ISBN | 3866123027 | |
Autor | Tilman Röhrig | |
Verlag | Pendo | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 448 | |
Erscheinungsjahr | 2011 | |
Extras | - |
Ein literarisches Glanzstück
„Der Sonnenfürst“ – ein außergewöhnlicher Roman über eine außergewöhnliche Zeit!
Schon im unvermittelten Anfang öffnet uns der Autor den Vorhang der Rokoko-Bühne in Brühl einen Spalt: Hinter der Kulisse lernen wir den überaus vorsichtigen Kurfürsten Clemens August und sorgsam ausgewählte Menschen seines Vertrauens kennen, denn überall „ lauern Gift, Mord und Intrigen“… Ruhelos wacht der sympathische Diener, der Zwerg Albert le Grand, Tag und Nacht wie ein Schutzengel über das gefährdete Leben seines Herrn. So werden wir direkt mit dem Menschen Clemens August vertraut, der als bedeutender Herrscher von politischen Ränkespielen umgarnend umworben wird. Seine abendliche Klage über die verlogene Hofetikette, über Schein und Sein der politischen Bühne, seine vehemente Ablehnung der Sprache der Galanterie und sein überzeugtes Bekenntnis zur Sprache des Herzens entfacht unsere Empathie. So können wir auch seine tiefe Freundschaft zu dem Adeligen Johann von Roll begreifen und mit Clemens August mitleiden, als sein Vertrauter in einem durch ein Komplott provozierten Duell heimtückisch ermordet wird. Kunstvoll hat der Autor den Tod Johanns in der eindrucksvollen Beschreibung der Falkenjagd, im „Federwirbel und Flügelschlagen“, vorausgedeutet. So gelingt es dem Autor, dass wir nach diesem dramatischen Anfang Clemens Augusts gefährdeten Lebensweg im Dickicht der politischen Lager achtsam begleiten wollen. Der tragische Verlust seines geliebten Freundes - das Unwiederbringliche - berührt unser Herz; die Hiobsbotschaft verkehrt sein Leben, der Blick auf sein Portrait als einst stolzer Herrscher spiegelt eindrucksvoll seinen Lebensbruch. Werden nun bittere Trauer, unerbittliche Verbrechensaufklärung und finstere Rachegedanken sein Leben ausschließlich prägen?
Auf seiner Wahrheitssuche lernen wir auch Plettenberg, der für Clemens August und seine Kontrahenten eine Hauptrolle spielt, in der Bonner Residenz bei einer von dem trauernden Clemens leidenschaftlich formulierten Lobeshymne über Freundschaft kennen. Die schnelle Aufklärung des Meuchelmordes verlangt nun die Suche nach verlässlichen Zeugen:
Die siebzehnjährige Margaretha ist zufällig, um junges Grün für ihre Tiere zu besorgen, an dem Unglücksort gewesen und hat die heimtückische Ermordung von Johann mit ansehen müssen. Sie wird entdeckt, und auch ihr Leben verändert sich: Von Burgau, einem der Mörder Johanns, der sich als Steigbügelhalter bei Clemens August infam einschmeichelt und ein perfides Maskenspiel in Szene setzt, gnadenlos verfolgt - und von Clemens und Albert achtsam unter ihre Fittiche genommen…
Margaretha, das liebevoll gestaltete fiktive Mädchen mit dem kaum zu bändigen Haar, wächst uns auf ihrem zerbrechlichen Lebensweg sehr ans Herz… Um seinen Herrn aus dem Sog seiner zerstörerischen Trauer zu retten, führt Albert ihm die schöne Harfenistin, Mechthild von Brion, eine außergewöhnlich sympathische, selbstbewusste, begabte und „klare“ Frau, zu. Hier können wir uns auf besonders zarte „Textkompositionen“, wo Sprache und Musik im Wechselspiel synästhetisch verschmelzen, freuen und erleben, wie das Duo in der Stimmung der ergreifenden Musik-Texte von Händel und Bach sich gefühlvoll begegnet, sich schätzen und lieben lernt, erstarrte Gefühle erwachen, Gleichklang…
Zwischen einer unvollendeten Kantate „schlängelt“ sich erwartungsvoll der Zug der kurfürstlichen Karawane nach Bayern: Von dem Klosterbesuch bei der verehrten Seherin Crescentia erwartet der barockreligiöse Clemens tröstliche Auskunft über Johanns Seele, und auf der Hofbühne in Bayern versucht sein ungleicher Bruder, Karl Albrecht, ihn durch honigsüße Schmeicheleien auf seine politische Seite zu locken…
Dabei wird der Leser zusammen mit Clemens in ein berauschendes Spektakelfeuerwerk an illustren bayrischen Schlössern „eingetaucht“… Hier lernen wir auch den teuflischen Rädelsführer Ignaz von Törring kennen, der als eiskalter Drahtzieher im politischen Intrigenspiel seine fast schachmatten Spione zu willenlos gefügigen Läufern beugt: Bayrisches Weiß und Blau: die Löwengrube der geheimen Spionagetreffen mit einem außergewöhnlichen Herrscherpaar: ein durchtriebener Macho und ein köstliches, aber auch bedauernswertes „Flintenweib“…
Amüsieren können wir uns auch auf einer Kahnpartie zweier verdeckter Spione - selbst Opfer und Täter im Intrigennetz - bei der die schillernde Rokoko-Lady Aloysia, die auch die Geheimsprache der Schönheitspflästerchen genau kennt und sie zu „sprechen“ pflegt, an einem verschwiegenen Ort durch verführerische Fußlümmelei ihrem Mit- und Gegenspieler seine Geheimnisse raffiniert zu entlocken weiß…
Wird sie auch Clemens August bei dem ausgeklügelten Spionageauftrag auf die falsche Fährte schmeicheln?
Der Leser kann gespannt sein, welche Schicksalswendungen die Protagonisten auf ihrer verstrickten Lebensbühne erfahren werden; ein wunderbarer Roman: dicht, spannend, vielfältig, sprachlich versiert…
Tilman Röhrig hat Clemens August und seine Zeit so lebendig und tiefgründig recherchiert gestaltet, dass ich seine „Roman-Menschen“ als Spieler auf der schillernden Rokoko-Bühne hautnah fühlend begreife und unbedingt Clemens, Mechthild und ihr „Krönchen“ noch länger begleiten möchte…
Von Herzen wünsche ich diesem wunderbaren Buch-Glanzstück viele Leser!
geschrieben am 22.08.2011 | 709 Wörter | 4751 Zeichen
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