ISBN | 3882217022 | |
Herausgeber | Gernot Krämer | |
Autor | Jules Barbey d'Aurevilly | |
Verlag | Matthes & Seitz Berlin | |
Sprache | deutsch | |
Seiten | 160 | |
Erscheinungsjahr | 2008 | |
Extras | gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag und Lesebändchen |
Der universelle Konformismus war seit jeher dem sozialen Typus des Dandys ein Dorn im Auge. Der Dandy will gefallen. Dennoch provoziert er mit dem, was er sagt und mit dem, was er angezogen hat, um den universellen Konformismus zu brechen. Er ist ein Mensch der Gesellschaft, auch wenn er sie verachtet und mit einer solchen Eitelkeit übertüncht, die zugleich Ausdruck innerer Sensibilität ist.
Zu diesem Typus gehört Barbey d’Aurevilly, geboren 1808 in Saint-Sauveur-le-Vicomte (Manche). Mit Melancholie und ätzendem Spott reagierte der Fortschrittsskeptiker auf den Untergang der christlich-feudalen Welt und auf die beginnende Moderne. Seine nun endlich vorliegenden Aphorismen sind provozierend und unzeitgemäß. Seine Bosheiten, Spitzfindigkeiten und Klugheiten führen uns einen Mann vor Augen, bei dem die Leidenschaften immer noch vor den Überzeugungen kamen, er deshalb stets eher Polemiker als Christ war, obwohl er gerade damit als entschiedener Christ lebte. Zeitgenossen sagten über ihn: „Er schreibt wie ein Engel oder wie ein Teufel.“ (132) – Man erinnere sich an die bemerkenswerten Worte Ernst Jüngers über Leon Bloy, Bloy sei ein Zwillingskristall aus Diamant und Kot. Die Konvergenz des sich Ausschließenden scheint Grundvoraussetzung für das Wesen des Genius zu sein. Barbey nun, der selbst aus christlichem Glauben heraus der Leidenschaft des Duellierens offen gegenüber stand, kann als solcher gelten. Er begeisterte sich für die Sünde und tat damit seinen Glauben kund – durch Lästerung über die Allgemeinplätze, die er so verachtete. Und das machte diesen Lästerer vor der Hölle sicher, denn in Vielem hatte er einfach recht:
„Bücher muß man mit Büchern bekämpfen, wie Gifte mit Gegengiften; würde unsereins sonst schreiben?“ (19)
„Nichts zeigt die Nichtigkeit des Lebens besser als der Tod großer Menschen und die Leichtigkeit, mit der die dumme Welt auf sie verzichten kann.“ (33)
„Es gibt gelegentlich eine Art Gewandtheit in der Unbeholfenheit, die, so scheint mir, anmutiger ist als die Anmut selbst.“ (82)
Barbey schreibt zum Zwecke eigener Konfliktbewältigung mit der Konsequenz eines apolitischen Denkens, welches darin gerade politisch ist und sich vom Apolitismus des Mitläufers absetzt. Den außengeleiteten Verhaltensmustern und der Apathie des Mitläufertums als Modifikation von Verfall, von diaphtora, setzt er die Medizin, vielmehr das Gift der maßlosen Polemik entgegen, deren Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit in jedem Aphorismus dennoch zu spüren ist. Witzige, originelle, treffende Formulierungen sind Barbey d’Aurevilly nur so zugeflogen. Der große Dandy und Plauderer unterhielt ganze Salons damit. Einen Eindruck von dieser Gabe vermitteln jene Aphorismen, die hier zum ersten Mal auf Deutsch erscheinen.
Sie kreisen um seine großen Themen: Liebes- und Lebenslügen, gesellschaftliche Codes und Abgründe, Dandytum, die Einsamkeit des Künstlers, seine Selbstinszenierungen und seine Masken, die das Elend der Lebensfristung ästhetisch aufzuwerten trachteten. Barbey mußte jede Woche ein Buch lesen und besprechen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er nannte dieses „in Konklave gehen“ – und trotzdem wurde sein Lohn gekürzt. Dennoch, in seiner Kraft, widrigen Schicksalsschläge standzuhalten, die sich als Spott tarnte, lag sein Lebensrezept.
Krankhafte Empfindlichkeit verbarg sich hinter kühnen Paradoxa, Sinn für Romantisches und die Liebe zu seiner Mutter hinter argwöhnischer Menschenscheu. Die Waffe dieses Unangepaßten blieb bis zuletzt geladen; es war das Wort. Dies war das Ausdruckmittel eines menschgewordenen Idealismus, der sich vornahm, sich nicht zu ergeben und dies bis zuletzt im Jahre 1889, als das hochmütige Gesicht von Leid gezeichnet war, auch nicht tat. Man fand Barbey am Rande des Lebens und mitten im Leben, er inkludierte alles, denn irgendwohin mußte schließlich die ästhetische Intelligenz abgewandert sein, um ihrem Wesen gemäß zu leben und zu überleben.
geschrieben am 08.04.2008 | 568 Wörter | 3361 Zeichen
Barbey d’Aurevilly trug unglaubliche Kleidung. Er ließ sie sich anfertigen nach seinen eigenen, individuellen Vorstellungen. Die Brüder Goncourt berichteten in ihrem Tagebuch, das die gesamte Pariser Gesellschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert aufspießte, von einer Begegnung am 12. Mai 1885, bei der Barbey einen Gehrock trug mit extra breiten Schößen »als sei darunter eine Krinoline« und dazu eine Hose aus weißer Wolle, »bei der es sich anscheinend um eine Flanell-Unterhose mit Fußriemen handelt«.
Leon Bloy war zu dem Ergebnis gekommen, Barbeys Kleidung wäre der Mode gefolgt »einiger Dandys zu einer bestimmten, längst verflossenen Minute der Geschichte, die sich wie ich annehme, zwischen dem dritten Duell des Hauptmanns d’Arpentigny und dem Tod des großen Balzac ereignet hatte«. Barbeys Umhüllung war also bewusste Maskerade.
Dem entsprach seine Konversation, die Kunst seines Gesprächs. Er hatte eine tiefe Stimme, die er spielerisch einsetzte. Er konnte urplötzlich aufbrausend werden. Seine Tobsuchtsanfälle waren legendär. Ebenso schnell konnte er sich wieder beruhigen und dem Gegenüber damit das Ironische an allem zeigen.
Er war ein reinrassiger Dandy; - nur leider ein Leben lang verarmt.
Die Literatur-Edelschmiede Matthes & Seitz Berlin Verlag bringt im Rahmen ihrer Werkauswahl Barbeys nun als dritten Band eine kleine Aphorismen-Sammlung heraus. Der liebevoll gestaltete Band passt sich zu den anderen in Format und Gestaltung. Er trägt den Titel des kürzesten der abgedruckten Traktate: »Feinheit des Geistes rührt von Niedertracht.«
Barbeys Scharfzüngigkeit im Gespräch beginnt man zu erahnen, liest man seine kurzen und volltreffenden Hiebe gegen die Mediokren, die Karrieristen oder die Politik. Kostprobe: »Als Höflichkeit noch etwas galt, konnte man mit Worten grausam sein, konnte demütigen und Furcht verbreiten, und die Lebendigkeit des Stils und die Bildhaftigkeit des Ausdrucks profitierten davon. Selbst in der Verachtung lag noch Höflichkeit – dieser letzte Schliff, der ihr erst richtig Schwung gab.« Eine Extrarubrik ist Barbeys frauenskeptischen Aphorismen gewidmet.
Karl Heinz Bohrer hat als Essenz im Werk Baudelaires dessen Leiden an dem immer schon vergangenen Augenblick festgemacht. Das bedeutet, jede Sekunde, die der Mensch überhaupt wahrnimmt, ist in diesem Moment der Wahrnehmung bereits vergangen. Das hat Baudelaires tiefen Schmerz ausgemacht. Das gleiche ließe sich über Barbey sagen. Nicht zufällig war Barbey ein großer Verehrer des Blumenboten des Bösen.
So war Barbey im kulturellen Sinne zutiefst reaktionär. In jeder Zeile seiner nebenbei angefallenen Geistesblitze donnert zugleich die Wut über den permanenten Verlust an Kultur, den er als Folge der Modernisierung sah. Noch einmal zur Verdrängung einer Tugend, die die Gesellschaft zusammenhielt: »Die Höflichkeit! Wozu ist sie noch gut in diesem kritiksüchtigen, utilitaristischen Jahrhundert? Sie teilt das Schicksal von Tanz-, Fecht- und Reitkunst, den drei Disziplinen des Beau agile. Man tanzt ja nicht mehr«, schrieb der ironische Dandy in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, »sondern schubst sich bloß herum wie bei der Polka, oder schlimmeres… Das mitunter noch gepflegte Fechten gehört nicht mehr zu den Statuten. Reiten auch nicht. Alle drei kommen aus der Mode und geraten in Vergessenheit in unserem amerikanischen Zeitalter, das sie durch Gymnastik ersetzt, sogar für Frauen, durch Pferderennen mit Jockeys, diesen berittenen Affen, und durch Boxen und Treten, die Waffen des Strolchs.«
Dem Band beigefügt sind Nachrufe von Anatole France und Paul Bourget auf diesen grandiosen, verarmten Pariser Dandy. Intensiv und einfühlsam bringen sie ihn uns näher, genau 200 Jahre nach seiner Geburt.
geschrieben am 09.06.2008 | 536 Wörter | 3182 Zeichen
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