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Cioran


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Rezension von

Daniel Bigalke

Cioran „Alles ist überflüssig! – Das Nichts hätte genügt!“ Diese Worte aus einem in den achtziger Jahren erschienenen Bildband über Cioran bleiben haften und stellen ihn in den Kontext des radikalen Pessimismus in Frankreich, der sich insbesondere auch von Deutschland her speiste. Cioran (1911-1995), der "Dandy der Leere, neben dem selbst Stoiker wie unheilbare Lebemänner wirken" (Bernhard-Henri Levy), war einer der einflußreichsten kulturkritischen Denker des 20. Jahrhunderts. Mit seinen Schriften „Vom Nachteil, geboren zu sein“ (dt. 1977) und „Lehre vom Zerfall“ (1953) setzte er Maßstäbe eines von heilsversprechenden Ideologien entkoppelten eigenständigen Denkens, welches damit umso einsamer aber konsequenter erschien. Er weigerte sich seit jeher solchen Proklamationen zu folgen, die ein Heil versprachen, denn Cioran spürte intuitiv: Es gibt kein Heil. Und so schrieb er dann auch in seinem Werk „Vom Nachteil, geboren zu sein“, daß dies der einzige Gedanke war, den er hatte, als er seinen Vater, orthodoxer Priester in Herrmanstadt (Rumänien), allabendlich beten hörte. Sein Leben ist noch nie so detailreich rekonstruiert worden wie in der vorliegenden Biografie von Bernd Mattheus aus dem Matthes und Seitz-Verlag. In bisweilen schmerzlicher Nähe zu den Äußerungen des Selbstmord-Theoretikers beleuchtet er auch die bislang wenig bekannte Zeit vor seiner Emigration nach Frankreich. Emil M. Cioran, geboren 1911 im rumänischen Hermannstadt, studierte an der Universität Bukarest, wo er mit Mircea Eliade und Eugene Ionesco eine lebenslange Freundschaft schloß. Nach einem längeren Aufenthalt in Berlin emigrierte er 1937 nach Paris; seit dieser Zeit schreibt er auf französisch. Aber auch die deutsche Sprache war ihm vertraut. Er sprach sie mit leicht schwäbischem Dialekt, wovon zahlreiche Tonaufzeichnungen Kunde geben. Das Buch, das ihn international bekannt machte, war seine „Lehre vom Zerfall“, die von Paul Celan ins Deutsche übersetzt wurde und seinen Ruf als unerbittlichen Skeptiker begründete. In der vorliegenden Biographie geht der Autor leider nicht darauf ein, von woher diese Zerfallslehre inspiriert war – von einem deutschen Denker, über den die Forschung gerade erst zu forschen begonnen hat: Philipp Mainländer. Hier liegt nun auch die Verknüpfung hinein in die deutsche Philosophie. Der Tod seiner Mutter erschütterte Cioran dermaßen, daß er begann, inbrünstig Jorge Luis Borges, James Joyce, die Gnostiker und vor allem Phillip Mainländers „Philosophie der Erlösung“ (1876/86 – 2. Bände) zu lesen, die 1996 bis 1999 erstmals wieder in neuer Auflage in Deutschland erschienen. Es folgen viele weitere kompromißlose Werke wie "Syllogismen der Bitterkeit" (1969) oder "Die verfehlte Schöpfung" (1963). Bis in die späten 1980er Jahre bleibt Ciorans finanzielle Lage prekär. Er kultiviert den skeptischen Philosophen, lehnt Literaturpreise mit der Begründung ab, daß sein Werk eines der Negation sei, welchem man niemals Tribut zollen könne. Was die wenigsten wissen, hinter dieser bewundernswerten Konsequenz steckt zugleich die Tatsache, daß er von einer guten Freundin finanziell in seiner Pariser Mansarde ausgehalten wird. Zu diesem zugleich konsequenten aber auch inszenierten Leben paßt nun auch die Äußerung Mattheus: „Cioran lachte gerne und häufig, während der peinlich darauf bedacht war, daß keine heiteren und gelösten Fotoportraits von ihm veröffentlicht wurden.“ (18) 1995 stirbt der Aristokrat des Zweifels und der Luzidität als gefeierter Denker in Paris. Mattheus gelingt nicht nur eine präzise Rekonstruktion Ciorans Lebens, sondern auch eine verblüffende Verlebendigung des "nach Kierkegaard einzigen Denkers von Rang, der die Einsicht unwiderruflich gemacht hat, daß keiner nach sicheren Methoden verzweifeln kann." (Peter Sloterdijk) Zum Vorschein tritt ein Cioran, der verzweifelt ist, aber zugleich daraus wieder die lebensbejahende Kraft schöpft. Es ist dies die „Begegnung mit einem freundlichen Misanthropen“ (9), dessen Geschichtspessimismus grundsätzlich skeptischer und radikaler als derjenige Oswald Spenglers oder des Hegelianer Alexandre Kojève ist. Auffällig an Mattheus Biografie ist die essayistische Verdichtung zu Beginn und die Tendenz in Richtung Chronik gegen Ende. Die erfolgreich absolvierte Kunst besteht darin, daß diese "Werkbiografie" niemals langweilig ist. Stets folgt Mattheus dem Geist der spitzen, verblüffenden Formulierungen Ciorans, ihm gelingt eine authentische Darstellung eines der radikalsten Denker des 20. Jahrhunderts, von dem der Biograph meint: "Die Menschenverachtung, zu der sich Cioran bekennt, müsste eigentlich jedem Lebenden zu eigen sein, sofern er sich einmal die Geschichte dieser Spezies vergegenwärtigt hat...." Mattheus liefert damit eine vorzügliche Monographie zum Werk Ciorans in Form einer Biographie, die viel neues in sich birgt. So z.B. dass Cioran am 7. April 1976 erstmals Ernst Jünger traf, der in Paris einige Freunde hatte und ohnehin in Frankreich mehr geschätzt wurde als in seinem identitätslosen Heimatland. Noch 10 Jahre vorher nahm sich Cioran 1966 vor, eine der folgenden Warnungen an seiner Tür zu befestigen: „Jeder Besuch ist eine Aggression“ – „Jedes Gesicht stört mich“ – „Verdammt sei, wer klingelt“ – „Ich kenne niemanden“ – Gefährlicher Irrer“! Ob nun Verzweifelter, Suizidant, Misanthrop, Schauspieler oder konsequenter Philosoph: Gerade der Gedanke, sein Leben beenden zu können, hielt ihn immer wieder am Leben. Dieses Buch legt ein inhaltliches Zeugnis über einen Menschen ab, an den in Rasinari (Rumänien) nur noch eine Steintafel an seinem Elternhaus sowie eine kleine davor positionierte Büste erinnert.

„Alles ist überflüssig! – Das Nichts hätte genügt!“ Diese Worte aus einem in den achtziger Jahren erschienenen Bildband über Cioran bleiben haften und stellen ihn in den Kontext des radikalen Pessimismus in Frankreich, der sich insbesondere auch von Deutschland her speiste. Cioran (1911-1995), der "Dandy der Leere, neben dem selbst Stoiker wie unheilbare Lebemänner wirken" (Bernhard-Henri Levy), war einer der einflußreichsten kulturkritischen Denker des 20. Jahrhunderts. Mit seinen Schriften „Vom Nachteil, geboren zu sein“ (dt. 1977) und „Lehre vom Zerfall“ (1953) setzte er Maßstäbe eines von heilsversprechenden Ideologien entkoppelten eigenständigen Denkens, welches damit umso einsamer aber konsequenter erschien. Er weigerte sich seit jeher solchen Proklamationen zu folgen, die ein Heil versprachen, denn Cioran spürte intuitiv: Es gibt kein Heil. Und so schrieb er dann auch in seinem Werk „Vom Nachteil, geboren zu sein“, daß dies der einzige Gedanke war, den er hatte, als er seinen Vater, orthodoxer Priester in Herrmanstadt (Rumänien), allabendlich beten hörte.

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Sein Leben ist noch nie so detailreich rekonstruiert worden wie in der vorliegenden Biografie von Bernd Mattheus aus dem Matthes und Seitz-Verlag. In bisweilen schmerzlicher Nähe zu den Äußerungen des Selbstmord-Theoretikers beleuchtet er auch die bislang wenig bekannte Zeit vor seiner Emigration nach Frankreich. Emil M. Cioran, geboren 1911 im rumänischen Hermannstadt, studierte an der Universität Bukarest, wo er mit Mircea Eliade und Eugene Ionesco eine lebenslange Freundschaft schloß. Nach einem längeren Aufenthalt in Berlin emigrierte er 1937 nach Paris; seit dieser Zeit schreibt er auf französisch. Aber auch die deutsche Sprache war ihm vertraut. Er sprach sie mit leicht schwäbischem Dialekt, wovon zahlreiche Tonaufzeichnungen Kunde geben. Das Buch, das ihn international bekannt machte, war seine „Lehre vom Zerfall“, die von Paul Celan ins Deutsche übersetzt wurde und seinen Ruf als unerbittlichen Skeptiker begründete.

In der vorliegenden Biographie geht der Autor leider nicht darauf ein, von woher diese Zerfallslehre inspiriert war – von einem deutschen Denker, über den die Forschung gerade erst zu forschen begonnen hat: Philipp Mainländer. Hier liegt nun auch die Verknüpfung hinein in die deutsche Philosophie. Der Tod seiner Mutter erschütterte Cioran dermaßen, daß er begann, inbrünstig Jorge Luis Borges, James Joyce, die Gnostiker und vor allem Phillip Mainländers „Philosophie der Erlösung“ (1876/86 – 2. Bände) zu lesen, die 1996 bis 1999 erstmals wieder in neuer Auflage in Deutschland erschienen.

Es folgen viele weitere kompromißlose Werke wie "Syllogismen der Bitterkeit" (1969) oder "Die verfehlte Schöpfung" (1963). Bis in die späten 1980er Jahre bleibt Ciorans finanzielle Lage prekär. Er kultiviert den skeptischen Philosophen, lehnt Literaturpreise mit der Begründung ab, daß sein Werk eines der Negation sei, welchem man niemals Tribut zollen könne. Was die wenigsten wissen, hinter dieser bewundernswerten Konsequenz steckt zugleich die Tatsache, daß er von einer guten Freundin finanziell in seiner Pariser Mansarde ausgehalten wird. Zu diesem zugleich konsequenten aber auch inszenierten Leben paßt nun auch die Äußerung Mattheus: „Cioran lachte gerne und häufig, während der peinlich darauf bedacht war, daß keine heiteren und gelösten Fotoportraits von ihm veröffentlicht wurden.“ (18)

1995 stirbt der Aristokrat des Zweifels und der Luzidität als gefeierter Denker in Paris.

Mattheus gelingt nicht nur eine präzise Rekonstruktion Ciorans Lebens, sondern auch eine verblüffende Verlebendigung des "nach Kierkegaard einzigen Denkers von Rang, der die Einsicht unwiderruflich gemacht hat, daß keiner nach sicheren Methoden verzweifeln kann." (Peter Sloterdijk) Zum Vorschein tritt ein Cioran, der verzweifelt ist, aber zugleich daraus wieder die lebensbejahende Kraft schöpft. Es ist dies die „Begegnung mit einem freundlichen Misanthropen“ (9), dessen Geschichtspessimismus grundsätzlich skeptischer und radikaler als derjenige Oswald Spenglers oder des Hegelianer Alexandre Kojève ist.

Auffällig an Mattheus Biografie ist die essayistische Verdichtung zu Beginn und die Tendenz in Richtung Chronik gegen Ende. Die erfolgreich absolvierte Kunst besteht darin, daß diese "Werkbiografie" niemals langweilig ist. Stets folgt Mattheus dem Geist der spitzen, verblüffenden Formulierungen Ciorans, ihm gelingt eine authentische Darstellung eines der radikalsten Denker des 20. Jahrhunderts, von dem der Biograph meint: "Die Menschenverachtung, zu der sich Cioran bekennt, müsste eigentlich jedem Lebenden zu eigen sein, sofern er sich einmal die Geschichte dieser Spezies vergegenwärtigt hat...."

Mattheus liefert damit eine vorzügliche Monographie zum Werk Ciorans in Form einer Biographie, die viel neues in sich birgt. So z.B. dass Cioran am 7. April 1976 erstmals Ernst Jünger traf, der in Paris einige Freunde hatte und ohnehin in Frankreich mehr geschätzt wurde als in seinem identitätslosen Heimatland. Noch 10 Jahre vorher nahm sich Cioran 1966 vor, eine der folgenden Warnungen an seiner Tür zu befestigen: „Jeder Besuch ist eine Aggression“ – „Jedes Gesicht stört mich“ – „Verdammt sei, wer klingelt“ – „Ich kenne niemanden“ – Gefährlicher Irrer“!

Ob nun Verzweifelter, Suizidant, Misanthrop, Schauspieler oder konsequenter Philosoph: Gerade der Gedanke, sein Leben beenden zu können, hielt ihn immer wieder am Leben. Dieses Buch legt ein inhaltliches Zeugnis über einen Menschen ab, an den in Rasinari (Rumänien) nur noch eine Steintafel an seinem Elternhaus sowie eine kleine davor positionierte Büste erinnert.

geschrieben am 03.04.2008 | 803 Wörter | 4840 Zeichen

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