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Arbeitsrecht im Wandel der Zeit


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Rezension von

Dr. Sebastian Felz

Arbeitsrecht im Wandel der Zeit Das Vorhaben ist ambitioniert. Auf 194 Seiten möchte der emeritierte Regensburger Arbeitsrechtler Reinhard Richardi nichts weniger als eine – so der Untertitel des Buches – „Chronik des deutschen Arbeitsrechts“ schreiben. Er beginnt im Feudalismus mit den stĂ€ndischen Regelungen des Allgemeinen Landrechts fĂŒr die Preußischen Staaten, ĂŒberfliegt die Industrialisierung im Kaiserreich, den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik, das „Dritte Reich“ und den Zweiten Weltkrieg, die Bundesrepublik und die DDR und endet mit den Regelungen der ArbeitsverhĂ€ltnisse im digitalen Zeitalter. Anmerkungen und ein Personenregister schließen den Band ab. Richardis ErzĂ€hlung kreist um eine Leerstelle, nĂ€mlich die fehlende Kodifikation des Arbeitsrechts in Deutschland seit 1871. Nach dem Übergang der vorindustriellen-stĂ€ndischen Gesellschaft durch die industrielle Revolution in Moderne blieb eine „KodifikationslĂŒcke im BĂŒrgerlichen Gesetzbuch“. Dies war zwar eine Forderung des Reichstags bei der Verabschiedung des BGB, welche sich wiederum auf die kaiserliche Botschaft vom 4. Februar 1890 bezog, welche die Regelung der Zeit, der Dauer und der Art der Arbeit zur Staatsaufgabe zĂ€hlte. Auch die Weimarer Reichsverfassung forderte in Art. 157 Abs. 2 die Schaffung eines einheitlichen Arbeitsrechts. Aber nicht der Gesetzgeber wurde tĂ€tig, sondern die Arbeitsrechtswissenschaft – ausgehend von Otto von Gierke – romantisierte das ArbeitsvertragsverhĂ€ltnis als deutsch-rechtlichen Treudienstvertrag bzw. analysierte es marxistisch als GewaltverhĂ€ltnis des Arbeitgebers ĂŒber den Arbeitnehmer aufgrund des Eigentums an den Produktionsmitteln. „Der Vertrag“, so Richardi (S. 37), „wird auf den in seine Rechtswirksamkeit verzichtbaren Tatbestand zur BegrĂŒndung eines rechtlichen GewaltverhĂ€ltnisses reduziert [
]“. Arbeitsrecht ist daher bis heute hĂ€ufig Richterrecht. Mit dem Stinnes-Legien-Abkommen von 1918 und der Tarifvertragsordnung entwickelte sich auch das kollektive Arbeitsrecht rasant. So waren Bestimmungen eines Tarifvertrages nicht mehr nur zwischen den Tarifvertragsparteien bindend, sondern wirkten fĂŒr die tarifgebundene Belegschaft. Mit dem Nationalsozialismus und dem „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ wurden FĂŒhrerprinzip, Gemeinschaftsbezogenheit und dem VerstĂ€ndnis der Arbeit als Ehrendienst an „Volk und Staat“ Prinzipien der Arbeitsverfassung als „personenrechtlichen GliedschaftsverhĂ€ltnis“. Eine weitere Stufe des ZwangsverhĂ€ltnisses wurde ab 1939 im „Kriegsarbeitsrecht“ erreicht. Wiederaufbau der dogmatischen Strukturen und Entnazifizierung des Rechts stand ab 1945 auf der Agenda der 1949 gegrĂŒndeten jungen Bundesrepublik. Auch in den sieben Jahrzehnten der west- und gesamtdeutschen Republik gelang eine Kodifikation des Arbeitsrechts. Motor der Rechtsentwicklung wurde das BAG unterstĂŒtzt von der Rechtslehre. Immer wieder gelingt es Richardi, beginnend bei Robert Landmanns Kommentar der Gewerbeordnung 1884 ĂŒber Hugo Sinzheimer, Alfred Hueck, Rolf Dietz oder Hans Carl Nipperdey, die Wissenschaftsgeschichte der Arbeitsrechtswissenschaft in die Analyse der allgemeinen rechtlichen Entwicklung einzuflechten. Einen großen Abschnitt widmet Richardi der Wiedervereinigung (S. 107 – 155). Auch hier wurde der Auftrag des Einigungsvertrags, das Arbeitsrecht zu kodifizieren, nicht durchgefĂŒhrt – bis zum heutigen Tag. Daran konnte auch der Diskussionsentwurf des „Arbeitskreises Deutsche Rechtseinheit im Arbeitsrecht“ oder die Empfehlungen des Deutschen Juristentages Anfang der 1990er-Jahre nichts Ă€ndern. Nach Auffassung des Autors meidet der Gesetzgeber, das von der „Verbandsherrschaft geprĂ€gte Terrain“ zu betreten. Programtisch und altes sowie zukĂŒnftiges Recht verbindend kommt Richard Richardi zu dem ResĂŒmee: „Die persönliche AbhĂ€ngigkeit [i.S.d. § 611a BGB, Anm. d. Verf.] als Kriterium unterstellt dem EmpfĂ€nger der Dienstleistung eine persönliche Herrschaftsbefugnis, die er im Recht des freien Arbeitsvertrages nicht hat. Er hat sie erst recht nicht in der digitalen Arbeitswelt, die zunehmend die Sozialordnung bestimmt. In ihr wird bei einer freiheitlichen Ordnung die rechtsgeschĂ€ftliche Bindung ein konstitutives Element bleiben. Beim RĂŒckgriff auf das römische Recht ist es die locatio conductio operarum, nicht die locatio conductio operis, die eine sinnvolle Grenze fĂŒr die Geltung des Arbeitsrechts zieht. Dies ist alter Erkenntnisstand, den auch ‚Arbeiten 4.0‘ nicht widerlegt.“ Richardi schafft es, auf knapp 200 Seiten 200 Jahre deutsche Arbeitsrechtsgeschichte zu komprimieren: Ein ambitioniertes Vorhaben, das gelungen ist.

Das Vorhaben ist ambitioniert. Auf 194 Seiten möchte der emeritierte Regensburger Arbeitsrechtler Reinhard Richardi nichts weniger als eine – so der Untertitel des Buches – „Chronik des deutschen Arbeitsrechts“ schreiben. Er beginnt im Feudalismus mit den stĂ€ndischen Regelungen des Allgemeinen Landrechts fĂŒr die Preußischen Staaten, ĂŒberfliegt die Industrialisierung im Kaiserreich, den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik, das „Dritte Reich“ und den Zweiten Weltkrieg, die Bundesrepublik und die DDR und endet mit den Regelungen der ArbeitsverhĂ€ltnisse im digitalen Zeitalter. Anmerkungen und ein Personenregister schließen den Band ab.

Richardis ErzĂ€hlung kreist um eine Leerstelle, nĂ€mlich die fehlende Kodifikation des Arbeitsrechts in Deutschland seit 1871. Nach dem Übergang der vorindustriellen-stĂ€ndischen Gesellschaft durch die industrielle Revolution in Moderne blieb eine „KodifikationslĂŒcke im BĂŒrgerlichen Gesetzbuch“. Dies war zwar eine Forderung des Reichstags bei der Verabschiedung des BGB, welche sich wiederum auf die kaiserliche Botschaft vom 4. Februar 1890 bezog, welche die Regelung der Zeit, der Dauer und der Art der Arbeit zur Staatsaufgabe zĂ€hlte. Auch die Weimarer Reichsverfassung forderte in Art. 157 Abs. 2 die Schaffung eines einheitlichen Arbeitsrechts. Aber nicht der Gesetzgeber wurde tĂ€tig, sondern die Arbeitsrechtswissenschaft – ausgehend von Otto von Gierke – romantisierte das ArbeitsvertragsverhĂ€ltnis als deutsch-rechtlichen Treudienstvertrag bzw. analysierte es marxistisch als GewaltverhĂ€ltnis des Arbeitgebers ĂŒber den Arbeitnehmer aufgrund des Eigentums an den Produktionsmitteln. „Der Vertrag“, so Richardi (S. 37), „wird auf den in seine Rechtswirksamkeit verzichtbaren Tatbestand zur BegrĂŒndung eines rechtlichen GewaltverhĂ€ltnisses reduziert [
]“. Arbeitsrecht ist daher bis heute hĂ€ufig Richterrecht.

Mit dem Stinnes-Legien-Abkommen von 1918 und der Tarifvertragsordnung entwickelte sich auch das kollektive Arbeitsrecht rasant. So waren Bestimmungen eines Tarifvertrages nicht mehr nur zwischen den Tarifvertragsparteien bindend, sondern wirkten fĂŒr die tarifgebundene Belegschaft.

Mit dem Nationalsozialismus und dem „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ wurden FĂŒhrerprinzip, Gemeinschaftsbezogenheit und dem VerstĂ€ndnis der Arbeit als Ehrendienst an „Volk und Staat“ Prinzipien der Arbeitsverfassung als „personenrechtlichen GliedschaftsverhĂ€ltnis“. Eine weitere Stufe des ZwangsverhĂ€ltnisses wurde ab 1939 im „Kriegsarbeitsrecht“ erreicht.

Wiederaufbau der dogmatischen Strukturen und Entnazifizierung des Rechts stand ab 1945 auf der Agenda der 1949 gegrĂŒndeten jungen Bundesrepublik. Auch in den sieben Jahrzehnten der west- und gesamtdeutschen Republik gelang eine Kodifikation des Arbeitsrechts. Motor der Rechtsentwicklung wurde das BAG unterstĂŒtzt von der Rechtslehre. Immer wieder gelingt es Richardi, beginnend bei Robert Landmanns Kommentar der Gewerbeordnung 1884 ĂŒber Hugo Sinzheimer, Alfred Hueck, Rolf Dietz oder Hans Carl Nipperdey, die Wissenschaftsgeschichte der Arbeitsrechtswissenschaft in die Analyse der allgemeinen rechtlichen Entwicklung einzuflechten. Einen großen Abschnitt widmet Richardi der Wiedervereinigung (S. 107 – 155). Auch hier wurde der Auftrag des Einigungsvertrags, das Arbeitsrecht zu kodifizieren, nicht durchgefĂŒhrt – bis zum heutigen Tag. Daran konnte auch der Diskussionsentwurf des „Arbeitskreises Deutsche Rechtseinheit im Arbeitsrecht“ oder die Empfehlungen des Deutschen Juristentages Anfang der 1990er-Jahre nichts Ă€ndern.

Nach Auffassung des Autors meidet der Gesetzgeber, das von der „Verbandsherrschaft geprĂ€gte Terrain“ zu betreten.

Programtisch und altes sowie zukĂŒnftiges Recht verbindend kommt Richard Richardi zu dem ResĂŒmee:

„Die persönliche AbhĂ€ngigkeit [i.S.d. § 611a BGB, Anm. d. Verf.] als Kriterium unterstellt dem EmpfĂ€nger der Dienstleistung eine persönliche Herrschaftsbefugnis, die er im Recht des freien Arbeitsvertrages nicht hat. Er hat sie erst recht nicht in der digitalen Arbeitswelt, die zunehmend die Sozialordnung bestimmt. In ihr wird bei einer freiheitlichen Ordnung die rechtsgeschĂ€ftliche Bindung ein konstitutives Element bleiben. Beim RĂŒckgriff auf das römische Recht ist es die locatio conductio operarum, nicht die locatio conductio operis, die eine sinnvolle Grenze fĂŒr die Geltung des Arbeitsrechts zieht. Dies ist alter Erkenntnisstand, den auch ‚Arbeiten 4.0‘ nicht widerlegt.“

Richardi schafft es, auf knapp 200 Seiten 200 Jahre deutsche Arbeitsrechtsgeschichte zu komprimieren: Ein ambitioniertes Vorhaben, das gelungen ist.

geschrieben am 23.12.2019 | 589 Wörter | 4101 Zeichen

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