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Unternehmerfreiheit versus Verbraucherschutz?!


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Rezension von

Dr. Sebastian Felz

Unternehmerfreiheit versus Verbraucherschutz?! Am 15. MĂ€rz 1962 adressierte der amerikanische PrĂ€sident John F. Kennedy eine „Special Message to the Congress on Protecting the Consumer Interest“. Alle Menschen seien Konsumenten beginnt der Kennedy seine Botschaft und forderte vier Konsumentenrechte (das Recht auf Produktsicherheit, das Recht auf Information, das Recht auf Wahlfreiheit, das Recht auf Vertretung und rechtliches Gehör): „(1) The right to safety--to be protected against the marketing of goods which are hazardous to health or life. (2) The right to be informed--to be protected against fraudulent, deceitful, or grossly misleading information, advertising, labeling, or other practices, and to be given the facts he needs to make an informed choice. (3) The right to choose--to be assured, wherever possible, access to a variety of products and services at competitive prices; and in those industries in which competition is not workable and Government regulation is substituted, an assurance of satisfactory quality and service at fair prices. (4) The right to be heard--to be assured that consumer interests will receive full and sympathetic consideration in the formulation of Government policy, and fair and expeditious treatment in its administrative tribunals.“ Seit 1983 ist der 15. MĂ€rz daher der „Weltverbrauchertag“. Diese Verbraucherschutzrechte der Produktsicherheit, der Sicherheit durch Information, des fairen Preises und funktionierenden Marktes sowie des rechtlichen Gehörs stehen im Spannungsfeld zur unternehmerischen Freiheit der Produzenten und Wirtschaftsakteure. Wie regelt das europĂ€ische und das deutsche Recht diesen Interessenausgleich zwischen Unternehmer und Verbraucher, fragt Gerhard Wiebe in seiner 400-Seiten starken Dissertation, mit der er an der UniversitĂ€t Bielefeld promoviert worden ist? Wiebe fĂŒllt damit eine LĂŒcke in der BeschĂ€ftigung aus öffentlich-rechtlicher Perspektive mit dem Verbraucherschutz bzw. mit dem Recht auf Unternehmensfreiheit und den jeweiligen Interdependenzen. Er beschĂ€ftigt sich mit den jeweiligen dogmatischen Ausformungen beider Rechtspositionen auf der Ebene des europĂ€ischen PrimĂ€rrechts und des nationalen Verfassungsrechts. Wiebe unterteilt seine Untersuchung in vier Schritte. Im ersten Teil wird als Fundament der Analyse die ökonomische Bedeutung des Konsums, die Interessen von Konsumenten, Marktstellung sowie ihre etwaige SchutzbedĂŒrftigkeit herausgearbeitet. Weiteren zeichnet Wiebe die Entwicklung des rechtlichen Verbraucherschutzes nach. Hier erkennt der Autor insbesondere die Zersplitterung von verbraucherschutzrechtlichen Regelungen im öffentlichen Recht, da die Regelungen auf unterschiedlichste Schutzgesetze verteilt seien. Ein ĂŒbergeordnetes Verbraucherschutzkonzept existiere nicht. Eine Synthese dieser verschiedenen Regelungsbereiche sei aufgrund der Gemengelage von verschiedenen Interessenlagen, unterschiedlichen sozio-ökonomischen Denkschulen sowie der dynamischen Schnelllebigkeit der Welt schwerlich zu erreichen. Unter RĂŒckgriff auf die Rechtsprechung des EuGH zum „Verbraucherleitbild“, in welcher der Verbraucher als durchschnittlich mĂŒndig, informiert, aufmerksam und verstĂ€ndig gesehen wird, geht Wiebe vom Leitbild eines „potenziell (Hervorhebung im Original, S. F.) vernĂŒnftigen, mĂŒndigen und informierbaren Durchschnittsverbrauchers“ aus (S. 74). Im Verlauf der Untersuchung wird sogar der etwas zu hochstehende Begriff der „VerbraucherwĂŒrde“ als „wirtschaftlicher Einschlag der MenschenwĂŒrde“ eingefĂŒhrt (S. 143). Eine „Verbraucherpflichtigkeit der Unternehmerfreiheit“, also eine EinschrĂ€nkungsmöglichkeit auf Ebene des Schutzbereichs des Art. 12 Abs. 1 GG, wird abgelehnt (S. 190). Wiebe lehnt paternalistische Eingriffe des Staates zugunsten des Verbrauchers grundsĂ€tzlich ab und will nur in Ausnahmen aufgrund der Schutzpflichten der Grundrechte Eingriffe bei freiwilligen SelbstgefĂ€hrdungen der Verbraucher in deren FreiheitssphĂ€ren zulassen (S. 247). Aufbauend auf diesen ökonomischen, soziologischen und historischen Grundlagen arbeitet der Autor in dogmatischer Feinarbeit die Unternehmensfreiheit auf der einen Seite und auf der anderen Seite den Schutz des Verbrauchers in den Regelungen des Vertrages ĂŒber die Arbeitsweise der EuropĂ€ischen Union, EuropĂ€ischen Grundrechtscharta sowie des Grundgesetzes heraus. Dieser zweite Teil der Untersuchung ist das HerzstĂŒck (S. 91 bis S. 288) des Buches. In drei Schritten analysiert Wiebe zunĂ€chst die dogmatischen Grundlagen der Unternehmerfreiheit (Art. 16 EU-GRCh sowie Art. 12 GG) heraus, dann die rechtlichen Fundamente des Verbraucherschutzes (Art. 169, Art. 114 AEUV sowie Art. 38 EU-GRCh) sowie das VerhĂ€ltnis beider Rechtsbereiche. Dem Verbraucherschutz, so Wiebe, komme kein absoluter Vorrang gegenĂŒber der Unternehmerfreiheit zu. Beide Rechtspositionen seien zu einem „wohlaustarierten Ausgleich“ zu bringen. Die gesetzgeberische EinschĂ€tzungsprĂ€rogative sowie die administrative ErmessensausĂŒbung im Bereich des Verbraucherschutzes seien anhand folgender Kriterien auszuĂŒben: Die auf validen Fakten beruhende Prognose der Schadenswahrscheinlichkeit und des Schadensumfangs, der Rang des betroffenen Verbraucherschutzgutes, Festlegung des Schutzniveaus (Mindestschutz oder optimaler Schutz), Vorrang des Eigenschutzes des Verbrauchers („Hilfe zur Selbsthilfe“), Vorrang von Kooperation und unternehmerischer Eigenregulierung vor einseitigen Maßnahmen der öffentlichen Hand, Informationspflichten als im Regelfall milderes Mittel, Verbote und Sanktionen als „ultima ratio“, GrĂ¶ĂŸe und wirtschaftliche StĂ€rke der regulierten Unternehmen, gesamtwirtschaftliche Folgewirkungen der Verbraucherschutzmaßnahmen sowie Garantie von unternehmer- sowie verbraucherseitigen Rechtsschutzgarantien und Verfahrensteilhabe. Das VerhĂ€ltnis zwischen Unternehmensfreiheit und Verbraucherschutz im öffentlich-rechtlichen Verbraucherschutzrecht steht anhand eines Vergleichs der Rechtsmaterien Produkts- und Lebensmittelsicherheit im Fokus des dritten Teils. Hier werden die Adressaten von produktbezogenen Unternehmerpflichten, Sicherheitsvorgaben durch Gesetze und ihre Konkretisierung durch die Normung, Produktinformationspflichten, behördliche Produkt- und Betriebszulassungen, Produktzertifizierungen, Produktbeobachtungspflichten, Risikomanagementsysteme, Pflichten zur Gefahrabwendung, Kommunikations- und Kooperationspflichten, behördliche Nachmarktkontrollen, Risikoermittlung, Betretungsbefugnisse, Auskunfts- und Einsichtsrechte, PrĂŒf- und Besichtigungsbefugnisse, Probenahmen, VerbotsverfĂŒgungen, Gefahrhinweise, Anordnung der KonformitĂ€tsprĂŒfung, behördliche InformationstĂ€tigkeiten, RĂŒcknahmen und RĂŒckrufe sowie die VerhĂ€ngung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten analysiert und zu vier „Strukturelementen des öffentlich-rechtlichen Verbraucherschutzes“ synthetisiert: Schutz und Vorsorge, Dynamik und FlexibilitĂ€t, Kommunikation, Kooperation und Beteiligung sowie Eigenverantwortlichkeit. Kleinere PrĂ€zisierungen sind in diesem Kapitel anzubringen. Wenn der Autor schreibt, dass nach § 4 Abs. 3 ProdSG formelle EinwĂ€nde gegen eine harmonisierte Norm bei der „Bundesanstalt fĂŒr Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin“ (BAuA) „einzulegen“ seien (S. 313), so ist dies missverstĂ€ndlich. Die BAuA ist als der nationale Knotenpunkt ĂŒber entsprechende Meldungen „zu unterrichten“. Sie wird nach PrĂŒfung auf VollstĂ€ndigkeit und SchlĂŒssigkeit der Meldung dem zustĂ€ndigen Ministerium den formellen Einwand zuleiteten. Das Ministerium wird dann ggf. bei der EuropĂ€ischen Kommission das Verfahren zur ÜberprĂŒfung der Norm anstoßen. Der „Ausschuss fĂŒr technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukt“ (S. 313) existiert seit 2011 unter dem Namen „Ausschuss fĂŒr Produktsicherheit“. Das ProdSG kennt den Begriff der „Zertifizierungsstellen“ nicht, sondern spricht von der „Befugnis erteilenden Behörde“ in § 9 ProdSG. Diese Kleinigkeiten minimieren aber die große Leistung der Darstellung nicht. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die von Wiebe geĂ€ußerten Zweifel zur VerfassungsmĂ€ĂŸigkeit von § 40 Abs. 1a LFGB durch den nach Drucklegung ergangenen Beschluss des BVerfG (Beschl. v. 21. MĂ€rz 2018 - 1 BvF 1/13) und das entsprechende gesetzgeberische Handeln (BGBl. I v. 24.04.2019, S. 498) entkrĂ€ftet sein dĂŒrften. Im vierten Teil werden aufgrund dieser dogmatischen Analysen rechtspolitische VorschlĂ€ge zum öffentlich-rechtlichen Verbraucherschutzrecht sowie dem Ausgleich zwischen Unternehmensfreiheit und Verbraucherrechten gemacht. Wiebe diskutiert eine Staatszielbestimmung „Verbraucherschutz“, die er als Symbolpolitik verwirft. Dann wird eine StĂ€rkung der Strukturen der VerbraucherschutzverbĂ€nde empfohlen. Des Weiteren sollen diese InteressenverbĂ€nde stĂ€rker in die Normung und Gesetzgebung eingebunden werden. Eine weitere Möglichkeit der StĂ€rkung des Verbraucherschutzes sieht Wiebe in entsprechenden „Selbstverpflichtungen“ zum Verbraucherschutz durch die Industrie. Des Weiteren könnte im Bereich der EigenĂŒberwachung ein „Verbraucherschutzbeauftragter“ in Unternehmen verstĂ€rkend wirken. Eine tarifvertragsĂ€hnliche „Verbraucherschutzvereinbarung“ zwischen Unternehmern und VerbraucherschutzverbĂ€nden dĂŒrfte wegen der schon angedeuteten SchwĂ€che der VerbraucherschutzverbĂ€nde nicht weiterfĂŒhrend sein, so der Autor. Weitere Möglichkeiten der StĂ€rkung des Verbraucherschutzes könnten durch ein Verbandsklagerecht (in diese Richtung jetzt: Vorschlag fĂŒr eine Richtlinie des EuropĂ€ischen Parlaments und des Rates ĂŒber Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG, COM(2018) 184 final) sowie durch einen Verbraucher-Ombudsmann erreicht werden. Ein „Verbraucherschutzgesetz“ dĂŒrfte allerdings nur schwer zu verabschieden sein. Die Arbeit von Wiebe ĂŒberzeugt durch eine durch und durch gelungene Architektur. Ein breites Fundament aus grundlegenden politischen, historischen und ökonomischen Betrachtungen trĂ€gt ein massives GerĂŒst aus dogmatischen Pfeilern der beiden Rechtsgebiete Unternehmerfreiheit und Verbraucherschutz und ihren Querverstrebungen. Die elegant gewĂ€hlte Untersuchung der beiden Rechtsgebiete Produktsicherheit und Lebensmittelsicherheit verkleidet das GebĂ€ude, welches schließlich gekrönt wird von rechtspolitischen ErwĂ€gungen ĂŒber die Zukunft des Verbraucherschutzes. Wiebes Untersuchung ist elegant in der Architektur, massiv in der Statik und beeindruckend in seiner endgĂŒltigen Form.

Am 15. MĂ€rz 1962 adressierte der amerikanische PrĂ€sident John F. Kennedy eine „Special Message to the Congress on Protecting the Consumer Interest“. Alle Menschen seien Konsumenten beginnt der Kennedy seine Botschaft und forderte vier Konsumentenrechte (das Recht auf Produktsicherheit, das Recht auf Information, das Recht auf Wahlfreiheit, das Recht auf Vertretung und rechtliches Gehör):

„(1) The right to safety--to be protected against the marketing of goods which are hazardous to health or life.

(2) The right to be informed--to be protected against fraudulent, deceitful, or grossly misleading information, advertising, labeling, or other practices, and to be given the facts he needs to make an informed choice.

(3) The right to choose--to be assured, wherever possible, access to a variety of products and services at competitive prices; and in those industries in which competition is not workable and Government regulation is substituted, an assurance of satisfactory quality and service at fair prices.

(4) The right to be heard--to be assured that consumer interests will receive full and sympathetic consideration in the formulation of Government policy, and fair and expeditious treatment in its administrative tribunals.“

Seit 1983 ist der 15. MĂ€rz daher der „Weltverbrauchertag“. Diese Verbraucherschutzrechte der Produktsicherheit, der Sicherheit durch Information, des fairen Preises und funktionierenden Marktes sowie des rechtlichen Gehörs stehen im Spannungsfeld zur unternehmerischen Freiheit der Produzenten und Wirtschaftsakteure. Wie regelt das europĂ€ische und das deutsche Recht diesen Interessenausgleich zwischen Unternehmer und Verbraucher, fragt Gerhard Wiebe in seiner 400-Seiten starken Dissertation, mit der er an der UniversitĂ€t Bielefeld promoviert worden ist? Wiebe fĂŒllt damit eine LĂŒcke in der BeschĂ€ftigung aus öffentlich-rechtlicher Perspektive mit dem Verbraucherschutz bzw. mit dem Recht auf Unternehmensfreiheit und den jeweiligen Interdependenzen. Er beschĂ€ftigt sich mit den jeweiligen dogmatischen Ausformungen beider Rechtspositionen auf der Ebene des europĂ€ischen PrimĂ€rrechts und des nationalen Verfassungsrechts. Wiebe unterteilt seine Untersuchung in vier Schritte.

Im ersten Teil wird als Fundament der Analyse die ökonomische Bedeutung des Konsums, die Interessen von Konsumenten, Marktstellung sowie ihre etwaige SchutzbedĂŒrftigkeit herausgearbeitet. Weiteren zeichnet Wiebe die Entwicklung des rechtlichen Verbraucherschutzes nach. Hier erkennt der Autor insbesondere die Zersplitterung von verbraucherschutzrechtlichen Regelungen im öffentlichen Recht, da die Regelungen auf unterschiedlichste Schutzgesetze verteilt seien. Ein ĂŒbergeordnetes Verbraucherschutzkonzept existiere nicht. Eine Synthese dieser verschiedenen Regelungsbereiche sei aufgrund der Gemengelage von verschiedenen Interessenlagen, unterschiedlichen sozio-ökonomischen Denkschulen sowie der dynamischen Schnelllebigkeit der Welt schwerlich zu erreichen. Unter RĂŒckgriff auf die Rechtsprechung des EuGH zum „Verbraucherleitbild“, in welcher der Verbraucher als durchschnittlich mĂŒndig, informiert, aufmerksam und verstĂ€ndig gesehen wird, geht Wiebe vom Leitbild eines „potenziell (Hervorhebung im Original, S. F.) vernĂŒnftigen, mĂŒndigen und informierbaren Durchschnittsverbrauchers“ aus (S. 74). Im Verlauf der Untersuchung wird sogar der etwas zu hochstehende Begriff der „VerbraucherwĂŒrde“ als „wirtschaftlicher Einschlag der MenschenwĂŒrde“ eingefĂŒhrt (S. 143). Eine „Verbraucherpflichtigkeit der Unternehmerfreiheit“, also eine EinschrĂ€nkungsmöglichkeit auf Ebene des Schutzbereichs des Art. 12 Abs. 1 GG, wird abgelehnt (S. 190). Wiebe lehnt paternalistische Eingriffe des Staates zugunsten des Verbrauchers grundsĂ€tzlich ab und will nur in Ausnahmen aufgrund der Schutzpflichten der Grundrechte Eingriffe bei freiwilligen SelbstgefĂ€hrdungen der Verbraucher in deren FreiheitssphĂ€ren zulassen (S. 247).

Aufbauend auf diesen ökonomischen, soziologischen und historischen Grundlagen arbeitet der Autor in dogmatischer Feinarbeit die Unternehmensfreiheit auf der einen Seite und auf der anderen Seite den Schutz des Verbrauchers in den Regelungen des Vertrages ĂŒber die Arbeitsweise der EuropĂ€ischen Union, EuropĂ€ischen Grundrechtscharta sowie des Grundgesetzes heraus. Dieser zweite Teil der Untersuchung ist das HerzstĂŒck (S. 91 bis S. 288) des Buches. In drei Schritten analysiert Wiebe zunĂ€chst die dogmatischen Grundlagen der Unternehmerfreiheit (Art. 16 EU-GRCh sowie Art. 12 GG) heraus, dann die rechtlichen Fundamente des Verbraucherschutzes (Art. 169, Art. 114 AEUV sowie Art. 38 EU-GRCh) sowie das VerhĂ€ltnis beider Rechtsbereiche. Dem Verbraucherschutz, so Wiebe, komme kein absoluter Vorrang gegenĂŒber der Unternehmerfreiheit zu. Beide Rechtspositionen seien zu einem „wohlaustarierten Ausgleich“ zu bringen. Die gesetzgeberische EinschĂ€tzungsprĂ€rogative sowie die administrative ErmessensausĂŒbung im Bereich des Verbraucherschutzes seien anhand folgender Kriterien auszuĂŒben: Die auf validen Fakten beruhende Prognose der Schadenswahrscheinlichkeit und des Schadensumfangs, der Rang des betroffenen Verbraucherschutzgutes, Festlegung des Schutzniveaus (Mindestschutz oder optimaler Schutz), Vorrang des Eigenschutzes des Verbrauchers („Hilfe zur Selbsthilfe“), Vorrang von Kooperation und unternehmerischer Eigenregulierung vor einseitigen Maßnahmen der öffentlichen Hand, Informationspflichten als im Regelfall milderes Mittel, Verbote und Sanktionen als „ultima ratio“, GrĂ¶ĂŸe und wirtschaftliche StĂ€rke der regulierten Unternehmen, gesamtwirtschaftliche Folgewirkungen der Verbraucherschutzmaßnahmen sowie Garantie von unternehmer- sowie verbraucherseitigen Rechtsschutzgarantien und Verfahrensteilhabe.

Das VerhĂ€ltnis zwischen Unternehmensfreiheit und Verbraucherschutz im öffentlich-rechtlichen Verbraucherschutzrecht steht anhand eines Vergleichs der Rechtsmaterien Produkts- und Lebensmittelsicherheit im Fokus des dritten Teils. Hier werden die Adressaten von produktbezogenen Unternehmerpflichten, Sicherheitsvorgaben durch Gesetze und ihre Konkretisierung durch die Normung, Produktinformationspflichten, behördliche Produkt- und Betriebszulassungen, Produktzertifizierungen, Produktbeobachtungspflichten, Risikomanagementsysteme, Pflichten zur Gefahrabwendung, Kommunikations- und Kooperationspflichten, behördliche Nachmarktkontrollen, Risikoermittlung, Betretungsbefugnisse, Auskunfts- und Einsichtsrechte, PrĂŒf- und Besichtigungsbefugnisse, Probenahmen, VerbotsverfĂŒgungen, Gefahrhinweise, Anordnung der KonformitĂ€tsprĂŒfung, behördliche InformationstĂ€tigkeiten, RĂŒcknahmen und RĂŒckrufe sowie die VerhĂ€ngung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten analysiert und zu vier „Strukturelementen des öffentlich-rechtlichen Verbraucherschutzes“ synthetisiert: Schutz und Vorsorge, Dynamik und FlexibilitĂ€t, Kommunikation, Kooperation und Beteiligung sowie Eigenverantwortlichkeit.

Kleinere PrĂ€zisierungen sind in diesem Kapitel anzubringen. Wenn der Autor schreibt, dass nach § 4 Abs. 3 ProdSG formelle EinwĂ€nde gegen eine harmonisierte Norm bei der „Bundesanstalt fĂŒr Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin“ (BAuA) „einzulegen“ seien (S. 313), so ist dies missverstĂ€ndlich. Die BAuA ist als der nationale Knotenpunkt ĂŒber entsprechende Meldungen „zu unterrichten“. Sie wird nach PrĂŒfung auf VollstĂ€ndigkeit und SchlĂŒssigkeit der Meldung dem zustĂ€ndigen Ministerium den formellen Einwand zuleiteten. Das Ministerium wird dann ggf. bei der EuropĂ€ischen Kommission das Verfahren zur ÜberprĂŒfung der Norm anstoßen. Der „Ausschuss fĂŒr technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukt“ (S. 313) existiert seit 2011 unter dem Namen „Ausschuss fĂŒr Produktsicherheit“. Das ProdSG kennt den Begriff der „Zertifizierungsstellen“ nicht, sondern spricht von der „Befugnis erteilenden Behörde“ in § 9 ProdSG. Diese Kleinigkeiten minimieren aber die große Leistung der Darstellung nicht. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die von Wiebe geĂ€ußerten Zweifel zur VerfassungsmĂ€ĂŸigkeit von § 40 Abs. 1a LFGB durch den nach Drucklegung ergangenen Beschluss des BVerfG (Beschl. v. 21. MĂ€rz 2018 - 1 BvF 1/13) und das entsprechende gesetzgeberische Handeln (BGBl. I v. 24.04.2019, S. 498) entkrĂ€ftet sein dĂŒrften.

Im vierten Teil werden aufgrund dieser dogmatischen Analysen rechtspolitische VorschlĂ€ge zum öffentlich-rechtlichen Verbraucherschutzrecht sowie dem Ausgleich zwischen Unternehmensfreiheit und Verbraucherrechten gemacht. Wiebe diskutiert eine Staatszielbestimmung „Verbraucherschutz“, die er als Symbolpolitik verwirft. Dann wird eine StĂ€rkung der Strukturen der VerbraucherschutzverbĂ€nde empfohlen. Des Weiteren sollen diese InteressenverbĂ€nde stĂ€rker in die Normung und Gesetzgebung eingebunden werden. Eine weitere Möglichkeit der StĂ€rkung des Verbraucherschutzes sieht Wiebe in entsprechenden „Selbstverpflichtungen“ zum Verbraucherschutz durch die Industrie. Des Weiteren könnte im Bereich der EigenĂŒberwachung ein „Verbraucherschutzbeauftragter“ in Unternehmen verstĂ€rkend wirken. Eine tarifvertragsĂ€hnliche „Verbraucherschutzvereinbarung“ zwischen Unternehmern und VerbraucherschutzverbĂ€nden dĂŒrfte wegen der schon angedeuteten SchwĂ€che der VerbraucherschutzverbĂ€nde nicht weiterfĂŒhrend sein, so der Autor. Weitere Möglichkeiten der StĂ€rkung des Verbraucherschutzes könnten durch ein Verbandsklagerecht (in diese Richtung jetzt: Vorschlag fĂŒr eine Richtlinie des EuropĂ€ischen Parlaments und des Rates ĂŒber Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG, COM(2018) 184 final) sowie durch einen Verbraucher-Ombudsmann erreicht werden. Ein „Verbraucherschutzgesetz“ dĂŒrfte allerdings nur schwer zu verabschieden sein.

Die Arbeit von Wiebe ĂŒberzeugt durch eine durch und durch gelungene Architektur. Ein breites Fundament aus grundlegenden politischen, historischen und ökonomischen Betrachtungen trĂ€gt ein massives GerĂŒst aus dogmatischen Pfeilern der beiden Rechtsgebiete Unternehmerfreiheit und Verbraucherschutz und ihren Querverstrebungen. Die elegant gewĂ€hlte Untersuchung der beiden Rechtsgebiete Produktsicherheit und Lebensmittelsicherheit verkleidet das GebĂ€ude, welches schließlich gekrönt wird von rechtspolitischen ErwĂ€gungen ĂŒber die Zukunft des Verbraucherschutzes. Wiebes Untersuchung ist elegant in der Architektur, massiv in der Statik und beeindruckend in seiner endgĂŒltigen Form.

geschrieben am 22.01.2020 | 1235 Wörter | 9391 Zeichen

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