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Verfolgte Zeugen der Wahrheit


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Rezension von

Jan Robert Weber

Verfolgte Zeugen der Wahrheit Sie verstanden sich in den 1950er Jahren als „verfolgte Zeugen der Wahrheit“. Sie leisteten in Wort und (manchmal auch Tat) intellektuellen Widerstand gegen die Westbindung, die Wiederaufrüstung und die Konsumgesellschaft. Sie hielten die Bundesrepublik Deutschland für eine „Scheindemokratie“ auf Weltkriegskurs. Ihnen schwebte ein neutrales, vereintes Deutschland vor, das entweder in einem Weltstaat aufgehen oder dereinst als sozialistisches Preußen, als monarchistischer Gottesstaat oder fundamental-ökologische Gesellschaft seine Bestimmung finden würde. Die Rede ist von Ernst Jünger, Friedrich Georg Jünger, Stefan Andres, Reinhold Schneider, Ernst von Salomon und ihrem politisch-literarischen Wirken nach 1945. Der Germanist Ralf Heyer hat mit seiner Studie über die genannten fünf Schriftsteller ein unbekanntes Kapitel der deutschen Geistesgeschichte aufgeschlagen und lüftet zugleich die verstaubten Säle unserer Erinnerung an die Literatur der 1950er Jahre jenseits von Grass und Böll. Wer nämlich eine der gängigen Literaturgeschichten zu diesem Thema liest, findet diese ehemaligen „Inneren Emigranten“ nur unter dem Schlagwort der „Restauration“ in der Adenauer-Ära. Das Missverständnis könnte nicht größer sein. Dass die Jünger-Brüder, Andres, Schneider und von Salomon sowohl den wirtschaftlichen Aufstieg als auch die Westintegration der Bundesrepublik samt Wiederbewaffnung mit einer unpolitischen Literatur der „Innerlichkeit“ gedeckt hätten, davon kann keine Rede sein. Im Gegenteil! Eine gemeinsame politische Zielsetzung, ein wie auch immer geartetes Bündnis oder auch nur eine Schnittmenge politischer Grundüberzeugungen zwischen der Adenauer-Regierung und konservativen Schriftstellern hat es nie gegeben. Stattdessen sahen die Jüngers, von Salomon, Andres und Schneider in der Adenauer-Republik ihrerseits die Restauration am Werk, und zwar die der Ideen von 1789. Mit der parlamentarischen Demokratie und dem aufblühenden Wirtschaftsliberalismus verbanden diese konservativen Schriftsteller die gescheiterte Weimarer Republik und darüber hinaus – widersprüchlicherweise – das Hitler-Regime. Für Schneider, Andres, von Salomon und die Brüder Jünger war der Nationalsozialismus eine „Erscheinung der ungeliebten Moderne“ und mithin ein „Kind des Liberalismus“. So skurril es heute anmuten mag: Die Furcht vor einer Neuauflage des Dritten Reichs war eine ehrlich gehegte Befürchtung unter den konservativen Autoren; Stefan Andres etwa machte diese Ängste zum zentralen Motiv seines Nachkriegswerks. Im Grunde offenbart Heyers Studie das Dilemma konservativer Intellektueller nach 1945 in exemplarischer Weise. Das NS-Regime hatte mit Holocaust, Weltkriegsgräueln und der totalen Niederlage den deutschen Konservatismus gründlich desavouiert. Im aufgeteilten Land, zwischen den Machtblöcken der neuen Supermächte, waren Ziele und Programme konservativen Zuschnitts schlicht irreal. Hinzu kam, dass die CDU schnell jeden parteipolitischen Konservatismus absorbierte und die bürgerlichen Funktionseliten innenpolitisch auf den demokratisch-liberalen Kurs der sozialen Marktwirtschaft, außenpolitisch in das anti-nationalistische Fahrwasser der Westintegration brachte. Die konservativen Autoren reagierten auf ihre wachsende politische Perspektivlosigkeit mit zwei unterschiedlichen Strategien oder – wie Heyer es nennt – literarischen „Widerstandsmodellen“. Während die Jünger-Brüder die „Innere Emigration“ aus den Terrorjahren des Dritten Reichs unter der Parole vom „Verlorenen Posten“ und dem Signet vom „Waldgang“ ungebrochen fortsetzten, wandten sich Schneider, Andres und von Solomon nach links. Bald schon engagierten sie sich in der Friedensbewegung, demonstrierten auf Ostermärschen gegen die atomare Aufrüstung und wähnten sich in einem überparteilichen Friedenseinsatz für ein neutrales, geeintes Deutschland. Gegen den erfolgreichen westdeutschen Staat war ihnen jeder Bündnispartner recht, wenn er nur anti-liberal und anti-amerikanisch genug war. Während sich Andres noch maßvoll Schumachers SPD annäherte, knüpften der bekennende Preuße von Salomon und der Herzensmonarchist Schneider bald Kontakte zum Ulbricht-Regime sowie zum westdeutschen Linksextremismus. Da durfte dann auch Che Guevara als nationalrevolutionäres Idol gelten (von Salomon) und Ulrike Meinhof für anti-amerikanische Artikel (Andres) Beifall spenden. Nicht zuletzt machte sich Reinhold Schneider als katholischer „Monarchist auf Abwegen“ zum nützlichen Idioten des DDR-Regimes. Von ihm erschienen ab 1949 zahlreiche Essays im DDR-Kultur-Organ „Aufbau“, scheinbar wie selbstverständlich platziert zwischen Mao-Gedichten und Elogen auf Wilhelm Pieck. Gleichzeitig kündete er in einem „Offenen Brief“ dem „Christlichen Sonntag“ die Mitarbeit auf, weil der katholischen Zeitung der notwendige Pazifismus angeblich abhanden gekommen war. Dass solcherlei literarisches Engagement ins Abseits führte, liegt auf der Hand. Dass es aber konservative Schriftsteller waren, die der bundesrepublikanischen Linken bis in die 1970er Jahre hinein literarische Schützenhilfe leisteten, ihr sogar zukunftsträchtige, zündende Parolen lieferten, ist eine ebenso verblüffende wie erhellende Tatsache, über die nicht länger hinweggesehen werden kann. Humaner Sozialismus und anarchistische Staatsskepsis, unbedingter Pazifismus und radikaler Ökologismus sind jedenfalls, wie Heyer überzeugend deutlich macht, konservative „Widerstandsmodelle“ gegen den liberalen Industriestaat gewesen, ehe sie im Zuge der 68er-Bewegung gänzlich von links vereinnahmt wurden. Ralf Heyers Studie „’Verfolgte Zeugen der Wahrheit’. Das literarische Schaffen und das politische Wirken konservativer Autoren nach 1945 am Beispiel von Friedrich Georg Jünger, Ernst Jünger, Ernst von Salomon, Stefan Andres und Reinhold Schneider“ ist eine Pflichtlektüre für alle, die an der Intellektuellengeschichte der frühen Bundesrepublik interessiert sind. Es ist überdies ein glänzend geschriebenes, kurzweiliges Buch, voller biographischer Anekdoten und eingängiger Textinterpretationen, die dem heutigen Leser politisch-literarische Dichter-Irrfahrten so nahe bringen, dass man sich darüber nicht nur informiert wundern, sondern auch belehrt schmunzeln kann.

Sie verstanden sich in den 1950er Jahren als „verfolgte Zeugen der Wahrheit“. Sie leisteten in Wort und (manchmal auch Tat) intellektuellen Widerstand gegen die Westbindung, die Wiederaufrüstung und die Konsumgesellschaft. Sie hielten die Bundesrepublik Deutschland für eine „Scheindemokratie“ auf Weltkriegskurs. Ihnen schwebte ein neutrales, vereintes Deutschland vor, das entweder in einem Weltstaat aufgehen oder dereinst als sozialistisches Preußen, als monarchistischer Gottesstaat oder fundamental-ökologische Gesellschaft seine Bestimmung finden würde. Die Rede ist von Ernst Jünger, Friedrich Georg Jünger, Stefan Andres, Reinhold Schneider, Ernst von Salomon und ihrem politisch-literarischen Wirken nach 1945.

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Der Germanist Ralf Heyer hat mit seiner Studie über die genannten fünf Schriftsteller ein unbekanntes Kapitel der deutschen Geistesgeschichte aufgeschlagen und lüftet zugleich die verstaubten Säle unserer Erinnerung an die Literatur der 1950er Jahre jenseits von Grass und Böll. Wer nämlich eine der gängigen Literaturgeschichten zu diesem Thema liest, findet diese ehemaligen „Inneren Emigranten“ nur unter dem Schlagwort der „Restauration“ in der Adenauer-Ära. Das Missverständnis könnte nicht größer sein. Dass die Jünger-Brüder, Andres, Schneider und von Salomon sowohl den wirtschaftlichen Aufstieg als auch die Westintegration der Bundesrepublik samt Wiederbewaffnung mit einer unpolitischen Literatur der „Innerlichkeit“ gedeckt hätten, davon kann keine Rede sein. Im Gegenteil! Eine gemeinsame politische Zielsetzung, ein wie auch immer geartetes Bündnis oder auch nur eine Schnittmenge politischer Grundüberzeugungen zwischen der Adenauer-Regierung und konservativen Schriftstellern hat es nie gegeben.

Stattdessen sahen die Jüngers, von Salomon, Andres und Schneider in der Adenauer-Republik ihrerseits die Restauration am Werk, und zwar die der Ideen von 1789. Mit der parlamentarischen Demokratie und dem aufblühenden Wirtschaftsliberalismus verbanden diese konservativen Schriftsteller die gescheiterte Weimarer Republik und darüber hinaus – widersprüchlicherweise – das Hitler-Regime. Für Schneider, Andres, von Salomon und die Brüder Jünger war der Nationalsozialismus eine „Erscheinung der ungeliebten Moderne“ und mithin ein „Kind des Liberalismus“. So skurril es heute anmuten mag: Die Furcht vor einer Neuauflage des Dritten Reichs war eine ehrlich gehegte Befürchtung unter den konservativen Autoren; Stefan Andres etwa machte diese Ängste zum zentralen Motiv seines Nachkriegswerks.

Im Grunde offenbart Heyers Studie das Dilemma konservativer Intellektueller nach 1945 in exemplarischer Weise. Das NS-Regime hatte mit Holocaust, Weltkriegsgräueln und der totalen Niederlage den deutschen Konservatismus gründlich desavouiert. Im aufgeteilten Land, zwischen den Machtblöcken der neuen Supermächte, waren Ziele und Programme konservativen Zuschnitts schlicht irreal. Hinzu kam, dass die CDU schnell jeden parteipolitischen Konservatismus absorbierte und die bürgerlichen Funktionseliten innenpolitisch auf den demokratisch-liberalen Kurs der sozialen Marktwirtschaft, außenpolitisch in das anti-nationalistische Fahrwasser der Westintegration brachte. Die konservativen Autoren reagierten auf ihre wachsende politische Perspektivlosigkeit mit zwei unterschiedlichen Strategien oder – wie Heyer es nennt – literarischen „Widerstandsmodellen“. Während die Jünger-Brüder die „Innere Emigration“ aus den Terrorjahren des Dritten Reichs unter der Parole vom „Verlorenen Posten“ und dem Signet vom „Waldgang“ ungebrochen fortsetzten, wandten sich Schneider, Andres und von Solomon nach links. Bald schon engagierten sie sich in der Friedensbewegung, demonstrierten auf Ostermärschen gegen die atomare Aufrüstung und wähnten sich in einem überparteilichen Friedenseinsatz für ein neutrales, geeintes Deutschland. Gegen den erfolgreichen westdeutschen Staat war ihnen jeder Bündnispartner recht, wenn er nur anti-liberal und anti-amerikanisch genug war. Während sich Andres noch maßvoll Schumachers SPD annäherte, knüpften der bekennende Preuße von Salomon und der Herzensmonarchist Schneider bald Kontakte zum Ulbricht-Regime sowie zum westdeutschen Linksextremismus. Da durfte dann auch Che Guevara als nationalrevolutionäres Idol gelten (von Salomon) und Ulrike Meinhof für anti-amerikanische Artikel (Andres) Beifall spenden. Nicht zuletzt machte sich Reinhold Schneider als katholischer „Monarchist auf Abwegen“ zum nützlichen Idioten des DDR-Regimes. Von ihm erschienen ab 1949 zahlreiche Essays im DDR-Kultur-Organ „Aufbau“, scheinbar wie selbstverständlich platziert zwischen Mao-Gedichten und Elogen auf Wilhelm Pieck. Gleichzeitig kündete er in einem „Offenen Brief“ dem „Christlichen Sonntag“ die Mitarbeit auf, weil der katholischen Zeitung der notwendige Pazifismus angeblich abhanden gekommen war.

Dass solcherlei literarisches Engagement ins Abseits führte, liegt auf der Hand. Dass es aber konservative Schriftsteller waren, die der bundesrepublikanischen Linken bis in die 1970er Jahre hinein literarische Schützenhilfe leisteten, ihr sogar zukunftsträchtige, zündende Parolen lieferten, ist eine ebenso verblüffende wie erhellende Tatsache, über die nicht länger hinweggesehen werden kann. Humaner Sozialismus und anarchistische Staatsskepsis, unbedingter Pazifismus und radikaler Ökologismus sind jedenfalls, wie Heyer überzeugend deutlich macht, konservative „Widerstandsmodelle“ gegen den liberalen Industriestaat gewesen, ehe sie im Zuge der 68er-Bewegung gänzlich von links vereinnahmt wurden.

Ralf Heyers Studie „’Verfolgte Zeugen der Wahrheit’. Das literarische Schaffen und das politische Wirken konservativer Autoren nach 1945 am Beispiel von Friedrich Georg Jünger, Ernst Jünger, Ernst von Salomon, Stefan Andres und Reinhold Schneider“ ist eine Pflichtlektüre für alle, die an der Intellektuellengeschichte der frühen Bundesrepublik interessiert sind. Es ist überdies ein glänzend geschriebenes, kurzweiliges Buch, voller biographischer Anekdoten und eingängiger Textinterpretationen, die dem heutigen Leser politisch-literarische Dichter-Irrfahrten so nahe bringen, dass man sich darüber nicht nur informiert wundern, sondern auch belehrt schmunzeln kann.

geschrieben am 14.09.2009 | 780 Wörter | 5438 Zeichen

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