elizabeth Butler besitzt eine besondere FĂ€higkeit: sie kann die Schemen lĂ€ngst vergangener Zeiten sehen: prunkvolle GebĂ€ude, die heute nur noch Ruinen sind, Verstorbene bei ihrem Jahrtausende zurĂŒckliegenden Tagwerk. Diese FĂ€higkeit brachte sie einst in eine Nervenheilanstalt und letztendlich auch dazu, Mann und Tochter zu verlassen, um ihrer âwahrenâ Berufung zu folgen: der ArchĂ€ologie. Und nun leitet die mittlerweile renommierte Forscherin die Ausgrabungen in einer alten Maya-Metropole in den WĂ€ldern Yucatans. Eines der Schemen, die sie dort zwischen den verfallenen GebĂ€uden heimsuchen, ist der Geist der Priesterin Zuhuy-Kak, welcher im Gegensatz zu den anderen Visionen in der Lage ist, mit Elizabeth zu kommunizieren und sie so in die Geheimnisse der untergegangenen Stadt einzuweihen.
Eines Tages taucht Elizabeths erwachsene Tochter Diane im Camp auf. Nach dem Tod ihres Vaters, bei dem sie von klein auf lebte, versucht auch sie, die Vergangenheit zu begreifen, den Grund, weshalb ihre Mutter sie einst im Stich lieĂ; und sie möchte eine normale Beziehung zu der ihr fremden Frau aufbauen. Obwohl Elizabeth schroff und abweisend reagiert, kann ihr Kollege und alter Freund Tony die ArchĂ€ologin ĂŒberreden, Diane vorĂŒbergehend als Hilfskraft im Team mitarbeiten zu lassen.
Schon bald spitzen sich die Ereignisse zu. Dank ihrer FĂ€higkeiten entdeckt die Forscherin einen versteckten, geheimnisvollen Tempel, wĂ€hrend der nunmehr sehr âstofflicheâ Geist Zuhuy-Kaks die RĂŒckkehr einer alten Maya-Göttin prophezeit; und falls Elizabeth bereit ist, das zu opfern, was sie am meisten liebt, wĂŒrde sie zu einer mĂ€chtigen Frau werden.
Patrice Anne Murphy erhielt 1987 fĂŒr âThe Falling Womanâ den Nebula-Award. Dass es dennoch fast 20 Jahre dauerte bis dieser Roman seinen Weg nach Deutschland gefunden hat, wirft ein trĂŒbes Licht auf die Szene der âdeutschenâ GroĂverlage, denen aus absatzpolitischen GrĂŒnden klare Genre-Grenzen und damit wohl definierbare Zielgruppen wichtiger zu sein scheinen als literarische QualitĂ€t.
Seinem Wesen nach ist âDie Geisterseherinâ eine ruhige, psychologisch fundierte Analyse einer problembehafteten Mutter-Tocher-Beziehung vor einem magisch-realistischen Hintergrund.
Im ersten Augenblick ist man daher und auf Grund der Tatsache, dass es von einer Frau geschrieben wurde, geneigt, das Buch als einen âfantastischenâ, aber dennoch typischen Frauenroman anzusehen. Dieses wird allerdings dem Buch keinesfalls gerecht, denn die vermittelten Erfahrungen und Probleme der Protagonistinnen sind universell. Es geht um den Preis, den ein Mensch bereit ist, fĂŒr die Verwirklichung eines Traumes zu bezahlen, um die Freiheit des Willens, um die Notwendigkeit des Nehmens und Gebens in einer Beziehung.
Mit Elizabeth und Diane Butler schuf Murphy zwei komplexe, psychologisch ausgefeilte Charaktere, die in ihren SchwĂ€chen und StĂ€rken kein simples Schwarz-WeiĂ-Schema bedienen. ElizabethÂŽ misanthroper, sarkastischer und zuweilen zynischer Charakter auf der einen Seite und ihre Hingabe und Begeisterung fĂŒr die Wissenschaft sowie die FĂ€higkeit, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren, auf der anderen, machen sie zu einer Figur, die man zwar nicht lieben muss, die man jedoch verstehen kann. Diane erscheint anfangs eher als verzogenes âKindâ, das nicht weiĂ, wann es unerwĂŒnscht ist, bzw. das die WĂŒnsche anderer ignoriert, beweist aber im Laufe der Geschichte StĂ€rke, Durchhaltevermögen und schlieĂlich ein tieferes VerstĂ€ndnis fĂŒr die Dilemmata der Mutter.
Die dritte Frau im Bunde, die Priesterin Zuhuy-Kay, bleibt hingegen ephemer, schemenhaft. Ihre Rolle ist lediglich die eines Katalysators, welcher Elizabeth in die Auseinandersetzung mit ihrer Tochter und dem eigenen Wertesystem zwingt. Die restlichen Figuren des Romans sind zwar nur mehr (Tony, Barbara) oder weniger (Emilio, Marcos) bedeutsame Statisten, dennoch besitzen auch sie in ihrem Auftreten genug Tiefe, um als Individuen wahrgenommen zu werden.
Doch nicht nur hinsichtlich der Beziehungsebene weiĂ âDie Geisterseherinâ zu ĂŒberzeugen; auch die Handlungsebene unterscheidet sich positiv vom belletristischen Mainstream. Der Verzicht auf plumpe, reiĂerische Action alĂĄ Indiana Jones oder Lara Croft lĂ€sst keine Zweifel daran, dass ArchĂ€ologie in erster Linie als Wissenschaft und weniger als Abenteuer zu sehen ist, und immer wenn Murphy ihr Augenmerk darauf richtet, ist ihre ErzĂ€hlung einerseits unsentimental und distanziert und andererseits doch voller wissenschaftlichem Enthusiasmus. Sie schildert das Alltagswerk der ArchĂ€ologen, verwaltungstechnische FĂ€hrnisse und die Unbequemlichkeiten eines ânaturnahenâ Arbeitens auf eine so bildhafte und lebendige Weise, dass zu keinem Zeitpunkt Langeweile aufkommt.
Die metaphysischen, phantastischen Aspekte spielen in diesem Roman eine untergeordnete Rolle, da die Story selbst dann noch funktioniert, wenn man die Geistererscheinungen als Visionen einer psychisch kranken Frau ansieht. Die Spannung und intensive AtmosphĂ€re der Geschichte resultiert daher nicht primĂ€r aus der Konfrontation mit dem ĂbernatĂŒrlichen, sondern vielmehr aus der Auseinandersetzung mit den eigenen, inneren âDĂ€monenâ. Von elementarer, atmosphĂ€rischer Bedeutung sind allerdings auch die fundierten Kenntnisse und das EinfĂŒhlungsvermögen der Autorin, welche sich in Elizabeths Visionen manifestieren. So vermittelt Murphy das GefĂŒhl, eine lĂ€ngst untergegangene Kultur hautnah -durch Elizabeths Augen- mitzuerleben, und zwar nicht nur in ihren historischen Brennpunkten, sondern gerade auch im alltĂ€glichen Leben.
Ein Exkurs in das zyklische Kalendersystem der Maya und deren Götterwelt runden das positive Faktenbild ab und in Teilen erinnert âDie Geisterseherinâ durchaus an John L. Stephens fesselnden Reisebericht âIn den StĂ€dten der Mayaâ (... wer dieses Buch noch nicht kennt, dem sollte Murphys Roman als Lese-Anlass dienen).
Schlussendlich ein paar Worte zum formalen Aufbau: der kapitelweise Wechsel der ErzĂ€hlperspektive zwischen zwei Ich-ErzĂ€hlerinnen, Elizabeth und Diane, ist anfangs gewöhnungsbedĂŒrftigt, hemmt aber den Fluss der Geschichte nicht, da sich die beiden Protagonistinnen in ihrem Urteilen und Verhalten deutlich genug unterscheiden, wobei aber Dianes Parts durchaus etwas mehr Esprit und Jugendlichkeit hĂ€tte vertragen können.
Fazit: Ein lebendiger und doch ruhiger, ein lehrreicher, jedoch nicht belehrender Roman, dessen intensive, magisch-realistische AtmosphĂ€re den Leser bis zum Schluss zu fesseln weiĂ. Zu Recht preisgekrönt!
Anmerkung: eigentlich hat das Buch keine ISBN, es ist exklusiv ĂŒber den Verlag zu beziehen, die hier angegebene Nummer ist die Amazon ASIN fĂŒr gebrauchte Titel
geschrieben am 07.12.2004 | 916 Wörter | 5848 Zeichen
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