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Revolution aus Geist und Liebe - Hölderlins „Hyperion“ durchgehend kommentiert


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Rezension von

Daniel Bigalke

Revolution aus Geist und Liebe - Hölderlins „Hyperion“ durchgehend kommentiert Der Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843) ist in Deutschland und der Welt mehr durch seinen „Wahnsinn“ als durch sein Werk berühmt. Nur so konnte der Erstherausgeber des hölderlinschen Gesamtwerkes, der 1916 vor Verdun gefallene Norbert von Hellingrath, 1913 schreiben, dass es lediglich das „Fremdartige“ an der sich in der kurzen Epoche des deutschen Geistes hervorwagenden Dichtersprache sei, das für „Spuren des Wahnsinns“ gehalten werde. Man erregte sich am Irrsinn und nicht an der Tiefendimension des Werkes. Hellingrath bestand einst auf der herausragenden Rolle Hölderlins, die zwar nicht als "Wahnsinn" gelten solle, sondern als herausragende menschliche Geisteskraft, welche man lediglich im Volksmund kaum anders denn als "Irrsinn" bezeichnen wollte oder konnte, weil im Volke oft die geistige Nähe zu oder das Artikulationsvermögen für dergleichen Sachverhalte fehlte. Dennoch, einer hat den Zorn Hellingraths und vor allem Hölderlin endlich ernst genommen: Der durch seine originäre Reflexionstheorie bekannt gewordene Philosoph Johannes Heinrichs liefert jetzt die erste durchgehend textnah kommentierende Interpretation zu einem Meisterwerk Hölderlins, dem „Hyperion“. Der Text erscheint in historisch-kritischer Version neben dem Kommentar, der durch philosophische Interpretationshypothesen ergänzt wird. Die Tragweite des Werkes Hölderlins eröffnet sich unweigerlich: „Eines zu sein mit Allem, das ist Leben der Gottheit, das ist der Himmel des Menschen.“ Und so ist der „Hyperion“ Träger einer aktuellen Botschaft: Die heutige politische Erneuerung muss basieren auf einer „Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten“ (Hölderlin). Heinrichs schreibt an zentraler Stelle in seinem Buche zum selben Sachverhalt: „Es sei aber nicht Schuldgefühl, was unser Verhältnis zu diesem zwar nicht breitesten, doch tiefsten und musikalischsten seiner Dichter primär bestimmen sollte, sondern: künstlerisch-philosophische Einsicht, zusammen mit geschichtlicher Selbstbesinnung auf die bisher nicht erfüllte philosophisch-politische Mission Deutschlands in der Mitte Europas. Man muss nicht die alleinige Schuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg akzeptieren, um zu erkennen: Eine kulturell geprägte Nation, die sich zwei Weltkriege leisten konnte, hat vermutlich dabei ihre eigentliche Mission verfehlt. (…) Es geht heute um eine friedliche Revolutionierung der Demokratie von Grund aus, d. h. von den geistigen Grundlagen her. Deutschland wäre heute als ‚Land der (auch demokratie-theoretischen) Ideen’ berufen, endlich den Anfang zu machen. Noch immer scheint das Wort des Hölderlin-Liebhabers Marx zu gelten: ‚Das gründliche Deutschland kann nicht revolutionieren, ohne von Grund aus zu revolutionieren.’ Und auch folgendes Wort jenes radikalen Demokraten liegt ganz auf der Linie Hölderlins: ‚Die Emanzipation des Deutschen ist die Emanzipation des Menschen. Der Kopf dieser Emanzipation ist die Philosophie.’ Wobei Hölderlin diese in enger Verbindung mit der Kunst sieht. Zu dieser integralen Humanität auf philosophischen Grundlagen kann selbstverständlich ein Dichter-Philosoph wie Hölderlin erheblich beitragen, immer noch.“ (541) Damit verdeutlicht Heinrichs - exemplifiziert an Äußerungen großer anderer Deutscher - die eminente Bedeutung der deutschen Geistestradition für die Optimierung philosophisch-politischen Denkens der Gegenwart. Seine Darlegungen sind dazu geeignet, entsprechend die gleichsam „kopernikanische Wende“ innerhalb der bundesdeutschen Politologie der Nachkriegszeit zu erwirken: Ein Besinnen der Politikwissenschaft nicht auf implementierte Demokratievorstellung einer nach dem Kriege verordneten „Demokratiewissenschaft“ partikularer Partei-Dogmatik, sondern der Rekurs auf die eigenen deutschen demokratiephilosophischen Wurzeln, die seit Hegel integralen, vom Ganzen her denkenden Charakter trugen, ist vonnöten. Diese neue Hyperion-Analyse erscheint zum 200-Jahr-„Jubiläum“ der Einlieferung des Dichters in den Tübinger Turm am 3. Mai 1807, worin er ganze 36 Jahre zugebracht hat - unverstanden, erniedrigt - bis zu seinem physischen Tod am 7. Juni 1843. „O, ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt.“ Hölderlins eigenes Leben war ihm Programm. Ein mit dem Kommentar von Heinrichs vorgelegtes erneuertes Gedenken an Hölderlin sind die Deutschen ihrem „vaterländischen“ Dichter schuldig, der an den staatlichen und kirchlichen Verhältnissen seiner Zeit zerbrach, so wie es inzwischen viele Menschen auch heute wieder tun. Er ist tragisches Sinnbild des deutschen Geistes, des höheren Reflexionsvermögens und seines Scheiterns in einer Welt denkerischer Mittelmäßigkeit, die von einer „Wiederkehr der Götter“ in Gestalt erleuchteter Meister nichts wissen möchte. Und zürnte Hellingrath hauptsächlich deshalb, weil dem Werk niemand gerecht werden konnte, viele Menschen gleichsam die Brisanz desselben erkannten und es deshalb verschwiegen, so ist das neue Buch von Heinrichs wohl dazu angetan, diesen Zorn zu entkräften und neue Dimensionen aufzutun. Es begegnet Hölderlin endlich auf gleicher Augenhöhe.

Der Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843) ist in Deutschland und der Welt mehr durch seinen „Wahnsinn“ als durch sein Werk berühmt. Nur so konnte der Erstherausgeber des hölderlinschen Gesamtwerkes, der 1916 vor Verdun gefallene Norbert von Hellingrath, 1913 schreiben, dass es lediglich das „Fremdartige“ an der sich in der kurzen Epoche des deutschen Geistes hervorwagenden Dichtersprache sei, das für „Spuren des Wahnsinns“ gehalten werde. Man erregte sich am Irrsinn und nicht an der Tiefendimension des Werkes. Hellingrath bestand einst auf der herausragenden Rolle Hölderlins, die zwar nicht als "Wahnsinn" gelten solle, sondern als herausragende menschliche Geisteskraft, welche man lediglich im Volksmund kaum anders denn als "Irrsinn" bezeichnen wollte oder konnte, weil im Volke oft die geistige Nähe zu oder das Artikulationsvermögen für dergleichen Sachverhalte fehlte.

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Dennoch, einer hat den Zorn Hellingraths und vor allem Hölderlin endlich ernst genommen: Der durch seine originäre Reflexionstheorie bekannt gewordene Philosoph Johannes Heinrichs liefert jetzt die erste durchgehend textnah kommentierende Interpretation zu einem Meisterwerk Hölderlins, dem „Hyperion“. Der Text erscheint in historisch-kritischer Version neben dem Kommentar, der durch philosophische Interpretationshypothesen ergänzt wird. Die Tragweite des Werkes Hölderlins eröffnet sich unweigerlich: „Eines zu sein mit Allem, das ist Leben der Gottheit, das ist der Himmel des Menschen.“ Und so ist der „Hyperion“ Träger einer aktuellen Botschaft: Die heutige politische Erneuerung muss basieren auf einer „Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten“ (Hölderlin).

Heinrichs schreibt an zentraler Stelle in seinem Buche zum selben Sachverhalt: „Es sei aber nicht Schuldgefühl, was unser Verhältnis zu diesem zwar nicht breitesten, doch tiefsten und musikalischsten seiner Dichter primär bestimmen sollte, sondern: künstlerisch-philosophische Einsicht, zusammen mit geschichtlicher Selbstbesinnung auf die bisher nicht erfüllte philosophisch-politische Mission Deutschlands in der Mitte Europas. Man muss nicht die alleinige Schuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg akzeptieren, um zu erkennen: Eine kulturell geprägte Nation, die sich zwei Weltkriege leisten konnte, hat vermutlich dabei ihre eigentliche Mission verfehlt. (…) Es geht heute um eine friedliche Revolutionierung der Demokratie von Grund aus, d. h. von den geistigen Grundlagen her. Deutschland wäre heute als ‚Land der (auch demokratie-theoretischen) Ideen’ berufen, endlich den Anfang zu machen. Noch immer scheint das Wort des Hölderlin-Liebhabers Marx zu gelten: ‚Das gründliche Deutschland kann nicht revolutionieren, ohne von Grund aus zu revolutionieren.’ Und auch folgendes Wort jenes radikalen Demokraten liegt ganz auf der Linie Hölderlins: ‚Die Emanzipation des Deutschen ist die Emanzipation des Menschen. Der Kopf dieser Emanzipation ist die Philosophie.’ Wobei Hölderlin diese in enger Verbindung mit der Kunst sieht. Zu dieser integralen Humanität auf philosophischen Grundlagen kann selbstverständlich ein Dichter-Philosoph wie Hölderlin erheblich beitragen, immer noch.“ (541)

Damit verdeutlicht Heinrichs - exemplifiziert an Äußerungen großer anderer Deutscher - die eminente Bedeutung der deutschen Geistestradition für die Optimierung philosophisch-politischen Denkens der Gegenwart. Seine Darlegungen sind dazu geeignet, entsprechend die gleichsam „kopernikanische Wende“ innerhalb der bundesdeutschen Politologie der Nachkriegszeit zu erwirken: Ein Besinnen der Politikwissenschaft nicht auf implementierte Demokratievorstellung einer nach dem Kriege verordneten „Demokratiewissenschaft“ partikularer Partei-Dogmatik, sondern der Rekurs auf die eigenen deutschen demokratiephilosophischen Wurzeln, die seit Hegel integralen, vom Ganzen her denkenden Charakter trugen, ist vonnöten.

Diese neue Hyperion-Analyse erscheint zum 200-Jahr-„Jubiläum“ der Einlieferung des Dichters in den Tübinger Turm am 3. Mai 1807, worin er ganze 36 Jahre zugebracht hat - unverstanden, erniedrigt - bis zu seinem physischen Tod am 7. Juni 1843. „O, ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt.“ Hölderlins eigenes Leben war ihm Programm. Ein mit dem Kommentar von Heinrichs vorgelegtes erneuertes Gedenken an Hölderlin sind die Deutschen ihrem „vaterländischen“ Dichter schuldig, der an den staatlichen und kirchlichen Verhältnissen seiner Zeit zerbrach, so wie es inzwischen viele Menschen auch heute wieder tun. Er ist tragisches Sinnbild des deutschen Geistes, des höheren Reflexionsvermögens und seines Scheiterns in einer Welt denkerischer Mittelmäßigkeit, die von einer „Wiederkehr der Götter“ in Gestalt erleuchteter Meister nichts wissen möchte. Und zürnte Hellingrath hauptsächlich deshalb, weil dem Werk niemand gerecht werden konnte, viele Menschen gleichsam die Brisanz desselben erkannten und es deshalb verschwiegen, so ist das neue Buch von Heinrichs wohl dazu angetan, diesen Zorn zu entkräften und neue Dimensionen aufzutun. Es begegnet Hölderlin endlich auf gleicher Augenhöhe.

geschrieben am 12.07.2007 | 670 Wörter | 4409 Zeichen

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